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Kapitel 2: Lebenslagen von Muslim_innen in Deutschland

2.3 Muslimische Jugendliche in Deutschland

2.3.3 Freizeitaktivitäten und Identitäten junger Muslim_innen

lässigkeit) kollektiv zugeschrieben“ werden. „Türkischen Männern wird etwa ‚machohaftes Auftreten’ und ‚fehlende Teamfähigkeit’ unterstellt; insbesondere als Verkäufer würde ihnen die ‚professionelle Demut’ fehlen.“276 Es lässt sich nicht belegen, inwieweit islamfeindliche Einstellungen zu aktiven diskriminierenden Handlungen führen. Allerdings kann, so Peucker, auch nicht ausgeschlossen werden, dass solche Einstellungen sich auch auf die Entscheidun-gen von Personalverantwortlichen oder Wohnungsvermieter_innen auswirken, sei es, dass sie selbst diese Haltungen vertreten, sei es, dass sie Einbußen oder Konflikte mit Dritten befürch-ten.277

in dem sie vielmehr um Anerkennung kämpfen.280 Viel attraktiver ist von daher die HipHop-Kultur, die ihren Ursprung als ethnische Jugendkultur hat. Hier bieten sich muslimischen Ju-gendlichen positive Identifikations- und Emanzipationsmöglichkeiten. Im HipHop können die Jugendlichen mit ihren Identitäten experimentieren und sich in der Öffentlichkeit Gehör ver-schaffen. Die Lebensrealitäten muslimischer Jugendlicher, ihre sozialen Probleme und indivi-duellen Befindlichkeiten finden einen Platz. Gleichzeitig handelt es sich, wie Lübcke weiter ausführt, beim HipHop auch um eine gruppenbezogene Jugendkultur, die an das Zugehörig-keitsbedürfnis von Jugendlichen anknüpfen kann. In Varianten gibt es Überschneidungen mit anderen Jugendszenen, wie beispielsweise der Skater-Szene oder der Streetball-Szene. Die HipHop-Kultur ist zwar männlich dominiert, dennoch gibt es auch Hinweise auf junge Frau-en, die in dieser Szene aktiv sind.281

Neben der sehr ausgeprägten HipHop-Szene gibt es, so Lübcke, auch eine multi-ethnische Club- und Disco-Szene. Hier spielen verschiedene Musikpräferenzen eine Rolle. Sie reichen von englischsprachiger Musik über HipHop, Black Musik, bis hin zu türkischer Popmusik oder türkischer traditioneller Musik. Diese Musikpräferenzen sind aber nicht mit einem be-stimmten Lebensstil verbunden. Die Jugendlichen, die hier ihre jeweiligen musikalischen Vorlieben haben, können keiner bestimmten Jugendkultur zugeordnet werden, sondern sind eher als „Normalos“ zu betrachten.282

In größeren Städten sind inzwischen auch kleinere Szenen von jungen homosexuellen Mus-lim_innen bzw. Migrant_innen entstanden. So ist in Berlin beispielsweise der Verein Gladt e.V. (gays and lesbians aus der Türkei) aktiv, in dem sich junge Erwachsene für die Belange junger homo-, trans- und bisexueller Türk_innen bzw. Muslim_innen engagieren. In der Bar- und Clubszene gibt es ebenfalls spezielle Veranstaltungen, beispielsweise die Reihe „Gayha-ne“ im Klub SO 36, die für ihren „HomoOriental Dancefloor“ mit türkischer, arabischer, grie-chischer und hebräischer Popmusik wirbt.283

Eine türkisch-muslimische Kunst-, Kultur- und Filmszene greift zum einen Themen der deutsch-türkischen Migrantenszene auf und durchbricht auf der anderen Seite ethnische, reli-giöse oder nationale Kategorien.284

280 Vgl. Lübcke, Jugendkulturen junger Muslime, S. 291 ff.

281 Vgl. ebd., S. 299 f.

282 Vgl. ebd., S. 302 f.

283 Vgl. ebd., S. 307 sowie SO 36: Gayhane, http://so36.de/regs/2010/gayhane/#more-591, gesehen am 09.02.2011

284 Vgl. Lübcke, Jugendkulturen junger Muslime, S. 308.

Während bezüglich der bisher vorgestellten jugendkulturellen Szenen durchaus gefragt wer-den kann, inwieweit diese als „muslimisch“ zu bezeichnen sind, stellt sich diese Frage im Hinblick auf die religiösen muslimischen Jugendkulturen nicht. Hierzu zählen die Pop-Islam-Szene inklusive der explizit weiblich-intellektuellen Variante der Neo-Muslimas wie auch religiöse Jugendliche, die sich in den Moscheegemeinden von traditionalistischen Hierarchien der religiösen Milieus distanzieren und sich für die Integration innerhalb der deutschen Ge-sellschaft engagieren. Dabei geht es nicht um eine Säkularisierung, sondern vielmehr um den Transport explizit religiöser Werte und Botschaften.285 Die Pop-Islam-Szene ist sehr vielfältig und beinhaltet teils widersprüchliche Ausdrucksformen. Zu ihr zugehörig fühlen sich Jugend-liche, die Anerkennung in der deutschen Gesellschaft suchen, Karriere machen möchten, zu-gleich aber eine materialistische Lebensweise, Drogen und liberale Sexualität ablehnen. Zu ihren Zielen gehört die Werbung für den Islam. Die Bewegung ist vor allem für konservative junge Muslim_innen attraktiv.286

Die Bewegung der Salafis, zu der sich auch junge Muslim_innen hingezogen fühlen, propa-giert eine kompromisslose Variante des Islam. Prediger wie Abdul Adhim oder Pierre Vogel verkünden einen Islam, der eine strikte Geschlechtertrennung beinhaltet, Musik verbietet und kaum Neuerungen zulässt. Problematischerweise finden sich für Jugendliche, die auf der Su-che nach islamisch-religiösen Angeboten sind, kaum Alternativen in deutsSu-cher SpraSu-che.287 Die hier dargestellte Vielfalt jugendkultureller Stile muslimischer Jugendlicher verdeutlichen nicht nur die Heterogenität dieser Gruppe, sondern zeigen zugleich auch, dass es, so Lübcke, in diesen Jugendkulturen keineswegs darum geht, kulturelle Muster und Traditionen bruchlos in die bundesdeutschen Jugendkulturen zu importieren.288 Vielmehr wird „die subjektive Ver-arbeitung und die kulturelle Auseinandersetzung mit der gesellschaftlichen Komplexität und den kulturellen Konstrukten der Aufnahme- und Herkunftsgesellschaft“289 sichtbar. Für Ju-gendliche türkischer Herkunft stellt Halm fest, dass deren Identität nicht aus der Summe

„deutscher“ und „türkischer“ Sozialisationseinflüsse resultiert. Vielmehr ist davon auszuge-hen, dass es bei der jungen Generation zu einer Abwandlung und Übertragung von Einstel-lungen und Verhaltensweisen kommt. So entwickeln sich eigenständige bikulturelle und transkulturelle Identitäten, die eigene Ansprüche an Freizeitangebote stellen. Weder sind für

285 Vgl. Lübcke, Jugendkulturen junger Muslime, S. 311 f.

286 Vgl. Müller, Jochen/Nordburch, Götz/Tataroglu, Berke: Jugendkulturen zwischen Islam und Islamismus.

Lifestyle, Medien, Musik, Hg.: Bundeskoordination Schule ohne Rassismus - Schule mit Courage, Berlin 2008, S. 9 f.

287 Vgl. ebd., S. 11 f.

288 Vgl. Lübcke, Jugendkulturen junger Muslime, S. 312 f.

289 Ebd., S. 313, Hervorhebung im Original.

sie monokulturelle Herkunftsvereine noch monokulturelle deutsche Vereine interessant. So-mit sind für diese Zielgruppe Freizeitangebote erforderlich, die transkulturell orientiert und mit der Lebensrealität deutsch-türkischer Jugendlicher kompatibel sind.290

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