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3. 2 Erscheinungsformen von Antisemitismus in Deutschland

3.2.2 Antisemitische Erscheinungsformen in Geschichte und Gegenwart

3.2.3.2 Verbale antisemitische Äußerungen

Neben den oben dargestellten antisemitischen Straftaten sind sowohl im öffentlichen als auch im privaten Rahmen immer wieder verbale Äußerungen zu hören, die entweder einen latenten Antisemitismus vermuten lassen oder als offene antisemitische Äußerungen gewertet werden können. Fachkräfte der historisch-politischen Jugend- und Erwachsenenbildung erleben dies immer wieder bei Seminaren in Bildungseinrichtungen oder bei Führungen in Gedenkstätten.

Einige solcher Aussagen wurden in didaktische Materialien für eine Bildungsarbeit gegen Antisemitismus integriert.406 Sie basieren auf Erfahrungen von Guides aus dem Jüdischen Museum Berlin, die diese Äußerungen im Rahmen von Führungen sowohl mit

Schü-ler_innengruppen als auch mit erwachsenen Besucher_innen hörten. Die Äußerungen decken beinahe die gesamte Facette der oben dargestellten Grundphänomene des Antisemitismus ab.

So zeigen sich beispielsweise Elemente des Rassenantisemitismus in der Aussage: „Aber jetzt sagen Sie uns doch noch, woran man Juden genau erkennt. Die haben doch alle die gleichen Gene.“ Der Schuldabwehrantisemitismus wie auch der israelbezogene Antisemitismus ist in der Aussage: „Die Juden meckern, was ihnen im Holocaust angetan wurde, machen jetzt aber das Gleiche mit den Palästinensern“ klar erkennbar. Selbst Elemente des religiösen Antijuda-ismus wurden ausgemacht: „Ach, die Juden haben Jesus nicht umgebracht?“. PhilosemitAntijuda-ismus zeigt sich in Aussagen wie: „Die [Juden] sind oft klüger als wir“ oder auch: „Es gibt doch so viele geniale jüdische Musiker. Machen die auch hier Konzerte?“ Das Stereotyp vom „reichen Juden“, kommt sowohl in eindeutigen Aussagen wie: „Na, die Juden waren doch alle reich“, als auch in Anspielungen wie: „Wir sind Banker. Sie sehen also, wir verstehen auch was von Geld …“ zum Ausdruck. Antisemitismus mit Elementen verschwörungstheoretischen Den-kens zeigt sich deutlich in der Aussage: „Sie können mir doch nicht erzählen, dass die jüd i-sche Loge in Amerika nicht die Welt regiert.“

Manche Menschen halten ihre Ansichten schriftlich fest. Benz wertete Zuschriften aus der Bevölkerung aus, die über den Zeitraum von 2000-2003 an den Zentralrat der Juden in Deutschland in Briefform oder per E-Mail geschickt wurden. Er beschränkte sich dabei auf jene Schreiben, die keine groben, beleidigenden und bösartigen Bekenntnisse enthielten.407 Benz macht dabei aus, dass die Autor_innen der Briefe sich in der Regel explizit nicht einem rechtsextremen Lager zugehörig fühlen, sich aber als solche gebrandmarkt sehen, und zwar

406 Bildungsteam Berlin-Brandenburg e. V./Tacheles reden! e. V. (Hg.): Woher kommt Judenhass? Was kann man dagegen tun? Ein Bildungsprogramm, Mühlheim an der Ruhr 2007. Die folgenden Zitate entstammen der Kopiervorlage 09_03_c.pdf der zu diesem Bildungsprogramm gehörenden CD-ROM.

407 Vgl. Benz, Was ist Antisemitismus?, S. 27.

von den Vertreter_innen der jüdischen Minderheit. In zahlreichen Zuschriften kommt eine Schuldabwehr deutlich zum Ausdruck. Die Autor_innen haben, so Benz, das Gefühl, für die Geschichte des Nationalsozialismus verantwortlich gemacht zu werden, obwohl sie seinerzeit nicht lebten oder Kinder waren. Daneben kommt häufig eine Verbitterung über die politi-schen und sozioökonomipoliti-schen Verhältnisse zum Ausdruck. Damit einher geht die teils unaus-gesprochene Unterstellung, dass die Mitglieder des Zentralrates der Juden in besonderem Maße privilegiert seien und zugleich unverhältnismäßig großen Einfluss im öffentlichen Le-ben hätten. Benz stellt fest, dass auch das Motiv des Sozialneids in der Unterstellung, Jüd_innen seien reich, geschäftstüchtig, geldgierig und würden materiell bevorzugt, zum Ausdruck kommt. Restitutionsleistungen und Subventionen, die als nicht gerechtfertigt erach-tet werden, müssten von der Mehrheitsgesellschaft aufgebracht werden. Wie Benz weiter dar-legt, wird Jüd_innen oftmals auch die Zugehörigkeit zu Deutschland aberkannt. Sie gelten als Fremde und werden in einem Atemzug mit Asylbewerber_innen, Gastarbeiter_innen bzw.

ausländischen Kriminellen genannt.408 Ein 43-jähriger Mann formulierte beispielsweise:

„Mögen Sie die deutsche Nation mit Ihren kulturellen Schätzen bereichern, dann sind Sie gern gesehene Gäste in unserem Land, denn die Kultur ist es ja auch, die Sie an unserem Land be-wundern, sonst wären Sie wohl nicht hier.“409 In diesem Beispiel wird die Duldung von Jüd_innen in Deutschland an die Bedingung geknüpft, sie mögen einen besonderen Beitrag leisten. Eine bedingungslose Zugehörigkeit ist für den Autoren dieser Zeilen offenbar nicht denkbar. Zugleich werden auch philosemitische Elemente aktiviert.

In einer weiteren Zuschrift wird Bezug auf Entschädigungszahlungen genommen, worin sich Elemente des Schuldabwehrantisemitismus offen zeigen, die zugleich mit israelbezogenem Antisemitismus verknüpft werden:

„Da soll ein Mahnmal für Holocaust-Opfer gebaut werden, obwohl das jüdische Israel und der jüdische Weltverband von der Adenauer-Regierung mehrere Milliarden D-Mark kassiert haben. Nur durch die deutschen Milliarden-Zahlungen konnte das jüdische Israel seine Existenz sichern und die Vertreibung und Ermordung der arabischen Mitbürger in Palästina fortsetzen. Um ihr Wohlwollen zu demonstrieren, bekommt der Zentralrat Zuschüsse zur freien Verfügung. Mit diesen Mitteln werden Belehrungskam-pagnen finanziert, mit denen die angeblich unbelehrbaren Deutschen zu demonstrativem Wohlverhalten und Schuldbekenntnissen aufgefordert werden.“410

In selteneren Fällen gibt es, wie im folgenden Beispiel, einen Rückbezug auf religiösen An-tijudaismus:

408 Vgl. Benz, Was ist Antisemitismus?, S. 28 f.

409 Zitiert in: Ebd., S. 32.

410 Zitiert in: Ebd., S. 62.

„Nachdem Gott sein Volk durch die Propheten zu Recht bringen wollte und nichts genützt hat, sandte er damals seinen Sohn auf die Erde. Was haben Sie mit ihm gemacht, umgebracht. Damit haben Sie sich zu erklärten Feinden Gottes gemacht. Diese schwere Sünde hat Sie bis jetzt verfolgt.“411

Während solcherlei Statements eher im privaten Rahmen, an Stammtischen oder, wie hier, in direkt adressierten Briefen zu hören bzw. zu lesen sind, werden andere Debatten in der Öf-fentlichkeit ausgetragen. Die Themen, die dabei im Zentrum stehen, entsprechen dem Tenor der oben zitierten Briefe. Berühmte Beispiele für solche öffentlichen Debatten sind jene um die Arbeit von Daniel Jonah Goldhagen412 im Jahr 1996, in der Goldhagen zu Unrecht vorge-worfen wurde, er würde die Deutschen kollektiv für die Verbrechen der Nationalsozia-list_innen verantwortlich machen,413 wie auch die Debatte um die Rede von Martin Walser anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels im Jahr 1998, in der als ein zentrales Motiv die Rede von der „Moralkeule“ Auschwitz war.414 Die Goldhagen-Debatte zeigte sich, wie Rensmann, darlegt, anschlussfähig für verschiedene antisemitische Stereotype, etwa durch Anspielungen auf den finanziellen Erlös, den der amerikanische Jude Goldhagen aus seiner Lesereise durch Deutschland erzielen würde, oder durch eine Tä-ter_innen-Opfer-Umkehr, indem die Deutschen heute zu Opfern der Juden würden.415 Sehr viel offener wurden antisemitische Stereotype im Zuge der Debatte um die Entschädi-gungszahlungen für Zwangsarbeiter_innen durch die deutsche Wirtschaft kolportiert. Hier wurde nicht etwa die Zahlungsunwilligkeit der Firmen, die von Zwangsarbeit im Nationalso-zialismus profitiert hatten, kritisch beleuchtet, sondern den jüdischen Opferverbänden und ihren Anwält_innen wurde Geldgier, Geschäftstüchtigkeit, Rachsucht und Macht unter-stellt.416

An zwei weitere öffentliche Debatten soll hier nur erinnert werden: die um den FDP-Politiker Jürgen Möllemann im Jahr 2002 und die um den CDU-Abgeordneten Martin Hohmann im Jahr 2003. Beide versuchten, antisemitische Stereotype salonfähig zu machen. Als Martin Hohmann wegen seiner Rede im November 2003, wohl unter dem Druck der Medienbericht-erstattung, aus der CDU-Bundestagsfraktion ausgeschlossen wurde, erfuhr er Solidarität von

411 Zitiert in: Benz, Was ist Antisemitismus?, S. 62.

412 Goldhagen, Daniel Jonah: Hitler’s Willing Executioners: Ordinary Germans and the Holocaust, New York, 1996.

413 Vgl. Rensmann, Lars: Demokratie und Judenbild. Antisemitismus in der politischen Kultur der Bundesrepub-lik Deutschland, Wiesbaden 2004, S. 339 ff.

414 Ebd., S. 364. Ausführlich zur Walserdebatte vgl. ebd. S. 356 ff.

415 Vgl. ebd., S. 347 f.

416 Vgl. ebd., S. 429 ff.

der Parteibasis.417 Reaktionen aus der Bevölkerung, die in Form von Leserbriefen an die Me-dien gerichtet waren, verdeutlichten, dass Hohmann mit der Rede demonstriert habe, wie Ressentiments gegen Jüd_innen in Diskursen über deutsches Nationalgefühl instrumentalisiert werden können.418 So äußerte ein christlicher Familienvater aus Bayern: „Ich finde den geis-tigen Terror, den die Juden derzeit in unserem Land ausüben, unerträglich! Sie tun dies weit-gehend über Medienorgane, die sich in ihrem Besitz befinden.“419

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