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Auf der Technischen Universität

Im Dokument Fälle aus der NS-Militärjustiz (Seite 158-170)

II. Denunziation als soziales Phänomen

2. Denunziationen im weiteren Umfeld

2.4. Auf der Technischen Universität

Angesichts der allgemein tristen Berufssituation in Österreich für angehende Tech-niker und Ingenieure nach dem Zusammenbruch der Monarchie blickten viele frisch gebackene Ingenieure – mehrheitlich Männer – neidvoll nach Deutschland, wo nach der Machtübernahme Hitlers die Wirtschaft wieder florierte und das Pro-gramm der Vierjahrespläne ein besonders technikfreundliches Klima zu signalisie-ren schien.623 Die Folgen waren Arbeitsmigration und Hoffnung auf rege Bautätig-keit in NS-Deutschland. Dies erwies sich als guter Nährboden für Anschlusswünsche, die sich bei vielen Lehrenden und Studierenden der Technischen Hochschulen fan-den. Dazu kamen antisemitische Bestrebungen, die seit den 1890er Jahren an den Universitäten weitverbreitet waren.624 Nach dem Anschluss Österreichs »entließ«

die Technische Hochschule jüdische MitarbeiterInnen des Lehrkörpers und schloss die jüdischen und politisch unliebsamen StudentenInnen sukzessive von der Hoch-schule aus. Es gibt zwar keine Detailaufstellungen über die aus »rassischen« oder

»politischen« Gründen vom Studium ausgeschlossenen HörerInnen, wohl aber nach Konfessionszugehörigkeit gegliederte Frequenztabellen für das Wintersemester 1937/38 und das Sommersemester 1938. Diese weisen für das Sommersemester 1938 einen Rückgang bei allen Studierenden (N = 570) um 32,5 Prozent, bei den HörerInnen israelitischer Konfession allein dagegen um 92,6 Prozent aus. Deren Zahl verringerte sich von 215 im Wintersemester 1937/38 auf 16 (1,3 Prozent der Ge-samtzahl der Inskribierten) im Sommersemester 1938.625 Zahlreiche Mitglieder des Lehrkörpers dürften bereits Anfang der 1930er Jahre der NSDAP oder einer ihrer Vorfeldorganisationen beigetreten sein.626 Viele ProfessorInnen und StudentInnen hatten sich beizeiten nationalsozialistisch orientiert, waren antisemitisch eingestellt und standen der Republik Österreich ablehnend gegenüber.627 Bei der

Entnazifi-623 Vgl. Juliane Mikoletzky, »Mit ihm erkämpft und mit ihm baut deutsche Technik ein neues Abendland«. Die Technische Hochschule in Wien in der NS-Zeit, in: ÖZG 10, 1 (1999), S. 51–70, hier S. 55.

624 Vgl. Mikoletzky, Die Technische Hochschule, S. 56.

625 Mikoletzky, Die Technische Hochschule, S. 61.

626 Mikoletzky, Die Technische Hochschule, S. 61.

627 Vgl. Helmut Engelbrecht, Geschichte des österreichischen Bildungswesen. Erziehung und Un-terricht auf dem Boden Österreichs, Bd. 5: Von 1918 bis zur Gegenwart, Wien 1988, S. 238; Mi-koletzky, Die Technische Hochschule, S. 51–70.

zierung der Universitäten nach 1945, bei der es um die politische Überprüfung der HochschullehrerInnen und StudentInnen ging, erwiesen sich mehr als zwei Drittel aller HochschullehrerInnen als NationalsozialistInnen.628 Nach der ersten Entnazifi-zierung 1945, bei der auch alle »reichsdeutschen« ProfessorInnen entlassen worden waren, verblieben an der Technischen Hochschule von 56 ProfessorInnen nur 15.629 Nach der Übergabe der gesamten Entnazifizierung an die österreichische Regierung erfolgte während des Studienjahres 1945/46 die politische »Säuberung« an den ös-terreichischen Hochschulen durch die einzelnen Sonderkommissionen (die ihre Tätigkeit bis 1946 abschlossen); geringer belastete HochschullehrerInnen wurden wieder zugelassen.630 Im Februar 1946 wurde nach einem Erlass des Unterrichtsmi-nisteriums eine Kommission gegründet, die aus dem Rektor und drei Parteienver-tretern der Hochschülerschaft bestand: Bei einem Stand von 2.404 StudentInnen an der Technischen Hochschule im Wintersemester 1945/46 schloss der Rektor 55 Per-sonen aus, und die Kommission hatte in 416 Fällen als Sühneleistung einen Arbeits-einsatz im Ausmaß von einem bis zu sechs Monaten bei sechzehn Wochenstunden ausgesprochen.631

Damit soll in aller Kürze das politische Klima an der Technischen Hochschule in Wien skizziert sein. Die folgenden Denunziationsvorfälle an der Technischen Hoch-schule ereigneten sich ein Jahr vor Kriegsende.

Die Denunziation

Im März 1944 wurden der 28-jährige Student und Obergefreite Kurt Ponger wegen

»Wehrkraftzersetzung« von Studienkollegen denunziert, kurz darauf verhaftet und in das Wehrmachtsuntersuchungsgefängnis überstellt.

Die Initiative ging von einem Chemiestudenten und Obergefreiten der Luftwaffe namens Franz Koch aus. Er gab bei der Gestapo an, Ponger wegen kommunisti-scher, »staatsfeindlicher Äußerungen«, »Wehrkraftzersetzung« und des Rühmens, mit einer Jüdin befreundet gewesen zu sein, anzeigen zu müssen. Ein weiterer Student, der 22-jährige Hans Schuster, der ebenfalls maßgeblich an dieser Denun-ziation beteiligt war, galt an der Universität als Nationalsozialist. Er stand mit dem Angezeigten seit längerem in einem gespannten Verhältnis, sie waren des Öfteren

628 Vgl. Dieter Stiefel, Entnazifizierung in Österreich, Wien 1981, S. 171.

629 Vgl. Stiefel, Entnazifizierung, S. 172.

630 Vgl. Stiefel, Entnazifizierung, S. 172.

631 Vgl. Stiefel, Entnazifizierung, S. 174.

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aneinandergeraten.632 Das soll unter anderem damit zusammengehangen haben, dass Kurt Ponger gehänselt wurde, weil er auf beiden Ohren schlecht hörte und dennoch seit Jahren in der Deutschen Wehrmacht diente. Auf der anderen Seite war Hans Schuster, ein aktiver Nationalsozialist, nicht zur Wehrmacht eingerückt und war deswegen angreifbar. Mitbelastet und ebenfalls angezeigt wurde im Zuge dieses Verfahrens auch ein slowakischer Chemiestudent633, der Ponger im Gespräch unterstützt haben soll.634 Angeblich hatte er gesagt: »Die Slowaken werden sich hüten, den Juden etwas zu tun, wo doch der Umbruch vor der Türe steht.«635 Er soll aber in seinen »staatsfeindlichen« Äußerungen von Kurt Ponger nur angestiftet worden sein.636

An dieser inkriminierten eineinhalbstündigen heftigen politischen Diskussion zwischen den Studenten waren noch ein estnischer Student, der in der estnischen Armee als Leutnant diente und sich aufgrund eines Studienstipendiums in Wien auf-hielt, und zwei weitere Studenten beteiligt gewesen, die Angehörige der Luftwaffe waren. Bei der Debatte war es vorrangig um die Frage gegangen, wie die Situation je nach Regierungsform nach Kriegsende aussehen könnte. Dabei standen sich zwei konträre Meinungen gegenüber, in dem einen Fall würde der »Bolschewismus« in Europa die Herrschaft ergreifen, im anderen würde Europa durch ein siegreiches Deutschland geordnet werden.637

Kurt Ponger, das Opfer dieser Anzeige, wurde am 24. Februar 1916 in Wien gebo-ren, er war katholisch und nicht verheiratet. Seine Mutter war ebenfalls nicht ver-heiratet und im Kunstgewerbe tätig. Er hatte drei Geschwister. Sein älterer Bruder war bei Stalingrad vermisst, ein zweiter diente zur selben Zeit in der Wehrmacht und ein dritter war Konstrukteur bei den Flugzeugwerken Steyr.638 Ende Dezem-ber 1938 war Kurt Ponger zur Deutschen Wehrmacht eingerückt. Dennoch gelang es ihm während seiner militärischen Dienstzeit, sein Studium zu beenden. Er war an den Feldzügen in Polen, Frankreich, Griechenland und Serbien beteiligt, danach

632 Vernehmung vom 26.02.1944, AdR, Zentr. Ger. 1939–1945, Außenst. Wien 176/1.

633 Auch gegen diesen Studenten wurden Ermittlungen durchgeführt. Er wurde aber als »Verführ-ter« eingeschätzt. Da er sich im März 1943 freiwillig zur Waffen-SS gemeldet hatte und nach dem Abschluss seiner Staatsprüfung einberufen werden sollte, wurde er aus der Haft entlas-sen. Schreiben der Gestapo vom 24.06.1944, AdR, Zentr. Ger. 1939–1945, Außenst. Wien 176/1.

634 Niederschrift der Aussage des Anzeigers vom 09.02.1944, AdR, Zentr. Ger. 1939–1945, Außenst.

Wien 176/1.

635 Niederschrift der Aussage des Anzeigers vom 09.02.1944, AdR, Zentr. Ger. 1939–1945, Außenst.

Wien 176/1.

636 Gestapo/Stapoleitstelle Wien vom 25.02.1944, AdR, Zentr. Ger. 1939–1945, Außenst. Wien 176/1.

637 Niederschrift der Aussage von H. S. vom 21.02.1944, vor der Gestapo/Stapoleitstelle Wien, AdR, Zentr. Ger. 1939–1945, Außenst. Wien 176/1.

638 Gerichtsverhandlung vom 27.04.1944, AdR, Zentr. Ger. 1939–1945, Außenst. Wien 176/1.

war er in der Sowjetunion eingesetzt. Er wurde zwei Mal verwundet. Seine militä-rische Führung wurde als gut beurteilt. Seit Mitte Jänner 1943 hielt er sich bei der Panzer-Ersatz- und Ausbildungsabteilung I in der Rennwegkaserne auf. Er hatte acht Semester an der Technischen Hochschule in Wien studiert und war seit dem Oktober 1943 zum Diplom-Ingenieur639 graduiert.640 Im Februar 1944 hatte er im Laboratorium der Technischen Hochschule einen Termin mit einem Professor ge-habt, um die Modalitäten seiner Dissertation zu besprechen. Dort traf er zufällig mehrere Studienkollegen, mit denen sich besagte hitzige politische Debatte entwi-ckelte. Bei dieser Diskussion soll sich Kurt Ponger – laut Aussagen der Anzeigenden – kommunistisch bzw. »staatsfeindlich« geäußert haben. Es wurde ihm im Detail vorgeworfen, gesagt zu haben, es sei höchste Zeit, dass man sich für oder gegen die jetzige Regierung entscheide. Es stünden schon Organisationen »für den kom-menden Umschwung« bereit. Jeglicher Idealismus sei sowieso Unsinn, man müsse sich immer zu der Partei bekennen, die die führende Stellung einnähme. Wenn der Kommunismus komme, würde nur eine Klasse herrschen, und es spiele auch keine Rolle, ob »2 bis 3 Millionen Menschen über die Klinge sprängen«. Es sei auch kein Schaden, wenn »die ganze bürgerliche Gesellschaft liquidiert werde.«641 Er soll zy-nisch angemerkt haben, für einen Ingenieur gäbe es in diesem Falle ein »herrliches Betätigungsfeld«, weil dann Krematorien für diese Menschen in großem Ausmaß zu bauen seien, und er sei gegen das heutige Regime.642 Außerdem soll er auch gesagt haben, es sei eine schöne Zeit gewesen, wie er noch mit einer Jüdin befreundet ge-wesen sei, diese sei inzwischen nach Paris ausgewandert. Die heutigen Frauen seien

»eine unmögliche Gesellschaft, sie säßen in den Kaffeehäusern herum und liefen den anwesenden Offizieren nach«.643 Am Schluss des Gesprächs soll er nochmals bekräftigt haben, dass er gegen das gegenwärtige Regime sei. Seine Reden wirk-ten auf die anderen provokant, überspitzt und Angst einflößend. Nur ein ebenfalls anwesender slowakischer Student habe sich – so die Darstellung der Denunzianten – seiner politischen Sichtweise angeschlossen. Dieser wurde deswegen gefragt, wie er sich verhielte, wenn die Sowjets in die Slowakei einmarschieren würden, darauf

639 Die Kaiserliche Verordnung von 1917, mit der den Absolventen der österreichischen techni-schen Hochschulen der Standestitel »Ingenieur« zugesichert worden war, wurde mit 1. Juli 1939 aufgehoben. Vgl. Gesetzesblatt für das Land Österreich 1939, Nr. 1102, zit. nach: Mikoletzky, Die Technische Hochschule, S. 64.

640 Aussage zur Person vom 26.02.1944, AdR, Zentr. Ger. 1939–1945, Außenst. Wien 176/1.

641 Anklageverfügung und Haftbefehl vom 20.03.1944, AdR, Zentr. Ger. 1939–1945, Außenst. Wien 176/1.

642 Anklageverfügung und Haftbefehl vom 20.03.1944, AdR, Zentr. Ger. 1939–1945, Außenst. Wien 176/1.

643 Gerichtsverhandlung vom 27.04.1944, AdR, Zentr. Ger. 1939–1945, Außenst. Wien 176/1.

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soll er geantwortet haben, dass er einen jüdischen Freund hätte, der KPD-Führer sei und an den sich nicht einmal die slowakische Polizei heranwagen würde.644 Nach dieser offenbar kontrovers verlaufenden Diskussion beschwor der slowakische Stu-dent abschließend alle Beteiligten, »daß dieses Gespräch unter Kameraden statt-gefunden habe, und daß der, der es anzeigt, ein Lump sei.«645 Womit er auf die be-kannte Aussage von Hoffmann von Fallersleben anspielte, der Denunziant sei der größte Lump im ganzen Land646, und damit an ihre Verschwiegenheit appellierte.

Die anderen Studenten beherzigten seinen Appell allerdings nicht.

Im Gegenteil, die Anschuldigungen fielen massiv aus. Gegen Kurt Ponger wurden unverzüglich Ermittlungen und ein Strafverfahren eingeleitet. Am 24. Februar 1944 wurde Kurt Ponger im Einvernehmen mit dem Gerichtsoffizier seiner Einheit fest-genommen und der Wehrmachtsuntersuchungsanstalt Wien, Zweigstelle Neubau überstellt.647 Nach der politischen Beurteilung der NSDAP war Kurt Ponger bisher politisch nicht hervorgetreten.648 Auch die Durchsuchung seiner Wohnung, die nur aus einem Kabinett bestand, hatte nichts Belastendes ergeben.649 Die mündlichen Aussagen seiner Denunzianten wurden aber als ausreichend angesehen, um ihn zu inhaftieren. Als erschwerend wurde von Behördenseite gewertet, dass Kurt Ponger bei der politischen Debatte die Wehrmachtsuniform getragen hatte.650

Nach zwei Monaten Untersuchungshaft kam es zur Gerichtsverhandlung. Der Angeklagte – er konnte laut Akt auf die Unterstützung eines Wahlverteidigers zu-rückgreifen – gab bei seiner Befragung an, dass die Anschuldigungen absurd seien, es habe sich nur um »Dialektik unter Studenten« gehandelt, zudem sei seine Mutter

»aus der illegalen Zeit Parteigenossin« und er sei wie sie nationalsozialistisch einge-stellt. Er habe den anderen Studenten, Hans Schuster, den er für einen »Angstha-sen« hielt, nur »aufziehen« und ihm mit seinen politischen »Worst-Case-Szenarien«

Angst machen wollen. Dieser war an der Hochschule als Nationalsozialist bekannt gewesen und hätte von seiner ebenfalls nationalsozialistischen Einstellung wissen müssen. Er habe für den Kommunismus noch nie etwas übriggehabt.651

Es gab drei weitere Zeugen dieser Auseinandersetzung, die sich in ihren

Aussa-644 Gerichtsverhandlung vom 27.04.1944, AdR, Zentr. Ger. 1939–1945, Außenst. Wien 176/1.

645 Gerichtsverhandlung vom 27.04.1944, AdR, Zentr. Ger. 1939–1945, Außenst. Wien 176/1.

646 Vgl. Ross, Landwehr (Hg.), Denunziation und Justiz, S. 17.

647 Gestapo/Stapoleitstelle Wien, Schlussbericht vom 08.03.1944, AdR, Zentr. Ger. 1939–1945, Au-ßenst. Wien 176/1.

648 NSDAP vom 19.04.1944, AdR, Zentr. Ger. 1939–1945, Außenst. Wien 176/1.

649 Gestapo/Stapoleitstelle Wien, Festnahme und Hausdurchsuchung vom 24.02.1944, AdR, Zentr.

Ger. 1939–1945, Außenst. Wien 176/1.

650 Schreiben der Gestapo vom 25.02.1944, AdR, Zentr. Ger. 1939–1945, Außenst. Wien 176/1.

651 Gerichtsverhandlung vom 27.04.1944, AdR, Zentr. Ger. 1939–1945, Außenst. Wien 176/1.

gen aber zurückhaltend verhielten. Daher kam ihren Aussagen keine Entlastungs-funktion zu, da das Militärgericht der Ansicht war, sie wären zum Zeitpunkt der Debatte beschäftigt gewesen und hätten daher dem Geschehen nicht viel Aufmerk-samkeit zollen können.652 Generell wurden die Aussagen von EntlastungszeugInnen nie gleich ernst wie jene von BelastungszeugInnen genommen. Die Intention des Militärgerichts war es, mit extrem harten Urteilen abzuschrecken, und da waren Entlastungsaussagen nur hinderlich.

Todesurteil

Am 27. April 1944 wurde der 28-jährige Student vom Zentralgericht zum Tode verur-teilt. Dazu kamen der Verlust seiner Wehrwürdigkeit653 und die Aberkennung seiner bürgerlichen Ehrenrechte auf Lebenszeit. Obwohl die Mutter illegale Nationalsozi-alistin war, wurde bei der Gerichtsverhandlung ein Brief von ihr als belastender Be-weis gegen den Sohn angeführt, da ihr Schreiben keineswegs von »einem national-sozialistischen Geist« zeugen würde.654 Sie hatte am 19. April 1944 unter anderem Folgendes an ihren Sohn geschrieben: »Eben habe ich das Phrasengedudel, das die Wirklichkeit tausendmal Lüge straft, abgedreht, das einzige zum Anhören sind gute Schallplatten von großen Meistern […] Aber das darf uns nicht mutlos und kraft-los finden, es ist noch nicht aller Tage Ende. Ich glaube an Deinen guten Stern, und Deine Widersacher werden vielleicht auch ihre gerechte Belohnung finden, darauf kannst Du Dich verlassen. Es kommen wieder andere Zeiten. Zu Deiner Verhand-lung komme ich hin und wir sehen uns, lieber K., sei stark, Du hast doch Dein Leben lang gestrebt, aus Dir eine tüchtige Persönlichkeit zu machen, die vielen Menschen durch Dein Können und Dein Wissen Werte schafft zum Segen für alle Menschen, das vergiß nicht, und die Zeit wird kommen, wo wieder Deine Chancen blühen.«655 Ihre harmlos kritisch anmutenden Aussagen zu den Durchhaltesendungen des NS-Rundfunks und zur Einschätzung des Prozesshergangs wurden von Seiten des Gerichts als Indiz einer allgemeinen familiären Gegnerschaft zum NS-Regime inter-pretiert. Das Kriegsgericht kam zu dem Urteil, dass Ponger in der Debatte auf der Hochschule seine »innere politische Meinung« – die als kommunistisch kategorisiert wurde – geäußert habe und dass es sich bei seinen Aussagen keinesfalls nur um eine 652 Gerichtsverhandlung vom 27.04.1944, AdR, Zentr. Ger. 1939–1945, Außenst. Wien 176/1.

653 Das bedeutete, dass auch die Angehörigen keinerlei sozialrechtliche Ansprüche aus Dienstzei-ten in der Wehrmacht stellen konnDienstzei-ten. Feldurteil vom 27.04.1944, AdR, Zentr. Ger. 1939–1945, Außenst. Wien 176/1.

654 Feldurteil vom 27.04.1944, AdR, Zentr. Ger. 1939–1945, Außenst. Wien 176/1.

655 Gerichtsverhandlung vom 27.04.1944, AdR, Zentr. Ger. 1939–1945, Außenst. Wien 176/1.

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»Studentendummheit« gehandelt habe. Er habe im Gegenteil den Eindruck eines politischen Fanatikers gemacht. Zudem habe er öffentlich gehandelt, da er nicht sicher sein konnte, dass seine Äußerungen »im Kameradenkreis« bleiben würden.

Erschwerend wurde sein Status als Akademiker beurteilt: »Vom Standpunkt der Allgemeinheit aus wiegt die Tat auch ganz besonders schwer, weil Ponger die to-tale völkische Einsatzbereitschaft zur Erringung des Endsieges empfindlich gestört hat.«656 Seine Äußerungen wurden als »staatsfeindlich« und damit als hochverräte-rische, gefährliche Aktivitäten eingestuft. Strafmildernd wurde nur seine bisherige Unbescholtenheit angerechnet. Der Schlusssatz des Urteils lautete: »Im 5. Kriegs-jahr muß gegen kommunistische Propagandisten, die den guten Geist der Truppe gefährden, mit der Energie vorgegangen werden, die durch den Ernst der Stunde geboten ist. Die Interessen der Volksgesamtheit verdienen daher den Vorzug vor den Interessen des Einzelnen. Eine Milde mit Staatsfeinden ist untunlich, auch wenn sie an der Front ihre Pflicht und Schuldigkeit getan haben. Nur eine kompromißlose Bekämpfung der kommunistischen Zersetzer verspricht Erfolg. Als Sühne für die Tat kam daher nur die Todesstrafe in Betracht.«657 Damit wurde ein Höchstmaß an Strafe festgesetzt.

Am Ende der Verhandlung antwortete der Angeklagte auf die Frage, ob er noch etwas zu seiner Verteidigung anzuführen habe: »Ich bedaure die Vorkommnisse und betone, daß ich nicht staatsfeindlich eingestellt bin. Ich hatte nicht die Absicht, zersetzend zu wirken, und bitte, wieder an die Front gehen zu dürfen. Ich habe nur den Wunsch, mein Vergehen gutzumachen.«658

Kurze Zeit danach richtete die Mutter ein fünfseitiges, von nationalsozialisti-schen Phrasen strotzendes Gnadenansuchen an das Oberste Kriegsgericht in Ber-lin, um eine Aufhebung der Todesstrafe und stattdessen die Versetzung des Soh-nes zum Fronteinsatz zu erreichen. Sie beschrieb ihren Sohn darin im NS-Jargon als »grunddeutsch und bärenhaft treu« und »mannhaft«: »Mein Sohn ist mannhaft, nicht feig, fest im Glauben, seine Einstellung ist, weil er das chaotische Elend ande-rer Staaten kennt, grunddeutsch und bärenhaft treu!«659 Sie nannte seine Aussa-gen zwar unbedacht, führte sie aber auf seine Überanstrengung durch Kasernen-dienste und das gleichzeitige Verfertigen seiner Dissertation zurück: »Der Zwiespalt dieser Überanstrengung machte ihn wahrscheinlich einflußbereit für das Wühlen bestimmter Elemente in der Kaserne, weil er von dort stets gereizt nach Hause

656 Feldurteil vom 27.04.1944, AdR, Zentr. Ger. 1939–1945, Außenst. Wien 176/1.

657 Feldurteil vom 27.04.1944, AdR, Zentr. Ger. 1939–1945, Außenst. Wien 176/1.

658 Gerichtsverhandlung vom 27.04.1944, AdR, Zentr. Ger. 1939–1945, Außenst. Wien 176/1.

659 Ansuchen um Aufhebung der Todesstrafe vom 01.05.1944, AdR, Zentr. Ger. 1939–1945, Außenst.

Wien 176/1.

kam.«660 Damit beinhalteten ihre Aussagen einen Verdacht politisch widerläufiger Agitationen unter Soldaten. Am Ende ihres Schreibens schloss sie mit der Zuver-sicht, die Wahrheit würde ans Licht kommen, und mit der Einschätzung, dass es sich um eine »Aufhetzung« ihres Sohnes durch Kameraden in der Kaserne – die sie drastisch als »Schleichwühler« titulierte – gehandelt habe: »Die Aufhetzung hat er aber allemal von der Kaserne mitgebracht, und aus Fetzen, die ich oft aufschnappte, wenn er mit Kameraden sprach, weiß ich, daß die Fremdsenderhiobsbotschaften nur von gut getarnten Schleichwühlern aus seiner Kaserne stammten. Es muß dort unverantwortliche Dunkelmänner geben, die den jüngeren Kameraden das Herz und den Sinn vergiften. Das sind die eigentlichen Wehrkraftzersetzer, nicht die verblödelten Studentenpolitikdebatten.«661 Die Erwähnung dieser angeblichen

»Dunkelmänner« in der Kaserne erwies sich vor Gericht als kontraproduktiv und als ungeeignet, Kurt Pongers Verteidigung zu unterstützen, im Gegenteil, damit spielte seine Mutter auf einen verschwörerischen Hintergrund unter Soldaten an, womit sie der Angelegenheit noch mehr politisches Gewicht verlieh. In einem weiteren Ge-such korrigierte sie daher diese Argumentation, da sie in der Zwischenzeit eine Un-terredung mit ihrem Sohn gehabt hatte. Die abermals geänderte Linie dürfte aber insgesamt ihrer Glaubwürdigkeit und der ihres Sohnes wohl eher geschadet denn genützt haben. Nun argumentierte sie mit seiner nervlichen Überreizung während seiner schweren Prüfungszeit und damit, dass es sich nur um Hänseleien zwischen Studenten gehandelt habe.662 Auch der Wahlverteidiger erstellte ein mehrseitiges Gnadenansuchen, in dem er vor allem den Vorwurf der kommunistischen Einstel-lung des Angeklagten zu entkräften suchte und um Aussetzung des Urteils und Frontbewährung ersuchte. Der Verteidiger argumentierte, es habe sich bei den Re-den des Verurteilten vorrangig um ein angeberisches Hänseln eines Kollegen gehan-delt, der sich nach Meinung des Verurteilten aus Angst vor dem Einsatz an der Front gedrückt habe. Auch wären seine Äußerungen zum Bau von Krematorien im Falle des Sieges der Russen kaum geeignet anzusehen, für kommunistisches Ideengut zu werben, sondern müssten seiner Meinung als Jurist zufolge für das Gegenteil herangezogen werden.663

660 Ansuchen um Aufhebung der Todesstrafe vom 01.05.1944, AdR, Zentr. Ger. 1939–1945, Außenst.

Wien 176/1.

661 Ansuchen um Aufhebung der Todesstrafe vom 01.05.1944, AdR, Zentr. Ger. 1939–1945, Außenst.

Wien 176/1.

662 Nach- und Schlusssatz zum Ansuchen um Aufhebung der Todesstrafe vom 03.05.1944, AdR,

662 Nach- und Schlusssatz zum Ansuchen um Aufhebung der Todesstrafe vom 03.05.1944, AdR,

Im Dokument Fälle aus der NS-Militärjustiz (Seite 158-170)