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Französisch ist also eine Sprache ohne lexikalische Längenkontraste, ohne zugrundeliegende oder “echte” Geminaten. Stattdessen gibt es “Scheingeminaten” (engl. fake oder apparent geminates), die infolge von Morphemverkettungen innerhalb der Wortdomäne oder auch zwi-schen Wörtern auftreten können (Krähenmann 2003: 29). Sie lassen sich nach Lausberg (1967: 75) folgendermaßen klassifizieren:

Als sekundäre Doppelkonsonanz gilt die Abfolge von gleichen Konsonanten in gelehrten Ent-lehnungen, in denen diesbezüglich etymologische, d.h. gelängte Aussprache angestrebt wird.

Diese auf das Lateinische zurückgehenden Geminaten verlaufen sehr oft über die Morphem-grenze und sind meist Ergebnis einer bereits im Lateinischen erfolgten Assimilation (Leh-mann 2005). Französische Wörterbücher wie etwa der Petit Robert geben in diesen Fällen zwei mögliche Aussprachen – mit kurzem oder mit langem Konsonanten – an5, wobei dieje-nige mit der langen Konsonanz für gewöhnlich als die “gebildete” Form gilt:

(7) illégal [iÒlÔlegal] < lat. ILLEGALIS (< IN+LEGALIS) ‘illegal’

irréel [iÒåÔåeEl] < lat. IRREALIS (< IN+REALIS) ‘irreal’

innover [iÒnÔnOve] < lat. INNOVARE (< IN+NOVARE) ‘neu einführen’

sommaire [sOÒmÔmEå] < lat. SUMMARIUM6 ‘Zusammenfassung’

Nach Klein (1963: 112) ist diese etymologisch induzierte Gemination in gelehrten Wörtern

“nur eine elegante, außerphonologische Variante des einfachen Konsonanten”; sie wird hier im weiteren ausgespart.

Als tertiäre Doppelkonsonanz bezeichnet Lausberg (1967: 77) die Abfolge von gleichen Kon-sonanten, wenn sie durch Vokalausfall zustande gekommen ist. Im Französischen bedeutet Vokalausfall meist Ausfall von Schwa, und dieser liegt zahlreichen Scheingeminaten des heu-tigen Französisch zugrunde.

Unbetonte (lateinische) Vokale sind jedoch auch in den synthetisierten Formen des neuen (protoromanischen) Futurs und Konditionals ausgefallen, was gegebenenfalls zu einer mor-phologisch induzierten Vibrantgeminate innerhalb der Wortdomäne geführt hat. Diese besteht aus der Kombination eines stammfinalen r mit dem Futur- bzw. Konditionalmorphem r, durch die diese Paradigmen von den kontrastierenden Imperfektformen mit einfachem r geschieden werden (Lausberg 1972: 231):

(8) *VĒNDERE HABEO > *VEND(E)RAIO® je vendrai ‘ich werde verkaufen’

*CURRĔRE HABEO > *CURR(E)RAIO® je courrai [kuååE] ‘ich werde rennen’

*MORĪRE HABEO > *MOR(I)RAIO ® je mourrai [muååE] ‘ich werde sterben’

Stamm [kuå-\muå-] + Futur-/Konditionalmorphem [-å-] + P/N ® je courrais [kuå+å+E] vs. je courais [kuå+E]

je mourrais [muå+å+E] vs. je mourais [muå+E]

1.Sg.Kond. 1.Sg.Imp.

Derselbe Kontrast entsteht durch Schwa-Ausfall in den Verben der ersten Konjugation, deren Stamm auf r endet:

(9) il déclarerait [-klaååE] vs. il déclarait [-klaåE]

3.Sg.Kond. 3.Sg.Imp. ‘erklären’

tu déchirerais [-SiååE] vs. tu déchirais [-SiåE]

2.Sg.Kond. 2.Sg.Imp. ‘zerreißen’

Darüber hinaus können im Französischen durch den Ausfall (oder die Nicht-Realisierung) von Schwa an der Morphemgrenze sowohl innerhalb der Wortdomäne als auch zwischen be-nachbarten Wörtern häufig lange Konsonanten entstehen:

(10) netteté [nEtte] ‘Sauberkeit’

pierreries [pjEååi] ‘Edelsteine’

extrêmement [EkståEmmA)] ‘äußerst’

là-dedans [laddA)] ‘darin’

il (ne) coupe pas [kuppa] ‘es schneidet nicht’

bonne nouvelle [bOnnuvEl] ‘gute Nachricht’

robe bleue [åObblP] ‘blaues Kleid’

on parlait de tout7 [O)paålEttu] ‘wir haben über alles gesprochen’

An der Wortgrenze kann es zu solchen positionsinduzierten Geminaten jedoch auch ohne die (Nicht-)Intervention eines Schwa kommen:

(11) avec quoi [avEkkwa] ‘mit was’

pour Raymond [puååEmO)] ‘für Raymond’

œuf frais [{ffåE] ‘frisches Ei’

mal léger [malleZe] ‘leichte Übelkeit’

il l’a dit [illadi] ‘er hat es gesagt’

Bedeutungsunterschiede lassen sich des öfteren allein auf den Kontrast zwischen langem und kurzem Konsonanten zurückführen:

(12) là-dedans [laddA)] vs. la dent [ladA)]

‘darin’ ‘DET.F Zahn’

il coupe pas [kuppa] vs. il coupa [kupa]

SUBJCL3S.M schneid:3S.PRS NEG SUBJCL3S.M schneid:3S.PRF

tu me mens [tymmA)] vs. tu mens [tymA)]

SUBJCL2S OBJCL1S lüg:2S.PRS SUBJCL2S lüg:2S.PRS

tu te trompes [tyttåO)p] vs. tu trompes [tytåO)p]

SUBJCL2S OBJCL2S täusch:2S.PRS SUBJCL2S täusch:2S.PRS

il l’a dit [illadi] vs. il a dit [iladi]

SUBJCL3S.M OBJCL3S AUX sag:PRT SUBJCL3S.M AUX sag:PRT

Der letzte Kontrast unter (12) hat eine auffällige Interaktion zwischen Phonologie und Mor-phologie bewirkt. Wie Carvalho (2002) berichtet, ist im Französischen der Pariser Region eine Reanalyse der lateralen Geminate als Objektklitikon verbreitet, und der lange Konsonant wird analog auf alle Vorkommen des Klitikons vor vokalischem Anlaut ausgedehnt:

(13) il l’a dit [il+l+a+di] – Reanalyse als:

[i+ll+a+di] – analog dazu:

[Z«+ll+e+di] ® [Z«lledi] je l’ai dit

SUBJCL1S OBJCL3S AUX sag:PRT

[O)+ll+a+di] ® [O)lladi] on l’a dit

SUBJCL3S.INDEF OBJCL3S AUX sag:PRT etc.

3. Daten

Um nähere Aufschlüsse über Status und Funktion der langen Konsonanten im heutigen Fran-zösisch zu erlangen und die phonetische und akustische Realität dieser Segmente genauer zu erkunden, sind im Mai/Juni 2004 an der Universität Osnabrück je ein Produktions- und ein Perzeptionsexperiment zu diesem Bereich durchgeführt worden.

3.1 Produktionsexperiment

Für das Produktionsexperiment wurden Sprachaufnahmen mit zwölf französischen Mutter-sprachlern (Austauschstudierende aus Frankreich und verschiedenen frankophonen Regionen) erstellt. Die Aufgabe war als Wortfindungs- und Lesegeschwindigkeitstest getarnt: Die Pro-banden sollten so schnell wie möglich eine gemischte Abfolge aus insgesamt 48 bildlich oder orthographisch auf dem Monitor präsentierten Stimuli versprachlichen – darunter auch drei

(14) Ça me frappe pas vraiment. ‘Das trifft mich nicht wirklich.’

Il le frappa deux fois. ‘Er hat ihn zweimal geschlagen.’

Kontrast [p] vs. [pÉ] (positionsinduzierte Geminate)

(15) S’il continuait ainsi, il courrait le risque de perdre son poste.

‘Wenn er so weitermachen würde, liefe er Gefahr, seinen Posten zu verlieren.’

Un des poneys s’était cogné un œil et il courait le risque de rester aveugle.

‘Eins der Ponys hatte sich am Auge gestoßen und lief Gefahr zu erblinden.’

Kontrast [å] vs. [åÉ] (morphologisch induzierte Geminate) (16) – Il a dit qu’il viendrait ? – Oui, il l’a dit.

‘Hat er gesagt, daß er kommen würde? Ja, das hat er gesagt.’

– Pourquoi t’as pas dit stop ? – Mais je l’ai dit !!!!

‘Warum hast du nicht Stop gesagt? Aber ich habe es gesagt!!!!’

Kontrast [l] vs. [lÉ] (positionsinduzierte Geminate und gegebenenfalls Reanalyse) Die DAT-Aufnahmen wurden in Audiodateien umgewandelt und mithilfe der Sprachsoftware Praat analysiert, wobei Oszillogramme und Sonagramme zur Messung der Dauer der betref-fenden Konsonanten dienten. Anschließend wurden die kontrastierenden Sequenzen (also frappa und frappe pas, il courait und il courrait, il a dit und il l’a dit) aus den Aufnahmen der Versuchspersonen ausgeschnitten und mit weiteren Stimuli zu einem Perzeptionstest zusam-mengestellt.

3.2 Perzeptionsexperiment

Das Perzeptionsexperiment wurde in Form einer forced choice task durchgeführt: 16 Ver-suchspersonen mit der Muttersprache Französisch (z.T. identisch mit den Teilnehmern am Produktionsexperiment) sind mit insgesamt 167 auditiven Stimuli aus dem vorangehenden Produktionsexperiment konfrontiert worden und waren aufgefordert, auf einer ihnen vorlie-genden Liste anzukreuzen, welche der beiden kontrastierenden Sequenzen sie jeweils gehört hatten. Auf den Blättern waren die Sequenzpaare immer in gleicher Weise angeordnet: zuerst der weniger komplexe, dann der komplexere Stimulus. (17) zeigt einen Ausschnitt des ersten Blattes, wie es von Testperson AH ausgefüllt und von den Untersuchungsleitern anschließend ausgewertet wurde; die für diese Studie relevanten Stimuli sind eingekreist.

(17)

4. Ergebnisse

Die Ergebnisse beider Experimente sind in der Tabelle unter (18) zusammengefaßt. In der Titelzeile stehen die drei interessierenden Kontrastpaare, in der linken Spalte sind die Spre-cher des Produktionsexperiments mit ihren Initialen aufgelistet. Für die von jeder dieser Per-sonen geäußerten Sequenzen folgen jeweils in der ersten Zeile die Ergebnisse des Perzep-tionsexperiments, dabei steht ‘c.’ für korrekte, ‘f.’ für falsche Identifizierung des intendierten Konsonanten; die Summe der beiden Ziffern ergibt 16, entsprechend der Zahl der Teilnehmer an diesem Test. In der zweiten Zeile sind für jede Person und für jede Sequenz die Meßergeb-nisse (in Sekunden) eingetragen, die auf der Grundlage des Produktionsexperiments für die Dauer der betreffenden Konsonanten ermittelt wurden. Die Fälle, in denen ein Kontrast pro-duziert und großenteils identifiziert wurde, sind grau unterlegt.

1

il a dit il l’a dit

5

on entend on n’entend

9

il courait il courrait

2

on entend on n’entend

6

frappa frappe pas

10

on entend on n’entend

3

en évitant en n’évitant

7

en évitant en n’évitant

11

frappa frappe pas

(18) fra[p]a fra[pÉ]as Il cou[å]ait Il cou[åÉ]ait I[l] a dit I[lÉ]’a dit je [lÒÉÔ]’ai dit ABprod 0,083 0,145 0,058 0,114 0,051 0,110 0,112 AHperc c.14 f. 2 f. 2 c.14 c.15 f. 1 f.13 c. 3 c.15 f. 1 f. 1 c.15

AHprod 0,062 0,142 0,020 0,037 0,035 0,111 0,058 AMperc c.14 f. 1 f.10 c. 6 c.16 f. 0 f. 5 c.11 c.13 f. 3 f. 3 c.13

AMprod 0,061 0,103 0,058 0,102 0,042 0,097 ?,???

BPperc c.15 f.1 f. 1 c.15 c.12 f. 4 f.16 c. 0 c.14 f. 2 f. 0 c.16

BPprod 0,073 0,217 0,039 0,053 0,026 0,128 0,113 CHperc c.14 f. 2 f. 3 c.13 c.16 f. 0 f. 1 c.15 c.10 f. 6 f. 0 c.16

CHprod 0,076 0,125 0,060 0,153 0,057 0,098 (0,084) DOperc c.15 f. 1 –––– c.15 f. 1 f. 1 c.15 c. 2 f.14 f. 2 c.14

DOprod 0,077 –––– 0,053 0,125 0,077 0,105 0,046 EMperc c.11 f. 5 f. 5 c.11 c.16 f. 0 f.16 c. 0 c.16 f. 0 f. 0 c.16

EMprod 0,103 0,115 0,042 0,050 0,027 0,116 0,033 FCperc c.15 f. 1 f. 0 c.16 c.15 f. 1 f. 6 c.10 c.14 f. 2 f. 0 c.16

FCprod 0,065 (0,367+´) 0,037 0,070 0,040 0,091 (0,085) JMperc c.10 f. 6 f. 0 c.16 c.15 f. 1 f.14 c. 2 c.13 f. 3 f. 1 c.15

JMprod 0,096 (0,230+h) 0,042 0,061 0,044 0,095 0,043 LBperc c. 5 f.11 f. 0 c.16 c.14 f. 2 f.14 c. 2 c.13 f. 3 f. 1 c.15

LBprod 0,144 0,140 0,050 0,044 0,054 0,167 (0,074) MLperc c. 2 f.14 f. 0 c.16 c.16 f. 0 f.12 c. 4 c.10 f. 6 f.10 c. 6

MLprod 0,186 0,160 0,024 0,050 0,061 0,060 0,063 YTperc c.14 f. 1 f. 1 c.15 c.16 f. 0 f.16 c. 0 c.16 f. 0 f.13 c. 3

YTprod 0,070 0,174 0,050 0,045 0,053 0,065 0,058

In sieben der elf auswertbaren Audiodateien für fra[p]a vs. fra[pÉ]as haben die Sprecher ein-deutig einen Längenkontrast zwischen den Plosiven produziert, der auch größtenteils als sol-cher wahrgenommen wurde. In den übrigen vier Stimuluspaaren war kein deutlisol-cher Unter-schied zu erkennen. Bis zu einer Dauer von 85 ms wird der Plosiv für gewöhnlich als kurz identifiziert, während bei Werten um 100 ms (±15) gehäuft Diskrepanzen auftreten und höhe-re Werte eher als lang eingeschätzt werden. In zwei Fällen (FC und JM) ist die Wortghöhe-renze durch ein Schwa bzw. durch eine Aspiration gekennzeichnet. Bei zwei Sprechern (LB und ML) ist der einfache Plosiv in frappa länger als die Geminate in frappe pas. (19) zeigt die Oszillogramme für die von Sprecher CH produzierten Äußerungen:

Nur drei der zwölf Sprecher haben einen deutlichen Quantitätsunterschied zwischen den Vibranten in cou[å]ait vs. cou[åÉ]ait produziert. Die Aufnahmen der übrigen acht zeigen nur wenig oder gar keinen Unterschied. Bis zu einer Dauer von ca. 60 ms wird der Vibrant eher als kurz identifiziert, ab 100 ms meist als lang; Neutralisierung erfolgt zugunsten des kurzen Konsonanten. (20) zeigt die Oszillogramme der Äußerungen von Sprecher DO, bei dem eine klare Differenzierung vorliegt:

Der Kontrast zwischen den Lateralen in I[l] a dit vs. I[lÉ]’a dit ist bei acht Sprechern klar re-präsentiert und im Perzeptionstest entsprechend wahrgenommen worden. Nur bei vier Spre-chern findet sich wenig oder gar kein Längenunterschied zwischen den beiden Formen. Bei zwei von ihnen (CH und DO) wurden sowohl der kurze als auch der lange Konsonant eher als lang bewertet, bei den beiden übrigen erscheint die Geminate deutlich verkürzt.

CH: frappa [p] 76 ms

CH: frappe pas [pp] 125 ms (19)

DO: courait [å] 53 ms

DO: courrait [åå] 125 ms (20)

Ob eine Reanalyse des langen Laterals stattgefunden hat und er analog auch in der Äußerung Mais je l’ai dit !!!! zum Einsatz kam, so daß sie als je [lÉ]’ai dit artikuliert wurde, konnte nicht im Perzeptionstest überprüft werden. Von den elf Fällen, in denen eine Messung dieses Kon-sonanten möglich war, zeigen zwei (AB und BP) einen deutlich gelängten Lateral, bei drei weiteren Sprechern sind die (in (18) geklammerten) Werte nicht klar zuzuordnen. Bei den übrigen sechs ist der Lateral offensichtlich kurz. (21) zeigt die entsprechenden Oszillogramme von Sprecherin BP, die sowohl in I[lÉ]’a dit als auch in je [lÉ]’ai dit einen langen Lateral pro-duziert hat: