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Grundzüge der Resonanztheorie nach Hartmut Rosa

Im Dokument in der Deutschen Gesellschaft für (Seite 105-109)

Erlebte Resonanz im Weiterbildungsgeschehen – eine empirische Annäherung

2 Grundzüge der Resonanztheorie nach Hartmut Rosa

Im Folgenden wird die Grundidee der Resonanztheorie nach Hartmut Rosa skizziert. Aufbauend auf den theoretischen Überlegungen wird anschließend das methodische Vorgehen kurz erörtert. Weiterführend sollen die Zwischen-ergebnisse dargestellt und kritisch betrachtet werden.

Der Soziologe Hartmut Rosa entfaltet in Orientierung an philosophischen und psychologischen Theorien die „Grundlagen der Weltbeziehung“, welche er aus der Perspektive der Anthropologie sowie der Sozialtheorie ausbreitet.

Hierauf basierend formuliert er eine Gesellschaftskritik. Rosa leitet Resonanz sozialtheoretisch aus dem gleichnamigen akustisch-physikalischen Vorgang ab, wobei er unter Berücksichtigung der Beschleunigungstendenzen auch me-taphorische Elemente mit einbezieht. In einem heuristischen Konzept der Re-sonanz fasst er die Zeitdimension als ein essentielles soziales und historisches Konstrukt. Vor diesem Hintergrund begreift Rosa die Moderne als eine durch exponentielles Wachstum (siehe zu ‚Postwachstumsökonomie‘ Paech 2012) und Beschleunigungstendenzen gekennzeichnete Zeit, die sich durch einen spezifischen Modus der Reproduktion gesellschaftlicher Struktur und Identität auszeichnet und nicht primär – wie in der Steigerungslogik des Kapitalismus und den Theoriediskursen von Max Weber und Niklas Luhmann – durch Rati-onalisierung und funktionale Differenzierung bestimmt wird (Rosa 2016a:

44ff; vgl. Döbler 2016). Der Kritik des Erziehungswissenschaftlers Micha Brumlik und auch des Jenaer Soziologen Peter Schulz folgend, rekonstruiert Rosa eine Kritik der Resonanzverhältnisse einer (Welt-)Gesellschaft, die sich aufgrund „[…] zunehmender, effektiverer und beschleunigter Kontrolle sowie durch die Unterordnung aller Lebensvollzüge unter die Abstraktionen des Ka-pitalverhältnisses auszeichnen“ (Brumlik 2016: 122; Schulz 2015: 103).1

Folgt man Rosa, bildet der Mensch über die Lebensspanne das Bewusstsein aus, ein Subjekt zu sein, welches mit der Umwelt in eine wechselseitige Be-ziehung tritt. Der Autor spricht dem Menschen nicht nur eine generelle (in ihm

1 Brumliks Kritik an Rosas Resonanztheorie bezieht sich zudem darauf, dass die Reso-nanztheorie nicht das (in der Kritischen Theorie verankerte) immanente Interesse an der Aufhebung des gesellschaftlichen Unrechts in einer „unversöhnlichen“ Art, impliziert (wie es u.a. bei Horkheimer 1937 und Adorno 2003 vorzufinden ist) (Brumlik 2016:

122).

Erlebte Resonanz im Weiterbildungsgeschehen 105 veranlagte) Sehnsucht zu, sondern umschreibt dieses Phänomen als einen Grundmodus des ‚In-der-Welt-Seins‘. Dieses impliziert eine grundsätzliche Plastizitäts- und Flexibilitätsthese, Lernfähigkeit im Sinne eines erfahrungsba-sierten Lernens in (sozialen) Beziehungsgefügen.2

Rosas Begriffsverständnis von Resonanz umfasst eine „[…] durch Affizie-rung und Emotion, intrinsisches Selbstinteresse, [Selbstkonzept] und Selbst-wirksamkeitserwartung gebildete Form der Weltbeziehung, in der sich Subjekt und Welt gegenseitig berühren und zugleich transformieren“ – das heißt, die Welt erscheint „als ein antwortendes, atmendes, tragendes, in manchen Mo-menten sogar wohlwollendes, entgegenkommendes oder ‚gütiges‘‚ Resonanz-system“ (Rosa 2012: 9). Hierbei wird explizit die Antwortbeziehung der Sub-jekte und der Welt ins Zentrum der Betrachtung gerückt und in einem Bezie-hungsmodus im ‚Dreiklang von Leib, Geist und erfahrbarer Welt‘ analysiert.

Folgt man Rosas Verständnis von Resonanz, dann kann dieses als ein Moment der ‚Verflüssigung‘ – im Sinne einer nicht starren oder indifferenten Lage – der beiden Pole ‚Selbst‘ und ‚Welt‘ gedeutet werden, die die ‚Anverwandlung von Weltausschnitten‘ (erst) eröffnet. Jene Resonanzmomente können in ge-sellschaftlichen Sphären erlebt werden – beispielweise im Weiterbildungsge-schehen. Der Einklang von Leib und Seele oder Subjekt und Welt ermöglicht demzufolge einen Resonanzraum.

Hierbei wird Resonanz nicht mit einem hohen Ausmaß an Harmonie oder gar der Widerspruchslosigkeit der Antworten gleichgesetzt, sondern ist viel-mehr als dynamisch-dialektisches Verhältnis von Subjekt und Welt zu verste-hen. So lassen sich Entfremdung und Resonanz nicht als Gegensätze deuten, sondern vielmehr als komplementäre Beziehungsmodi, welche in Bildungs- und Anwandlungsprozessen in ein dialektisches Verhältnis treten (Beljan 2017: 397). Vor diesem Hintergrund kann Bildung als ein dynamischer Pro-zess begriffen werden, welcher sowohl resonante als auch entfremdende Mo-mente implizieren muss (Rosa 2016a: 316):

Resonanz entspricht somit keiner bloßen Echobeziehung, sondern kann als ein antwortender und (gegebenenfalls) transformierender Prozess begriffen werden, wobei er zwischen ‚stummen‘ (das heißt gleichgültigen oder latent feindlichen) und ‚resonanten‘ Weltverhältnissen unterscheidet.

Das Phänomen der ‚Entfremdung‘ tritt nach Rosa für das Subjekt dann ein, wenn es keine Umweltbeziehungen (zu Subjekten und/oder Objekten) herstel-len und ausschließlich auf äußere Bedingtheiten und Anforderungen reagieren kann. Rosa spricht in diesem Zusammenhang von einer

„De-Kontextualisie-2 Dies spricht meines Erachtens für die auf der Verhaltensebene verortete Zuschreibung der Erlernbarkeit und der Kontextabhängigkeit (Kultur, Werte, Normen, Beziehungs-felder); d.h., dass Resonanz nicht ausschließlich als eine gegebene Grundsehnsucht ver-standen werden kann, sondern vielmehr auch als ein wechselseitig prägender und sich ausformender Prozess im sozialen Gefüge.

rung von Erlebnissen“ (Rosa 2014: 341), welche die Integration narrativer Er-lebnisse und das Zueinander-in-Beziehung-setzen sowie einen Selbstbezug verhindert. Er sieht in der Entfremdung die Folge eines Verlusts der „Trans-formation von Erlebnissen in genuine Erfahrung im Sinne Benjamins“ (Rosa 2014: 470).3

Rosas Entfremdungsbegriff lehnt sich dabei dem Begriffsverständnis von Rahel Jaeggi an. Rosa umreißt ‚Entfremdung‘ als einen „Zustand […], in wel-chem Subjekte Ziele verfolgen oder Praktiken ausüben, die ihnen einerseits nicht von anderen Akteuren oder äußeren Faktoren aufgezwungen wurden, […] welche sie aber andererseits nicht ‚wirklich‘ wollen oder unterstützen“

(Rosa 2011: 234; Jaeggi 2005: 63ff.).

Auf dieser Annahme aufbauend deutet Rosa den Zustand der Entfremdung als eine Form oder Beziehung der Beziehungslosigkeit, eine Entkoppelung des Subjekts von seiner Umwelt. Entfremdung kann demzufolge als ein Verstum-men der Resonanz zwischen Mensch und Welt verstanden werden. MoVerstum-mente der Entfremdung stellen jedoch „[…] nur dann [eine] kritikwürdige Störung in den Weltbeziehungen dar, wo jene als Resonanzsphären konzipierten Weltbe-reiche Anwandlungsprozesse systematisch und dauerhaft verhindern, abweh-ren oder sich ihnen widersetzen“ (Beljan 2017: 157). Vor dem Hintergrund von Bildungsprozessen bilden Phasen der angenommenen sowie bejahten Ent-fremdung ein konstitutives Übergangsstadium: Durch das Heraustreten des Subjekts aus seinen gewohnten Weltverhältnissen, durch Entfremdungserfah-rungen können sich Selbst und Welt einander anverwandelnd und durch Aus-bildung neuer Resonanzverhältnisse in eine neue Beziehung eintreten (Beljan 2017: 157). Nach Rosas Auffassung bildet Entfremdung die Voraussetzung für eine transformierende Anverwandlung von Selbst und Welt sowie für die Etab-lierung stabiler Resonanzachsen (Rosa 2016a: 323).

Die Dialektik von zuvor geschilderter ‚Resonanz‘ und ‚Entfremdung‘ wird in der Entfaltung von Rosas Resonanzverständnis auf mehrdimensionale Weise ersichtlich: Der Resonanztheoretiker setzt die unterschiedlichen Dimen-sionen, welche den Beschleunigungstendenzen ausgesetzt sind, in Verbindung und skizziert die Formen der Entfremdung. Hierbei ersetzt Entfremdung das eigene Handeln; an die Stelle der Produkte tritt die ‚Dingwelt‘ und anstelle der Entfremdung von der Natur tritt die Entfremdung von den zwei Dimensionen Raum und Zeit. Die Dimension der sozialen Beziehungen und der Selbstbezug bilden in Rosas Konzept eine geschlossene Dimension.

3 Die zunehmende Fragmentierung von Zeitstrukturen verursacht durch technische Be-schleunigung, Beschleunigung des sozialen Wandels sowie des Lebenstempos können in der Konsequenz dazu führen, dass die Subjektivität als Ganze zunehmend krisenhaft wird. Folglich kann die Stabilität der Identität unter Umständen nicht (ausreichend) her-gestellt werden, so dass sich eine „transitorische“, „situativ[e]“ (Rosa 2014: 362ff.) Identität entwickelt, die als reine Wandlungsfähigkeit und nicht als die kohärente Ver-knüpfung „narrativer Muster“ (Rosa 2014: 35) angesehen wird.

Erlebte Resonanz im Weiterbildungsgeschehen 107 Aus Sicht des Autors stellt eine auf sozio-historische Kontingenz und kul-turelle Prägung gerichtete, gelungene Lebensform ein „dialektisches Wechsel-verhältnis zwischen Entfremdungs- und Resonanzmomenten der Weltbezie-hung [dar]“ (Rosa 2016a: 298), wobei Rosa bezüglich des Spannungsfelds bzw. der ‚Balance‘ beider Momente nur vage Argumentationen anführt.

3 Erlebte Resonanz im Weiterbildungsgeschehen – eine empirische Annäherung

Das zuvor erläuterte Beschleunigungsphänomen wurde vor dem Hintergrund erlebter Resonanz und Entfremdung im Weiterbildungsgeschehen4 aus Teil-nehmendensicht untersucht.

Die zentrale Fragestellung der Untersuchung lautet: Welche Resonanz- und Entfremdungspotenziale lassen sich im Weiterbildungsgeschehen identifizie-ren?

Ziel der Untersuchung ist die Identifikation von Resonanz- und Entfrem-dungspotenzialen im Weiterbildungsgeschehen in einer Kontrastierung von zwei Weiterbildungsanbietern aus dem Bereich der betrieblichen Weiterbil-dung und der konfessionellen ErwachsenenbilWeiterbil-dung. Die Analyse für die Er-wachsenenbildungspraxis zielt u.a. auf folgende Aspekte:

 Reflexion bzw. Bewusstwerdung von Resonanzerfahrungen im Weiterbil-dungsgeschehen,

 Reflexion bzw. Bewusstwerdung von Widersprüchen und Entfremdung, Identifikation von kollektiven Erfahrungsräumen/-momenten,

 Identifikation und Bildung von „Relationalen Resonanzstrategien“ (RRS) zur Gestaltung von resonanzfördernden Erwachsenenbildungsangeboten.

Hierzu wurden leitfadengestützten Interviews (N = 20) mit Teilnehmenden ei-nes konfessionellen Erwachsenenbildungsanbieters und mit Teilnehmenden eines betrieblichen Weiterbildungsanbieters (Global Player) im Anschluss an die jeweiligen Bildungsveranstaltungen durchgeführt.

In einer konstatierenden Analyse wurden die Untersuchungsergebnisse ge-genübergestellt. Es wurden strukturierte, leitfadengestützte Interviews mit Teilnehmenden aus verschiedenen Veranstaltungen der beiden Anbieter durchgeführt.

4 Es wurden das Erleben, die Wahrnehmung und Performanz von resonanten und ent-fremdeten Momenten im Weiterbildungs- bzw. Kursgeschehen aus Teilnehmenden-sicht unter BerückTeilnehmenden-sichtigung unterschiedlicher resonanztheoretischer Dimensionen un-tersucht.

Der Leitfaden ist, neben einem einleitenden und einem abschließenden of-fenen Frageteil, in drei übergeordnete Themenblöcke unterteilt: 1. Soziale Be-schleunigung, 2. Resonanz und 3. Entfremdung. Die Kategorien Resonanz und Entfremdung implizieren jeweils die Aspekte einer a) „stofflichen Dimen-sion“, einer b) „performanten, interaktionalen und didaktischen Dimension“

und einer c) „leiblichen/körperlichen Dimension“ im Weiterbildungsgesche-hen.

Die Auswahl von zwei sehr unterschiedlichen Bildungsanbietern und eine damit vermutlich verbundene bzw. unterstellte konträre Intention der Anbieter (Ökonomisierungsgedanken und Instrumentalisierung von Bildung vs. altruis-tische Motive, Bildung vornehmlich zur Persönlichkeitsentwicklung) sowie deren Sicht auf Erwachsenenbildung/Weiterbildung sollen der Kontrastierung der Ergebnisse dienen. Hierzu wurden überwiegend persönlichkeitsfördernde Bildungsangebote in die Untersuchung einbezogen.

Die Auswertung der qualitativen Interviewbefragung erfolgte nach der Grounded Theory (Strauss/Corbin 1996: 148).5 Die methodologischen Analy-seschritte orientierten sich an den Vorgaben des offenen und axialen Kodier-vorgangs und dienten in einem zweiten Schritt der Bildung von Kodier-Fami-lien bzw. sogenannten „Strategien-FamiKodier-Fami-lien“ nach Glaser (Glaser in Mey/

Mruck 2007) und somit der Herausbildung der Relationalen Resonanzstrate-gien.6

Exemplarisch werden im Folgenden erste Zwischenergebnisse der qualita-tiven Analyse vorgestellt am Beispiel der Herausbildung von Relationalen Re-sonanzstrategien im Umgang mit Beschleunigung und Digitalisierung sowie den Relationalen Resonanzstrategien im Umgang mit Leiblichkeit.

Im Dokument in der Deutschen Gesellschaft für (Seite 105-109)