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Entwickler*innen

Im Dokument in der Deutschen Gesellschaft für (Seite 94-100)

Um die Repräsentation von Sonderwissen genauer zu untersuchen, wurde die Art, wie Inhalte auf den Webseiten der Firmen kuratiert werden, hinsichtlich der Frage analysiert, welcher modus operandi sich im diskursiven, kommuni-kativen Wissen finden lässt (Nohl 2016). Im Sampling enthalten waren Webs-ites von kommerziellen Apps mit einer hohen Nutzer*innenquote, die den Fremdsprachenerwerb, Gedächtnistraining und themenspezifischen Kenntnis-gewinn versprechen, aber auch Meditations- und Self-Tracking-Apps. Für die Analyse des Umgangs mit Wissen „hinter den Kulissen“ wurden narrative In-terviews (Nohl 2012) mit Entwickler*innen (hauptsächlich von Self-Tracking-Apps) geführt und analysiert, um das implizite Konstruktionswissen zu rekon-struieren.

Diskursiv-kommunikatives Wissen auf den Websites:

Werbung mit wissenschaftlicher Praxis,

Hauswissenschaftler*nnen und der Wissenschaftspraxis mittels der App

Zunächst einmal lässt sich festhalten, dass auf den Websites aller untersuchten Apps auf wissenschaftliches bzw. Expertenwissen verwiesen wird. So bean-sprucht die Sprachlern-App „Memrise“, dass ihre Inhalte von „Linguistik Ex-perten“ (Memrise Startseite) geschaffen wurden, und auch „Babbel“ wirbt mit

„Sprachlernexperten“, die an der Erstellung der Lerninhalte beteiligt waren (Babbel Startseite). Aber auch andere Genres, beispielsweise Gehirn-Jogging-Apps, werben mit ihrer „Wissenschaftliche[n] Basis“ (Memorando Startseite).

Die Firma „Peak“ bezeichnet sich sogar als leidenschaftlich in Bezug auf For-schung bzw. Wissenschaft und kann mit namenhaften Universitäten aufwarten (Abb. 1). Und auch Fitness- und Gesundheits-Apps wie „7 Minutes Workout“

(Abb. 2) oder eine andere App für die Meditationspraxis „7Mind“ (7Mind Startseite) werben mit einer wissenschaftlichen Fundierung.

Abbildung 1: Gehirnjogging-App „Peak“: www.peak.net (abgerufen am 21.01.

2019, Hervorhebungen durch die Autorin).

Abbildung 2: Fitness-App „7 Minute Workout“: www.7minworkoutapp.net/ # about (abgerufen am 21.01.2019 Hervorhebungen durch die Autorin)

Auf den meisten Websites gibt es jedoch noch eine Sonderseite, auf welcher mit Informationen zur „Wissenschaft hinter“ der jeweiligen App geworben und auf diese umfassend Bezug genommen wird. Die dezidierten Aufbereitungen des Sonderwissens enden zumeist darin, zu erklären, wie das Wissen konkret in Funktionen des Programms umgesetzt wurde (bspw. bei Memrise:

www.memrise.com/de/science/). Es lassen sich in vielen Darstellungen auch Anleihen an den Fitnessdiskurs finden, welche die Effektivität des Programms erklären, wobei Effektivität generell eine große Rolle spielt. So zeigt „Peak“

(Gehirnjogging-App) auf der Internetseite ein Gehirn – vermeintlich schlau, da es eine Brille trägt –, welches Hanteltraining absolviert (Abb. 3), um den Trai-ningseffekt zu symbolisieren.

Selbstexpertisierung mittels Software? 95

Abbildung 3: Gehirnjogging-App Peak http://www.peak.net/science (abgerufen am 21.01.2019)

Auch das Sprachprogramm „Babbel“ „trainiert dein Gehirn“: Unter der Über-schrift „Lernen, wie es zu dir passt“, wird erläutert, dass mittels „wissenschaft-licher Methoden“ individuelle Lernvoraussetzungen (hier Lerntypen) einge-friedet werden, so dass es für das Programm keine Rolle spielt, wer es benutzt.1 Zusammenfassen lässt sich, dass auf allen analysierten Websites der Anbie-ter*innen die Bewerbung wissenschaftlicher Praxis und der Nutzbarmachung des Sonderwissens für das Produkt zu finden ist.

Bei genauerer Analyse der Websites hinsichtlich der „Wissenschaft hinter“

den Apps findet man insbesondere bei den Sprachlern- und den Gehirnjogging-Apps Verweise auf eigene Veröffentlichungen, Studien und Wissenschaft-ler*innen − also auf Hauswissenschaftler*innen und Hausstudien – welche sich als ein Rekurrieren auf Wissenschaft und Sonderwissen als soziales und kulturelles Kapital der Firmen lesen lässt. So verweist die Sprachlern-App

„Memrise“ auf ihre namentlich aufgeführten wissenschaftlichen Berater*in-nen, welche als „weltweit führende[…] Forscher“ „helfen schneller zu lernen“

(www.memrise.com/de/science). Die Symbolhaftigkeit des Kapitals zeigt sich auf vielen Websites auch in der Bildsprache: Auf der Webseite „Veröffentli-chungen unserer Mitarbeiter und über unsere Produkte“ der Sprachlern-App

„Duolingo“ wird bspw. mit bunten Mikroskopen und Reagenzgläsern die Wis-senschaftlichkeit illustriert2 (Abb. 4) und Wissenschaftler*innen werden in weißen Kitteln präsentiert (Abb. 5, aber auch http://memorado.de/gci).

1 https://about.babbel.com/de/about-us/: „Babbel trainiert dein Gehirn so, dass du konti-nuierlich und effizient lernst, und spricht alle verschiedenen Lerntypen an. Egal [sic!]

ob du lieber schreibst, liest, sprichst oder hörst – wissenschaftliche Methoden ermögli-chen es dir, neu Gelerntes effektiv aufzunehmen und im Langzeitgedächtnis zu spei-chern.“

2 Die am 24.09.2018 abgerufene Seite existiert nicht mehr. Stattdessen wird unter dem Reiter „Forschung“ über die „duolingo ai“, also über das System der künstlichen Intel-ligenz berichtet; inklusive „Research“, „Publications“ und „Data Sets“, welche man sich herunterladen kann.

Abbildung 4: Sprachlern-App „Duolingo“: „Veröffentlichungen unserer Mitarbei-ter und über unsere Produkte“ (abgerufen am 24.09.2018)

Interessant ist auch, dass auf einigen Seiten der Gehirnjogging-Apps Wissen-schaftler*innen eingeladen werden, mit der Firma zu kooperieren (Abb. 5), wofür sie im Gegenzug u.a. auf die Nutzer*innendaten des Programms zugrei-fen können („Memorando“ verweist auf der oben genannten „gci“-Seite expli-zit auf die „Möglichkeit des Zugangs zu limitierten und anonymisierten Statis-tiken“).

Abbildung 5: Anwerben von Partner*innen auf der Seite von Peak http://www.

peak.net/science (abgerufen am 21.01.2019)

Daten, welche mithilfe der Apps erhoben wurden, werden u.a. kooperierenden Wissenschaftler*innen zur Nutzung angeboten, es werden aber auch eigene

Selbstexpertisierung mittels Software? 97 Studien durchgeführt. So präsentiert die Gehirnjogging-App „Memorando“

eine Studie, welche mit Nutzer*innendaten arbeitet, wobei allerdings nicht ganz klar ist, wer der*die Autor*in ist und wo die Ergebnisse veröffentlicht wurden. Die Analyse soll jedoch „wertvolle Informationen für Arbeitgeber“

(www.memorado.de/gci#our-studies) über die Produktivität ihrer Mitarbeiter bieten und somit unmittelbar ökonomisch verwertbar sein. Auch in der vorin-stallierten iPhone-App „Health“ steht die Erzeugung von Wissen mithilfe der (Datensammlung) der App in Bezug zu Sonderwissen an erster Stelle. Mit den Tools „ResearchKit“ und „CareKit“ können die eigenen Daten u.a. in Studien einfließen oder Symptome und Medikation selbst überwacht werden (Apple Health Webseite). Wichtig ist hier also nicht das Wissen, welches für die Ent-wicklung der App verwendet wird, sondern hauptsächlich, welches Datenwis-sen mithilfe dieser App gewonnen werden kann. Eine Gegenüberstellung von

‚traditionellem‘ wissenschaftlichem Wissen und der Möglichkeit umfassende-rer Wissenserzeugung mithilfe der App setzt sich in der detaillierten Darstel-lung fort.

Analyse der Interviews: Quellen des Sonderwissens, Einfluss multipler Sonderwissensbestände aus anderen Branchen und Schaffung eigenen Sonderwissens über die App

In den Interviews mit Entwickler*innen bezüglich der Konstruktion von Apps berichten jene über verschiedene Quellen des Sonderwissens wie Gespräche mit Praktiker*innen oder veröffentlichte Studien zu den jeweiligen Themen.

Im Interview mit einem Fitness-App-Entwickler ließ sich beispielsweise re-konstruieren, dass Ergebnisse einer Studie der World Health Organisation ge-nutzt wurden, um Zielvorgaben für das Programm zu formulieren (vgl. Tran-skript Sperling3]. Dabei sollen genaue Standards aus dem Sonderwissen abge-leitet bzw. quantifizierte Standards übertragen werden. So auch ein anderer in-terviewter Entwickler:

„Die Standards sind eigentlich aus der aus der Medizin. […] also die Er-kenntnis einfach aus diesem mitgewachsenen Jahrhunderte im Hintergrund daran bedienen wir uns. und das kannst du auch in jeder Fachliteratur ir-gendwo nachlesen von Medizinern ähm und da gibtʼs unglaublich viel In-halte4.“ (Transkript Fink)

3 Die Entwickler*innen wurden für diesen Artikel mit Vogelnamen maskiert.

4 Die Transkriptausschnitte wurden nach den Regeln von TIQ (Talk in Qualitative Social Research) erstellt. Punkte und Kommata sind daher Marker für Intonation und keine

Die Güte der Quellen scheint dabei an einer Art Common Sense über die Stan-dardisierung des Praxisbereiches und der historisch gewachsenen Inhalte ge-messen zu werden. Entwicklungspraktisch werden die Inhalte für die App teil-weise selbstreferenziell kuratiert, indem vorhandene Inhalte nach Beliebtheit bei den Nutzer*innen gefiltert und für die App komprimiert werden.

Im Konstruktionsprozess der Apps werden aber auch Akteur*innen aus der Praxis einbezogen und ihr Sonderwissen abgefragt oder es wird mit ihnen ko-operiert. So musste beispielsweise in der Entwicklung einer anderen Gesund-heits-App, die nicht wie die obere im Freizeit-, sondern Medizinbereich einge-setzt werden sollte, zum einen eine „behutsame“ Kommunikation mit Thera-peut*innen und Ärzt*innen gefunden werden, „dass die einerseits uns ihr Wis-sen zur Verfügung stellen. also und sie auch davon überzeugt sind dass das System das kann“ (Transkript Drossel). Zum anderen musste das Praxiswissen in die Machbarkeit der Technologie übersetzt werden, was dieses Wissen au-tomatisch verändert: „Häufig kommt dann so ne etwas abgewandelte Version raus, weil wir natürlich dann sagen, dass man die ein oder andere Übung nicht unbedingt optimal abbilden kann“ (ebd.).

Ein weiteres Ergebnis der Analyse der narrativen Interviews ist, dass das Sonderwissen der Entwicklungsbranche – der Designer*innen, Informati-ker*innen, Unternehmer*innen – den Prozess und damit den Gegenstand we-sentlich bestimmt. In fast allen Prozessen sind insbesondere Wissensbestände des Designs eingeflossen, wie beispielsweise das anfängliche Ersinnen von Nutzerdummys, „Personas“ oder „user stories“. Dabei werden mögliche Wis-sensbedürfnisse und Probleme konstruiert, die die zu entwickelnde App adres-sieren sollte. Es wird also eine Handlungspraxis imaginiert und diese erdachten Anwendungen auf technische Umsetzbarkeit und Produktionskosten geprüft.

Der Einfluss der Sonderwissensbestände der jeweils beteiligten Branchen geht so weit, dass ein modularisiertes Arbeiten ähnlich der Fließbandarbeit stattfin-det. So wird beispielsweise von Entwicklungsprozessen einer App berichtet, in welchen zuerst die Form der App mit Blindtext gestaltet wurde, bevor die Redaktion Inhalte für diesen Rahmen erstellte. Die Inhalte wurden dann wieder an die Entwickler*innen gegeben, die diese implementierten (vgl. Transkript Fink).

In den Interviews ließ sich ähnlich wie auf den Internetseiten ein großes Vertrauen in die Erzeugung von Wissen mithilfe der Apps finden: Für eine Fitness-App werden beispielsweise Nutzer*innendaten gesammelt, um die Al-gorithmen zu unterfüttern und robuster zu gestalten, welche dann individuel-lere Rückmeldungen durch das System ermöglichen sollen und so eine Art ei-genes Sonderwissen erzeugen (vgl. Transkript Sperling). Teilweise geht das Vertrauen in die Wissenserzeugung mittels der Apps weiter als das Vertrauen in das Wissen der Praxisexpert*innen. In der Entwicklung einer Stress-App

Satzzeichen. Die hier genutzten Ausschnitte wurden tlw. ‚bereinigt‘ („ähm“, „äh“ und Wortwiederholungen wurden gelöscht).

Selbstexpertisierung mittels Software? 99 wird beispielsweise die Verfügung und Sichtbarkeit der eigenen (Gesundheits-)Daten mit emanzipativer Wissenserzeugung in Verbindung gebracht, wäh-rend Ärzt*innen eher nach Gewohnheit als nach wissenschaftlichen Erkennt-nissen arbeiten würden (vgl. Transkript Amsel). Dem datengetriebenen Exper-tensystem wird also mehr vertraut als dem ExperExper-tensystem menschlicher Prak-tiken der Wissenserzeugung.

5 Informelles Lernen mithilfe der

Im Dokument in der Deutschen Gesellschaft für (Seite 94-100)