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Im Wohnzimmer

Im Dokument Fälle aus der NS-Militärjustiz (Seite 119-123)

II. Denunziation als soziales Phänomen

1. Denunziationen im persönlichen Umfeld

1.3. Im Wohnzimmer

In einem anderen Fall ging es um eine ganz alltägliche Situation beim Sammeln von Spenden für das Winterhilfswerk. Am 13. April 1944 erschien Elisabeth Weiker, eine 39-jährige Blockhelferin der NSV in der Dienststelle der Ortsgruppe der NSDAP in Alt-schwendt und zeigte den »Arbeitssoldaten« Karl Schmiedl wegen seines schlechten

»wehrkraftzersetzenden« Betragens ihr gegenüber an. Zum damaligen Zeitpunkt war sie als WHW-Sammlerin gerade für das Einsammeln der Eintopfspenden zuständig. Der letzte Besuch an diesem Tag hatte sie in die Wohnung des Hausbesitzers und Zimmer-manns Karl Schmiedl geführt. Dort hatte sich – in ihren Augen – höchst Unerfreuliches ereignet: Die 14-jährige Tochter des Hausherrn habe sie mit folgenden Worten emp-fangen: »Ja, die Weikerin448 kriegt a Geld.« Darauf habe sie den Karl Schmiedl freund-lich begrüßt. Seine Antwort war hingegen äußerst unfreundfreund-lich: »Ja, allerweil a Göld, dass noch länger Krieg führen könnts! Ös Herrgottsakra, erschießen sollte ma enk!«449 Elisabeth Weiker fasste diese Schimpftirade als persönlichen Angriff gegen sich und gegen die NSDAP auf. Währenddessen suchte die Tochter von Karl Schmiedl nach Geld und reichte ihr eine Geldnote. Da Elisabeth Weiker nicht klein herausgeben konnte, warf ihr die Tochter zwanzig Pfennig auf die Eintopfliste. Durch die Wucht des Auf-pralls blieb das Geld dort nicht liegen, sondern kullerte auf die auf dem Tisch liegenden Sachen. Elisabeth Weiker fand es unter ihrer Würde, dieses Geld zu suchen, und verließ äußerst verärgert das Haus: »Ich erachtete es unter meiner Würde, nach diesem Gelde, das mir wie einem Bettler zugeworfen wurde, zu suchen und verließ das Haus.«450

Der angezeigte Karl Schmiedl war 43 Jahre alt und verheiratet. Er war katholisch und hatte fünf Kinder. In seinem zivilen Beruf war er Zimmermann. Seit 1941 war er bei der 2. Komp. Kdtr. Tr. Üb. Pl. Döllersheim beim Ersatzheer als »Arbeitssoldat«

und Zimmermann abgestellt und hatte zum Zeitpunkt dieses Vorfalls gerade Sonn-tagsurlaub, den er bei seiner Familie verbringen wollte. Bei seiner Befragung gab er an, sich an den Wortwechsel gar nicht mehr erinnern zu können. Im Gegenteil, er nahm die Anzeigerin sogar in Schutz: »Ich halte jedoch die Frau Weiker nicht für so schlecht, daß sie mir unwahre Behauptungen unterstellt. Wenn ich so oder ähnlich gesagt habe, wie Frau Weiker angibt, so ist es von mir nicht aus Böswilligkeit ge-schehen, sondern ich habe es nur im Scherz gemeint.«451

448 Dieser Name ist wie alle anderen geändert und nur der Schreibweise des Dokuments angepasst.

449 Aussage bei der Dienststelle der Ortsgruppe der NSDAP in Altschwendt vom 13.04.1944, AdR, Zentr. Ger. 1939–1945, Außenst. Wien 175/11.

450 Aussage bei der Dienststelle der Ortsgruppe der NSDAP in Altschwendt vom 13.04.1944, AdR, Zentr. Ger. 1939–1945, Außenst. Wien 175/11.

451 Vernehmung bei der Kommandantur Tr. Üb. Pl. Döllersheim, AdR, Zentr. Ger. 1939–1945, Au-ßenst. Wien 175/11.

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Anlässlich dieser Vorkommnisse schrieb der Kommandant des Truppenübungs-platzes an den Obergemeinschaftsleiter bezüglich einer Beschwerde der Kreislei-tung Schärding wegen dieses politisch ungebührlichen Verhaltens des Oberschüt-zen Schmiedl. Der Beschuldigte habe die Äußerungen gar nicht abgestritten, aber sie als nicht so schlimm abgetan. Dienstlich gäbe es keine Klagen gegen Schmiedl.

In seinem Schreiben regte der Kommandant an, was er auch anlässlich der Grün-dungsfeier der NSDAP Döllersheim Dr. Hugo Jury, dem Gauleiter von Niederdonau, vorgeschlagen hatte, nämlich bei derartigen Anzeigen die Parteidienststellen anzu-weisen, sich darüber zu informieren, ob der Angeschuldigte sich bis jetzt »parteimä-ßig gut geführt« habe oder ob er grundsätzlich gegen die NSDAP eingestellt wäre.

Seiner Meinung nach würden derartige Vergehen, die – wenn einmal seitens des Truppenvorgesetzten Tatbericht erstellt worden wäre – von einem Sondergericht verhandelt werden sollten, mit den härtesten Strafen bestraft.452 Er trat also für eine verschärfte Vorgangsweise ein und suchte sich darüber wohl beim Gauleiter zu profilieren. Er äußerte diesbezüglich: »Die Kommandantur ist der Ansicht, daß der-artige Verbrechen, die einer Sabotage des einheitlichen Verteidigungswillens des deutschen Volkes gleichkommen, wenn sie von notorischen Querköpfen begangen werden, nicht hoch und hart genug bestraft werden können, hält es aber für richtig, in jedem dieser Fälle die Meinung der vorgesetzten Parteidienststelle einzuholen, bevor die Anzeigen dem zuständigen Sondergericht vorgelegt werden.«453

Die NSDAP antwortete daraufhin, dass Schmiedl vor der Machtübernahme der NSDAP bestrebt war, sein Einverständnis mit der NSDAP zu zeigen. Aufgrund dessen wäre er sogar für kurze Zeit als Blockobmann in der Ortswaltung der DAF zu Mitarbeit herangezogen worden. Im Verlauf der Zeit habe sich aber herausge-stellt, dass er zu »jenen Menschen gehörte, die alles verneinen. So entwickelte sich Schmiedl als Verneiner des heutigen Staates und kommt nun haltungsmäßig dem Kommunismus immer näher.«454 Die Ortsgruppe bezeichnete ihn als Säufer und Verschwender und meinte, er würde auch fachlich nichts taugen, da er »wenn er berauscht ist, in der unflätigsten Weise schimpft und meckert«.455 Das Urteil des Beauftragten für Wehrmachtsfragen der NSDAP/Gau Oberdonau über Schmiedl lau-tete zusammengefasst: »Politisch unzuverlässig, Säufer und Verschwender, Nörgler

452 Schreiben der Kommandantur Tr. Üb. Pl. Döllersheim an die NSDAP/Gau Oberdonau, 23.08.1944, AdR, Zentr. Ger. 1939–1945, Außenst. Wien 175/11.

453 Schreiben der Kommandantur Tr. Üb. Pl. Döllersheim, 23.08.1944, AdR, Zentr. Ger. 1939–1945, Außenst. Wien 175/11.

454 Schreiben der NSDAP/Gau Oberdonau vom 12.10.1944, AdR, Zentr. Ger. 1939–1945, Außenst.

Wien 175/11.

455 Schreiben der NSDAP/Gau Oberdonau vom 12.10.1944, AdR, Zentr. Ger. 1939–1945, Außenst. Wien 175/11.

und ausgesprochener Gegner des nationalsozialistischen Staates.«456 Diese Nega-tiva wurden politisch gar als ein Indiz für eine sich zeigende »kommunistische Ein-stellung« interpretiert.457

Vor allem könne man am Beispiel seines Sohnes sehen, wie wenig »nationalsozi-alistisch« die Erziehung in dieser Familie sei. Die NS-Behörden konstatierten damit eine »Sippenhaftung«, der Sohn stand in den Augen des Berichterstatters für den Vater und umgekehrt. Denn Schmiedl junior, ein 16-jähriger Junge, soll, wie er zur Musterung nach Schärding eingezogen worden war, Milchsuppe auf das Führerbild geschüttet und gesagt haben: »Wegen dem Depp kann ich nach Schärding fahren, er soll sich lieber selber mustern!«458 Zum Attentat auf Hitler soll er geäußert ha-ben: »Der Graf Stauffenberg war ein Esel, er hat es nicht verstanden«, er hätte ei-nen Revolver nehmen sollen und zuerst den Führer erschießen sollen und dann sich selbst. Ferner soll er gesagt haben, »daß es bei den Partisanen auch nicht dumm wäre, da könnt man rauben und stehlen und Nazis umbringen«. Ehe er einen Ameri-kaner finge, würde er lieber zehn Nazis fangen.459 Diese Äußerungen des jugendlich rebellisch-rabiat anmutenden Schmiedl junior wurden damals durch den Kreisleiter von Schärding beim Landrat des Kreises zur Anzeige gebracht.

Am 3. November 1944 wurde Karl Schmiedl senior vom Zentralgericht des Hee-res/Außenstelle Wien zu sechs Monaten Gefängnis wegen »Zersetzung der Wehr-kraft« verurteilt. Von der Strafe wurden sechs Wochen als geschärfter Arrest voll-streckt, die Reststrafe wurde bis Beendigung des Krieges ausgesetzt.460

Zwischen der Anzeigerin und dem Opfer der Denunziation können einige Dif-ferenzen vermutet werden: Der Angezeigte kam von seinem Dienst am Truppen-übungsplatz Döllersheim nach Hause, um seinen Sonntagsurlaub mit seiner Familie zu verbringen. Er reagierte offensichtlich genervt wegen der »lästigen« Pflicht des Spendens. Die WHW-Sammlerin, die bei der letzten Station einer Sammeltour für Eintopfspenden angelangt war, könnte sich durch die Äußerungen des Tischler-meisters sowohl persönlich als auch als Repräsentantin einer von ihr noch immer hochgeschätzten Ideologie angegriffen gefühlt haben. Möglicherweise reagierte

456 Schreiben der NSDAP/Gau Oberdonau vom 12.10.1944, AdR, Zentr. Ger. 1939–1945, Außenst.

Wien 175/11.

457 Schreiben der NSDAP/Gau Oberdonau vom 12.10.1944, AdR, Zentr. Ger. 1939–1945, Außenst.

Wien 175/11.

458 Schreiben der NSDAP/Gau Oberdonau vom 12.10.1944, AdR, Zentr. Ger. 1939–1945, Außenst.

Wien 175/11.

459 Schreiben der NSDAP/Gau Oberdonau vom 12.10.1944, AdR, Zentr. Ger. 1939–1945, Außenst.

Wien 175/11.

460 Strafverfügung des Zentr. Ger. vom 03.11.1944, AdR, Zentr. Ger. 1939–1945, Außenst. Wien 175/11.

121 1. denunziationen iM persönlichen uMfeld

auch sie überzogen, weil sie öfters mit negativen Reaktionen konfrontiert war und am Ende ihrer Tour schon etwas müde war. Das Spendenwesen im Nationalsozialis-mus hatte ideologische und symbolische Bedeutung, Spenden wurden in regelmä-ßigen Abständen von der Bevölkerung eingefordert. Spenden für das »Winterhilfs-werk« (WHW), den »Eintopfsonntag«, die »Adolf-Hitler-Spende« und Einzelaktionen der NS-Volkswohlfahrt (NSV) sollten Solidarität mit dem Nationalsozialismus aus-drücken und das Bewusstsein stärken, ein unterstützendes Mitglied der »Volksge-meinschaft« zu sein. Obwohl es keine festgeschriebene Verpflichtung gab, sich an diesen Spenden zu beteiligen, wurden Häufigkeit und Höhe der Beitragszahlungen unter anderem als symbolischer Indikator der Einstellung des Einzelnen zum NS-System gesehen.461 Stephanie Abke konstatierte in ihrer Untersuchung zur Region Stade eine generell eher ablehnende Haltung vieler Bauern und des Mittelstandes zu diesen Spenden. Trotz oder gerade wegen dieser mit Kriegsverlauf zunehmend negativen Haltung in der Bevölkerung zum nationalsozialistischen Spendenwesen boten entsprechende Verweigerungen offenbar immer wieder die Möglichkeiten zu Denunziationen.462 Dabei ging es einerseits darum, konkrete finanzielle Versäum-nisse anzuprangern, und andererseits die mangelnde Spendenfreudigkeit als Mess-latte für die Einstellung zum NS-Regime insgesamt zu werten.463 Möglicherweise spielten in diesem Fall auch soziale Unterschiede und Neid eine kleine Rolle, da es sich bei dem Tischlermeister um einen Hausbesitzer handelte, er dürfte also nicht ganz mittellos gewesen sein. Die in diesen Vorfall involvierten ProtagonistInnen kannten sich seit längerer Zeit vom Sehen und vielleicht hatte die Sammlerin für die WHW-Spenden ja auch vorher in dieser Familie schon ähnlich schlechte Erfahrungen gemacht. Sie waren zwar miteinander bekannt, aber nicht befreundet, d. h., es gab keine freundschaftlichen Bindungen. Ihre Reaktion könnte einen Kumulationspunkt in einer Reihe von negativen Kontakten dargestellt haben. Die WHW-Sammlerin war möglicherweise letztlich mit den negativen Reaktionen der Bevölkerung, die mit Kriegsverlauf diese Praxis als zunehmend hohl und absurd empfand, überfordert.

461 Vgl. Abke, Zeichen, S. 130; vgl. auch: Vorländer, NS-Volkswohlfahrt, S. 341–380; ebenso: Hansen, Wohlfahrtspolitik im NS-Staat.

462 Vgl. Abke, Zeichen, S. 131.

463 Gabriele Pöschl berichtet von einer Denunziantin, die eine Arbeitskollegin anzeigte, da diese gemeint habe, sie gäbe ihr Geld lieber einem Bettler als in die NSV-Sammelbüchse. Vgl. Pöschl, Juristische Analyse, S. 218.

Im Dokument Fälle aus der NS-Militärjustiz (Seite 119-123)