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7. Zur Symbolik des Hofnarrenwesens

7.4 Der Niedergang des Hofnarrentums

Der Hofnarr, der in der Epoche der Renaissance seine Blütezeit erlebt, verkörpert bereits Mitte des 17. Jahrhunderts ein inflationäres Kulturgut und beginnt einen ersten Funktions- und damit Identi-tätsverlust zu erleiden. Aus historischer Perspektive führen aber unterschiedliche Entwicklungslinien zu dessen sukzessivem Ableben: So gilt beispielsweise die Reformation756 als eine Belegquelle für den Niedergang des Hofnarrentums. Damit einher geht ein diskursiver Einstellungswandel, der die Ide-engeschichte der Narrenidee in einem anderen Licht bewertet.757 Mezger formuliert daran anknüp-fend über die Degeneration des Hofnarrenwesens:

Das neue Zeitalter der Renaissance nahm die Narrenfigur und ihre Botschaft nicht mehr ernst, sondern es setzte sich eben nur noch spielerisch mit ihr auseinander. So hatte der Hofnarr seinen mittelalterlichen Schauer nach und nach verloren und war für die Menschen der frühen Neuzeit kaum mehr als ein äußerliches Standesabzeichen, an dem sie allerdings noch eine Weile hartnäckig festhielten. An der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert beschleunigte sich der Niedergang des Hofnarrenwesens rapide, weil seine ursprüngliche Bedeutung, die bis dahin immerhin noch bekannt gewesen war, endgültig in Vergessenheit geriet.758

Vor diesem Hintergrund verweist Fuchs ebenso auf die beginnende Entwicklung demokratischer Tendenzen sowie die aufkeimende Epoche der Aufklärung. Das rationalistische Wesen letztgenannter Strömung verdrängt das mittelalterliche Weltbild im 17. Jahrhundert konsequent und führt die Auf-lösungstendenzen der Renaissance erfolgreich fort: Das Prinzip des Gottesgnadentums wird als obso-let erklärt und somit ebenso das Hofnarrenwesen. Zijderveld äußert sich zum Ableben der Hofnar-renfigur folgendermaßen:

Der Untergang der Institution des Hofnarren kann auf mehrere Faktoren zurückgeführt werden. Die Faktoren wa-ren sowohl äußerer wie innerer Art. […] Man muß sich dabei klarmachen, daß es die Philosophen der Aufklärung und die christlichen Theologen waren, die gegen die mittelalterliche Narrheit erfolgreich auftraten. […] Auch der

754 Vgl. ibd., S. 290f.

755 Ibd., S. 293ff.

756 Fuchs verweist auf reformatorische Bestrebungen, die unter anderem die Macht des Adels schwächen, Fürstentümer zu kontrollieren beginnen und allen voran die typologische Dualität von König und Narr aus religionsphilosophi-scher Perspektive als vergangen betrachten (vgl. Fuchs 2002, S.10).

757 Mezger 1981, S. 79.

758 Ibd., S. 79ff.

Prestigeverlust der Monarchie und das Entstehen demokratischer Regierungsformen haben […] zum Verfall dieser Institution beigetragen. Der Hofnarr war eine parasitäre Institution, die wie in einer Symbiose mit der Institution des Königs verbunden war. Als dieser seine Macht zu verlieren begann, war es auch mit der Macht des Hofnarren vorbei.759

Der Narr erlebt somit einen tiefen Fall und verkommt zum allgemeinen Spaßmacher, der ums pure Überleben kämpft. Pilarczyk konstatiert deshalb, die Narrenfigur beginne sich »[…] von ihrer dunk-len Bedeutung zu lösen und in Spaß aufzugehen […]«.760 Damit geht jedoch ebenfalls die Vanitas-symbolik der Narrenidee verloren und beginnt, sich auf den Unterhaltungsaspekt zu reduzieren, wie auch Amelunxen bemerkt:

Ferner bietet sich den Hofnarren eine Ausweichmöglichkeit zu jener Institution, die […] gefördert wird: dem Hof-theater. Dort, unter den Pulcinellos, Pantalones, Harlekins und Pierrots, jenen Figuren, die aus der Commedia dell′

arte zählebig übriggeblieben sind und feinere Manieren angenommen haben, findet mancher Narr (jetzt freilich bloß eine Karikatur seiner selbst) noch Unterschlupf. Wer aber auch dort nicht unterkommen kann, der wird viel-leicht beim Zirkus sein Brot finden und ein Stammvater clownischer Generationen werden. So ist mancher verhin-derte Hofnarr zurückgekehrt zum Völkchen der Jongleurs, Gaukler und Schausteller, von dem seine Urväter sich einst abgesondert hatten.761

Neben der Aufklärung führt Amelunxen die historische Strömung des Rokoko an und postuliert, dass das Hofnarrentum vor allem durch das Aufblühen des Mätressenwesens abgelöst werde. Die Mätres-se erobere den Platz des Hofnarren und jage im 18. Jahrhundert auch noch die letzten Narren da-von.762 Petrat dagegen widerspricht dieser These vehement und erklärt, dass der Einfluss der Mätres-sen eine marginale Rolle spielt.763 Vielmehr prangere Amelunxen wohl indirekt den Verlust christli-cher Moral an, der ein Aufleben des Mätressentums überhaupt erst ermöglicht. Einen Frontalangrifff seitens der Mätressen auf die Hofnarren habe es nie gegeben.764

Des Weiteren artikuliert Petrat, die ursprüngliche Sinngebung der Narrenidee werde im Verlauf des 17. Jahrhunderts vom Kern her ausgehölt,765 da sich Potentaten vornehmlich um repräsentative Prachtentfaltung bemühen und somit kaum noch über finanzielle Mittel für das Hofnarrenwesen verfügen: Zuvorderst noch als dekoratives Element im Rahmen barocker Prunksucht instrumentali-siert, verliert der Narr allmählich seine Funktion als Statussymbol. Auf dieser Folie, so erläutert Pet-rat weiter, habe die Aufführung einer Oper oder eines Schauspiel eine effektvollere Wirkung, als die einfachen Späße der Hofnarren.766 Selbst die Bretterbühne einfacher Possenreißer wirke eindrucks-voller als die Hofnarrenkunst.767 Somit büßt der Hofnarr letzten Endes auch noch seine Funktion als genuines Unterhaltungsmedium768 ein und wird nach und nach zum Sozialhilfeempfänger, dem am Hof andere Arbeitsbereiche zugewiesen werden, die sich fern ab von jeglicher Narretei bewegen.769

759 Zijderveld 1976, S. 127f.

760 Pilarczyk 2004, S. 25.

761 Amelunxen 1991, S. 31.

762 Ibd., S. 29-32.

763 Petrat 1998, S. 12f.

764 Vgl. ibd., S. 104f.

765 Ibd., S. 116.

766 Ibd., S. 114-116.

767 Lever 1992, S. 220.

768 Petrat 1998, S. 113-116.

769 Ibd., S. 116f.

Der Narr ist daher schlichtweg aus der Mode gekommen,770 weshalb Petrat resümiert:»Die Zeit der Narrendämmerung […]«771 hat begonnen und der Untergang dieses Berufstandes ist unausweichlich.

Auch Lever diagnostiziert den Verlust der hofnärrischen Wirkungskraft durch den aufgeklärten Absolutismus und beschreibt die Funktion des Hofnarrenamtes als schlichtweg veraltetes Kultur-phänomen vergangener Zeiten.772 Langenbach-Flore sieht speziell in England ebenso die Reformbe-wegung des Puritanismus als Ursache für den Niedergang des Hofnarrenwesens mitverantwortlich, weist aber wie Fuchs darauf hin, dass mit dem Ende der Renaissance das allgemeine Ende der Hof-narrentradition europaweit eingeleitet wird.773 Bei Welsford finden sich zudem Belege, die Langen-bach-Flores Argumentation bestärken:

So we leave the fool in tears. When the divinity that hedges a king was broken, down the fool lost his freedom, his joke und his reason for existence. […] The King, the Priest and the fool all belong to the same régime, all belong es-sentially to a society shaped by belief in Divine order, human inadequacy, efficacious ritual; and there is no real place for any of them in a world increasingly dominated by the notions of the puritan, the scientist, and the captain of industry. […] There is no need for sentimental regret. The fool’s trade was too often a brutal one. His history is in many respects a striking illustration of human callousness.774

Das realhistorische Hofnarrentum gerät also im Laufe der Jahrhunderte in Vergessenheit; was übrig bleibt, ist ein vergilbtes Narrenwesen, dessen ideengeschichtliche Philosophie schließlich in der Lite-ratur der Neuzeit weiterlebt. Dort fungiert der Hofnarr als Folie unterschiedlicher Deutungsperspek-tiven, die beispielsweise beeinflusst sind von burlesken Motiven wie Irrsinn, Scharfsinn, Eitelkeit oder Naivität. Während er also in der Realität seine Existenzberechtigung verliert, nimmt sich die Literatur seiner an und verleiht dem Narrenwesen neue identifikatorische Impulse. Diese gilt es im Verlauf dieser Arbeit vorzustellen, um daran den kulturellen Werdegang der Hofnarrenthematik exemplifizieren zu können. Dabei darf es zu keinem normativen Vergleich zwischen dem realhistori-schem Narrentum und seiner Erscheinung in den unterschiedlichen Künsten kommen; vielmehr geht es um die breite Darstellung der Entwicklungslinien der kulturellen Narrenidee.

770 Vgl. ibd., S. 118.

771 Ibd., S. 131.

772 Lever 1992, S. 233.

773 Langenbach-Flore 1994, S. 48ff.

774 Welsford 1935, S. 195.