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Bildungsbeteiligung und Bildungserfolge von Kindern und Jugendlichen nichtdeut- nichtdeut-scher Staatsangehörigkeit nichtdeut-scher Staatsangehörigkeit

Kapitel 2: Lebenslagen von Muslim_innen in Deutschland

2.3 Muslimische Jugendliche in Deutschland

2.3.2 Muslim_innen im deutschen Bildungs- und Ausbildungssystem

2.3.2.1 Bildungsbeteiligung und Bildungserfolge von Kindern und Jugendlichen nichtdeut- nichtdeut-scher Staatsangehörigkeit nichtdeut-scher Staatsangehörigkeit

Verschiedene Statistiken ermöglichen Aussagen darüber, wie Kinder und Jugendliche mit ausländischer Staatsangehörigkeit im deutschen Schulsystem positioniert sind. Demnach be-suchen diese Kinder etwas seltener als Kinder mit deutscher Staatsangehörigkeit vorschuli-sche Bildungseinrichtungen. Gravierende Unterschiede sind vor allem bei der

Bildungsbeteiligung an den Sekundarschulen erkennbar. Hier zeigt sich eine deutliche

Schlechterstellung von Kindern und Jugendlichen mit ausländischer Staatsangehörigkeit. Mit einem Anteil von durchschnittlich 46,2 % in den Jahren 1992-2006 besuchte die größte Grup-pe der Schüler_innen mit ausländischer Staatsangehörigkeit eine Hauptschule, während bei den Schüler_innen mit deutscher Staatsangehörigkeit die größte Gruppe mit einem Anteil von 46,6 % ein Gymnasium besuchte. Umgekehrt besuchten in diesem Zeitraum lediglich 20,6 % der Schüler_innen mit ausländischer Staatsangehörigkeit ein Gymnasium und nur 19,2 % der Schüler_innen mit deutscher Staatsangehörigkeit eine Hauptschule. Beim Real- und Gesamt-schulbesuch sind die Unterschiede etwas geringer. So besuchten im genannten Zeitraum im Durchschnitt 24,8 % der Schüler_innen mit deutscher und 19,2 % der Schüler_innen mit aus-ländischer Staatsangehörigkeit eine Realschule sowie 14 % der Schüler_innen mit ausländi-scher und 9,5 % der Schüler_innen mit deutausländi-scher Staatsangehörigkeit eine Integrierte

Gesamtschule. Dabei ist im Beobachtungszeitraum zwar insgesamt eine leichte Verbesserung der Bildungsbeteiligung von Schüler_innen mit ausländischer Staatsangehörigkeit zu ver-zeichnen, allerdings gab es keine Veränderungen hinsichtlich der Proportionen zu den Schü-ler_innen mit deutscher Staatsangehörigkeit. Während SchüSchü-ler_innen mit ausländischer Staatsangehörigkeit an Haupt- und Gesamtschulen überrepräsentiert sind, sind sie an Gymna-sien und Realschulen unterrepräsentiert.191

190 Vgl. Fereidooni, Karim: Schule - Migration - Diskriminierung. Ursachen der Benachteiligung von Kindern mit Migrationshintergrund im deutschen Schulwesen, Wiesbaden 2011, S. 60 f.; Schümer, Gundel: Zur doppel-ten Benachteiligung von Schülern aus unterprivilegierdoppel-ten Gesellschaftsschichdoppel-ten im deutschen Schulwesen, in:

Schümer, Gundel/Tillmann, Klaus-Jürgen/Weiß, Manfred (Hg.): Die Institution Schule und die Lebenswelt der Schüler. Vertiefende Analysen der PISA-2000-Daten zum Kontext von Schülerleistungen, 2004, S. 74; Ditton, Hartmut: Der Beitrag von Schule und Lehrern zur Reproduktion von Bildungsungleichheit, in: Becker, Rolf/Lauterbach, Wolfgang (Hg.): Bildung als Privileg. Erklärungen und Befunde zu den Ursachen der Bil-dungsungleichheit, 4. aktualisierte Aufl. 2010, S. 274.

191 Vgl. Diefenbach, Kinder und Jugendliche, S. 53 ff.

Eine Überrepräsentation von Schüler_innen mit ausländischer Staatsangehörigkeit ist auch an Sonderschulen mit dem Förderschwerpunkt Lernen zu verzeichnen. Diese Schulen wurden von Schüler_innen mit ausländischer Staatsangehörigkeit etwa doppelt so häufig besucht wie von Schüler_innen mit deutscher Staatsangehörigkeit. Diese Überrepräsentation hat in den Jahren 1991 bis 2006 zugenommen. Diese Überstellung von Schüler_innen mit ausländischer Staatsangehörigkeit auf Sonderschulen mit dem Förderschwerpunkt Lernen wird oftmals mit mangelnden Deutschkenntnissen begründet. Darin sieht Diefenbach eine Benachteiligung von Schüler_innen nichtdeutscher Herkunft.192

Der Anteil von Schüler_innen mit ausländischer Staatsangehörigkeit ohne Schulabschluss lag in den Jahren 1992 bis 2002 bei ca. 20 % und sank bis zum Jahr 2006 auf 16,7 %. Bei Schü-ler_innen mit deutscher Staatsangehörigkeit lag dieser Wert zwischen 1992 und 2006 bei 6,7-8,0 %. Mit 40-44 % verließ der größte Anteil der Schüler_innen mit ausländischer Staatsan-gehörigkeit die Sekundarstufe mit einem Hauptschulabschluss, bei Schüler_innen mit deut-scher Staatsangehörigkeit waren dies 22-26 %. Fachhochschulreife oder Abitur erlangten 8,4-11,0 % der Schüler_innen mit ausländischer und 26-28 % der Schüler_innen mit deutscher Staatsangehörigkeit, die Mittlere Reife erreichten 28,9-31,0 % der Schüler_innen mit auslän-discher und 41-43 % der Schüler_innen mit deutscher Staatsangehörigkeit. Die größten Chan-cen auf einen höherwertigen Schulabschluss hatten Schüler_innen mit ausländischer

Staatsangehörigkeit an Integrierten Gesamtschulen.193

Auf der Basis der verfügbaren Daten kommt Diefenbach weiterhin zu dem Schluss, dass zwi-schen den verschiedenen Nationalitäten der Schüler_innen mit ausländischer Staatsangehö-rigkeit teils erhebliche Unterschiede erkennbar sind. Dabei konnte festgestellt werden, dass insbesondere Kinder, die selbst oder deren Familien aus Italien, der Türkei, sowie aus Jugo-slawien und seinen Nachfolgestaaten nach Deutschland eingewandert sind, im deutschen Schulsystem am schlechtesten gestellt sind.194

Die bisher angeführten Daten decken sich in ihren Proportionen weitgehend mit den vorlie-genden Erkenntnissen über das Bildungsniveau von Muslim_innen in Deutschland. So ermit-telte das Zentrum für Türkeistudien, dass von allen in Deutschland lebenden erwachsenen Personen türkischer Herkunft, die in Deutschland die Schule besucht haben, 41 % einen Hauptschulabschluss erreicht haben, 26 % die Mittlere Reife, 5 % einen Fachoberschul- oder Berufskollegabschluss und 5 % die Fachhochschulreife. 15 % haben das Abitur abgelegt.In

192 Vgl. Diefenbach, Kinder und Jugendliche, S. 69 ff.

193 Vgl. ebd., S. 73 f. und S. 134.

194 Vgl. ebd., S. 79.

Bezug auf die Personen türkischer Herkunft in Nordrhein-Westfalen kommt die Studie des Zentrums für Türkeistudien zum Schluss, dass das Bildungsniveau langsam ansteigt. Während der Anteil an Hauptschüler_innen abnimmt, nimmt der Anteil an Realschüler_innen sowie Gymnasiast_innen zu.195

Haug et al. fanden heraus, dass das Bildungsniveau der Muslim_innen aus allen Herkunfts-ländern signifikant niedriger ist als das der Angehörigen anderer Religionsgemeinschaften.

Da es jedoch zwischen dem Bildungsniveau der Muslim_innen aus den unterschiedlichen Herkunftsländern große Unterschiede gibt, kann ein Zusammenhang zwischen der Zugehö-rigkeit zum Islam und dem Bildungsniveau nicht festgestellt werden. Vielmehr sehen Haug et al. einen Zusammenhang mit der Einwanderungsgeschichte der unterschiedlichen Gruppen.

Demnach wurden vor allem aus der Türkei, Jugoslawien, Marokko und Tunesien Arbeiter angeworben, die gemeinsam mit ihren Familien überwiegend aus bildungsbenachteiligten sozialen Schichten stammten.Migrant_innen iranischer Herkunft haben mit Abstand das höchste Bildungsniveau, gefolgt von Migrant_innen aus Zentralasien/der GUS und Süd-/Südostasien. Das niedrigste Bildungsniveau hingegen haben Migrant_innen aus der Türkei und dem Nahen Osten. 196

Bezüglich der Abschlüsse im deutschen Bildungssystem stellen Haug et al. einerseits fest, dass Migrant_innen aller in ihrer Studie einbezogenen Herkunftsregionen häufiger als ihre Elterngeneration die Schule mit einem Schulabschluss verlassen haben, also ein Bildungsauf-stieg erkennbar ist. Andererseits erreichten Migrant_innen aus Nordafrika, dem sonstigen Afrika, dem Nahen Osten, Zentralasien/der GUS, Muslime aus Südosteuropa und Iran sowie Angehörige anderer Religionsgruppen aus der Türkei weniger häufig als ihre Elterngeneration im Herkunftsland den höchsten Schulabschluss. Hier muss ein Bildungsabstieg konstatiert werden.197

Die Überrepräsentation von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund198 an der Hauptschule ist, so Solga und Wagner, u. a. deshalb als problematisch zu betrachten, weil mit dieser Schulform oftmals die Reduzierung von Lerninhalten und eine schlechtere Ausstattung

195 Vgl. Sauer/Halm, Erfolge und Defizite, S. 39 ff.

196 Vgl. Haug et al., Muslimisches Leben in Deutschland, S. 211 ff.

197 Vgl. ebd., S. 218.

198 Die hier geschilderten Probleme sind für alle Kinder an der Hauptschule, unabhängig von ihrer Herkunft, relevant. Damit werden auch diejenigen Jugendlichen aus dem empirischen Teil dieser Arbeit, die deutscher Herkunft sind, beschrieben. Vgl. Solga, Heike/Wagner, Sandra: Die Zurückgelassenen die soziale Verarmung der Lernumwelt von Hauptschülerinnen und Hauptschülern, in: Becker, Rolf/Lauterbach, Wolfgang (Hg.): Bil-dung als Privileg. Erklärungen und Befunde zu den Ursachen der BilBil-dungsungleichheit, 4. aktualisierte Auflage 2010, S. 200 sowie: Schümer, Zur doppelten Benachteiligung, S. 74.

einhergeht.199 Lehrpläne werden weniger eingehalten, Unterricht wird häufiger als in anderen Schultypen fachfremd erteilt.200 Da die Hauptschule zugleich auch die sozial homogenste Schulform bildet, und zwar für Kinder aus prekären ökonomischen Schichten, haben ihre Schüler_innen kaum Kontakte zu Mitschüler_innen aus privilegierteren ökonomischen Schichten. Sie erhalten somit so gut wie keine Anregungen durch Freunde aus einem anderen soziokulturellen Umfeld als dem eigenen und können dementsprechend auch keine weiträu-migeren sozialen Netzwerke aufbauen.201

Die negative Auslese leistungsschwacher Kinder und Jugendlicher im deutschen Bildungssys-tem ist für die Betroffenen als Ursache für ein negatives Selbstwertgefühl anzusehen. Das Vertrauen in die eigene Leistungsfähigkeit geht nach einer anhaltenden Einstufung als

„schlechter Schüler“ verloren bzw. kann nicht aufgebaut werden. Dieses äußert sich u. U. in störendem Verhalten im Unterricht wie auch in einer generellen Schulverdrossenheit. Die mangelnde Durchlässigkeit des Bildungssystems nach oben bewirkt zudem die Selbstein-schätzung der Schüler_innen, ihr Leistungsniveau sei nicht zu beeinflussen.202 Schümer hält fest:

„Man kann annehmen, dass die allgemeine Einschätzung der Hauptschule als ‚Restschule’ […] negative Rückwirkungen auf die Hauptschüler hat. Sie dürften sehr wohl wissen, dass sie zu einer Minderheit gehören, die bislang wenig erfolgreich in der Schule war und daher nicht die Chance hatte, weiterfüh-rende Schulen mit höherem Ansehen und höherem Prestige zu besuchen. Sie dürften auch wissen, dass ihre Chancen eine Lehrstelle oder einen gut bezahlten Job zu finden, geringer sind als für Schüler, die von Schulen einer anderen Schulform kommen. Wahrscheinlich entwickeln sie unter diesen Umständen keine positiven Einstellungen zur Schule und zum Lernen, sondern es kommt zu […] Unterrichtsstö-rungen, zu Schulunlust und Schulverweigerung. Sollten diese Vermutungen richtig sein, hätte man es hier mit einem Problem zu tun, das nicht allein durch größere Anstrengungen von Lehrern gelöst wer-den kann, sondern auch strukturelle Änderungen der Schule erfordert.“203

Die genannten Probleme können auch an anderen Schultypen als der Hauptschule auftreten, wenn sozial benachteiligte und leistungsschwache Schüler_innen in homogenen Lerngruppen zusammengefasst werden. Hier können leicht Lernmilieus entstehen, die die Leistungsent-wicklung der Schüler_innen behindern.204

199 Vgl. Solga/Wagner, Die Zurückgelassenen, S. 192.

200 Vgl. Schümer, Zur doppelten Benachteiligung, S. 104.

201 Vgl. Solga/Wagner, Die Zurückgelassenen, S. 192.

202 Vgl. Schümer, Zur doppelten Benachteiligung, S. 75 ff.

203 Ebd., S. 105 f.

204 Vgl. ebd., S. 104 f.

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