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Motivationen und Ausgangsüberlegungen für konzeptionelle Überarbeitungen der Angebote historisch-politischer Bildung zum Nationalsozialismus am Beispiel Angebote historisch-politischer Bildung zum Nationalsozialismus am Beispiel

3. 2 Erscheinungsformen von Antisemitismus in Deutschland

Kapitel 4: Geschichtslernen zu Nationalsozialismus und Holocaust in der Einwanderungsgesellschaft Einwanderungsgesellschaft

4.5 Konzepte und Praxiserfahrungen

4.5.1 Motivationen und Ausgangsüberlegungen für konzeptionelle Überarbeitungen der Angebote historisch-politischer Bildung zum Nationalsozialismus am Beispiel Angebote historisch-politischer Bildung zum Nationalsozialismus am Beispiel

ausge-wählter Projekte

Pädagogische Fachkräfte begegnen den durch die verstärkt kulturell heterogene Zusammen-setzung vieler Schulklassen sowie den Generationenwandel bedingten Veränderungen in ihrer täglichen Arbeit. Neue Zugänge, Fragestellungen und Bezüge zur sowie Umgänge mit der NS-Geschichte erfordern, dass im pädagogischen Kontext damit umgegangen werden kann.

Als zukunftsweisend erweisen sich dabei Projekte, in denen es gelingt, die Heterogenität in den Gruppen als Normalität zu begreifen und anzuerkennen. In der Gedenk- und Bildungs-stätte Haus der Wannsee-Konferenz wird beispielsweise den Jugendlichen bereits in der Ein-gangssituation signalisiert, dass die heterogene Zusammensetzung ihrer Gruppe als Gewinn für das Gespräch über die NS-Geschichte betrachtet wird. Dies geschieht nicht nur dadurch, dass die Jugendlichen direkt darauf angesprochen werden, sondern auch dadurch, dass die Informationsmaterialien zum Haus im Eingangsbereich nicht nur auf Deutsch, Englisch und Französisch ausliegen, sondern auch in Sprachen wie Polnisch, Russisch, Arabisch oder Tür-kisch.785 Auch das Anne Frank Zentrum Berlin griff diese Idee bei der Neugestaltung seiner Ausstellung im Jahr 2006 auf und bringt seitdem seine interkulturelle Öffnung mit kleineren Signalen zum Ausdruck, etwa, indem der Name von Anne Frank im Treppenhaus in vielen verschiedenen Sprachen zu lesen ist, indem sich eine Jugendliche in einem Ausstellungsteil auf Arabisch vorstellt und indem Teile dieses Ausstellungsteils in zehn verschiedenen Spra-chen gestaltet sind.786

In beiden Einrichtungen bleibt es aber nicht bei symbolischen Signalen. Auch in der konzep-tionellen Arbeit spiegelt sich die Akzeptanz der Heterogenität der Gruppen wider. Das Anne Frank Zentrum hat pädagogische Ziele formuliert, die sowohl für die Ausstellung als auch für die pädagogische Arbeit damit gelten. Dazu gehören wie schon zuvor Wissensvermittlung, Erinnerung, Vergegenwärtigung oder Quellenkritik. Hinzu kamen neue Ziele, die der histo-risch-politischen Bildungsarbeit in der Einwanderungsgesellschaft gerecht werden sollen. Zu

784 Eine ausführliche Darstellung entsprechender Überlegungen und Erfahrungen bei Miphgasch/Begegnung e.V.

erfolgt in Kapitel 5.

785 Vgl. Gryglewski, Neue Konzepte der Gedenkstättenpädagogik, S. 302.

786 Vgl. Siegele, Patrick: „Anne Frank. hier&heute“ – Historisch-politische Bildungsarbeit für die Einwande-rungsgesellschaft, in: „Die Juden sind schuld“. Antisemitismus in der Einwanderungsgesellschaft am Beispiel muslimisch sozialisierter Milieus, hg. von der Amadeu-Antonio-Stiftung, Berlin 2008, S. 73.

nennen wären hier eine Multiperspektivität, die nicht nur in ihrem Blick auf die Geschichte Perspektiven verschiedener Opfergruppen, Zuschauer_innen, Mitläufer_innen und Tä-ter_innen zum Inhalt hat, sondern auch einen multiperspektivischen Blick auf Erinnerung ermöglicht.Dies geschieht beispielsweise, wenn bei der Betrachtung und gemeinsamen Ana-lyse eines Bildes mitgedacht wird, dass die Perspektiven der Jugendlichen auf das Bild oder sein Thema vielfältig sein können. So könnte es sein, dass auf die Frage der pädagogischen Begleitperson nach Erfahrungen der Groß- oder Urgroßeltern solche aus dem Irak oder Russ-land berichtet werden. Oder es könnte sein, dass bei der Thematisierung der allmählichen all-täglichen Ausgrenzung der Jüd_innen nach 1933 Jugendliche an eigene ähnliche Erfahrungen bedingt durch die deutsche Asylgesetzgebung oder bei der Thematisierung der Schwierigkei-ten einer Familie nach einer Flucht in ein fremdes Land an eigene StartschwierigkeiSchwierigkei-ten mit neuer Sprache und Kultur erinnert werden.787

Multiperspektivität und die Arbeit mit Quellen spielen auch für die Gedenk- und Bildungs-stätte Haus der Wannsee-Konferenz bei der Erweiterung der Konzepte für Studientagsangebo-te eine Rolle. Dabei wird vor allem auf die Erfahrung reagiert, dass Schüler_innen bei der Betrachtung von Dokumenten über die Wannsee-Konferenz immer wieder interessiert nach-gefragt hatten, warum in der Statistik über die Zahl der Jüd_innen in den europäischen Län-dern auch die Türkei aufgeführt ist. Diese Frage führte häufig zum Interesse an der Rolle der Türkei im Zweiten Weltkrieg. Aufgrund dieser Erfahrungen wurde gezielt nach Dokumenten recherchiert, die mögliche historische Bezüge Jugendlicher nichtdeutscher Herkunft aufgrei-fen. Den Jugendlichen werden nun Dokumente für die Bearbeitung angeboten, die sich mit der Thematik der Rassenideologie der Nationalsozialist_innen am Beispiel von Heiratsverbo-ten befassHeiratsverbo-ten. Weiterhin gibt es Dokumente, die zeigen, dass Deutschland der Türkei FrisHeiratsverbo-ten eingeräumt hatte, um türkische Jüd_innen aus Deutschland und den von Deutschland besetz-ten Gebiebesetz-ten zu holen. Im Rahmen eines Studientages zum Thema Flucht und Exil können die Jugendlichen sich als Schwerpunkt mit der Türkei als Exilland befassen.788 Darüber hinaus öffnete sich die Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz konzeptionell auch für bildungsbenachteiligte Jugendliche. Hierfür wurde das Konzept der „wechselseitigen Füh-rungen“ entwickelt. Dabei erkunden die Jugendlichen die Ausstellung selbstständig und prä-sentieren anschließend ihren Mitschüler_innen diejenigen Informationen oder Bilder, die sie selbst interessant fanden.789

787 Vgl. Siegele, „Anne Frank. hier&heute“, S. 67 ff.

788 Vgl. Gryglewski, Neue Konzepte der Gedenkstättenpädagogik, S. 304 f.

789 Vgl. ebd., S. 302 f.

Heterogenität als Normalität zu betrachten war auch der Grundgedanke bei der Entwicklung des Projektes Geschichtslabor 1933-1945 durch das Jugend Museum Berlin-Schöneberg. Im Rahmen dieses Projektes ging es darum, ein Konzept zu entwickeln, das eine zeitgemäße Be-schäftigung mit dem Thema Nationalsozialismus für heutige Schüler_innen ermöglicht und dabei die Heterogenität der Schulklassen im Umfeld des Museums berücksichtigt.790 Im Ge-schichtslabor befinden sich verschiedene Exponate und Dokumente, anhand derer die Kinder und Jugendlichen, die für die Zeit ihres Aufenthaltes im Geschichtslabor die Rolle von For-scher_innen einnehmen, sich interessengeleitet an die Geschichte des Nationalsozialismus annähern können.791

In anderen Projekten wiederum bilden Jugendliche mit Migrationshintergrund die Hauptziel-gruppe. Hierzu gehört ein Projekt mit Jugendlichen muslimischer Herkunft aus einem sozia-len Brennpunkt in Berlin. Die 16- bis 23-Jährigen besuchen regelmäßig eine

Jugendfreizeiteinrichtung in ihrem Stadtbezirk. Die dortige Sozialarbeiterin sah Handlungs-bedarf angesichts der Tatsache, dass beispielsweise die Verwendung der Worte „Du Jude“ als Schimpfwort zum alltäglichen Umgangston der Jugendlichen gehörte. In Zusammenarbeit mit der Amadeu Antonio Stiftung wurde ein Projekt initiiert, in dessen Rahmen sich die Jugendli-chen mit der Verfolgung der Jüd_innen im Nationalsozialismus auseinandersetzten und eine Fahrt in die Gedenkstätte Auschwitz unternahmen. Projektleiter Andrés Nader formulierte als wichtige Voraussetzung, zu Beginn des Projektes den Jugendlichen selbst zuzuhören und ihre (Familien)geschichten von Flucht, Vertreibung und Migration anzuhören und ernst zu neh-men. Darauf aufbauend könne den Jugendlichen die deutsche Geschichte und deren Rolle für die Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland erklärt werden.792

Einen ähnlichen Zugang hatte bereits zuvor das Haus der Wannsee-Konferenz in einem mehrmonatigen Kooperationsprojekt mit dem arabischen Jugendclub Karame e.V. in Berlin-Moabit gewählt. Darin wurden die insgesamt 16 freiwillig an dem Geschichtsprojekt teilneh-menden Jugendlichen angeregt, ihre Familiengeschichten zu recherchieren, hierzu ihre Eltern und Großeltern zu befragen und Dokumente zu sammeln. Parallel dazu setzten sie sich mit dem Nationalsozialismus und dem Holocaust auseinander. Eine Gleichsetzung der Geschichte

790 Zwacka, Petra in einem Vortrag zum Projekt: „Geschichtslabor 1933-1945“ des Jugendmuseums Schöneberg gehalten beim Praxisforum Zivilcourage der Bundeszentrale für politische Bildung in Kooperation mit dem Kultrwissenschaftlichen Institut Essen und der Stiftung Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Berlin, 29. Januar 2011.

791 Vgl. Muschelknautz, Johanna: Das Geschichtslabor 1933-1945. Zum Ausstellungskonzept, in: Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg, Abteilung Schule, Bildung, Kultur, Jugend Museum (Hg.): Hands on History! Das Ge-schichtslabor 1933-1945. Projektdokumentation, Berlin 2010, S. 13.

792 Vgl. Oswalt, Deutschpalästinenser in Auschwitz, S. 58 f.

der Palästinenser_innen mit der der Jüd_innen im Nationalsozialismus sollte dabei explizit vermieden werden.793

4.5.2 Konkrete Erfahrungen und Schlussfolgerungen aus der praktischen Arbeit In der auf diesen konzeptionellen Überlegungen basierenden praktischen Arbeit wird vielfach die Erfahrung gemacht, dass die Bereitschaft Jugendlicher, sich auf eine Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus einzulassen, nicht vom Migrationshintergrund abhängt. So konsta-tiert Gryglewski für die Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz, dass auch Jugendliche mit Migrationshintergrund eine hohe Bereitschaft zeigen können, sich mit der Geschichte des Nationalsozialismus und des Holocaust zu befassen. Beobachtet wurde bei-spielsweise im Kontext der „wechselseitigen Führungen“, dass viele Jugendliche, unabhängig von ihrer Herkunft, die Aufgabe, Exponate in der Ausstellung auszuwählen, sehr ernst nah-men. Beispielsweise wählte ein Schüler türkischer Herkunft das Foto einer brennenden Syna-goge vom 9. November 1938 mit der Begründung, dass für ihn die Vorstellung fürchterlich sei, vor seiner von fremden Menschen angezündeten Moschee zu stehen und nichts dafür tun zu dürfen, den Brand zu löschen. Eine Schülerin libanesischer Herkunft empfand ein Foto von zwei Frauen, die nach einem Pogrom in der Sowjetunion entblößt auf der Straße knien, als besondere Demütigung. Eine Studentin kroatischer Herkunft fühlte sich durch dieses Foto an die Ereignisse im Kosovo Ende der 1990er Jahre erinnert. Diese Präsentationen der Exponats-auswahl bilden in der Regel den Ausgangspunkt für intensive Gespräche über die Bedeutung der in der Ausstellung gezeigten Geschichte für die Gegenwart.794

Auch die Verantwortlichen des Projektes Geschichtslabor 1933-1945 hielten fest, dass sich für sie keine herkunftsbedingten Unterschiede in der Bereitschaft, sich mit dem Nationalso-zialismus zu befassen, festmachen ließen. Einige Kinder interessierten sich besonders dafür, wie die Menschen in der Zeit des Nationalsozialismus gelebt haben, andere Kinder zeigten besonderes Interesse an den die Jüd_innen diskriminierenden Gesetzen, die bei ihnen eine große Empörung hervorriefen. Hier erkannten die Projektverantwortlichen durchaus Bezug-nahmen auf eigene Erfahrungen mit Mobbing und Ausgrenzung in der Schule. Lediglich ge-schlechtsspezifische Differenzen waren feststellbar, wenn es nämlich um das Interesse an

793 Vgl. Gryglewski, Diesseits und jenseits gefühlter Geschichte, S. 239.

794 Vgl. Gryglewski, Neue Konzepte der Gedenkstättenpädagogik, S. 303 f.

Handgranaten und Waffen ging, die erwartungsgemäß besonders häufig bei Jungen Faszinati-on auslösten.795

In Fragestellungen mit Gegenwartsbezug spielte eine Bezugnahme auf Israel und Palästina bei muslimischen Kindern gelegentlich eine Rolle. Auch wurde die Frage aufgeworfen, wa-rum sich Jüd_innen in Berlin nicht zu erkennen geben. Hier halten es die Projektverantwortli-chen für erforderlich, die Fragen der Kinder und JugendliProjektverantwortli-chen aufzugreifen und zu

thematisieren.796 In einem Fall berichten Ackermann et. al von einer Schülerin arabischer Herkunft, die mit der Aussage ins Museum kam, sie hätte von ihrem Imam gelernt, alle Jüd_innen seien Verräter. Die Schülerin erhielt nun von den begleitenden Pädagog_innen die Aufgabe herauszufinden, ob dies stimme und stellte am Ende des Projekttages die Aussage des Imams in Frage.797

Der Nahostkonflikt bildete auch für die Jugendlichen aus dem Projekt der Amadeu Antonio Stiftung einen Bezugspunkt. So berichtet einer der teilnehmenden Jugendlichen, dass für ihn Jüd_innen bisher immer diejenigen waren, „die dafür verantwortlich sind, dass der Vater a r-beitslos in einem fremden Land leben muss, in dem er keinen Anschluss findet.“798 Dennoch ließen sich die Jugendlichen auf eine Beschäftigung mit der Geschichte des Nationalsozialis-mus und des Holocaust ein. Als ihr teils unangemessenes Verhalten bei Exkursionen in Berlin dazu führte, dass ihnen angedroht wurde, die Reise in die Gedenkstätte Auschwitz abzusagen, bemühten sie sich um Mäßigung, da sie diese Fahrt unbedingt unternehmen wollten. Über das dann dort Erfahrene berichteten sie zwei Wochen nach der Fahrt noch sichtlich ergriffen. Be-wegt waren sie unter anderem von Bildern ermordeter Kinder wie auch vom Bericht einer Zeitzeugin, die sie getroffen hatten. Zu einer abendlichen Diskussion in der Jugendherberge regte aber auch die Begegnung mit israelischen Reisegruppen, die große israelische Fahnen durch die Gedenkstätte trugen, an. Projektleiter Nader fand diese Situation auch deshalb hei-kel, weil drei der Jugendlichen seiner Gruppe ein Palästinensertuch trugen. Was für sie als Freiheitssymbol gelten mag, hätte von israelischen Besuchern der Gedenkstätte Auschwitz als Provokation verstanden werden können. Die Thematisierung dieser Problematik führte dazu, dass zwei der Jugendlichen am folgenden Tag auf das Tragen der Tücher verzichteten. Aus den Erfahrungen nach der Reise resümierte eine Jugendliche, dass die Verwendung des Aus-spruchs „Du Jude“ als Schimpfwort aufgehört habe. Ein anderer Jugendlicher unterschied nun

795 Vgl. Ackermann, Anja/Kühn, Christoph/Ostermann, Sabine: Projekttage im Geschichtslabor. Erfahrungen und Ergebnisse, in: Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg, Abteilung Schule, Bildung, Kultur, Jugend Museum (Hg.): Hands on History! Das Geschichtslabor 1933-1945. Projektdokumentation, Berlin 2010, S. 24 ff.

796 Zwacka, Vortrag zum Projekt: „Geschichtslabor 1933-1945“ 29. Januar 2011.

797 Vgl. Ackermann et. al., Projekttage im Geschichtslabor, S. 26.

798 Oswalt, Deutschpalästinenser in Auschwitz, S. 59.

zwischen Jüd_innen und Israelis und erkannte an, dass die Jüd_innen in Deutschland Opfer gewesen seien. Auch wenn nicht klar ist, inwieweit diese Schlussfolgerungen von allen geteilt und wie lange sie vorhalten werden, verweist Nader doch darauf, dass das Projekt gezeigt habe, dass es durchaus gelingen kann, muslimischen Jugendlichen in Deutschland die Ge-schichte des Nationalsozialismus nahezubringen. Er verweist aber auch darauf, dass die Wis-senslücken der an dem Projekt beteiligten Jugendlichen in Bezug auf jede Art von

Allgemeinwissen immens sind.799

Für die Jugendlichen des arabischen Jugendclubs Karame e.V. speiste sich das Interesse an einer Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus, wie Gryglewski konstatiert, auf zwei Vor-annahmen: Einmal sahen die Jugendlichen in der Verfolgung der Jüd_innen im Nationalsozia-lismus die Ursache für das Leid der Palästinenser_innen. Außerdem sahen einige von ihnen in der intensiven Beschäftigung der deutschen Mehrheitsgesellschaft mit dem Holocaust den Grund dafür, warum diese wiederum unwillens sei, sich mit der Geschichte der Palästinen-ser_innen zu beschäftigen. Diese Vorannahmen gingen einher mit sehr geringen Kenntnissen der eigenen Familiengeschichten wie auch der Geschichte der Palästinenser_innen. So wur-den im Projekt Aspekte der palästinensischen Geschichte und Aspekte der Geschichte des Nationalsozialismus behandelt. Die Reaktionen der Jugendlichen auf die einzelnen Seminar-teile waren sehr vielfältig. Einige Jugendliche äußerten sich sehr empathisch mit den jüdi-schen Opfern des Nationalsozialismus. Andere Jugendliche fielen durch bewusste

Provokationen auf. Wieder andere störten bei einem Zeitzeugengespräch mit einem palästi-nensischen Flüchtling im gleichen Maße, wie bei einer Führung durch das Haus der Wannsee-Konferenz.800 Bei einer im Rahmen des Projektes durchgeführten Studienreise nach Israel und in die Palästinensischen Autonomiegebiete fiel auf, dass die Jugendlichen noch immer viel besser über die Geschichte des Nationalsozialismus als über die palästinensische Geschichte informiert waren. Zusammenfassend hält Gryglewski fest, dass die mit der Beschäftigung der palästinensischen Geschichte einhergehende Anerkennung der Familiengeschichten der Ju-gendlichen ihre Bereitschaft erhöhte, historische und aktuelle Ereignisse differenziert wahr-zunehmen.801

Die hier vorgestellten Praxiserfahrungen weisen darauf hin, dass es für schulische und außer-schulische Bildungseinrichtungen grundsätzlich sinnvoll ist, sich konzeptionell auf die Hete-rogenität von Jugendgruppen und Schulklassen einzustellen. Dies darf jedoch nicht zu einer

799 Vgl. Oswalt, Deutschpalästinenser in Auschwitz, S. 60 f.

800 Vgl. Gryglewski, Diesseits und jenseits gefühlter Geschichte, S. 241 ff.

801 Vgl. Gryglewski, Historisch-politische Bildung in der Einwanderungsgesellschaft, S. 228 f.

erneuten Ausgrenzung bzw. Reethnisierung von Jugendlichen nichtdeutscher Herkunft füh-ren, es darf also nicht davon ausgegangen werden, dass sich beispielsweise Jugendliche türki-scher Herkunft besonders für historische Themen mit Türkei-Bezug interessieren.802 So werden beispielsweise die im Rahmen der Studientage am Haus der Wannsee-Konferenz an-gebotenen Dokumente, die historische Bezüge zur Türkei oder zu anderen Ländern herstellen, in der Regel in einer Reihe von anderen Dokumenten zur Bearbeitung angeboten. Es wird dabei den Schüler_innen überlassen, welche Themen sie bearbeiten möchten. Auf die Hetero-genität der Gruppen zu reagieren bedeutet vielmehr, Elemente in die Angebote zu integrieren, die neben herkunftsdeutschen Jugendlichen auch Jugendliche mit Migrationshintergrund als selbstverständliche Zielgruppe ansprechen. Dabei stehen alle Angebote allen Jugendlichen zur Verfügung. Reethnisierungen werden so vermieden.

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