• Keine Ergebnisse gefunden

Ein weiteres Problem für eine einheitliche Akzentzuweisungsregel stellen die spanischen Verbformen dar. In der Literatur wird meist die Auffassung vertreten, dass der Verbakzent im Spanischen lexikalisch repräsentiert sein muss (Harris 1987, 1989, Roca 1990, 1999; vgl. aber Oltra-Massuet & Arregui 2005). Wie (28) zeigt, können spanische Verben oxytonischen, pa-roxytonischen oder propapa-roxytonischen Akzent haben.

(28) cantar ‘singen’

a. cantarás oxytonisch 2. Sg. Fut

b. cantáras paroxytonisch 2. Sg. Konj. Imperf.

c. cantáramos proparoxytonisch 1. Pl. Konj. Imperf.

Dabei ist der Akzent nicht aus der segmentalphonologischen Struktur ableitbar, sondern hängt in erster Linie von der morphosyntaktischen Struktur ab. Deshalb finden sich Paare von Wör-tern, die aus denselben Lauten bestehen, sich aber im Wortakzent unterscheiden, wie in (29) bis (31).

(29) a. cánto 1. Sg. Ind. Präs. cantar ‘singen’

b. cantó 3. Sg. Ind. Perfekt cantar ‘singen’

(30) a. cantáran 3. Pl. Konj. Imperf. cantar ‘singen’

b. cantarán 3. Pl. Futur cantar ‘singen’

(31) a. cánte 1./3. Sg. Konj. Präs. cantar ‘singen’

b. canté 1. Sg. Ind. Perf. cantar ‘singen’

Verschaffen wir uns zunächst einen Überblick, welche Akzentmuster die einzelnen Tempora und Modi aufweisen. Die Präsensformen haben den Akzent jeweils auf der vorletzten Silbe:

sie sind regelmäßig paroxytonisch. Dabei kann der Akzent auf dem Stamm oder auf der En-dung liegen; vgl. (32).

(32) Präsens Wortstruktur: [cant]St á-mos]Wort

Indikativ Konjunktiv

Sg 1 cánt-o cánt-e paroxytonisch stammbet.

2 cánt-a-s cánt-e-s paroxytonisch stammbet.

3 cánt-a cánt-e paroxytonisch stammbet.

Pl 1 cant-á-mos cant-é-mos paroxytonisch endbet.

2 cant-á-is2 cant-é-is paroxytonisch endbet.

3 cánt-a-n cánt-e-n paroxytonisch stammbet.

Die Imperfektformen haben den Akzent auf der Silbe, die dem Tempus/Modus-Morphem vo-rangeht: sie sind paroxytonisch oder proparoxytonisch; vgl. (33).

(33) Imperfekt Wortstruktur: [cant]St á-ba-mos]Wort

Indikativ Konjunktiv

Sg 1 cant-á-ba cant-á-ra paroxytonisch

2 cant-á-ba-s cant-á-ra-s paroxytonisch

3 cant-á-ba cant-á-ra paroxytonisch

Pl 1 cant-á-ba-mos cant-á-ra-mos proparoxytonisch 2 cant-á-ba-is cant-á-ra-is proparoxytonisch 3 cant-á-ba-n cant-á-ra-n paroxytonisch

Die Formen des Futurs und des Konditionals haben den Akzent auf der Silbe, die der Stamm-erweiterung -r- nachfolgt. Sie können oxytonisch, paroxytonisch oder proparoxytonisch sein;

vgl. (34).

(34) Wortstruktur: [cant]St a-r ]ESt é-mos]Wort

Futur Konditional

Sg 1 cant-a-r-é cant-a-r-í-a

2 cant-a-r-á-s cant-a-r-í-a-s 3 cant-a-r-á cant-a-r-í-a Pl 1 cant-a-r-é-mos cant-a-r-í-a-mos

2 cant-a-r-é-is cant-a-r-í-a-is 3 cant-a-r-á-n cant-a-r-í-a-n

Bei den Perfektformen liegt der Akzent nicht auf dem Stamm, sondern auf der Endung. Die Formen des Perfekts können oxytonisch, paroxytonisch oder proparoxytonisch sein; vgl. (3).

(35) Indikativ Perfekt Wortstruktur: [cant]St ]ESt á-mos]Wort

(Pretérito Perfecto Simple)

Sg 1 cant-é oxytonisch

2 cant-á-ste paroxytonisch

3 cant-ó oxytonisch

Pl 1 cant-á-mos paroxytonisch

2 cant-á-ste-is proparoxytonisch

3 cant-á-ro-n paroxytonisch

Dies gilt nur für die regelmäßigen, aber nicht für die unregelmäßigen Perfektformen. Die un-regelmäßigen Perfektformen haben un-regelmäßigen paroxytonischen Akzent, außer in der 2.

Person Plural; vgl. (36).

(36) Indikativ Perfekt Wortstruktur: [dij ]St í-mos]Wort

unregelmäßige Verben: decir ‘sagen’

Sg 1 díj-e paroxytonisch

2 dij-í-ste paroxytonisch

3 dij-o paroxytonisch

Pl 1 dij -í-mos paroxytonisch

2 dij-í-ste-is proparoxytonisch

3 dij-é-ro-n paroxytonisch

Diese kurze Betrachtung der Verbformen zeigt, dass der Akzent durch die Morphologie mit-bestimmt wird. Besonders deutlich sieht man das an den Formen des Futurs und des Konditi-onals in (34), bei denen der Akzent immer rechts von der Stammerweiterung liegt. Ich gehe davon aus, dass die morphologische Konstituenz spanischer Verben wie in (37) dargestellt werden kann.

(37) cantarías 2. Sg. Konditonal cantar ‘singen’

[[[Stamm]Stamm Thema Stammerweiterung]EStamm Tempus/Modus Person/Numerus ]Wort/W

[[[cant ]Stamm a r]EStamm ía s ]Wort/W

(37) repräsentiert eine Form des Konditionals. Diese Form besteht aus einem Verbstamm, cant-, an die der Themavokal -a- angefügt ist. Durch die Anfügung der konsonantischen Stammerweiterung -r- ergibt sich ein erweiterter Stamm, an den das Tempus/Modus-Affix -ía und das Person/Numerus-Affix -s angefügt werden. Versuchen wir nun, die Beobachtungen zum spanischen Verbakzent in unser Modell zu integrieren.

3.2 Präsensformen

Die Formen des Präsens sind auf der vorletzten Silbe betont. Sie können mit dem bislang an-genommenen Modell ohne weitere Annahmen erfasst werden. In (38) ist dies an einer auf Vokal endenden Verbform illustriert.

(38) cánto, 1. Sg. Ind. Präsens cantar ‘singen’

( x )

( x .)

c a n t o

Für die auf Konsonant endende Verbform cántan in (39) funktioniert die Akzentzuweisung genau so wie für cánto in (42).

(39) cántan, 3. Pl. Indik. Präsens cantar ‘singen’

( x )

( x . )

c a n t a n

Analog funktioniert die Akzentzuweisung für alle anderen (paroxytonischen) Formen des Prä-sens (Indikativ und Konjunktion).

3.3 Die Abbildung der Wortstruktur auf die metrische Struktur

Für alle anderen Verbformen, abgesehen von den eben illustrierten Präsensformen, werden zusätzliche Regeln benötigt; andernfalls hätten alle anderen Verbformen den Akzent auch je-weils auf der vorletzten Silbe. Ich werde im Folgenden zeigen, dass der geordnete Regelsatz (40), der etwas über die Abbildung der Wortstruktur auf die metrische Struktur sagt, die kor-rekten Akzentmuster generieren kann (zum Format dieser Regeln vgl. Halle & Idsardi 1995).

(40) Zusatzregeln

a. Regel 1: Der rechte Rand des erweiterten Stammes wird auf den linken Rand eines Fußes abgebildet.

b. Regel 2: Der rechte Rand des Wortes wird auf den rechten Rand eines Fußes abgebildet.

c. Regel 3: Der rechte Rand des Stammes wird auf den linken Rand eines Fußes abgebildet.

Die erste Regel erfasst die Beobachtung, dass die Verbformen mit einer Stammerweiterung, d.h. in erster Linie die Formen des Futurs und des Konditionals, den Akzent auf der Endung haben, und nicht auf dem Stamm; vgl. (34). Die dritte Regel erfasst die Beobachtung, dass die Formen des Imperfekts auf der ersten Silbe der Endung betont sind, auch wenn dies proparo-xytonischen Akzent zu Folge hat; vgl. (33). Die Anordnung von Regel 2 zwischen den beiden Regeln 1 und 3 erfasst die Generalisierung, dass oxytonischer Akzent nur dann auftritt, wenn eine Form über einen erweiterten Stamm verfügt (34); wie genau die Zusatzregeln 1, 2 und 3 interagieren, wird weiter unter genauer erläutert.

Die Zusatzregeln werden angewendet, bevor der Aufbau der trochäischen Fußstruktur von rechts nach links beginnt (vgl. hierzu auch Halle & Idsardi 1995). Die Zusatzregel 3 und die Regel, die trochäische Füße von rechts nach links erzeugt, dürfen keine Anwendung finden, wenn durch ihre Anwendung ein subminimaler (d.h. einsilbiger) Fuß erzeugt würde; diese Beschränkung gilt jedoch nicht für die Zusatzregeln 1 und 2.

3.4 Futur und Konditional

Mit den beiden Zusatzregeln 1 und 2 kann die Akzentzuweisung für die Formen des Futurs und des Konditionals auf die folgende Weise erfasst werden. Beginnen wir mit der Form can-tarémos. Zunächst wird der rechte Rand des erweiterten Stammes auf den linken Rand eines Fußes abgebildet; danach wird der rechte Rand des Wortes auf den rechten Rand eines Fußes abgebildet; vgl. (41). Nun erfolgt der weitere Aufbau der metrischen Struktur; vgl. (42). Von rechts nach links wird eine Fußstruktur aus trochäischen Füßen aufgebaut. Schließlich wird der starken Silbe des rechten Fußes der Hauptakzent zugewiesen:

(41) cantarémos, 1. Pl. Futur cantar ‘singen’

( )

c a n t a r e m o s

[[[ ]St ]ESt ]Wort

(42) ( x )

( x .) ( x . )

c a n t a r é m o s

Ähnlich funktioniert die Akzentzuweisung auch für proparoxytonisches cantaríamos in (43).

Hier wird der rechte Rand des erweiterten Stammes auf den linken Rand eines Fußes abgebil-det. Danach wird der rechte Rand des Wortes auf den rechten Rand eines Fußes abgebilabgebil-det.

Der weitere Aufbau der metrischen Struktur erfolgt von rechts nach links. Dabei werden die beiden Fußgrenzen respektiert, die durch Regel 1 und Regel 2 erzeugt wurden. Die Regel zum Aufbau der metrischen Struktur darf nur zweisilbige Füße erzeugen (vgl. Halle & Idsardis (1995) „Avoid“-Beschränkungen); daher wird die Folge als (ríamos), und nicht als (ri)(ámos) analysiert. Problem: hier haben wir doch offensichtlich einen dreisilbigen Fuß. Die starke Sil-be des rechten Fußes im fünfsilbigen cantaríamos bekommt den Hauptakzent. Das Ergebnis ist proparoxytonisches cantaríamos.

(43) cantaríamos, 2. Pl. Konditional cantar ‘singen’

( x )

( x .) ( x . . )

c a n t a r i a m o s

[[[ ]St ]ESt ]Wort

Mit den bisher rekonstruierten Regeln lässt sich schließlich auch die Akzentzuweisung für oxytonisches cantaré in (44) erfassen. In (44) wird zunächst der rechte Rand des erweiterten Stammes auf den linken Rand eines Fußes abgebildet. Danach wird der rechte Rand des Wor-tes auf den rechten Rand eines Fußes abgebildet. Die Konstruktion eines einsilbigen Fußes durch die Zusatzregeln 1 und 2 ist zulässig, weil diese beiden Regeln nicht der oben genann-ten Beschränkung unterliegen, dass ihre Anwendung blockiert wird, wenn sie zur Erzeugung eines subminimalen Fußes führen würde. Auf diese Weise wird der rechte der beiden Füße erzeugt, aus denen das Wort besteht. Dieser rechte Fuß, der durch die Regeln 1 und 2 gene-riert wurde, besteht aus nur einer Silbe; dieser Silbe wird der Hauptakzent zugewiesen. Das Ergebnis ist oxytonisches cantaré.

(44) cantaré, 1. Sg. Futur cantar ‘singen’

( x)

( x .) ( x)

c a n t a r e

[[[ ]St ]ESt ]Wort

3.5 Oxytonische Perfektformen

Oxytonische, d.h. auf der letzten Silbe akzentuierte Formen, finden wir auch unter den regel-mäßigen Perfektformen. Unter der Annahme, dass auch die Perfektformen über eine

Stamm-erweiterung verfügen, könnten die Formen des Perfekts auf ähnliche Weise analysiert werden wie die Formen im Futur und Konditional. Der Aufbau der metrischen Struktur für eine Per-fektform wie cantó in (45) würde dann auf dieselbe Weise funktioniert wie für eine Futurform wie cantaré.

(45) cantó, 3 sg Perf

( x)

( x)

c a n t ó

[[[ ]St]ESt ]Wort

Die Frage ist jedoch, ob die Perfektformen wirklich über eine Stammerweiterung verfügen.

Anders als in den Formen von Futur und Konditional, in denen das Segment -r- vorkommt, findet sich in den Perfektformen kein Segment, das als Stammerweiterung fungieren könnte.

Diachronisch gesehen könnten sie allerdings eine implizite Stammerweiterung tragen, denn cantó geht zurück auf cantavit. Als wesentliches Argument für die Annahme einer (nicht mehr overt realisierten) Stammerweiterung kann jedoch die Beobachtung interpretiert werden, dass der Akzent der regelmäßigen Perfektformen mit dem Akzent der unregelmäßigen Per-fektformen kontrastiert, wie in (46) zu sehen ist. Während bei den regelmäßigen Perfektfor-men der Akzent immer auf der Endung liegt, kann er bei den unregelmäßigen ForPerfektfor-men auf dem Stamm oder auf der Endung liegen. In den meisten Formen des unregelmäßigen Perfekts liegt der Akzent dabei regelmäßig auf der vorletzten Silbe.

(46) Perfektformen

regelmäßig unregelmäßig

1Sg canté túve díje púse andúve

2Sg cantó túvo díjo púso andúvo

Inf cantar tener decir poner andar

„singen“ „nehmen“ „sagen“ „setzen“ „gehen“

Es bietet sich an, diesen Kontrast der regelmäßigen und unregelmäßigen Perfektformen durch die Annahme zu erfassen, dass sich die morphologische Struktur der regelmäßigen und der unregelmäßigen Perfektformen unterscheidet. Die unregelmäßigen Perfektformen verfügen, wie (46) zeigt, über einen Perfektstamm, der sich klar vom Präsensstamm unterscheidet. Die regelmäßigen Perfektformen zeigen keinen solchen vom Präsensstamm klar verschiedenen Perfektstamm. Allerdings unterscheidet sich der „Perfektstamm“ der regelmäßigen Perfekt-formen vom „Präsensstamm“ in genau einer Hinsicht: durch die Position des Akzents. Wäh-rend der Akzent den Präsensformen regelbasiert zugewiesen wird, liegt der Akzent bei den

regelmäßigen Perfektformen immer auf der Endung und nie auf dem Stamm; dies gilt auch, wenn die Endung einsilbig ist (wie in der 1Sg und 3Sg). Diese Beobachtung lässt sich im hier vorgeschlagenen Ansatz durch die Annahme erfassen, dass auch die regelmäßigen Verben über einen Perfektstamm verfügen. Auch sie bilden den Perfektstamm durch Anfügen einer Stammerweiterung, die allerdings phonologisch nicht realisiert ist. Diese Stammerweiterung hat dennoch eine Wirkung, die sich in der Akzentzuweisung zeigt: sie bewirkt, dass der Ak-zent immer rechts von der Stammerweiterung, d.h., auf der Endung liegt. Die unregelmäßigen Verben bilden den Perfektstamm demgegenüber nicht durch Anfügung einer Stammerweite-rung, sondern sie verfügen über einen besonderen, im Lexikon gespeicherten Perfektstamm.

Deshalb zeigen sie nicht das charakteristische Akzentmuster der regelmäßigen Perfektstäm-me; vielmehr verhalten sich die unregelmäßigen Perfektformen hinsichtlich der Akzentzuwei-sung wie Formen ohne Stammerweiterung, z.B. wie Präsensformen. Dieser strukturelle Un-terschied zwischen den regelmäßigen und den unregelmäßigen Perfektformen ist in (47) dar-gestellt.

(47) regelmäßige Perfektform [[[cant ]Stamm ø ]EStamm ó ]Wort

unregelmäßige Perfektform [[[díj ]Stamm o ]Wort

Durch die oben vorgeschlagenen morphophonologischen Zusatzregeln (40) führt dieser struk-turelle Unterschied dazu, dass der Akzent bei den regelmäßigen Perfektformen auf der En-dung liegt, d.h., rechts von der Stammerweiterung, während er bei den unregelmäßigen Per-fektformen (regelmäßig) auf der vorletzten Silbe liegt.

(48) cantó, 3sg Perf regelmäßig ( x) ( x)

c a n t o

[[[ ]St]ESt ]Wort

(49) díjo, 3sg Perf unregelmäßig

( x )

( x .)

d í j o

[[[ ]St ]Wort