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Das hier skizzierte Modell der spanischen Akzentzuweisung hat den Vorteil, dass es sich bruchlos aus dem lateinischen Modell ableiten lässt (im Gegensatz zu Modellen, die für das Spanische eine jambische Fußstruktur annehmen, wie z.B. Oltra-Massuet & Arregi 2005, oder

Roca 1988, 1990, Harris 1989). Das lateinische Akzentsystem kann man informell so charak-terisieren, dass die Betonung auf der vorletzten Silbe liegt, wenn diese schwer ist; sonst liegt die Betonung auf der vorvorletzten Silbe; vgl. incú:dis ‚bearbeiten, 2Sg’ gegenüber mínimus

‚geringst-, mask. sg.’. Die letzte Silbe ist in der Regel nicht betont. Für das Lateinische wird deshalb meist angenommen, dass die Akzentzuweisung auf den unten in (50) angegebenen Parameternwerten basiert: die Fußform ist trochäisch (moraischer Trochäus); die metrische Struktur wird von rechts nach links aufgebaut, und der Wortakzent liegt auf dem letzten Fuß des Wortes (Allen 1973, Vincent 1988). Die letzte Silbe des Wortes spielt für die Akzentzu-weisung keine Rolle, d.h., sie ist extrametrisch. Außerdem ist die AkzentzuAkzentzu-weisung ge-wichtssensitiv, d.h., Vokallänge und Silbenstruktur sind für die Akzentzuweisung relevant.

Wie in dieser Studie gezeigt wurde, lässt sich nicht nur im Lateinischen und Italienischen, sondern auch im Spanischen das Akzentsystem durch die Parametersetzung in (50) a., b., c.

charakterisieren (vgl. Lahiri, Meinschaefer & Schwarze in Vorbereitung). Gemeinsam ist den drei Sprachen damit die Fußform (trochäisch), die Richtung der Akzentzuweisung (rechts nach links), und die Position des prominenten Fußes (rechts). Sie unterscheiden sich jedoch hinsichtlich der beiden Parameter Gewichtssensitivität und Extrametrikalität. Während für das Lateinische, aber auch für das Italienische angenommen werden muss, dass die letzte Silbe extrametrisch ist, spielt Extrametrikalität im hier entwickelten Modell der spanischen Akzent-zuweisung keine Rolle mehr (aber vgl. Harris 1987, Den Os & Kager 1986, Lipsky 1997 für die Annahme morphologisch ausgelöster Extrametrikalität in spanischen Wörtern; vgl. Roca 1988, 1990, 1997 für vergleichbare Annahmen). Auch der Parameter Gewichtssensitivität ist im Italienischen und im Lateinischen auf einen positiven Wert gesetzt (d.h., die Fußform ist der moraische Trochäus), während im Spanischen die Vokallänge und das Silbengewicht kei-ne Rolle mehr spielen (aber vgl. Harris 1983, Den Os & Kager 1986, Lipsky 1997 für die An-nahme, dass die spanische Akzentzuweisung gewichtssensitiv ist; vgl. auch Harris 1995, Oltra-Massuet & Arregui 2005 für die Annahme, dass das Silbengewicht im Spanischen nur für die Akzentzuweisung an Nomina und Adjektive eine Rolle spielt).

(50) Parameter der Akzentzuweisung

a. Richtung rechts-nach-links

b. Fußform Trochäus

c. Prominenter Fuß rechts

d. Extrametrikalität Latein, Italienisch ja

Spanisch nein

e. Gewichtssensitivität Latein, Italienisch ja

Spanisch nein

Das hier skizzierte Modell hat also den Vorteil, dass es für die Akzentsysteme der drei roma-nischen Sprachen Latein, Italienisch und Spanisch eine gemeinsame Grundlage annimmt. Die Unterschiede in den Systemen ergeben sich durch den Verlust von positiven Parameterset-zungen. Im Spanischen ist die positive Setzung für den Parameter Extrametrikalität verloren gegangen, ebenso wie die die positive Setzung für den Parameter Gewichtssensitivität. Das Italienische hat sich im Vergleich zum Lateinischen weniger stark verändert: die positive Set-zung für den Parameter Extrametrikalität hat sich erhalten. Auch die die positive SetSet-zung für den Parameter Gewichtssensitivität hat sich erhalten, allerdings nur hinsichtlich der Silben-struktur; die Vokallänge ist im Italienischen verloren gegangen. Die Gemeinsamkeiten und die Unterschiede der Akzentsysteme des Spanischen, Italienischen und Lateinischen sind in Tabelle 1 überblicksartig dargestellt.

Spanisch Italienisch Latein

Trochäischer Fuß + + +

Extrametrikalität – + +

Gewichtssensitivität: offene/geschlossene Silben – + +

Gewichtssensitivität: kurze/ lange Vokale – – +

Tabelle 1. Die Akzentzuweisung im Spanischen, Italienischen und Lateinischen

5 Zusammenfassung

Diese Studie zeigt, dass sich der spanische Wortakzent durch ein Regelsystem erfassen lässt, welches vorsieht, dass die Wortstruktur oder „morphologische Konstituenz“ auf die metrische Struktur abgebildet wird. Für die Akzentzuweisung an konsonantenfinale Nomina und Adjek-tive (animál, felíz) macht das hier skizzierte Modell die Annahme, dass eine phonologisch nicht realisierte wortfinale Klassenmarkierung für die Akzentzuweisung eine Rolle spielt (Ka-talexis). Für die Akzentzuweisung bei flektierten Verbformen wird die zusätzliche Annahme gemacht, dass der rechte Rand des Stammes, des erweiterten Stammes und des Wortes auf den Rand eines Fußes abgebildet wird. Auf diese Weise ist es nicht nur möglich, paroxytoni-schen, proparoxytonischen und oxytonischen Akzent bei Verben, Nomina und Adjektiv re-gelbasiert zuzuweisen, sondern das hier vorgeschlagene Regelsystem lässt sich auch bruchlos aus dem lateinischen Akzentsystem ableiten.

Trotzdem gibt es im Spanischen natürlich lexikalischen, d.h., im Lexikon repräsentierten, Ak-zent. Es gibt zahlreiche Beispiele für Wörter mit unregelmäßigem Akzent; nur einige sind in (51) aufgeführt:

(51) Wörter mit unregelmäßigem, d.h. lexikalisch repräsentiertem Akzent

C-finale Adjektive C-finale Nomina V-finale Nomina

paroxytonisch paroxytonisch proparoxytonisch

fácil ‘leicht’ crímen ‘Verbrechen’ álgebra ‘Algebra’

difícil ‘schwierig’ gérmen ‘Keim’ frémito ‘Gebrüll’

útil ‘nützlich’ órden ‘Ordnung’ género ‘Gattung’

símil ‘ähnlich’ ángel ‘Engel’ espárrago ‘Spargel’

ágil ‘flink’ árbol ‘Baum’ plátano ‘Banane’

jóven ‘jung’ lápiz ‘Bleistift’ árnica ‘Arnika’

Eine regel- oder parameterbasierte Modellierung der Akzentzuweisung hat gegenüber der Annahme einer grundsätzlich lexikalischen Repräsentation des Wortakzents dennoch zwei wesentliche Vorteile: Erstens ist sie mit der Annahme kompatibel, dass der Wortakzent eine Funktion für die Sprachverarbeitung hat. Nur wenn der Wortakzent regelbasiert zugewiesen wird, ist es plausibel, dass der Akzent für die Segmentation von Phrasen und Wörtern genutzt wird. Zweitens erlaubt es diese Art der Modellierung auch, die Entwicklung des spanischen Akzentsystems aus dem lateinischen System, ebenso wie die Variation zwischen dem Spani-schen und dem ItalieniSpani-schen, auf systematische Weise zu erfassen.

Anhang

Spanische Verbformen setzten sich aus den folgenden Morphemen zusammen.

a. Themavokale {a, e, i}

b. Stammerweiterungen {r, ø }

c. Tempus-Modus-Affixe {{ba, ia}Imperf, ra/sePerfKonj, {ø, ste, ro}Perf} d. Person-Numerus-Affixe A {ø, s, ø, mos, is, n} alle anderen

B {o, s, ø, mos, is, n} Präsens Indikativ C {e, s, ø, mos, is, n} Futur

D {e, s, o, mos, is, n} Perfekt Indikativ

Anmerkungen

1 Auf die Regeln zur Setzung des orthographischen Akzents im Spanischen gehe ich hier nicht ein. Stattdessen werde ich jede Silbe, die einen Hauptakzent trägt, mit einem orthographischen Akzent markieren, auch wenn dies den Regeln der spanischen Orthographie zuwiderläuft. Was die Art der Transkription betrifft, so be-schränke ich mich auf die orthographische Wiedergabe und verwende keine zusätzlichen phonetischen Zei-chen.

2 Hinsichtlich der Formen der 2. Person Plural stellt sich die Frage, wie die Endung -áis, -éis usw. zu silbifizie-ren ist. Diese Formen sind hier als paroxytonisch ausgewiesen, d.h., es wird die Annahme zugrunde gelegt, dass die Endung (an dem Punkt in der Derivation, an welchem der Akzent zugewiesen wird) aus zwei Silben besteht. Diese Annahme bedarf weiterer Rechtfertigung. Die Alternativannahme, dass die Endung aus einer Silbe besteht und die Formen oxytonischen Akzent haben, würde das spanische Akzentsystem jedoch we-sentlich verkomplizieren.

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FRANZÖSISCHE KONSONANTENQUANTITÄT

EIN FALL FÜR DIE SCHNITTSTELLE PHONOLOGIE/MORPHOLOGIE?1

Trudel Meisenburg (Universität Osnabrück)

tmeisenb@uos.de

Thema dieses Beitrags ist die Rolle konsonantischer Quantität und ihrer Bezüge zur Morphologie – vom Latein zu den romanischen Sprachen. Der Schwerpunkt liegt dabei im zeitgenössischen Französisch, wo es infolge von Morphemverkettungen – auch in Verbindung mit Schwa-Tilgung – häufig zu sog. Scheingeminaten kommt.

Mithilfe von Produktions- und Perzeptionsexperimenten wird gezeigt, daß die ent-sprechenden Oberflächenkontraste weder durchgängig produziert noch konsistent identifiziert werden. Die Sprecher tendieren vielmehr dazu, Geminaten zu tilgen – auf Kosten von Morphemkonstanz schaffen sie sich vereinfachte Silbenstrukturen.