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10. Der Narr in der Literatur der Neuzeit

10.3 Shakespeare

10.3.5 The Tempest

Shakespeares The Tempest entsteht um 1610/11 und wurde erstmals in der Folioausgabe von 1623 veröffentlicht. Die Uraufführung erfolgte bereits am 01. November 1611 in höfischem Rahmen, wobei sich Shakespeare durch die »[…] Strandung des Flaggschiffes der Virginiaflotte mit Sir Thomas Gates […]«1237 inspirieren lässt. Zudem ist Lebensgeschichte eines gestürzten Fürsten, der mittels Magie, seinen politische Macht wiederlangt, durch eine Volkssage belegt. Daneben weist Gonzalos stoische Utopie1238 eines idealtypischen Gesellschaftsstaates auf Michel de Montaignes Essay Of the Canibal-les (1603) als Quelle hin.1239 Aus formaler Perspektive besteht die Lektüre aus fünf Akten mit Epilog.

Besonders akribisch ausgeführt erscheinen die Bühnenanweisungen, auf die Herbert R. Coursen näher eingeht:

The stage directions are unusually complete, even 'literary', meaning that modifications like 'tempestuous' and 'quaint' see more appropriate for a reader than for a stagehand. It may be that John Heminge and Henry Condell, who compiled the First Folio, decided that the play, which was popular and had never been published, should lead of their massive volume, and that the text should be especially prepared for a printed format.1240

Die Handlung kreist um den Titelhelden Prospero, der, ehemals der Herzog von Mailand, durch ei-nen Staatstreich seines Bruders Antonio seine Macht verliert und zusammen mit seiner Tochter Mi-randa auf einer paradiesischen Insel eine Rettung zum Überleben findet. Dank der Hilfe des alten Gonzalo bleibt er im Besitz seiner Bücher, die ihm Zugang zu den verschiedenen Wissenschaften und Künsten ermöglichen. Aus dem Wissen jener Bücher erschließt der Staatsmann seine Zauberkräfte, die ihn schließlich zum Herrscher der Insel und über deren Lebewesen erheben. Das Leben auf der Insel ist nämlich von Grund auf völlig durch Zauberei durchdrungen, wie Lea Gerschwitz bemerkt:

Die dramatischen Vorgänge und Personen in Shakespeares The Tempest mögen für uns auf märchenhafte Weise magisch wirken: Ein Zauberer beschwört einen gewaltigen Sturm herauf, der seine Feinde kentern lässt. Sein Die-ner, ein Luftgeist, unterstützt ihn dabei tatkräftig und sorgt anschließend auf Wunsch seines Meisters dafür, dass die Schiffbrüchigen – unversehrt! – zu ihm auf die Insel gelangen. Mit einem Lied lockt das Geschöpf auf wundersame Weise einen der Gestrandeten an. Schließlich taucht ein Monster auf, das als Sohn einer Hexe, die einst über die In-sel herrschte, sein rechtmäßiges Erbe einfordert und von seinem Bezwinger und dessen magischen Kräften daran gehindert wird. Für die Zeitgenossen des elisabethanischen Zeitalters entstammten diese Gestalten keineswegs dem Fabelreich. Magie und Hexerei waren für sie Teil der Alltagsrealität.1241

Hierbei hat Shakespeare zwei Kategorien von Zauberkunst im Sinn, die schwarze sowie die weiße Magie. Das elisabethanische Zeitalter hinterfragt beide Zauberformen und hegt tiefe Zweifel gegen-über der Teufels- bzw. Engelskunst. Welcher Magie sich Prospero bemächtigt, ist nicht eindeutig zu

1236 Vgl. ibd., S. 433.

1237 Ibd., S. 473.

1238 Harold Bloom skizziert Gonzalos Utopievorstellung, die sich an Michel de Montaignes Gedankengut anlehnt. Gon-zalo überlegt, »whether a 'natural society' was possible; that is, a society that lived in harmony with nature, as social animals do up to a point, and had much less, if any, need of the cultural envelope of religion, law, morality and edu-cation.« (Bloom 2011, S. 34). Zum Utopiebegiff in Shakespeares The Tempest siehe Peterson 1992, S. 139-145.

1239 Schabert 2009, S. 473f.

1240 Coursen 2000, S. 1. Er gibt einen vollständigen Überblick über die Editionsgeschichte dieses Werks (vgl. S. 1-6).

1241 Gerschwitz 2010, S. 41.

klären; die äußeren Insignien seiner Zauberei sind jedoch Buch, Zaubermantel und Stab, mit deren Unterstützung er Macht über die Inselbewohner wie Caliban, Ariel, die Sylphen und andere Geister ausübt. Für Gerschwitz ist der Aspekt der Magie der relevante Zugang zum Text und sie deklariert die Zauberei Prosperos als dessen Läuterungsweg, der ihn am Ende der Handlung seine Macht über jene Zauberkünste niederlegen lässt.1242 Coursen stimmt dem dramaturgischen Stellenwert des Magieto-pos zu, sieht darin aber nur einen unter vielen Verständnisansätzen: »One reason why the Tempest is so elusive is that magic is at the centre of its imaginative structure.«1243 Katrin Trüstedt nähert sich den Gedanken von Gerschwitz ebenfalls an:

Noch vor dem eigentlichen Akt der Vergebung findet die Aufgabe der Magie statt. […] Im Verzicht auf seine Macht und seine Magie, durch diese vermeintliche comic solution, scheint nämlich noch einmal die Tragik der Vorge-schichte auf. So hat Prospero durch den Verzicht auf politische Macht und die Entscheidung zu seinen magisch-künstlerischen Studien die ganze Tragödie hervorgerufen, die er jetzt beenden muss. Der Rückzug von der politi-schen Macht führte nicht, wie wir gesehen haben, zum Machtverzicht, sondern zu einer Verschiebung der Macht hin zu einer magischen, […] die es ihm nun ermöglicht, die Gegner seiner Vorgeschichte in einem inszenierten Schiff-bruch auf der Insel stranden und ihm ausgeliefert sein zu lassen.1244

In einem theatralen Spektakel beschwört Prospero seinen Sturm und lässt die Gestrandeten von Luftgeist Ariel auf unterschiedlichen Gegenden der Insel aussetzen. Damit generiert Shakespeare die dramaturgische Rahmenbedingung für den weiteren Verlauf der Handlung, in dem die dramatis personae, die zunächst aus drei Gruppierungen bestehen, nacheinander aufeinandertreffen: Gruppe a) konstituiert sich aus Prospero und Miranda; Gruppe b) umfasst die originären Inselbewohner Caliban, Ariel und sämtliche Geister, Sylphen etc.; während Gruppe c) sich aus dem gesamten Hof-staat rekrutiert, dem Trinculo, der Hofnarr König Alonsos, angehört. In einzelnen Handlungssträn-gen treffen die Mitglieder aus den jeweiliHandlungssträn-gen Gruppen aufeinander und knüpfen im Verlauf des Tex-tes neue Gemeinschaften, die am Ende der Lektüre in einem neuen Verbund münden. Zunächst kommt es jedoch zu personellen Verschränkungen und Machtverschiebungen innerhalb der Aus-gangskonstellationen: Prosperos Plan, Miranda und Ferdinand als Liebespaar zusammenzuführen gelingt; gleichzeitig muss er jedoch den schmerzlichen Verlust hinnehmen, seine Tochter an Ferdi-nand und dessen Welt, in der beide als zukünftiges Königspaar ihren Platz einnehmen werden, zu verlieren. Die Inselbewohner erlangen am Ende ihre Autonomie wieder, während Prospero seine politische Funktion als Herzog von Mailand ebenso zurückgewinnt. Zuvorderst versucht Antonio aber Sebastian zum Brudermord zu überreden, um damit seine eigene Verfügungsgewalt auszudeh-nen. Somit scheinen sich die Geschehnisse der Vergangenheit in der Gegenwart zu wiederholen; sie haben ursprünglich dazu geführt, dass Antonio, seinen Bruder Prospero entmachten konnte. Doch der Plan Antonios und der damit verbundene Putsch gegen König Alonso schlagen fehl.

Kontrastiert wird dieser ernste Handlungsstrang, in dem das seriöse Personal die machtpoliti-schen Fronten klärt, durch das Buffopersonal Trinculo, Stephano und Caliban, jener komimachtpoliti-schen Nar-rengruppierung, die ebenfalls versucht, Macht zu erlangen. Dass hinter diesem Unterfangen jedoch keine ernste Absicht steht, entlarvt diese deutlich als Buffocharaktere. Coursen sieht wie viele andere Autoren1245 in diesen Figuren die verborgene Kritik Shakespeares am Kolonialismus verwirklicht:

1242 Vgl. ibd., S. 42.

1243 Coursen 2000, S. 18.

1244 Trüstedt 2011, S.206f.

1245 So zum Beispiel Hans Rothe (1961), David John Palmer (1968), Walter Naumann (1978), Maurice Hunt (1992), Anja Müller (1999), Trevor R. Griffiths (2007), Katrin Trüstedt (2011), Brinda Charry (2013).

»The Tempest is seen as the epitome of Shakespeare's poetic genius and a text complicit in England's evil colonizing.«1246 »The colonialist approach is sometimes strident, occasionally compelling, and often silly. Shakespeare exposes colonialism at its worst in Trinculo's and Stephano's exploitative and imperialist assumptions.«1247 Wirklich gefährlich werden Trinculos, Stephanos und Calibans imperia-listische Sehnsüchte Prospero und dem Hofstaat allerdings nicht.1248 Da Trinculo als Hofnarrenfigur von besonderer Bedeutung für die vorliegende Arbeit ist, soll seine Rolle näher beleuchtet werden.

Insgesamt werden ihm vier Auftritte zugewiesen, in denen er sein Narrenspektrum unter Beweis stellen kann.1249

Im zweiten Akt (Szene 2) beschreibt der allein umherziehende Trinkulo monologisierend und verängstigt die Szenerie der Insellandschaft und begegnet Caliban, dessen phänotypisches Wesen ihn an ein grauenerregendes Monster erinnert. Da der Sturm mit seinen Begleiterscheinungen von Re-gen, Blitz und Donner droht, sich abermals zu erheben, beschließt er kurzerhand, sich unter dem Monstrum Caliban zu verstecken. Letzterer befürchtet seinerseits in Trinculo einen Geist Prosperos auszumachen, der ihm Pein zuführen könnte. Coursen charakterisiert diese Szene als Parodie auf den vorangegangenen Handlungsstrang, in dem Ferdinand auf Miranda trifft.1250 Hans Rothe be-schreibt die Auftritte von Trinculo und Stephano aus literaturwissenschaftlicher Perspektive mit dem allgemein etablierten Terminus der Shakespeareschen Rüpelszenen, da deren Inhalte durch dessen Humorverständnis »[…] zerdehnt und zerwühlt werden, weil das Publikum immer noch weiter dar-über lacht.«1251 Aufgelöst wird Trinculos lähmende Unsicherheit durch Stephano, der gutgelaunt und fröhlich singend, mit einer Flasche Wein sichtbar angetrunken auf Trinculo und Caliban zusteuert.

Trinculo gibt sich dem Kellermeister und Freund zu erkennen und sie begießen die Wiedersehens-freude mit Wein. Daraufhin sprechen sie Caliban an und flößen ihm ebenfalls jenes Genussmittel ein.

Im Verlauf des Trinkgelages gibt sich Stephano als Herrscher über den Mond aus, wodurch Cali-ban in Erinnerung an die verstorbene Mutter und Hexe Sycorax, Stephano zu seinem neuen Gott erhebt, während sich Trinculo in traditioneller Narrenmanier darüber lustig macht. Für Naumann reflektieren Trinculo, Stephano und Caliban »[…] die Unterklasse der zivilisierten Gesellschaft […]«1252, die einen gemeinsamen Wertebestand aufweist:

Diese Gruppe von Dreien, die sich in ihrer Geisterart entsprechen und sich zusammenfinden, illustriert das Unter-menschliche, wie es von Natur aus besteht und wie die Gesellschaft es hervorbringt, in vollkommenen Einklang. Mit einem Humor, der auf der Oberfläche grobe Scherze und Rüpelszenen zeigt, der aber ständig einen grimmigen Un-terton von Hohn und Verachtung des Dichters verrät, wird diese Gruppe vorgeführt. Ihr geistiges Element, das sie zusammenhält und leitet, ist der Wein.1253

1246 Coursen 2000, S. 6.

1247 Ibd., S. 121.

1248 Anja Müller geht in ihrer Dissertationsschrift auf die These ein, The Tempest als imperialistisches Kolonialstück zu betrachten ein und resümiert: »Der überaus große Komplex an Sekundärliteratur zum Aussagehalt von The Tem-pest reicht von einem Extrem zum anderen: von der völligen Verleugnung einer Verbindung zum Thema bis zur Auffassung, der Kolonialismus sei das Hauptthema des Stücks.« (Müller 1999, S. 127). (So ist beispielsweise ein kri-tischer Aspekt Calibans Namensgebung verweise in direkter Linie auf Montaignes Cannibal. Zum Für und Wider der Kolonialinterpretation siehe ibd., S. 126-137).

1249 Siehe Shakespeare 1964.

1250 Coursen 2000, S. 53.

1251 Rothe 1961, S. 348.

1252 Naumann 1978, S. 536.

1253 Ibd., S. 537.

Naumanns Aussage konstatiert Faith Nostbakken anhand einer sprachwissenschaftlichen Analyse und kommt zu folgendem Resultat:

By contrast, the social inferiors, who also provide some oft the play's humor, Stephano and Trinculo, speak always in prose. This simple linguistic distinction marks the stature of the characters and differentiates the serious from the comic elements throughout the play.1254

Durch die Wiedervereinigung mit Stephano hat Trinculo zu seiner traditionellen Narrenrolle zurück-gefunden, die ihn im dritten Akt (Szene 2) zum verlachten und gedemütigten Opfer werden lässt:

Caliban berichtet von Prospero als ungerechtem Tyrann, der ihn gefangen hält und überrumpelt Stephano, diesen für ihn zu töten. Im Gegenzug soll Stephano dafür neuer Inselherrscher und Ge-mahl von Miranda werden, Trinculo als Vizekönig sein Glück versuchen und Caliban endlich wieder seine Freiheit genießen können. Dass dahinter eine kaum durchdachte und beharrliche Ernsthaf-tigkeit seitens Stephano und Trinculo steckt, zeigt der steigende Alkoholkonsum, der die Szene ins Lächerliche überführt. Daneben spielt Ariel, der die drei Dienerfiguren unsichtbar belauscht, ein heiteres Narrenspiel mit Trinculo: Er unterbricht ständig Stephanos und Calibans Dialog über den Racheplan an Prospero und erweckt den Eindruck, als kämen die störenden Worte von Trinculo.

Nach mehrmaligem Mahnen von Stephano, reißt Letzterem schließlich der Geduldsfaden und Trinculo bezieht eine Tracht Prügel. Dies führt zu einem destabilisierenden Ungleichwicht zwischen den Gefährten, was wiederum Caliban ausnutzt. Er manipuliert die Szene, um Stephanos Gunst zu erhalten, worauf der eifersüchtige Trinculo ebenfalls daran interessiert ist, sich Stephanos Loyalität zu bewahren. Immer wieder macht er sich über Caliban lustig und seine Komik kulminiert in zyni-scher Verachtung für das Inselmonster. Hinter Trinculos spezifischem Humor kommt somit das Komikverständnisses des 17. Jahrhunderts zum Vorschein, welches sich allzu gerne gegen alles De-formierte wendet. Das Lachen Trinculos basiert daher auf Ekel, Abscheu und Furcht vor Caliban.

Als Narrenfigur erfüllt Trinculo damit seine traditionelle Funktion, nämlich seinem neuen Herren Stephano zu gefallen, da er davon ausgeht, dass sein alter Herr (König Alonso), bei dem Sturm ums Leben gekommen ist. Seine Narrenidentität als Hofnarr ist für ihn ein vertrauter Zufluchtsort, den er aufsucht, um sein Unbehagen über die Gefahren der Insel besser bewältigen zu können. Getrieben von Existenzangst, ersäuft er seine panische Verzweiflung im Alkohol und sucht Aufmunterung im Lachen über sich und andere. Auf dieser Folie erblickt Manfred Lurker in der Figurenzeichnung Trinculos und Stephanos jene ironische Ebene, in der das Motiv der paradiesischen Insel, die von zivilisatorischen Problemen wie Rebellion, Gewalt, Aufruhr und Unterdrückung beherrscht wird, auf einer komödiantischen Metaebene gebrochen wird.1255

Im vierten Akt (Szene 5) stoßen Caliban, Stephano und Trinculo auf Prospero, der sie bereits durch die Nachricht Ariels erwartet. Das Misstrauen des Trios untereinander hat sich ausgebreitet, da Caliban die Weinflasche im Sumpf verloren hat und sie sich langsam mit einer ernüchternden Realität auseinandersetzen müssen. Während Trinculo und Stephano verärgert über Caliban sind, zweifelt dieser mittlerweile an Stephanos Behauptung, ein machtvoller und kriegerischer Feldherr zu sein. Da entdeckt Trinculo Prosperos königliche Garderobe und sie beschließen, diese zu stehlen.

Nun vollzieht sich Prosperos Plan, die drei auf der Insel in die Irre zu führen: In Hundegestalten erscheinen die Geister der Insel und beginnen in einer Hetzjagd, das Dreiergespann zu verfolgen. In

1254 Nostbakken 1964, S. 10f.

1255 Vgl. Lurker 1991, S. 673f.

panischer Sorge um ihr Leben rennen Trinculo, Stephano und Caliban davon und schlagen getrennte Fluchtwege ein.

Im fünften Akt (Szene 6) treibt Ariel das Narrentrio wieder zusammen und Prospero führt sie A-lonso vor, wobei er den Diebstahl seiner Kleidung beklagt. Stephano und Trinculo, die wieder im Besitz der vermissten Weinflasche sind, scheinen schon wieder betrunken und torkeln umher. Als sie Alonso erblicken, bricht das Bündnis und Trinculo kehrt zu seinem ursprünglichen Herrscher zu-rück. Den beiden wird verziehen und sie fügen sich wieder in ihren hierarchischen Status innerhalb des Hofstaates ein.

Ein wesentlicher Aspekt wurde bisher noch nicht erwähnt und zwar die Musik: Während Trinculo, Stephano und Caliban die Machtübernahme der Insel planen, fordert Stephano Trinculo auf, mit ihm ein Lied zu trällern. Caliban kritisiert den schlechten Gesang der beiden und Ariel lässt gleichsam zur musikalischen Orientierung und völligen Verunsicherung der beiden Hofbediensteten, eine Liedmelodie mit Hilfe einer Trommel und Flöte erklingen. Trinculo ist zutiefst verängstigt und vermutet Teufelswerk. Caliban beruhigt sie jedoch und klärt sie darüber auf, dass ein wesentliches Element der Insel Musik sei, die stets überall erklingt und zugleich Machtinstrument Prosperos ist.1256 Ariel nutzt die Macht der Töne, da ihm die Musik wesenseigen ist. Somit besitzt dieses Sujet in der Lektüre einen exponierten Stellenwert und es lässt sich geradezu von einer musikalischen Struk-tur des Textes sprechen, die zur Vertonung einlädt. Wolfgang Clemen untermauert dies:

Für manche Shakespeareschen Charaktere scheint Musik und das Singen der eigentliche Ausdruck ihres Wesens zu sein. Schon von den Elfen im ›Sommernachtstraum‹ kann man behaupten, dass das Singen zu ihrer zweiten Natur gehört. Von Ariel im ›Sturm‹ muss man sagen, dass das Singen die ihm gemässe Form der Selbstdarstellung ist.

›Ariel ist Gesang‹, hat der englische Dichter W. H. Auden geschrieben. Ariels Lieder gehören dem oberen Bereich des musikalischen Kosmos an, der im ›Sturm‹ seine dramatische Gestaltung gefunden hat. Auf der untersten Spros-se dieSpros-ser musikalischen Stufenleiter bewegen sich die gegrölten Sauflieder des Stephano und des Trinculo; und so geht es hinauf bis zu den überirdischen Klängen, die wie aus einer jenseitigen Welt sich vernehmen lassen. […] Die symbolische Funktion der Musik lässt sich an keinem Drama so gut zeigen wie am ›Sturm‹. Dahinter stehen aller-dings ganz bestimmte Anschauungen Shakespeares über das ordnungsstiftende, harmonisierende Prinzip von Mu-sik, die uns eine Ahnung und ein Abbild über natürliche Ordnungen und Kräfte vermitteln mag.1257

Des Weiteren wird die musikalische Disposition des Schauspiels in der Aufführung der Masque evi-dent, die anlässlich des Festmahls zu Ehren der Liebe von Ferdinand und Miranda aufgeführt wird.

Diese Theaterform gilt als Vorläufer der englischen Barockoper und fungiert hier, als Theater auf dem Theater, in der ein mythologischer Topos mittels Wort, Musik, Gesang, Tanz und Pantomime dargestellt wird. Brinda Charry artikuliert über das höfische Maskenspiel, das Prospero veranstalten lässt:

One of the most unusual features of The Tempest is the inclusion of a masque in the play. […] A few critics have even claimed that the entire play is a type of extended masque, though the five-act structure and complex plot make this argument rather difficult to sustain. […] The masque is a spectacular mixture of this kind stylized poetry, music, lav-ish costumes and dances that must have delighted most Renaissance theatregoers. […] The goddesses are carefully chosen – Iris, the messenger goddess, whose symbol for rainbow, Ceres, the goddess of agriculture and Juno, the queen of the gods and the goddess of light, represent the union of air, earth and fire. The entire cosmos blesses the young couple in unison. […] The language of landscape in the masque is also iconic that it evokes the moral land-scape of the play. The relationship being celebrated here will be happy, but marked by goodness and moderation. Af-ter all, the masque was preceded by Prospero repeating to his future son-in-law the dire consequences of […] con-templaining sexual relations before marriage. […] This masque also gives the reader occasion to ponder both

1256 Siehe Cutts 1968, S. 201f.

1257 Clemen 1966 (zitiert nach Auer 2006, S. 49f. und S. 52).

cal power and the power of theatre. The opulent Jacobean masque also had a very clear purpose: it was a display of royal power even as it served to further that same power.1258

Wenn Prospero sich also nach Trüstedt für die »[…] Wiedererlangung und - einsetzung der früheren politischen Macht entscheidet, so liegt es nahe, den Verzicht auf seine Magie als eine Art als ›Super-Coup‹ zu betrachten. Damit wäre es Prospero selbst, der die Komödie erzwingt.«1259 Mit dieser Äuße-rung greift Trüstedt die Problematik der Gattungszuordnung auf: Ist das Drama eine Tragödie oder eine Komödie? Lurker bezeichnet es sogar als Mysterienspiel, da hinter dem märchenhaften Stoff ein geheimer Sinn liegt, den es zu entschlüsseln gilt.1260 In lexikalischen Einträgen liest man oft auch die Bezeichnung tiefsinniges Märchendrama1261; eine eindeutige literarische Verortung scheint hingegen Schabert zu geben: Sie ordnet das Stück den »Romanzen« zu, die das Spätwerk Shakespeares mar-kieren und gibt einen Katalog an distinkten Merkmalen an, die spezifisch für diese Werkgruppe sind:

Neben einer episodischen Handlungsstruktur, die sich durch Märchenmotive kennzeichnet, verweist Schabert auf Ereignisse mit wunderbarem Duktus, einer ausgeprägten Theatralik und komplizierten Familienverhältnissen, »[…] die in zum Teil inflationären Erkennungszeichen gelöst werden.« 1262 In Anlehnung an Schäferdichtungen und Märchen sind die Figurenzeichnungen in der Regel typisierend und nicht psychologisch. Die dramatis personae erleben meist lebensbedrohliche Situationen und finden Erlösung in utopischen Handlungsmustern. Weitere Kennzeichnen sind die Verwendung irrationaler Topoi wie Magie, Spektakel, Deus-ex-machina-Auftritte, unglaubliche Zufälle, göttliche Interventionen, sensationelle Erkennungsmotive, glückliche Versöhnungen und happy endings.1263

Neben einer episodischen Handlungsstruktur, die sich durch Märchenmotive kennzeichnet, verweist Schabert auf Ereignisse mit wunderbarem Duktus, einer ausgeprägten Theatralik und komplizierten Familienverhältnissen, »[…] die in zum Teil inflationären Erkennungszeichen gelöst werden.« 1262 In Anlehnung an Schäferdichtungen und Märchen sind die Figurenzeichnungen in der Regel typisierend und nicht psychologisch. Die dramatis personae erleben meist lebensbedrohliche Situationen und finden Erlösung in utopischen Handlungsmustern. Weitere Kennzeichnen sind die Verwendung irrationaler Topoi wie Magie, Spektakel, Deus-ex-machina-Auftritte, unglaubliche Zufälle, göttliche Interventionen, sensationelle Erkennungsmotive, glückliche Versöhnungen und happy endings.1263