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Die Variation vortoniger Vokale ist, wie so eben gesehen, nicht morphologisch, sondern post-lexikalisch phonologisch bedingt. Dies gilt jedoch nicht für die Metaphonie, die synchron nicht ausschließlich auf phonologische Begebenheiten zurückzuführen ist. Wie bereits er-wähnt, wird in dieser Untersuchung angenommen, dass es sich bei der Metaphonie um eine aktive Interaktion von Phonologie und Morphologie handelt, was der Auffassung Maidens (1991) entspricht. Die Metaphonie trägt zur Wurzelflexion bei. Ihr Ausbleiben in denjenigen Zellen mit potentiellem segmentalem Auslöser und ihre Anwendung sind somit direkter Aus-druck der Flexion. Im vorliegenden Abschnitt werden zunächst die Besonderheiten der Flexi-on im Italienischen und im Kampanischen erläutert, um das Fundament für eine morphopho-nologische Begründung für die Metaphonie im Dialekt von Piedimonte Matese vorzubereiten.

Sowohl im Italienischen als auch im Kampanischen gibt das Flexionssuffix (INFL) die gram-matischen Kategorien Tempus, Modus, Person und Numerus wieder. Das Flexionssuffix wird an den Stamm (STEM) angefügt, der maximal aus einer Wurzel (W) und einer Stammerweite-rung (SE) bestehen kann. Die Stammerweiterung besteht maximal aus einem Themavokal (TV) und einer konsonantischen Erweiterung(KE):

Abb. 2. Ital. & kamp. Verbflexion, max. Grundschema (vgl. Schwarze 199511) Verb

STEM INFL

SE

W V KE T/Mod. Pers./Num.

Für das Italienische können die Beispiele in (13) herangezogen werden, wobei (13a) ein Bei-spiel ohne SE wiedergibt, im Gegensatz zu (13b), das ein BeiBei-spiel mit Themavokal darstellt.

(13c) gibt hingegen einen Fall für die Flexion mit vollständiger Stammerweiterung wieder, der sowohl einen Themavokal als auch eine konsonantische Erweiterung enthält.

(13) a. metti

mett- -i

‛stellen’ -2. Pers. Sg. Pres. Ind.

b. mettete

mett- -e- -te

‛stellen’ -TV- 2. Pers. Pl. Pres. Ind.

c. mettessero

mett- -e- -ss- -ero

‛stellen’ -TV- -KE- -3. Pers. Pl. Cong. Imp.

Was aus (13c) deutlich wird ist die Tatsache, dass eine grammatische Opposition nicht immer nur einem einzelnen Kontrast anvertraut wird (vgl. Pirrelli 2000: 10). Nicht nur das Flexions-suffix [-ero] gibt Informationen zu Modus und Person wieder, sondern ebenso die konsonanti-sche Erweiterung -ss-, die ebenfalls den Modus, hier congiuntivo imperfetto signalisiert. Dem entsprechend kommt es zu einer redundanten Wiedergabe von Information. Die KE über-nimmt also eine aktive Rolle bei der Flexion. Ebenso trägt der Themavokal zur Flexion bei, wenngleich man sich bewusst sein sollte, dass der Themavokal von sich aus keinerlei Signifi-kanz besitzt. Sein Rolle bei der Flexion entfaltet der TV erst im Kontext, weshalb er als Morphom (Aronoff 1994) charakterisierbar ist.

Die Distribution der Wurzeln und Stämme des italienischen Verbs zeichnet wiederum ein hoher Grad an Variabilität aus, die Pirrelli (2000: xvii) als „distribuzione apparentemente cao-tica“ beschreibt. Während das Paradigma von ital. amare (‛lieben’) regelmäßig gebildet ist, was daran zu erkennen ist, dass nur eine einzige Wurzel, nämlich /am-/ zu Grunde liegt, ist dies innerhalb der Paradigmen von conoscere (‛kennen’), venire (‛kommen’), dolere (‛schmerzen’) und andare (‛gehen’) nicht der Fall (jeweils Pres. Ind.). So verfügt das Verb conoscere über eine Palatalisierung in der Wurzel der 2. und 3. Pers. Sg. sowie in der 1. und 2. Pers. Pl.. Dieses Verb weist demnach die Wurzeln /konosk-/ und /kono-/ auf. Die Velarin-sertion im Paradigma für venire bewirkt die Zugrundelegung dreier Wurzeln, nämlich /vng-/, /vjn-/ und /ven-/. Dem Verb dolere liegen vier Wurzeln zu Grunde. Während sich in der 1.

Pers. Sg. und der 3. Pers. Pl. (/dlg-/) die Velarinsertion wieder findet, kommt es zur Diph-thongierung in der 2. und 3. Pers. Sg. (/dwl-/). In der 1. Pers. Pl. findet eine Palatalisierung statt, die den Stamm [do-] generiert. Zudem ist der Vokal geschlossen. Als vierte Wurzel ist /dol-/ zu nennen, die auch beim Infinitiv steht. Das Verb andare ist hingegen durch Suppleti-on der Wurzel zu charakterisieren (Tab. 6).

Tab. 6. Variabilität in der Verbwurzel des Italienischen (aus: Pirrelli 2000: 1) Präsens Indikativ

amare conoscere venire dolere andare

regelmäßig Lat.

Bezüglich der Palatalisierung, Velarinsertion und Diphthongierung kann konstatiert werden, dass es sich originär um phonologische Prozesse handelt, die morphologisiert worden sind. Im System des heutigen Italienischen handelt es sich um Allomorphie (vgl. Pirrelli 2000, Maiden 2003, 2004, etc.). Aufgrund ihrer Distribution kann für das Italienische angenommen werden, dass die Wurzel ebenfalls zur Flexion beiträgt, was durch den paradigmatischen Ansatz nach Pirrelli (2000) deutlicher wird, der den systemischen Charakter der Distribution transparent macht (§ 6, siehe auch die Ausführungen zu Maiden 2003, 2004, ebd.).

Für das Kampanische von Piedimonte Matese gelten die Beispiele in (14). Während (14a) und (b) jeweils Beispiele für die Flexion mittels Suffix darstellen, wobei (14a) ohne Metaphonie stattfindet und (14b) Metaphonie aufweist (= (1b)), ist (14c) ein Beispiel mit Themavokal und (14d) ein Beispiel mit maximal realisierter Stammerweiterung:

(14) a. [metu]

met- -i

‛stellen’ -1. Pers. Sg. Pres. Ind.

b. [miti]

mit- -i

‛stellen’ -2. Pers. Sg. Pres. Ind.

c. [mtit]

mt- -i- -te

‛stellen’ -TV- -2. Pers. Pl. Pres. Ind.

d. [mtesunu]

mt- -e- -s- -unu

‛stellen’ -TV- -KE- -3Pl. Pers. Cong. Imp.12

Endvokale außer /a/ (15a) können, wie bereits erwähnt, an der Oberfläche zu Schwa zusam-menfallen (15b, 15c). Dies gilt jedoch nicht, wenn auf den betroffenen Vokal ein auf einen Konsonanten beginnendes Wort folgt (15b, b, c, c).

(15) a. [bla], *[bl]

‛schön’- A, fem, Sg . b. [met]

‛stellen’ 1. Pers. Sg. Pres. Ind.

b. [u metu la]

es stellen 1. Pers. Sg. Pres. Ind. dorthin

‛ich stelle es dorthin’

b. *[u met la]

c. [mit]

‛stellen’ 2. Pers. Sg. Pres. Ind.

c. [u miti la]

es stellen 2. Pers. Sg. Pres. Ind. dorthin

‛du stellst es dorthin’

c. *[u mit la]

Deutlich wird dabei die Funktion der Metaphonie in morphologischer Hinsicht. Dort, wo der Endvokal neutralisiert worden ist, ist das Verb mit Hilfe der Metaphonie nur innerhalb der Wurzel flektiert. Ansonsten ist die Flexion in der Wurzel und mittels Suffix redundant. Dies bedeutet, dass im Gegensatz zum italienischen Verb, das Konjugationssystem des untersuch-ten Dialekts eine noch komplexere Variabilität der Wurzel aufweist. Wie das Italienische ver-fügt dieser Dialekt ebenso über morphologisierte Prozesse wie die Velarinsertion (Tab. 3) und die Palatalisierung. Zusätzlich findet aber in der 1. und 2. Pers. Pl. Pres. Ind. die Variation vortoniger Vokale statt, die wie bereits ausführlich diskutiert, nur postlexikalisch phonolo-gisch begründbar ist (§ 4.2)

Wir wollen uns an dieser Stelle fragen, welchen systematischen Charakter die Variabilität der Wurzel im untersuchten Dialekt besitzt und wie viele zu Grunde liegende Wurzeln nötig sind, um ein Paradigma dieses Dialekts abzuleiten. Dabei soll auch geklärt werden, ob die Meta-phonie rein morphologisch oder als Phänomen an der Schnittstelle von Phonologie und Mor-phologie zu interpretieren ist.