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2. Verortung des Narren

2.2 Theorien des Komischen

2.2.2 Überlegenheitstheorie

Theorien über Komik sind seit der Antike ein beliebtes Thema. Bis ins 17. Jahrhundert wird Komik sogar mit Lächerlichkeit und Hässlichkeit synonymisiert.101 Dies beruht mitunter auf der Deutung aristotelischer Schriften102, die Komik als defizitäres Phänomen begreifen und – wie etwa Friedrich Nietzsche – davon ausgehen, dass der Mensch als einziges Lebewesen überhaupt im Stande sei, zu lachen.103 Daher gilt lange die Komödie als jene Gattung des Komischen, die Attribute der Unvoll-kommenheit aufweist.104 Daneben konkretisiert sich das Komische gleichzeitig im Missgestalteten, Deformierten oder allgemein formuliert, Komik kommt in einer Diskrepanz zum Tragen.105 Noch Karl Ueberhorst fühlt sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts veranlasst, die Theorie des Komischen als

97 Ibd., S. 16.

98 Ibd., S. 17.

99 Ibd., S. 16.

100 Vgl. ibd., S. 71f.

101 Vgl. Gottwald 2009, S. 44.

102 Berger beschreibt den Komödienbegriff von Aristoteles: »Die Komödie wird hier als ‚Nachahmung‘ (Mimesis) gese-hen, das heißt als spezifische Darstellung von Realität. Das Häßliche, der Fehler, die Verzerrung – das deutet alles auf eine wesentliche Diskrepanz, eine Unregelmäßigkeit. (Man kann auch sagen, daß es eine komische Ur-Erfahrung ist, jemanden auf den Hintern fallen zu sehen.)« (Berger 1998, S. 23).

103 Dem ist jedoch zu widersprechen, da hierüber kein Konsens herrscht. Berger führt als exemplarisches Beispiel aus der Tierwelt Affen an, die Lachen durchaus als Kommunikationsmittel einsetzen. Jedoch unterscheidet er zwischen Lachen als physiologischem Vorgang und sozialer Komponente« (vgl. ibd., S. 54 sowie S. 56.) Berger trifft also fol-gende Aussage: »Eines ist gewiß: Kein Affe hat je gegrinst, wenn man ihm einen politischen (oder anderen) Witz er-zählt hat. So können wir gutem Gewissen die Frage, ob Tiere lachen oder nicht, der Zoologie und den anderen an ihr interessierten Disziplinen überlassen. […] Das Lachen ist ganz offensichtlich ein Phänomen, das Körper und Geist gleichermaßen betrifft. Insofern weist es auf die eigenartige Beziehung zwischen der menschlichen Subjektivität und ihrer materiellen Verkörperung hin. Dasselbe gilt für seinen Zwilling, das Weinen.« (ibd., S. 55.). Des Weiteren ver-weist Berger auf den anthropologischen Ansatz von Helmuth Plessner, der in seinem 1941 in Arnheim veröffentlich-ten Werk Lachen und Weinen. Eine Untersuchung nach den Grenzen menschlichen Verhalveröffentlich-tens den Menschen als Doppelwesen begreift und den damit verbundenen »Leib-Seele-Dualismus« auf der Folie von Komiktheorien philo-sophisch reflektiert (vgl. ibd., S. 55-60).

104 »Neben spontanen Situationen und Ereignissen, in denen das Komische erscheint, kann es auch inszeniert werden.

Diese Inszenierung bindet es an eine spezifische Form. Folgende Gattungen mit unterschiedlichem Grad der Insze-nierung werden zum Komischen gezählt: Spott, Ironie, Zynismus, Sarkasmus, schwarzer Humor, Komödie, Tragi-komödie, Schwank, Facetie, Witz, Satire, Ironie, Posse, Burleske, Groteske, Karikatur, Cartoon, Parodie, Anekdote und komische Lyrik.« (Gottwald 2009, S. 43f.).

105 Vgl. ibd., S. 47.

eine Theorie des Hässlichen, des Disproportionierten und des Unharmonischen zu untermauern.106 Erweist sich ein Lebewesen oder Objekt als verunstaltet, – sei es in körperlicher oder geistiger Form –, so gilt es als wahrhaft »hässlich«. Als Bedingung des Lachens über das Hässliche gilt aber ebenso die Unschädlichkeit:107 Eine Grenze des Komischen wird dann erkennbar, wenn Mitleid oder Furcht, Ekel oder Abscheu produzieren. Dann sei ein Lachen über das Hässliche, formuliert Gottwald, nicht mehr möglich, da jegliche Komik damit erlischt.108

Kontrastiert wird die Idee des Hässlichen mit der Ästhetik des Erhabenen, in der Schönheit keine Abweichung von der Norm darstellt, sondern diese Theorie begründet, wie Theodor Friedrich Vi-scher 1837 postuliert. 109 Allerdings beginnt erst das 18. Jahrhundert, das Komische vom Lächerli-chen zu trennen. 110 Der Philosoph Francis Hutcheson unterscheidet 1750 zwischen be- und ausla-chen111 und formuliert die Meinung, dass das Lächerliche lediglich eine Subkategorie von Komik dar-stellt, die den Gegenstand ihrer Betrachtung moralisch herabwertet. 112 Somit wird das Lächerliche mit »[…] Auslachen, Verlachen, Verspotten und Verhöhnen gleichgesetzt.«113

Aus diesem Gedanken firmiert sich die sogenannte Überlegenheitstheorie, die Lachen als aggres-siven Akt versteht: Jene sucht Ursprung und Funktion des Komischen nicht in einer literarisch-ästhetischen oder epistemologischen Wahrnehmung, sondern nimmt eine psychologische Haltung ein.114 Als Hauptvertreter gilt Thomas Hobbes: Der Staatstheoretiker begründet das Lachen über das Komische als Auswurf plötzlichen Stolzes, als triumphalen Ausdruck der Überlegenheit über Unter-legene.115 Das sich daraus resultierende Gefühl von erhabener Macht bewertet Hobbes jedoch als pejorativ, da dieses einem kriegerischen Sieg in einem Kampf gleiche.116 Auch René Descartes und Charles Baudelaire teilen diesen Standpunkt und begreifen das Lachen als Akt des Verlachens, der gleichsam Auskunft über die Schwächen der menschlichen Natur gibt.117 Das Verlachte, so sagt Bau-delaire, wird als etwas Sonderbares wahrgenommen über dessen besondere Eigenart man sich lustig macht:

Ich sagte, dass im Lachen ein Symptom der Schwäche liege. Und in der Tat, was wäre ein deutlicheres Schwächezei-chen als die nervöse Konvulsion, dieser unwillkürliche, dem Niesen vergleichbare Krampf, der dazu noch durch den Anblick des Missgeschickes eines Mitmenschen veranlasst wird? Dieses Missgeschick ist fast immer eine geistige Schwäche. Gibt es eine kläglichere Erscheinung als eine Schwäche, die sich über eine andere lustig macht? Oder noch schlimmer: Dieses Missgeschick ist manchmal ganz geringfügiger Art, eine Schwäche der physischen Ordnung.

Um eines der gewöhnlichsten Beispiele aus dem Alltag zu wählen: Was ist denn so ergötzlich an dem Schauspiel ei-nes Menschen, der auf dem Eise oder auf dem Pflaster fällt oder am Troittoirrand stolpert, dass sich das Antlitz sei-nes Mitmenschen in Christo unordentlich verzerrt und dass seine Gesichtsmuskeln mit einem Schlag, wie das Glo-ckenspiel zur Mittagsstunde oder wie eine Spieluhr in Betrieb geraten? Dieser arme Teufel hat sich zum mindesten

106 Vgl. Ueberhorst 1900, S. 747.

107 Vgl. Gottwald 2009, S. 48.

108 Diesen Gedanken führt Gottwald über mehrere Seiten aus (siehe ibd., S. 48ff.) sowie siehe zur tieferen Erläuterung Fischer, 1996.

109 Vischer 1837.

110 Ähnlich sieht das Swabey 1970, S. 175-182.

111 Vgl. Gottwald 2009, S. 44.

112 Ibd., S. 45. Siehe auch Hutcheson 1750.

113 Gottwald 2009, S. 45.

114 Vgl. ibd., S. 50.

115 Vgl. ibd., S. 51f. sowie Hobbes 1994, S. 46.

116 Gottwald 2009, S. 51.

117 Siehe Baudelaire 1922 sowie Descartes 1984.

verunstaltet, vielleicht sogar ein Glied gebrochen. Trotzdem, das Lachen ist herausgefahren, unwiderstehlich und unversehens. Ganz sicher wird man bei der Analyse dieses Beispiels, als Grundgedanken in dem Lachenden etwas wie unbewussten Hochmut finden. Das ist der Ausgangspunkt: Ich falle nicht; ich gehe aufrecht; mein Schritt ist si-cher und fest. Ich wäre nicht so dumm, dass aufgerissene Pflaster oder den Stein im Wege nicht zu sehen.118

Allerdings konnotiert gleichwohl Baudelaire die Herkunft des Überlegenheitsbewussteins als negativ, sogar satanisch, da er Lachen als Zwangsakt versteht, weil im »[…] Lachenden und keineswegs im Gegenstande des Gelächters […]«119 die Keimzelle der Überlegenheit liegt. Henri Bergson verweist diesbezüglich auf die soziale Komponente des Verlachens, wodurch Lachen in der Regel als konstitu-tives Element einer Interaktion und weniger als autonomes Phänomen wahrgenommen wird.120 The-odor Lipps hingegen verneint den Konnex zwischen Komik und Lachen und proklamiert, das um Lachen als solches zu verstehen, man die Funktionsmechanismen von Komik nicht verstehen müs-se.121 Der Erfolg eines Witzes sei jedoch abhängig von Gelegenheit, Ort, Zeit, Raum sowie Partizipan-ten, die an der Erzählsituation teilhaben.122 Thomas Auchter sagt somit über das Wirkungsprinzip eines Witzes:

Der Witz ist ein soziales Phänomen. Man kann mindestens drei Personen unterscheiden, denjenigen, welcher den Witz macht oder erzählt (Produzent, 1. Subjekt), denjenigen, der ihn liest oder hört (Rezipient, 2. Subjekt) und den-jenigen, gegen den er gerichtet ist (Objekt). Die Lust bei der Rezeption von Witz und Komik entsteht aufgrund der Identifikation mit dem Inhalt des Witzes, der Teilhabe an der darin ausgedrückten Überlegenheit gegenüber irgend-einem Unterlegenen.123

Des Weiteren betont Lipps, dass das Überlegenheitslachen in der Regel mit einem Gefühl der Erha-benheit über Inferiores einhergeht, dass wiederum mitunter zu Schadenfreude führe und damit eine moralische Bewertung inkludiere.124 Renate Jurzik sieht Lachen hingegen interdependent mit Angst verbunden: Dinge, vor denen man sich fürchtet, versucht man durch Lachen zu zähmen respektive zu verarbeiten. Diese These konstatiert ebenfalls Lutz Röhrich, in seiner Aussage über die Genese von schwarzem Humor:125

Schwarzer Humor entsteht als Lustgewinn aus der Ersparung der peinlichen Affekte der existentiellen Bedrohung, der Angst, des Grauens und Ekels, des Schauderns vor dem Numinosen, der Pietät, des Schuldbewußtseins, der Ver-zweiflung […]. Wenn der Mensch an die Grenze kommt, wo er etwas nicht mehr ertragen kann, lacht er. Das Grau-enerregende schlägt in Komik um.126

Für Auchter steht vielmehr der subversive Duktus des aggressiven Lachens im Vordergrund, der eine gemeinschaftsstiftende Komponente für den Bezugsrahmen sozialer Gruppen ist.127 Für Zijderveld zählt aus diesem Grund vor allem das kollektive Element von Komik. Als Beispiel verweist er diesbe-züglich auf das Verhältnis zwischen Monarch und Hofnarr, indem Lachen eine verbindliche und festigende Rolle spielt. Jedoch muss selbst der Narr das Lachen seines Potentaten richtig deuten können. Denn nicht nur der Narr ist des Lachens mächtig, sein Herr ebenfalls. In diesem Kontext

118 Baudelaire 1922, S. 17.

119 Ibd., S. 18.

120 Diese These liest Gottfried Müller in Theodor Lipps (vgl. Müller 1964).

121 Zijderveld 1976, S. 56f.

122 Vgl. ibd., S. 46.

123 Auchter 2006, S. 46. Auch Lutz Röhrich widmet sich dem Witz ausführlich (Röhrich 1977).

124 Lipps 1898, S. 21-24.

125 Jurzik 1985, S. 24.

126 Röhrich 1977, S. 142.

127 Auchter 2006, S. 47.

beschreibt Gerd Althoff die Bandbreite des Herrscherlächelns: »Das Spektrum reicht vom Lächeln als Zeichen für Huld und Gewogenheit bis hin zum hämischen Verlachen und Verspotten in Konflikt-situation, mit dem eine Gruppe die andere reizt.«128 Der Narr erlebt Lachen folglich auf mehreren Ebenen: Er kann verlacht werden und damit als normabweichendes Objekt wahrgenommen werden (passiver Lachakt) oder aber das Lachen zu seinen Gunsten nutzen und damit das Publikum auf seine Seite ziehen (aktiver Lachakt). Der Konnex zwischen Narrenidee und Lachen erweist sich da-mit als komplexer Betrachtungsgegenstand. Ein Einblick in eine weitere Komiktheorie soll deshalb dazu beitragen, um die Wirkungsmechanismen des Lachens präziser einordnen und verstehen zu können.