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Varianten der Bestimmung der Konturen von Erwachsenenbildung

Im Dokument in der Deutschen Gesellschaft für (Seite 45-50)

differenzierte Betrachtung des Lernens Erwachsener in seiner Breite verunmöglicht

3 Varianten der Bestimmung der Konturen von Erwachsenenbildung

Im Horizont der vorgestellten Kategorisierungsmatrix (Tabelle 2) lässt sich die Frage nach den Konturen von Erwachsenenbildung in veränderter Weise dis-kutieren. Um dies zu veranschaulichen, prüfe ich exemplarisch drei gängige Bestimmungen von Erwachsenenbildung daraufhin, welche Ausschnitte aus dem so differenzierten Feld des Lernens Erwachsener durch sie umrissen wer-den:

Das die Disziplin m.E. immer noch dominierende, aus den 1970er Jahren stammende Common-Sense-Verständnis von Erwachsenenbildung basiert auf der Fokussierung auf ein spezifisches Format von Lernsituationen. Erwachse-nenbildung/Weiterbildung ist nach diesem Verständnis dasjenige Geschehen,

Zur Frage nach den Konturen von Erwachsenenbildung/Weiterbildung 45 in dem das organisierte Lernen in Bildungsveranstaltung vorbereitet und aus-gestaltet wird. Dieses häufig unausgesprochene Grundverständnis prägt bis heute weite Teile der erziehungswissenschaftlichen Analyse: Texte zur Mak-rodidaktik befassen sich mit der Planung, Texte zur MikMak-rodidaktik mit der Durchführung von Bildungsveranstaltungen. Texte zur Professionalisierung der Erwachsenenbildung beziehen sich, sofern nicht dezidiert auf Abweichun-gen hingewiesen wird, auf eine dieser beiden Ebenen erwachsenenpädagogi-schen Handelns. Weiterbildungsorganisationen werden als Anbieter von Bil-dungsveranstaltungen verstanden. Auch Teilnahmestatistiken und Weiterbil-dungsgesetze orientieren sich am Modell des veranstaltungsförmigen Lernens.

Es sprechen m.E. durchaus gute Gründe dafür, den Begriff der Erwachsenen-bildung in dieser Weise auf das Lernen in Bildungsveranstaltungen zu begren-zen. Die Rolle einer in dieser Weise verstandenen Erwachsenenbildung ließe sich darin bestimmen, mit Hilfe von Veranstaltungsangeboten in das vielfältig strukturierte Feld des Lernens Erwachsener so zu intervenieren, dass Lernen qualifiziert, gesteuert und reflektiert stattfinden kann. Mit einer solchen Ein-grenzung auf die Etablierung und Ausgestaltung von Bildungsveranstaltungen bekäme die Erwachsenenbildung eine geklärte Aufgabe und damit auch eine geklärte Wissensbasis. Man müsste aber zugleich anerkennen, dass in ihr le-diglich ein Format des organisierten Lernens Erwachsener neben mehreren an-deren verantwortet wird und dass sie damit auch nicht den Anspruch erheben kann, die einzige Form professionell begleiteten Lernens Erwachsener darzu-stellen. Die Erwachsenenbildung müsste dementsprechend ihre Außenverhält-nisse neu konzipieren und in gezielten Austausch mit anderen, ebenfalls das Feld des Lernens Erwachsener prägenden Akteuren treten, etwa mit den Ge-stalter_innen von Lernstätten (z.B. Mandel 2016), von medialer Wissensver-mittlung (z.B. Wichter/Stenschke 2004) oder von Beratungsangeboten (Gies-eke/Nittel 2016).

Will man dagegen die Grenzen der Erwachsenenbildung weiter stecken und prinzipiell alle Settings des Erwachsenenlernens auch als potentielle For-mate der Erwachsenenbildung in Betracht ziehen – was mittlerweile immer häufiger geschieht –, bedarf es eines anderen, nicht länger settingbezogenen Kriteriums, um Erwachsenenbildung vom Rest des Lernens Erwachsener ab-zugrenzen. Häufig wird an dieser Stelle Organisation als entscheidendes Merk-mal herangezogen. So könnte man hinsichtlich jedes Settings gezielt organi-sierte und beiläufig sich ergebende Lernsituationen voneinander unterschei-den. Lehr-Lern-Situationen können von Bildungsanbietern organisiert werden oder sich im Kontext anderer sozialer Zusammenhänge ergeben. Beratung kann von einer Einrichtung angeboten werden, sie kann aber auch beiläufig aus dem beruflichen oder privaten Alltag heraus entstehen. Lernstätten können eigens als solche arrangiert werden oder es können sich spezifische Orte quasi naturwüchsig mit spezifischen Lernbedeutsamkeiten aufladen.

Bildungsbe-deutsame biographische Übergänge können organisatorisch strukturiert wer-den oder sich krisenhaft unvorhergesehen ereignen. Würwer-den wir Erwachsenen-bildung nach diesem Verständnis tatsächlich als das „organisierte Lernen Er-wachsener“ in seiner ganzen Breite begreifen, so würden auch zahlreiche Or-ganisationen als Anbieter der Erwachsenenbildung in den Blick kommen, die bislang üblicherweise nicht hinzugezählt werden: Nicht nur Museen, Betriebe, Vereine und Beratungsstellen, auch kommerzielle Vermarkter von Vermitt-lungsangeboten wie zum Beispiel Plattformen, die selbst produzierte (Lehr-)Videos der Öffentlichkeit zugänglich machen (z.B. YouTube), müssten zu den Anbietern von Erwachsenenbildung gezählt werden. Die Aufgabe der Erwachsenenbildung würde in einem solchen Verständnis darin bestehen, das Auftreten von Lernsituationen jeder Art in aller Vielfalt möglichst überall er-wartbar zu machen. Ein spezifischer normativer Anspruch des Eingreifens in das Feld würde sich mit einem solchen Verständnis allerdings erübrigen.

Wo die Breite von Formaten des Lernens berücksichtigt, zugleich aber eine pädagogisch begründete Strukturierung des Lernens beansprucht wird, würde dagegen eine Grenze zwischen Erwachsenenbildung und dem alltäglichen Ler-nen Erwachsener entlang der Reichweite einer wertgebundeLer-nen erwachseLer-nen- erwachsenen-pädagogischen Profession gezogen. Unter Erwachsenenbildung würden all diejenigen Ausprägungen des Lernens Erwachsener verstanden, die professio-nell pädagogisch begleitet werden. Diese Spezifikation ist letztlich enger als eine organisationsbezogene, da zwar professionelles pädagogisches Handeln notwendig Organisation voraussetzt, aber die Organisation von Lernsituatio-nen durchaus ohne Anspruch auf pädagogische Professionalität möglich ist.

Entscheidend wäre in diesem professionsbezogenen Verständnis nicht, wel-ches der unterschiedlichen Formate des Lernens etabliert würde. Entscheidend wäre vielmehr, inwiefern die etablierten und begleiteten Settings im Sinne ei-nes normativen Anspruchs der Bildung Erwachsener strukturiert würden. Die Rolle der Erwachsenenbildung im Feld des Lernens Erwachsener bestünde in der gezielten Intervention und in der Reflexion auf Situationen des Lernens Erwachsener im Horizont erwachsenenpädagogischer Ansprüche. Eine solche Spezifikation von Erwachsenenbildung wäre mit der Anrufung einer erwach-senenpädagogischen Profession verbunden, was angesichts der gegenwärtigen Situation der Berufsgruppe der Erwachsenenbilder_innen (vgl. Nittel/Schütz/

Tippelt 2014) nur als kontrafaktischer Entwurf zu denken ist.

Vergleicht man die drei hier exemplarisch diskutierten Bestimmungen von Erwachsenenbildung, so wird deutlich, dass sich die mit ihnen eingegrenzten Ausschnitte aus dem Feld des Lernens Erwachsener erheblich voneinander un-terscheiden. Offensichtlich kann sehr Unterschiedliches gemeint sein, wenn von „Erwachsenenbildung“ die Rede ist. Darüber hinaus erweisen sich alle drei Verständnisse von Erwachsenenbildung hinsichtlich der vorgestellten Matrix des Lernens Erwachsener als problematisch. Das herkömmliche veranstal-tungszentrierte Verständnis ermöglicht zwar eine eindeutige Abgrenzung der

Zur Frage nach den Konturen von Erwachsenenbildung/Weiterbildung 47 Erwachsenenbildung vom übrigen Feld, zieht damit aber die Grenzen so eng, dass es viele der Settings nicht mit einschließt, denen in der Erwachsenenbil-dung eine wachsende Bedeutung zukommt. Das erweiterte, organisations-zentrierte Verständnis ermöglicht zwar eine Erschließung der Vielfalt organi-sierter Lernsituationen, erweitert damit aber die Grenzen weit über den Bereich des pädagogisch verantworteten Lernens hinaus. Ein professionszentriertes Verständnis würde es dagegen ermöglichen, den Anspruch pädagogischer In-terventionen in das Feld flexibel in unterschiedlichsten Formaten zu verfolgen, hätte aber zur Voraussetzung, kontrafaktisch das Vorhandensein einer bedeu-tenden erwachsenenpädagogischen Profession zu unterstellen.

Die hier dargestellte Problematik der Konturierung von Erwachsenenbil-dung wird überhaupt erst klar beschreibbar, wo das Feld des Lernens Erwach-sener nicht bereits tautologisierend in formale und informelle Kontexte, Er-wachsenenbildung und Nicht-ErEr-wachsenenbildung gegliedert, sondern zu-nächst differenzierend in den es strukturierenden Dimensionen erschlossen wird. Erst im Horizont einer solchen begrifflichen Differenzierung wird es möglich, die Spannungsverhältnisse zu beschreiben und damit auch diskutier-bar zu machen, in denen sich eine Modellierung der Bedeutung der Erwachse-nenbildung für das Lernen Erwachsener bewegt. Angesichts der gegenwärti-gen, weitreichenden Entgrenzungs- und Grenzverschiebungsdynamiken scheint mir daher eine kritische Diskussion der Dimensionen dringend gebo-ten, in denen wir das Lernen Erwachsener und die Erwachsenenbildung/Wei-terbildung ausleuchten, um ihre theoretischen Implikationen und praktischen Konsequenzen in den Blick nehmen zu können.

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Transcript.

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Jörg Schwarz, Sabine Schmidt-Lauff

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