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II. Denunziation als soziales Phänomen

2. Denunziationen im weiteren Umfeld

2.9. Im Stall

Anfang September 1943 erzählte die Landwirtin Katharina Hell dem Ortsgruppenlei-ter von Wildendürnbach/Gau Niederdonau von einem aushelfenden Viehhirten, der ihr bei gemeinsamen Stallarbeiten zwei unerlaubte politische Witze erzählt habe.

Der Ortsgruppenleiter wollte sofort hart einschreiten, schien sich aber unsicher, in welcher Form er dies tun sollte. Er fragte in einem Schreiben an die Gestapo in Lu-denburg nach, ob er sofort etwas unternehmen könne, da dieser Viehhirte und ein zweiter Verdächtiger bald zur Wehrmacht eingezogen und damit seinem Einfluss entzogen würden. Die Gestapo Lundenburg erklärte sich für unzuständig und ver-wies an die Gestapo Wien.770 Schlussendlich wurde die Anzeige auf diesem Wege eingeleitet.771

Dem Bericht der NSDAP-Ortsgruppe zufolge lauteten die Witze folgenderma-ßen: »Witz 1: Wissen Sie, wann der Kaiser Otto in die Hofburg einzieht? Wenn der Maler fertig ist. […] Witz 2: Einem Mann wurde eine Kuh gestohlen, der Mann ging zum Bürgermeister und meldete es. Der Bürgermeister sagte, da kann ich ihnen nicht helfen, da müssen Sie zum Gendarm gehen. Der Gendarm sagte, das können wir machen, aber Sie müssen mir eine Beschreibung geben, wie die Kuh ausgesehen hat. Der Mann sagte: ›Braun wie der Hitler, dick wie der Göring, hatschert wie der Goebbels, und blöd schaut sie drein wie ein Illegaler, der einrücken muss.‹«772 In die-sen Witzen wurde nicht nur mit dem Ende des Nationalsozialismus und einer nach-folgenden Monarchie gedanklich gespielt, sondern es wurden auch die NS-Größen 770 Schreiben der NSDAP/Ortsgruppe Wildendürnbach vom 08.09.1943, AdR, Zentr. Ger. 1939–

1945, Außenst. Wien 171/4.

771 Niederschrift des GP in Wildendürnbach vom 12.10.1943, AdR, Zentr. Ger. 1939–1945, Außenst.

Wien 171/4.

772 Schreiben der NSDAP/Ortsgruppe Wildendürnbach vom 08.09.1943, AdR, Zentr. Ger. 1939–

1945, Außenst. Wien 171/4.

lächerlich gemacht und Kritik an der Bevorzugung von illegalen Nationalsozialisten geübt. Abgesehen von diesen Witzen habe der Viehhirte außerdem geäußert, der Krieg sei nicht mehr zu gewinnen und die Ablieferungspflicht der Bauern sei ein un-sinniger Zwang. Dazu kam noch ein weiterer Vorfall: Vor einem halben Jahr war das Auto des Kreisleiters aus Mistelbach um Mitternacht in Neuruppersdorf beschädigt worden. Der Viehhirte hatte diesen Vorfall der Bäuerin gegenüber am nächsten Tag angeblich mit den Worten »Ja, da sieht man, daß nicht alle dafür sind«773 kommen-tiert. Daraufhin wurde er nicht nur des »Defaitismus durch Witze« angeklagt, son-dern auch verdächtigt, dieses Auto beschädigt zu haben. Im Zuge dessen wurde noch ein zweiter Mann, ein Landwirt aus Neuruppersdorf wegen »wehrkraftzerset-zender Äußerungen« angezeigt.

Die Initiatorin dieser Anzeige, die 34-jährige Landwirtin Katharina Hell, gab bei ihrer Einvernahme an, beim Füttern des Gemeindestieres von diesem Aushilfshirten im Stierstall die inkriminierten Witze gehört zu haben. Sie habe ihn gefragt, woher die Witze stammten, worauf er gemeint habe, es hätte sie ihm jemand erzählt. Ei-nige Zeit später traf sie ihn auf einem Weg nach Wildendürnbach und fragte ihn, ob er bei der Versammlung des »Dorfdreiecks«774 gewesen sei. Er wäre schlechter Laune gewesen, da er gehört habe, er müsste einrücken, und habe erwidert: »Ich scheiß ihnen etwas, ich bin gerade neugierig, was diese sagen.«775 Darin sah sie ei-nen neuerlichen Beweis seiner »defaitistischen« Einstellung.

Die Sichtweise des Viehhirten

Kurt Fuchs, der 42-jährige angezeigte Viehhirte, stammte aus Föllin, Kreis Mistel-bach, Gau Niederdonau. Er war katholisch, verheiratet und Vater von fünf Kindern.

Nach der Volksschule arbeitete er als Landwirtschaftsgehilfe und wurde dann Vieh-hirte wie sein Vater. Er war kein NSDAP-Mitglied, gehörte aber der DAF und der NSV an. Er war vor 1938 Mitglied der Vaterländischen Front. Im Oktober 1943 wurde er zum Landesschützen-Ersatz-Bataillon 17 in Hainburg eingezogen und im Oktober 1944 zum Aufstellungsstab Krummau versetzt. An die Front sollte er erst eingezo-gen werden.776 Von Dezember 1941 bis August 1943 war er – in Vertretung des zur

773 Schreiben der NSDAP/Ortsgruppe Wildendürnbach vom 08.09.1943, AdR, Zentr. Ger. 1939–

1945, Außenst. Wien 171/4.

774 Diese Kooperation wurde auch »Ortsdreieck« genannt und bestand aus NSDAP-Ortsgruppen-leiter, Ortsbauernführer und Bürgermeister.

775 Niederschrift des GP in Wildendürnbach vom 12.10.1943, AdR, Zentr. Ger. 1939–1945, Außenst.

Wien 171/4.

776 Feldurteil vom 30.03.1944, AdR, Zentr. Ger. 1939–1945, Außenst. Wien 171/4.

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Wehrmacht eingezogenen Viehhirten des Ortes – aushilfsweise bei der Gemeinde Wildendürnbach zur Betreuung des Gemeindestieres beschäftigt gewesen. Er be-stritt keineswegs, diese Witze erzählt zu haben, die er selbst zuvor von einem Fer-kelverkäufer gehört habe. Er habe sich aber nichts dabei gedacht, auch wenn ihm die Witze selbst etwas »scharf« vorgekommen seien. In seiner Aussage erläuterte er auch seinen Ärger über die Ablieferungspflicht und erklärte seinen persönlichen Hintergrund. Im Vorjahr hätte er 800 Kilogramm Kartoffeln abliefern sollen, hätte aber insgesamt nur rund 1.000 Kilogramm geerntet und da ersechs Personen ver-sorgen müsste, wäre dies für den Eigenbedarf zu wenig gewesen.777 In einem Zu-satz dieses Gendarmerieberichtes wurde festgestellt, dass er das Auto des Kreislei-ters nicht beschädigt haben konnte, da dies zeitlich nicht möglich gewesen war.778

Der Bericht des Kreispersonalamtes der NSDAP/Kreis Mistelbach zu seinem poli-tischen Background war untergriffig formuliert, und das Personalamt konstatierte, er sei ein »hinterhältiger und heimtückischer Mensch«, ein Gegner des Nationalsozi-alismus und habe dies durch abfällige Äußerungen mehrfach bewiesen. Dazu habe er Frauen aufgefordert, nichts zu arbeiten, da der Krieg ohnedies verloren würde.779

Am 15. Februar 1944 wurde er beim Gericht der Wehrmachtskommandantur Berlin/Außenstelle Wien angeklagt und verhaftet. Ein paar Tage später wurde er in das Wehrmachtsgefängnis Wien 10, Hardtmuthgasse 42 überführt.780 Er wurde vom Zentralgericht zu einem Jahr und sechs Monaten Gefängnis verurteilt.781 Die Begründung des Urteils lautete: »Das Erzählen der beiden politischen Witze erfüllt den Tatbestand des § 5 Abs. 1 Ziff. KSSVO. Der Angeklagte hat damit öffentlich den Willen des deutschen Volkes zur wehrhaften Selbstbehauptung zu lähmen gesucht und ist nach dieser Gesetzesbestimmung in Strafe zu nehmen. Für den Ausgang des gegenwärtigen harten Schicksalskampfes unseres Vaterlandes ist der geschlos-sene Einsatz des gesamten deutschen Volkes von entscheidender Bedeutung, wo-bei es auf den Wehrwillen jedes einzelnen Volksgenossen ankommt. Dieses gilt im 5. Kriegsjahr im besonderen Maße. Daß die Äußerungen des Angeklagten ihrem ganzen Inhalt nach geeignet waren, diesen Willen zur wehrhaften Selbstbehaup-tung zu lähmen und zu zersetzen, kann nicht zweifelhaft sein. Denn die vom

An-777 Bericht des GP Wildendürnbach vom 14.10.1943, AdR, Zentr. Ger. 1939–1945, Außenst. Wien 171/4.

778 Niederschrift des GP in Wildendürnbach vom 12.10.1943, AdR, Zentr. Ger. 1939–1945, Außenst.

Wien 171/4.

779 Niederschrift des GP in Wildendürnbach vom 12.10.1943, AdR, Zentr. Ger. 1939–1945, Außenst.

Wien 171/4.

780 Politische Beurteilung des Kreispersonalamtes der NSDAP/Gau Niederdonau, Kreisleitung Mis-telbach vom 13.03.1944, AdR, Zentr. Ger. 1939–1945, Außenst. Wien 171/4.

781 Feldurteil vom 30.03.1944, AdR, Zentr. Ger. 1939–1945, Außenst. Wien 171/4.

geklagten weitererzählten sogenannten Witze, deren Ursprung im feindlichen Ausland zu suchen ist, sind geeignet, das Vertrauen zum Führer und zur Führung des Reiches zu untergraben. […] Derartige törichte Witze müssen sich auf die Angehörigen der Heimat lähmend auswirken. Dieser Tragweite seiner Handlungs-weise mußte sich der Angeklagte auch bewußt sein. Die Tat ist öffentlich began-gen. Der Angeklagte mußte damit rechnen, daß seine Arbeitskameradin die Witze anderen Personen weitererzählen würde, daß sie also einem größeren Personen-kreis zugänglich gemacht würden.«782 Am 4. Mai 1944 wurde vom Feldjustizinspek-tor ersucht, den Inhaftierten sofort aus der Untersuchungshaft zu entlassen und zu seinem Ersatztruppenteil in Marsch zu setzen.783 Fünf Tage später wurde eine Milderung der Strafe auf sechs Monate Gefängnis verfügt und dem Verurteilten Strafaufschub zwecks »Feindbewährung« gewährt.784 Der Einsatz an der Front war dringlicher als die sofortige Bestrafung.

Die Sichtweise der Bäuerin

Die Bäuerin denunzierte den Viehhirten auf indirektem Wege, da sie dem Orts-gruppenleiter davon erzählte und nicht selbst auf die Gendarmerie ging, um die Anzeige zu erstatten. Sie orientierte sich damit hierarchisch an dem männlichen NS-Funktionär des Ortes und sicherte sich so nach oben hin ab. In der Geschlech-terforschung wurde die Beobachtung gemacht, dass Frauen den Behördenkontakt häufig männlichen Verwandten überließen; dem kann ich zustimmen, da sich auch in meinem Sample tendenziell mehr Frauen als Männer nach oben absicherten und den eigentlichen Behördenweg oft Männern überließen.785 In diesem Fall leitete der Ortsgruppenleiter die Anzeige in die Wege, dabei suchte er sich als Hardliner zu pro-filieren, indem er durch seine Anfrage sein besonderes Bemühen dokumentieren konnte und den Viehhirten vor seiner Einziehung zur Wehrmacht bestraft sehen wollte. An den Inhalten der weitererzählten politischen Witze lassen sich die bereits recht weitverbreitete skeptische Einstellung und die aufbrechenden ideologischen Konflikte ablesen. Die »Koexistenz« der traditionellen Dorfgesellschaft mit dem Na-tionalsozialismus wurde gegen Kriegsende zunehmend brüchig786, was sich auch an der Beschädigung des Autos des Kreisleiters, der Kritik an den NS-Funktionären

782 Feldurteil vom 30.03.1944, AdR, Zentr. Ger. 1939–1945, Außenst. Wien 171/4.

783 Schreiben vom 04.05.1944, AdR, Zentr. Ger. 1939–1945, Außenst. Wien 171/4.

784 Schreiben vom 04.05.1944, AdR, Zentr. Ger. 1939–1945, Außenst. Wien 171/4.

785 Vgl. Thonfeld, Sozialkontrolle, S. 147; Dördelmann, Macht der Worte, S. 41.

786 Langthaler, Eigensinnige Kolonien, S. 370–372.

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des Ortes und der als zu hart bezeichneten Ablieferungspflicht bei Ernten zeigte.

Die Liefervorschreibungen für die einzelnen Bauern wurden meist vom Ortsbauern-führer, vom Bürgermeister und vom NSDAP-Ortsgruppenleiter als den dörflichen Repräsentanten der NS-Obrigkeit unterzeichnet. Die Anreize des NS-Systems durch staatliche Geld- und Sachleistungen, dienstverpflichtete Arbeitskräfte aus dem In-land und ausländische ZwangsarbeiterInnen sowie Identifikationsangebote der NS-Diskurse waren mit Zumutungen verzahnt: Vorschriften, Kontrollen und Strafen.787 Witze stellten dabei ein Ventil für zunehmende soziale und politische Spannungen dar.

Im Dokument Fälle aus der NS-Militärjustiz (Seite 196-200)