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Test des Schätzwertes θ ˆ 1,r auf Plausibilität

6.7 Erweiterungen des Schätzverfahrens

6.7.1 Test des Schätzwertes θ ˆ 1,r auf Plausibilität

Eine Möglichkeit zum Verhindern des unter den Stichworten „Aufschwingendes Verhalten“ und „Krie-chen“ beschriebenen Verhaltens, die in diesem Abschnitt behandelt wird, besteht darin, die Aussage „Es mag sein, dass es mit den gegebenen Messwerten nicht möglich ist, den Parameterθ1ausreichend sicher zu schätzen. Aber der aktuell verwendete Wert vonθˆ1,rstimmt mit Sicherheit nicht!“, die jeder Betrach-ter der Versuchsdaten als richtig erkennen würde, mathematisch auszudrücken. Zudem muss dann der Wert fürθˆ1,rentsprechend korrigiert werden.

Um zu prüfen, wie der zur Regelung verwendete Schätzwertθˆ1,r und der aus den aktuellen Messungen geschätzte Wert θˆ1 zusammenpassen, wird angenommen, dass der aktuell bestimmte Schätzwert θˆ1 normalverteilt mit der Varianzσ2ˆ

θ1ist, {θˆ1}r∼N(µ,σ2ˆ

θ1). Es wird nun die Hypothese

H0: µ= ˆθ1,r

geprüft. Es handelt sich hierbei um einen Test des Mittelwerts einer Normalverteilung bei bekannter Streuung. Dieser ist beispielsweise in [STORM, 2001, S. 174ff] beschrieben und diskutiert.21

Die Wahrscheinlichkeit p1 dafür, dass ein Schätzwert{x}ωr fürθ1 einen Wert annimmt, der mindestens so weit vonµ= ˆθ1,rwieθˆ1 entfernt ist lautet

p1=P(|{x}ωrθˆ1,r| ≥ |θˆ1θˆ1,r|)

=2−2·Φ

‚|θˆ1θˆ1,r| σθˆ1

Π.

Die Hypothese H0 wird abgelehnt wenn die Wahrscheinlichkeit p1 eine festzulegende Grenze pH0,min unterschreitet,

p1! pH0,min.

21 Geht man davon aus, dassσy2nicht bekannt ist, und ersetzt man dieses durch den Schätzwertσˆy2, so erhält man eine t-Verteilung für{θˆ1}r, die ebenfalls als Grundlage eines statistischen Tests verwendet werden kann [STORM, 2001, S.

185ff]. Allerdings wäre dieser hier aufgrund der sehr wenigen Messwerte nicht aussagekräftig genug.

6.7 Erweiterungen des Schätzverfahrens 165

Es muss aber nicht jedes Mal p1 aus den aktuellen Daten neu bestimmt werden, was aufgrund der VerteilungsfunktionΦder Standardnormalverteilung auch aufwendig wäre. Durch Umformen ergibt sich

|θˆ1θˆ1,r| σθˆ1

≥Φ−1

2−pH0,min 2

(6.58) als Bedingung für das Ablehnen der Hypothese, wobeiΦ−1 die Umkehrfunktion vonΦist. Der Wert von Φ1((2−pH0,min)/2)kann dabei für ein festes pH0,min vorher bestimmt und in der Steuerung hinterlegt werden. In Tabelle 6.3 sind die Werte dieser Funktion für ein paarpH0,minangegeben.

Tabelle 6.3:Werte fürΦ−1 2−p

H0,min 2

pH0,min[%] 10 5 1 0,5 0,1 Φ−1

2p

H0,min 2

1,64 1,96 2,58 2,81 3,29

Wenn die Bedingung (6.58) erfüllt ist, dann ist der aktuelle Wert fürθˆ1,rzu unwahrscheinlich und sollte korrigiert werden. Dies ist nochmal in Abbildung 6.40a veranschaulicht. Mit dieser Bedingung wird überprüft, ob der Wert fürθˆ1,r innerhalb der grau markierten Bereiche liegt.

θˆ1 θˆ1,r

θ1 f{θˆ1}r(θ1)

(a)Testp1< α(Gl. (6.58))

θˆˆ1,L θˆ1 θˆˆ1,Rθˆ1,r

θ1 f{θˆ1}r(θ1)

(b)Korrektur

Abbildung 6.40:Veranschaulichung des Test auf Plausibilität und die Korrektur vonθˆ1

Korrektur

Hat sich bei dem Test der Bedingung (6.58) gezeigt, dass θˆ1,r (wahrscheinlich) nicht dem wahren θ1 entspricht, dann sollte dieser, von der Regelung verwendete Wert, entsprechend angepasst werden.

Dazu werden die Werte fürθˆ1,rbestimmt, mit denen die Bedingung (6.58) gerade erfüllt würde. Es ergibt sich also

θˆˆ1,L= ˆθ1σˆθ1·Φ1

2−pH0,min 2

(6.59) bzw.

θˆˆ1,R= ˆθ1+σθˆ1·Φ−1

2−pH0,min 2

, (6.60)

für die linke und rechte Grenze des Wertebereichs ( ˆˆθ1,L,θˆˆ1,R), welcher Bedingung (6.58) nicht erfüllt, und für den damit die Hypothese H0 nicht abgelehnt wird. Ist Bedingung (6.58) erfüllt, so liegt θˆ1,r außerhalb dieses Bereichs, und θˆ1,r wird auf die nächstgelegene Grenze, also θˆˆ1,L oder θˆˆ1,R gesetzt.

Liegt er innerhalb des Bereichs, so ist die Bedingung (6.58) erfüllt gewesen und keine Korrektur nötig.

Damit muss (6.58) auch nicht mehr gesondert geprüft werden, und es ergibt sich das in Abbildung 6.41 dargestellte Vorgehen.

Das Prinzip der Korrektur ist in Abbildung 6.40b nochmals grafisch dargestellt.

Wenn man pH0,min=1setzen würde, dann wäreΦ12−p

H0,min 2

= Φ1(0,5) =0und damit ergäbe sich mit Gl. (6.59) oder (6.60)

θˆˆ1= ˆˆθ1,L= ˆˆθ1,R= ˆθ1.

Dieses θˆˆ1 wäre damit dasselbe, welches sich durch den normalen Schätzalgorithmus ergeben würde.

Aber wenn man den Test auf Plausibilität durchführt, dann wird der normale Schätzer gerade nicht verwendet, da die Varianz der Schätzung zu groß wäre. Somit ist klar, dass hier pH0,min nicht zu groß und insbesondere nicht gleich eins gewählt werden darf. Auf der anderen Seite darf daspH0,minnicht zu klein gewählt werden, da ansonsten der Bereich, für denθˆ1,rakzeptiert wird, zu groß wird. Es geht hier im Prinzip auch nicht mehr darum, einen „guten“ Schätzwert zu bestimmen, da dies mit den gegebenen Daten einfach nicht möglich ist. Ziel ist es lediglich, „offensichtlich“ unrealistisch große Werte für θˆ1,r zu vermeiden, da dies zu einer sehr langsamen Korrektur von u1 und damit sehr vielen notwendigen Regelschritten führt. Dazu wirdθˆ1,r „behutsam“ korrigiert.

Beispiel – Kriechen

In Abbildung 6.42 ist die Wirkung dieses Verfahrens an einem Beispiel gezeigt. Dabei wird für die Regelung zunächst von einem θˆ1,r ausgegangen, welches dem Vierfachen des wahren Parameters θ1 entspricht. Damit wird mit dem ersten Regelschritt (im Mittel) nur ein Viertel der Regelabweichung kor-rigiert. Die damit verbundene Änderung der primären Eingangsgrößeu1 reicht noch nicht aus, um den Schätzwert vonθ1zur Regelung verwenden zu können.

In Abbildung 6.42a ist der hier beschriebene Test nicht verwendet und damit wird auch im nächsten Regelschritt eine deutlich zu geringe Korrektur durchgeführt. Auch mit diesem Schritt ist der geschätzte Parameter noch zu unsicher. Erst nach dem fünften Regelschritt (k=6) ist der zur Regelung verwendete Wertθˆ1,raktualisiert, so dass beik=8(hier nicht mehr dargestellt) der Sollwert im Mittel erreicht ist.

Abbildung 6.42b zeigt das Verhalten, wenn pH0,min =10 %gesetzt wird. Hierbei wird nach dem ersten Schritt festgestellt, dass das vorliegendeθˆ1,r=4·θ1wahrscheinlich nicht zutreffen kann undθˆ1,r entspre-chend korrigiert. Der Mittelwert von θˆ1,r liegt nach dieser Korrektur bei ca. 0,8, so dass die Korrektur im nächsten Regelschritt auch noch nicht ideal in dem Sinne ist, dass im Mittel der Sollwert erreicht wird. Mit dem nächsten Schritt wird der Wert fürθˆ1,rnochmals weiter korrigiert, und mit dem folgenden Schritt reicht die Anregung überu1 aus, den aktuellen Schätzwert fürθ1zur Regelung zu verwenden.

Mit einer weitere Erhöhung vonpH0,minauf 30 % (Abbildung 6.42c) wirdθˆ1,rbeik=2etwas offensiver korrigiert, so dass der Mittelwert bei etwa0,7liegt, womit auch der Mittelwert der Regelgröße beik=3 etwas näher am Sollwert liegt. Jedoch wird dies durch mehr Ausreißer (hohe Überschwinger) erkauft.

Beispiel – Aufschwingen

Für den Fall des aufschwingenden Verhaltens ist das Verfahren an dem Beispiel Abbildung 6.39b de-monstriert. Dazu sind in Abbildung 6.43 die Ergebnisse für die zwei Grenzen pH0,min =10 %und 30 % gezeigt, wobei jeweils einmal eine einzelne Simulation und einmal 10 000 Simulationen dargestellt sind.

6.7 Erweiterungen des Schätzverfahrens 167

Neue Messdaten ˜yk, u1,kliegen vor.

Bestimme Varianz σ2θ

1 der neuen Schätzung von θ1!

σ2θ1< σ2θ1,r,max? θˆ1,r,k über LS-Schätzer bestimmen!

Bestimme θˆˆ1,L undθˆˆ1,R!

θˆ1,r,kˆˆ1,R? θˆ1,r,k = ˆˆθ1,R

θˆ1,r,kˆˆ1,L? θˆ1,r,k = ˆˆθ1,L

θˆ1,r beibehalten:

θˆ1,r,k = ˆθ1,r,k1

(Neues)θˆ1,r,kist bestimmt.

Ja

Nein

Ja

Nein

Ja

Nein

Abbildung 6.41:Vorgehen zur Parameterschätzung vonθ1mit Plausibilitätsprüfung

0 2 4 6 8 30

40 50 60 70

˜y

0 2 4 6 8

0 1 2 3

k ˆθ1,r

(a)pH0,min=0

0 2 4 6 8

30 40 50 60 70

˜y

0 2 4 6 8

0 1 2 3

k ˆθ1,r

(b)pH0,min=10 %

0 2 4 6 8

30 40 50 60 70

˜y

0 2 4 6 8

0 1 2 3

k ˆθ1,r

(c)pH0,min=30 %

Abbildung 6.42:Beispiele für verschiedene Grenzen des Plausibilitätstests (σθˆ

1,r,max= 101 ·θ1,θˆ1,r,0=4·θ1) (Daten aus je 10 000 Simulationen)

Die Reglerverstärkung ist hierbei konstant α = 1, um die stabilisierende Wirkung der Absenkung der Reglerverstärkung bzw. Filterung auszuschalten.

Mit beiden Werten für pH0,minwird ein deutlich besseres Verhalten als in Abbildung 6.39b erreicht.

Insgesamt, d. h. bei den 10 000 Simulationen, zeigt sich nur eine geringe Verbesserung bei Verwendung der GrenzepH0,min=30 %im Vergleich zupH0,min=10 %. Im gezeigten Einzelfall wird beipH0,min=30 % der Schätzwertθˆ1,rjedoch schon einen Schritt früher korrigiert.

Fazit

Würde man den anfangs angenommenen Wert für θˆr,1 in dem gezeigten Beispiel zum Kriechen weiter erhöhen, so würde die Korrektur zu Beginn noch schwächer ausfallen. Im Grenzfallθˆr,1→ ∞würde gar keine Korrektur mehr stattfinden.

Die in diesem Abschnitt vorgestellte Methode zum Erkennen und Korrigieren von aufschwingendem und kriechendem Verhalten beruht auf der Bewertung des angenommenen Wertes θˆ1,r anhand des aus den aktuellen Daten geschätzten θˆ1. Dazu muss die Varianz σ2ˆ

θ1 zwar formal keinen maximalen Wert einhalten, aber praktisch würde das Intervall[ ˆˆθ1,L,θˆˆ1,R]bei einem zu kleinenσ2ˆ

θ1 zu groß, um den Wert fürθˆ1,rsinnvoll einzuschränken.

Damit würde in einem solchen extremen Fall ein sehr langsames Kriechen auftreten, bevor der Regelpa-rameter automatisch angepasst würde, wobei davon auszugehen ist, dass der Bediener in solchen Fällen selber eingreifen würde. Um eine möglichst gute Akzeptanz der Regelung zu erreichen, könnte es ge-wünscht sein, dass auch dieser Fall automatisch festgestellt werden sollte. Dazu kann der Verlauf der gemessenen Ausgangsgröße, ohne Berücksichtigung der Eingangsgröße, betrachtet werden.

Ähnliches gilt, wenn ein aufschwingendes Verhalten beginnt. Es kann einige Messungen dauern, bis die Anregung ausreicht, um θˆ1,r zu korrigieren, obwohl für den Bediener schon ein instabiles

Verhal-6.7 Erweiterungen des Schätzverfahrens 169

0 2 4 6 8 30

40 50 60 70

˜y

0 2 4 6 8 30

40 50 60 70 u1,r

0 2 4 6 8 0,20

0,40,6 0,81

k ˆθ1,r

(a)pH0,min=10 %

0 2 4 6 8

30 40 50 60 70

˜y

0 2 4 6 8

30 40 50 60 70 u1,r

0 2 4 6 8

0,20 0,40,6 0,81

k ˆθ1,r

(b)pH0,min=10 % (10 000 Simulationen)

0 2 4 6 8 30

40 50 60 70

˜y

0 2 4 6 8 30

40 50 60 70 u1,r

0 2 4 6 8 0,20

0,40,6 0,81

k ˆθ1,r

(c)pH0,min=30 %

0 2 4 6 8

30 40 50 60 70

˜y

0 2 4 6 8

30 40 50 60 70 u1,r

0 2 4 6 8

0,20 0,40,6 0,81

k ˆθ1,r

(d)pH0,min=30 % (10 000 Simulationen)

Abbildung 6.43:Beispiele für verschiedene Grenzen des Plausibilitätstests (σθˆ

1,r,max=101 ·θ1,θˆ1,r,0=4·θ1) (Daten aus je 10 000 Simulationen)

ten zu erkennen ist. Hier wäre eine Möglichkeit, dass bei wechselnden, betragsmäßig anwachsenden Regelabweichungen die Reglerverstärkung „testweise“ reduziert wird.