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Die rechtliche Stellung der Jüd_innen im mittelalterlichen islamischen Herr- Herr-schaftsgebiet Herr-schaftsgebiet

3. 2 Erscheinungsformen von Antisemitismus in Deutschland

3.3 Antisemitismus und Muslim_innen

3.3.2 Antisemitismus im islamischen Raum

3.3.2.2 Die rechtliche Stellung der Jüd_innen im mittelalterlichen islamischen Herr- Herr-schaftsgebiet Herr-schaftsgebiet

Im islamischen Reich waren Jüd_innen, wie andere Nichtmuslim_innen auch, dem islami-schen Recht unterstellt. Diese Rechtsinstitution wird als Dhimma, als Schutz, bezeichnet.

Dhimmis, also Schutzbefohlene, waren laut Koran unter anderem Angehörige der jüdischen und der christlichen Religion. Mit der Ausdehnung des islamischen Reiches erhielten Ange-hörige weiterer Religionsgruppen den Dhimmi-Status. Jüd_innen wurden also im islamischen Recht in der Regel nicht als besondere Gruppe herausgehoben, sondern gehörten gemeinsam mit anderen Minderheiten der Gruppe der Dhimmis an. Damit unterschied sich der Status der Jüd_innen in der islamischen Welt deutlich von dem der Jüd_innen in den christlichen Herr-schaftsgebieten, wo sie als die einzigen „Ungläubigen“ innerhalb der christlichen Gemei n-schaft lebten und außerhalb des Schutzes des sich allgemein entwickelnden Rechts standen.505 Die Grundlagen für diesen rechtlichen Status im islamischen Reich wurden bereits zur Zeit Muhammads506 sowie im Zuge der ersten muslimischen Eroberungen im 7. Jahrhundert durch

wurden, das Verhalten Muhammads auf der Basis heutiger Wertvorstellungen zu verteidigen oder zu verurteilen, seien demnach fehl am Platze.

502 Vgl. Krämer, Geschichte des Islam, S. 24.

503 Vgl. Cohen, Mark R.: Under Crescent and Cross. The Jews in the Middle Ages, Princeton 1994, S. 23.

504 Vgl. ebd., S. 54.

505 Vgl. ebd., S. 52 ff.

506 Dieser hatte im Zuge der Eroberung der Oase Khaibar im Jahr 629, das erste vom muslimischen Staat erober-te Gebiet, mit den dort lebenden Juden nach deren Kapitulation einen Schutzvertrag abgeschlossen, der ihnen den Verbleib in der Oase zusicherte und erlaubte, ihr Land zu bestellen. Im Gegenzug mussten sie die Hälfte der Ernteerträge abliefern. Dieser Vertrag diente als Vorbild für spätere Verträge dieser Art. Vgl. Lewis, Bernard:

Die Juden in der islamischen Welt, München 2004, S. 20 sowie Cohen, Under Crescent and Cross, S. 55.

Kapitulationsverträge zwischen den siegreichen Muslim_innen und den Eroberten gelegt.507 In diesen Verträgen wurde den Dhimmis seitens der Muslim_innen unter anderem die Unver-letzlichkeit der Person und des Besitzes, die Bewegungsfreiheit, das Recht auf freie Berufs-wahl und Handel sowie die Garantie auf Freiheit bis zu einer gerichtlichen Entscheidung im Falle eines Strafverfahrens zugesichert.508 Als Gegenleistung hatten sie eine Kopfsteuer, die Jizya, zu entrichten.509 Darüber hinaus enthielten die konkreten Regelungen der Dhimma510 weitere Vorschriften, die unterschiedliche Ziele verfolgten. So wurde Dhimmis beispielsweise untersagt, neue Gotteshäuser zu errichten, religiöse Zeremonien, etwa Prozessionen, öffent-lich zu praktizieren oder Mission zu betreiben. Dabei ging es vorrangig darum, die Überle-genheit des Islam zu bewahren.511

Andere Vorschriften, etwa die Verpflichtung, aufzustehen, wenn Muslim_innen anwesend waren, keinen Reitsattel zu verwenden, keine Waffen zu tragen oder auch die Häuser niedri-ger zu bauen als die der muslimischen Bevölkerung, beinhalteten eine Demütigung von Dhimmis.Wieder andere Anordnungen, so die Vorschrift, auf die Verwendung arabischer Ehrennamen sowie auf Siegel mit arabischen Lettern zu verzichten, dienten der Unterschei-dung der Angehörigen der Minderheit von Angehörigen der herrschenden Muslim_innen.

Auch in der Kleidung sollten sie sich von den Muslim_innen unterscheiden. Cohen weist da-rauf hin, dass diese in der Dhimma festgelegte Kleidervorschrift vermutlich Ursprung für die spätere christliche Vorschrift zur Kennzeichnung von Jüd_innen ist. Diese verfolgte vor allem das Ziel, Jüd_innen zu diskriminieren und sexuelle Kontakte mit Christ_innen zu verhindern.

Die islamische Vorschrift verfolgte hingegen ursprünglich lediglich das Ziel, die nichtmusli-mische Bevölkerung von der Minderheit der herrschenden Araber_innen zu unterscheiden, diente in späteren Zeiten jedoch auch der Demütigung.Eine weitere Regelung untersagte es Nichtmuslim_innen, in öffentlichen Ämtern zu fungieren, da befürchtet wurde, dass dies ihnen Macht über Muslim_innen verleihen würde.512

507 Vgl. Noth, Albrecht: Möglichkeiten und Grenzen islamischer Toleranz, in: Saeculum 29 (1978), S. 194 ff.

Noth vermutet, dass es aufgrund einer hohen Unzufriedenheit mit der byzantinischen und persischen Herrschaft kaum Widerstand seitens der einheimischen Bevölkerung gegen die neuen Eroberer gab. (Vgl. ebd., S. 195 f.) Stillman verweist in diesem Zusammenhang auf Fälle, in denen Jüd_innen und Christ_innen den muslimischen Eroberern halfen. So unterstützten Jüd_innen die Muslim_innen beispielsweise vereinzelt bei der Eroberung von Hebron und Caesarea. Bei der Eroberung Spaniens 70 Jahre später kam es in großem Maße zu bewaffneter Un-terstützung der muslimischen Eroberer durch Jüd_innen. Vgl. Stillmann, The Jews of Arab Lands, S. 23 f.

508 Vgl. Noth, Möglichkeiten und Grenzen, S. 196.

509 Vgl. Cohen, Under Crescent and Cross, S. 56.

510 Als charakteristisches Dokument für diese Regelungen gilt der sogenannte „Pakt des Umar“. Der Text dieses Dokuments wird dem Kalifen Umar ibn al-Khattab, der von 634-644 herrschte, zugeschrieben, wobei die ältes-ten überlieferältes-ten Textversionen frühesältes-tens auf das zehnte Jahrhundert zu datieren sind. Vgl. Cohen, Under Cres-cent and Cross, S. 54 f.

511 Vgl. ebd., S. 58 ff.

512 Vgl. ebd., S. 61 ff.

In welcher Weise die Bestimmungen der Dhimma in der Praxis angewandt wurden, war von verschiedenen Faktoren abhängig. Besondere Bedeutung hatte dabei, wie Lewis darlegt, die jeweilige Stärke bzw. Schwäche des muslimischen Staates. In den ersten Jahrhunderten des islamischen Reiches – während der Expansionsphase – lebten Jüd_innen unter relativ stabilen Verhältnissen. Es bestand ein enger sozialer Austausch zwischen Jüd_innen, Christ_innen und Muslim_innen, die nicht nur in persönlichen Freundschaften und Geschäftspartnerschaften zum Ausdruck kamen, sondern ihren Widerhall auch in einer kulturellen Zusammenarbeit fanden.513 Allein die Tatsache, dass es in Städten wie Kufa (im heutigen Irak) oder Kairo, die nach der islamischen Eroberung entstanden, Synagogen und Kirchen gibt, lässt darauf schlie-ßen, dass die Bestimmungen der Dhimma zugunsten der Dhimmis außer Kraft gesetzt wur-den.514 Auch gibt es zahlreiche Beispiele dafür, dass Christ_innen und Jüd_innen in leitenden Positionen in öffentlichen Ämtern beschäftigt waren.515 Verschlechterungen traten vor allem im 10.-13. Jahrhundert ein. Eine mögliche Ursache hierfür sieht Lewis in der Umwandlung von politisch dezentralen Regierungsformen zu militärisch-feudalistischen Regierungssyste-men, die mit einem Untergang der bürgerlichen Mittelschicht und der Etablierung eines zent-ralistischen Wirtschaftssystems verbunden ist. Auch war die politische Stabilität des

sunnitischen Islam in dreifacher Hinsicht bedroht: durch den schiitischen Islam, durch das christliche Kreuzfahrerreich und durch das Mongolische Reich. In dieser Situation wurden Dhimmis mehrfach Ziel von Angriffen.516 Traurige Berühmtheit erlangten beispielsweise die Verfolgung durch den Kalifen al-Hakim (996-1021) in Ägypten und Palästina, das Pogrom von Granada im Jahr 1066, Verfolgungen durch die almohadische Dynastie im

12. Jahrhundert in Nordafrika und Spanien sowie die Verfolgung im Jemen im Jahr 1172.

Dabei richteten sich die Verfolgungen der almohadischen Dynastie sowie des fatimidischen Kalifen al-Hakim (wie auch fast alle weiteren bezeugten Verfolgungen) nicht ausschließlich gegen Jüd_innen, sondern gegen alle Dhimmis. Damit unterscheiden sich diese Verfolgungen deutlich von den europäischen Verfolgungen von Jüd_innen, die von Grund auf antijüdisch motiviert waren.Die Einsicht der damaligen Machthaber über die mit den Verfolgungen ein-hergehenden Rechtsbrüche wird vielleicht daran deutlich, dass es Dhimmis, die im Zuge der Verfolgungen unter Zwang den Islam angenommen hatten, später gestattet wurde, zu ihrer Religion zurückzukehren, obwohl der Islam eigentlich den Übertritt zu einer anderen Religion streng verbietet.517

513 Vgl. Lewis, Die Juden in der islamischen Welt, S. 57 sowie Stillmann, The Jews of Arab Lands, S. 62.

514 Vgl. Cohen, Under Crescent and Cross, S. 58 f.

515 Vgl. Noth, Möglichkeiten und Grenzen, S. 199.

516 Vgl. Lewis, Die Juden in der islamischen Welt, S. 57 ff.

517 Vgl. Cohen, Under Crescent and Cross, S. 164 ff. und S. 175 ff.

Den angeführten Verfolgungen stehen auch Beispiele für ein friedvolles Miteinander gegen-über. Ein bekanntes Beispiel ist wohl die Aufnahme jüdischer Vertriebener aus Spanien und Portugal im Osmanischen Reich im Jahr 1492. Auch Jüd_innen aus Mitteleuropa siedelten sich im Osmanischen Reich an, das ihnen zu diesem Zeitpunkt erheblich bessere Lebensbe-dingungen bot als ihre christlichen Herkunftsländer.518

Die Situation der Jüd_innen in der islamischen Welt im Mittelalter zwischen kultureller Blüte, Rechtssicherheit und Verfolgungen gibt weder Anlass für eine Glorifizierung der jüdisch-muslimischen Beziehungsgeschichte noch verweist sie auf eine Tradition anhaltender Verfol-gungen und Pogrome, wie sie für das Mittelalter im christlichen Europa konstatiert werden muss.Die Dhimma diente zweifelsohne dazu, die Überlegenheit der Muslim_innen zu ge-währleisten und den Dhimmis eine lediglich zweitklassige Form der Staatsbürgerschaft zuzu-weisen. Immerhin hatten sie damit aber, wie Cohen betont, einen Status, der ihnen die

Zugehörigkeit zur islamischen Gesellschaft und zum islamischen Rechtssystem gewährleiste-te und waren nicht, wie die Jüd_innen im christlichen Europa, der Willkür der jeweiligen Landesherren ausgesetzt.519

3.3.2.3 Veränderungen durch Kolonialismus und Nahostkonflikt – der europäische

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