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7. Zur Symbolik des Hofnarrenwesens

7.3 Die Hofnarrentracht

7.3.6 Narrenkappe

Das letzte charakteristische Torheitssymbol der Narrentracht ist die Narrenkappe. Ursprünglich aus dem Barett – einer flachen Kopfbedeckung aus Stoff, Samt oder Seide mit einer Krempe – hervorge-gangen, bildet jene aus typologischer Sicht ein negatives Pendant zur Königskrone und steht in ästhe-tischer Verwandtschaft mit mittelalterlichen Ketzer- und Schandhauben. Im 13. und 14. Jahrhundert trägt man diese Kopfbedeckung, weshalb das Barett bereits im 15. Jahrhundert aus der Mode kommt.731 Es liegt also nahe, dass auch die Narrenikonographie sich dieses Kleidungsstück aneignet.

Zu Beginn des 13. Jahrhunderts ist der Narr in Illustrationen noch barhäuptig, dafür aber mit wirrem Haar gezeichnet. Im 14. Jahrhundert beginnt sich dieses Bild sukzessive zu wandeln. Die Kopfbede-ckung des Insipiens zeigt nun die Form einer Gugel: Darunter versteht man eine am Kinn zuknöpf-bare Kapuze, die entweder mit dem Mantel fest vernäht oder zumindest in einen pellerinenartigen Schulterumhang mündet. Die Gugel findet sich oft in mittelalterlichen Standestrachten, vor allem bei männlichen Ordenskutten. Dass die Narrengugel jedoch eine eigene Formensprache besitzt

726 Quinten Massys 1510 entstandenes Bild Allegorie der Narrheit liefert einen detailreichen Gesamtüberblick über das Repertoire an Narrenkennzeichen. Über das Œuvre des flämischen Malers berichtet Roosen-Runge, Heinz: Die Ge-staltung der Farbe bei Quentin Metsys. München 1940.

727 Mezger 1991, S. 297.

728 Diese sind Michael, Raphael, Gabriel und Uriel: Jene stehen in der Hierarchie über den einfachen Engeln. Zudem stellt die Ikonographie Michael eine Lanze; Raphael eine Büchse mit Medizin, Gabriel einen Spiegel und Uriel, ein Schwert und eine Flamme zur Seite. Uriel wurde erst nachträglich in den Kreis der Erzengel aufgenommen. Michael und Gabriel sind die bedeutendsten der Erzengel, wohingegen Raphael auch als Schutzengel gilt (vgl. Lurker 1991, S.

180f.). Elisabeth Lucchesi-Palli erläutert, dass der Kult um die Erzengel in ostchristlichen Raum entflammt und sich vor allem um oben Genannte dreht (vgl. Lucchesi-Palli 1968, S. 675).

729 Vgl. Mezger 1991, S. 297f.

730 De facto sitzt in der christlichen Ikonographie des Mittelalters das Narrenmal exakt an der Stelle, die am Ascher-mittwoch von Priestern mit dem Zeichen Christi, dem Aschenkreuz, versehen wird. Der bekehrte Fastnachtsnarr wird somit in die Gemeinschaft der Gläubigen aufgenommen. Zugleich weist diese Prozedur den Träger des Fast-nachtskostüms daraufhin, dass nach dem Tod die Auferstehung sowie das ewige Leben warten (vgl. Mezger 1984b, S. 30).

731 Lever 1992, S. 40.

und eine extrem lang- oder gar mehrzipfelige Kappe wählt, stößt in der öffentlichen Wahrnehmung auf negative Kritik.732 Zunächst ist die Zweizipfeligkeit der Gugel noch an eine schmucklose Kopfbe-deckung gebunden, die spätestens um 1350 kleine kugelförmige Schellenverzierungen annimmt.

Genau ein Jahrhundert später verliert die Gugel schließlich ihre Popularität und wird von der klassi-schen Eselsohrenkappe abgelöst. Diese Kapuze, die mit ihren langen, schellengeschmückten Eselsoh-ren den Kopf des NarEselsoh-ren vollständig erfasst, eröffnet ebenfalls einen freien Blick auf das Gesicht der Narrenfigur, so dass der Kopf des Trägers an einen Eselskopf erinnert.733

Es könnte somit der Eindruck entstehen, dass die Kapuzenfortsätze der Gugel als Vorläufer der Eselsohren fungieren. Das ist aber nicht der Fall: Mezger betont ausdrücklich, dass diese beiden Kopfbedeckungen voneinander unabhängige Entwicklungen darstellen.734 Denn noch älter als die ikonographischen Hinweise auf die Gugel sind die literarischen Belege für Eselsohren als Toren-merkmale. Die Eselsmetaphorik bezieht sich hierbei im Besonderen auf die verbale Charakterisie-rung einfältiger Zeitgenossen. Komplexer ist indes die Deutung ihrer Zeichenhaftigkeit: Sicher ist, dass der Esel seit der griechischen und römischen Antike als Negativexempel für Einfalt und Lächer-lichkeit wirbt. 735

Eine zweite Bedeutungsebene erfährt der Esel durch die Lesart der mittelalterlichen Lasterlehre:

Als ikonographisches Sujet verkörpert dieses Bildmotiv eine der sieben Hauptsünden, nämlich die Trägheit. Eine dritte Interpretationsebene des Eselssujets wird in der Verkörperung der fleischlichen Liebe virulent. Die vierte Bedeutungsfacette ergibt sich letztendlich aus der Gleichsetzung des Grau-tiers mit boshaften Teufeln, Dämonen und Götzen, die als Zeichen von Gottesferne bereits im 13.

Jahrhundert geläufig sind. Im Hoch- und Spätmittelalter kulminieren all diese unterschiedlichen symbolischen Aspekte in der Langohrigkeit der Eselsohrenkappe.736 Neben der bunt gefleckten Stan-dardtracht des spätmittelalterlichen Narren entwickelt sich daneben ein zweiter feststehender Kos-tümtypus737, dessen graue Fellfarbe des Esels ebenso das Gottesleugnertum der Narrentracht reflek-tiert.738 Jenes Kleidungsmerkmal ist seit dem 15. Jahrhundert als paradigmatisches Torenkennzei-chen vorzufinden.739

Des Weiteren fügen sich neben den Eselsohren der Hahnenkamm sowie der Fuchsschwanz als Tierattribute in die Reihe der Negativkonnotationen über den Hofnarren ein. Ebenfalls erst im 15.

Jahrhundert entstehend, legen sie Zeugnis von einer spürbaren Differenzierung der Narrenidee ab, die am Vorabend der Neuzeit maßgeblich wird.740 Die Befestigung der Hahnensymbole am Toren-kleid verläuft auf dem Scheitel der Gugel; »[…] ein von vorn nach hinten verlaufender Tuchenstreifen ragt über die Kopfbedeckung hinaus und endet in einem schellenbehangenen Zipfel, der in seiner

732 Vgl. Mezger 1991, S. 238f.

733 Lever 1992, S. 40f.

734 Mezger 1991, S. 239.

735 Vgl. ibd., S. 241f.

736 Vgl. ibd., S. 243ff.

737 Interessant ist, dass bei den überlieferten Narrenfiguren der Fastnacht die Eselsvorstellung nur eine marginale Rolle spielt und sich selten zu einer eigenständigen Figur verabsolutiert hat, wie zum Beispiel in der Gestalt des Butzesels, der in der schwäbisch-alemannischen Fasnet in Villingen seinen Platz hat (Vgl. Mezger 1984b, S. 26 sowie Mezger 1984a).

738 Mezger 1991 S. 242 f.

739 Vgl. ibd., S. 246f.

740 Vgl. ibd., S. 258.

Form fast schon an einen Hahnenhals erinnert.«741 Ende des 16. Jahrhunderts besitzt die Schellen-kappe einen vollplastisch modellierten Hahnenkopf. Jedoch erscheint die Sinnbeladenheit des Hahns in der mittelalterlichen Bedeutungslehre heterogener als die des Esels. Der jeweils spezifische christ-liche Kontext illustriert das Hahnenwesen auf sehr unterschiedchrist-liche Weise und kommt zu einem dichotomen Ergebnis: Die früh- und hochmittelalterliche Kirchenlehre interpretiert den Hahn einer-seits als Tugendsymbol der Wachsamkeit sowie anderereiner-seits als Folie des schuldbewussten Sünders.

Außerdem verweist Christian Schramm auf ein weiteres christliches Motiv, das in diesem Kontext mit dem Hahn assoziiert wird: In der dreifachen Verleumdung Jesu durch Petrus markiert der Hah-nenschrei, dass das Leben Jesu verwirkt und die Nacht vorbei ist. Er fungiert daher gleichsam als Sinnbild der Zeit. Als Verkünder der Tageszeiten gilt er in der christlichen Wirkungsgeschichte des-halb als Bote des Lichtes und als Zeichen für die Auferstehung von Jesu Christus respektive als hei-lendes Wesen der Buße, das zur Demut warnt. Lurker pflichtet dem bei und bezeichnet den Topos des Hahnes ebenso als »[…] als Symbol der Wachsamkeit und Künder des wahren Lichtes (= Chris-tus).«742 Ein gänzliches anderes Bild offeriert die spätmittelalterliche Lesart, die in jenem Vogel die Verkörperung eines Lasters begreift, das die sexuelle Triebhaftigkeit des Menschen kontextualisiert.

Es ist aber evident, dass die Verbindungslinie zwischen Hahn und Sexualität bereits seit der Antike besteht; eine genuin ideengeschichtliche Verknüpfung zwischen klassischem Altertum und spätmit-telalterlicher Lesart der Narrenidee lässt sich somit nicht herstellen.743 Die Funktion des Hahnes als Lasterzeichen entsteht damit erst in neuzeitlichem Umfeld und stigmatisiert den Narren als homo carnalis. Könneker versteht den Narren darum als Repräsentation eines primitiven Geschöpfs, wes-halb der Fastnachtsnarr mit dem Anlegen seines Kostüms »[…] einen Vorgang des Herabsinkens oder gar des bewussten Herabsteigens auf eine […] untermenschliche Stufe […]«,744 einleitet.

Als weitere Variante der Kopfbedeckung fungiert – wie bereits erwähnt – der Fuchsschwanz. Iko-nographische Befunde belegen diverse Möglichkeiten der Befestigung, wie beispielsweise an der Gu-gel oder auch am Mantel des Narrenkostüms.745 Die Sinngebung dieses Motivs beruht seit der Spät-antike auf einem pejorativen Verständnis und verweist auf das Phänomen des Bösen. Ähnlich wie der Hahn erhält der Fuchs deshalb ebenfalls die ideengeschichtliche Prägung, die Sünden des Menschen in der Gestalt des Toren zu vereinen. Als Figur des Teufels oder auch als hinterlistiger Häretiker ver-körpern Fuchs und Fuchsschwanz infolgedessen die Laster Geiz, Betrug, Unehrlichkeit, Verleum-dung und Unmäßigkeit.746 Peter Riede sagt über die Symbolkraft des Fuchses, dass jene Tiergestalt

741 Ibd., S. 269.

742 Vgl. Lurker 1991, S. 273.

743 Mezger 1984b, S. 27. Lurker schreibt über das Motiv des Hahnes in der Kulturgeschichte: »Schon in der Antike gilt der H. [Hahn; Anm. d. Verf.] (griech. alektor von alexo = abwehren, verteidigen) als Tier der Tapferkeit; im europä-ischen Volksglauben wurde seinem Schrei dämonenabwehrende Wirkung beigemessen. Auf den Dächern sollte die Nachbildung eines H.s Wächter gegen das ihm symbolisch nahestehende Feuer (im sprachlichen Bild der ›der rote Hahn‹) dienen. Das Tier […] wurde zum Grenzwächter ins Jenseits (bei den Germanen), im Christentum Symbol der Überwindung des Todesschlafes (auf altchristlichen Grabsteinen und Sarkophagen) und in Anknüpfung an die Petrus-Stelle (Mt 26,34) des reuigen Sünders. Der H. auf dem Kirchturm hatte zunächst apotropäische Funktionen (gegen Blitz und Hagel). […] Das starke Triebleben ließ den Vogel auch zu einem Fruchtbarkeitssymbol werden (in Hochzeits- und Erntebräuchen). Weiter ist er Künder der Zeit (auf Räderuhren, Arztsymbol), Spiegelbild menschli-cher Eigenschaften (so bei Chaucer), nationale Personifikation der Franzosen und Attribut des hl. [heiligen; Anm. d.

Verf.] Vitus.« (Lurker 1991, S. 272f.).

744 Könneker 1966a, S. 59.

745 Mezger 1991, S. 258.

746 Nicht nur, dass der Fuchs bzw. der Fuchsschwanz eine moraldidaktische Funktion erfüllt; er erweist sich überdies

die soziale Gemeinschaft meidet und das Einzelgängertum sucht. Da der Fuchs aber gleichsam intel-ligent erscheint, ist er mit Vorsicht zu genießen, denn er nutzt jene Eigenschaft zu seinen Vorteil. Aus kulturhistorischer Perspektive ist er darum immer dort anzutreffen, wo es etwas zu holen gibt. Von dem frühen 16. Jahrhundert an verdichtet sich daher die Lesart den Fuchs mit vornehmlich pejorati-ven Eigenschaften zu belegen. Die Konstituierung des Fuchsschwanzes als Torheitssymbol korreliert in diesem Kontext mit dem Topos des diabolisierten Narren, der boshaft und verschlagen seine pa-thologische Neigung zu Lug und Trug auslebt und den Menschen zur Sünde animiert.747

Ein weiterer Bestandteil der spätmittelalterlichen Narrentracht verkörpert die gläserne Kugel respektive Blase. Zwar wurde dieses Narrenutensil erst in jüngerer Zeit erforscht; das liegt allerdings daran, dass es keine diachrone Entwicklungslinie aufweist, sondern aus einer Folge mehrfacher Mo-tivbrechungen entstanden ist:748 Beispielsweise zeigen bildliche Umsetzungen einiger Psalter Gegen-stände, welche die Form einer ballförmigen Kugel innehaben. Ab dem 13. Jahrhundert als Erdklum-pen tituliert, ordnet man sie aufgrund ihrer Unreinheit dem Narrenwesen zu.749 Andere Bildbelege interpretieren die Kugelform hingegen als gebackene Brotform, die der Psalternarr mit sich trägt.

Das Brotattribut erfährt im Verlauf des 15. Jahrhunderts eine erstaunliche Metamorphose, deren Verständniswandel darauf beruht, dass das runde Insipienskennzeichen in Psalterillustrationen nicht mehr mit brauner, sondern mit blauer Farbe koloriert wird. Kunsthistoriker gehen davon aus, dass durch diese spezifische Farbgebung ein Wandel innerhalb der Narrenikonographie vollzogen wird.

Darin liegen die Anfänge einer Motivtradition, die im Zusammenhang mit der Sündernarrenthema-tik, die Blase respektive die gläsernen Kugel als Vanitassymbol beschreiben.750

Darüber hinaus korreliert die Kugel auch als negatives Sinnzeichen mit dem Reichsapfel751 des weltlichen Potentaten.752 Wegen ihrer hohlen Form ist die gläserne Kugel an der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert eine gern verwendete Metapher, die auf irdische Eitelkeiten und damit auf die inne-re Leeinne-re des Menschen durch den runden Glaskörper verweist. Diese klassische Vanitaskugel ist in der Bildersprache des 16. und 17. Jahrhunderts ein nicht nur oft herangezogenes Objekt, sondern reflektiert ebenso das Wesen der Narrenidee.753

Das Motiv der luftgefüllten Seifen- und Schweinsblase erfährt – aufgrund ihrer Vergänglichkeit – denselben sinngemäßen Kontext wie die Kugelkörper und gilt bis Ende des 18. Jahrhunderts als ein

seit dem 15. Jahrhundert als beliebtes Motiv, um auf Einblattdrucken und moralsatirischen Gedichten, auf politi-sche und soziale Missstände zu verweisen (vgl. ibd., S. 259f.).

747 Vgl. ibd., S. 268.

748 Ibd., S. 282.

749 Vgl. ibd., S. 283.

750 Ibd., S. 284f.

751 Das Motiv des Reichsapfels korreliert mit der Figur Jesus Christus. Wurde diesem in der Ikonographie des Früh- und Hochmittelalters oft das eucharistische Brot zugeordnet, erhält diese Figur seit Kaiser Otto I. als Zeichen der Macht den Reichsapfel als Beigabe, um sich als Regent über Himmel und Erde zu erheben. Man könnte daher die Funktion der gläsernen Kugel durchaus als kongruentes Sinnbild mit dem weltlichen Reichsapfel vergleichen. Die Differenz beider Phänomene erschließt sich dadurch, dass die närrische Variante die traditionellen Herrscherinsig-nien ad absurdum führt, um die Vanitasidee zu untermauern (vgl. Schramm 1958, S. 38).

752 Ibd., Mezger 1991, S. 285.

753 Vgl. ibd., S. 287.

weitaus augenfälligeres Vanitassymbol.754 Auf dieser Folie wird dem Narr ein aufgeblähter Charakter unterstellt, den wiederum sein sündiges Wesen auszeichnet.755

Grundsätzlich lässt sich festhalten, dass das Narrengewand mit seinen Schellen, Spiegeln, leder-nen Würsten, Hahleder-nenfedern, Fuchsschwänzen, Schweinsblasen und anderen Ingredienzien als ein Sammelsurium grotesker Merkmale erscheinen mag. Durch eine nähere Betrachtung wird aber deut-lich, dass das phänotypische Erscheinungsbild des spätmittelalterlichen Standardnarren einen ein-deutig definierten Bedeutungsrahmen besitzt: Der Narr fungiert als komisches Kehrbild göttlicher Macht und deren Vertreter auf Erden. Folglich muss die symbolbefrachtete Narrenausstaffierung auch den Attributen des Souveräns ex negativo gleichen. Das skizzierte Hofnarrenkostüm beabsich-tigt den Narren aus diesem Grund nicht vorteilhaft zu kleiden, sondern jenen pejorativ zu kennzeich-nen. Alle Bestandteile des Hofnarrengewandes besitzen damit Sinnbildcharakter, die den Narren als Sünderfigur verstehen und sein gottesleugnerisches Wesen darlegen.