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Kriegsrichter

Im Dokument Fälle aus der NS-Militärjustiz (Seite 52-55)

I. Nationalsozialistische Militär- und Strafjustiz

4. Kriegsrichter

Gerichtsstand, das Zentralgericht des Heeres (ZGH) in Berlin, mit einer Außenstelle in Wien, eingerichtet.200

Die totalitäre Strafrechtspraxis orientierte sich generell an den Prinzipien der Abschreckung, Willkür und Rechtsunsicherheit.201 Die Situation wurde für die An-geklagten im Kriegsverlauf immer prekärer. Das Strafinstrument Wehrmachtsjustiz wurde mit den Niederlagen der Wehrmacht weiter verschärft und die Angeklagten immer rechtloser. Für das Militärstrafverfahren, das Prozessrecht, das Strafverfah-ren und das materielle Strafrecht galten im Bezug auf die Tatbestandsmerkmale alle generellen verschärfenden Veränderungen der NS-Strafjustiz.

4. Kriegsrichter

Die Gerichtsbarkeit der Wehrmacht stellte einen gewaltigen Apparat innerhalb des deutschen Militärs dar. Im Verlauf des Zweiten Weltkriegs waren über 3.000 Juris-ten in den Institutionen der Militärgerichtsbarkeit als Ankläger, Richter und Gut-achter tätig.202 Die Wehrmachtrichter führten in diesem Zeitraum laut Schätzungen rund 2,5–3 Millionen Verfahren gegen Wehrmachtsangehörige durch.203

Bei der Auswahl zum Richteramt – sie lag bei den Rechtsabteilungen der drei Wehrmachtsteile Heer, Luftwaffe und Marine – wurden jene Richter mit militäri-schen Vorerfahrungen bevorzugt, die bereits im Ersten Weltkrieg als Kriegsrichter oder Frontoffiziere gedient hatten.204 Die Zugehörigkeit zur NSDAP spielte dabei anscheinend nicht die wichtigste Rolle, was aber keineswegs heißt, dass Militär-richter nicht NS-konform agierten. Aus der Ziviljustiz wechselten schon bald nach der »Machtergreifung« der NSDAP Richter zur Wehrmachtsjustiz, teilweise wegen besserer Beförderungschancen, teilweise aber auch, weil die zivile Justiz als noch stärker unter politischem Druck stehend eingeschätzt wurde. Die Wehrmachts-richter waren zunächst als »Kriegsgerichtsräte« keine Soldaten, sondern Justizbe-amte. Im Mai 1944 verloren sie mit der Übernahme in den Truppensonderdienst ihre Eigenständigkeit.205

200 Oberbefehlshaber des Heeres, HM 1944, Nr. 326, zit. nach: Walter, »Schnelle Justiz – gute Jus-tiz«?, S. 43.

201 Vgl. Manoschek, Rehabilitierung, S. 32.

202 Messerschmidt, Wüllner, Die Wehrmachtsjustiz, S. 48 ff. Eine neuere und umfassende Untersu-chung zur Praxis der Militärjuristen steht noch aus.

203 Vgl. Messerschmidt, Wüllner, Die Wehrmachtsjustiz, S. 49 f.

204 Vgl. Walter, »Schnelle Justiz – gute Justiz«?, S. 42.

205 Vgl. Thomas, »Nur das ist für die Truppe Recht«, S. 42.

Eines war allen Gerichten und Richtern gemeinsam: sie besaßen Gewalt über Tod und Leben. Einzig die Gerichtsherren oder über ihnen die höheren militärischen Be-fehlshaber hatten es in der Hand, ob ein Urteil Bestand hatte oder ob es aufgeho-ben wurde.206 Diese Gerichtsherren konnten Urteile bestätigen, aufheben und an ein zweites, drittes oder gar viertes Gericht verweisen. Die Tatsache, dass es zur Zusammenarbeit zwischen höheren Offizieren und Juristen kam, wird

unterschied-lich eingeschätzt. Übereinstimmung herrscht darin, dass es ein eindeutiges Über-gewicht des militärischen Befehlshabers gegenüber dem Juristen aufgrund seines höheren Ranges und seiner Eigenschaft als Vorgesetzter gab.207 Der Angeklagte war diesem Instrumentarium so gut wie wehrlos ausgeliefert. Im Krieg waren die den kommandierenden Generälen der Armeekorps und den Oberbefehlshabern des Feldheeres beigegebenen Gerichte keine Rechtsmittelgerichte mehr, sondern nur noch für die Armeetruppen zuständig. Die »richterlichen Militärjustizbeamten«

waren Juristen. Die Militärjuristen waren bis zu ihrer Eingliederung in das Offiziers-korps des Truppensonderdienstes 1944 Beamte und standen sowohl dienstlich als auch disziplinarisch in einem doppelten Unterordnungsverhältnis: militärisch wa-ren sie den Gerichtsherwa-ren und den diesen militärisch übergeordneten Befehlsha-bern, fachlich aber den Justizverwaltungsorganen unterstellt. Zudem bekamen sie einen militärischen Rang zugeordnet.208 Die Offiziersbeisitzer waren im Rang von Obersten und Generalen, sie wechselten gewöhnlich alle zwei Jahre.209 Die Juris-ten waren meist zwischen vierzig und sechzig Jahre alt und hatJuris-ten ihre juristische Ausbildung in vielen Fällen schon vor dem Ersten Weltkrieg absolviert. Ein Großteil der Juristen vertrat eine Rechtsauffassung, bei der nationale Notwendigkeiten und nationalsozialistische Forderungen an das Recht zusammengehörten.

Die übrige Organisation des Gerichtsapparates entsprach jener der zivilen Ge-richte. Den Vorsitz der Hauptverhandlung führte als Wehrmachtsrichter ein zum Richteramt bevollmächtigter Jurist; zwei militärische Beisitzer, von denen einer Offizier sein musste, übten die Funktion von Laienrichtern aus. Die Anklage erfolgte durch einen vom sogenannten Gerichtsherrn bestellten Kriegsrichter, der dessen Weisungen unterworfen war. Dieser Gerichtsherr war – abgesehen von Hitler, den Befehlshabern und Kommandeuren, die durch die Befehlshaber der drei Wehr-machtsteile oder den Chef des OKW (Oberkommando der Wehrmacht) bestimmt wurden – die zentrale Figur des Prozesses außerhalb der Hauptverhandlung.210 Von 206 Vgl. Messerschmidt, Wüllner, Die Wehrmachtsjustiz, S. 38.

207 Vgl. Schweling, Militärjustiz, S. 11.

208 Vgl. Schweling, Militärjustiz, S. 21.

209 Elfte Verordnung zur Durchführung und Ergänzung der VO über das militärische Strafverfah-ren im Kriege und bei besonderem Einsatz, RGBl. I, 1945, S. 13.

210 Vgl. Thomas, »Nur das ist für die Truppe Recht«, S. 40.

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ihm, nicht vom erkennenden Gericht, hing die Bestätigung der Rechtskraft des Ur-teilsspruchs ab. In der Person des Gerichtsherrn fand somit eine gegen alle Gewal-tenteilungsprinzipien des modernen Rechtsstaates verstoßende Verquickung von Exekutive und Judikative statt.211

Die Vorlagen erfolgten an den Präsidenten des RKG, der sich zunächst mit sei-nem ersten Adjutanten beriet und danach den Fall mit dem Oberreichskriegsrat (ORKA) besprach.212

Die Anklageverfügung lief über den ORKA zum RKG-Präsidenten und wurde von beiden unterzeichnet. Danach kam es zur Aktenvorlage an den Senat des RKG. So-bald der Verhandlungstermin angesetzt war, trug ein Vertreter des ORKA den Fall dem Gerichtsherrn (RKG-Präsident) vor, »um Vorschläge für das von der Vertretung der Anklage zu beantragende Strafmaß zu machen«213. Es wurde also von Seiten der anklagenden Behörde ein Strafmaß vorher überlegt. Das ist ein nach heutigem demokratischem Rechtsverständnis unvorstellbares Vorgehen. Der Beschuldigte konnte den zum Untersuchungsführer ernannten Juristen nicht ablehnen. Formal gesehen lag das Hauptgewicht des militärischen Strafverfahrens also beim Gerichts-herrn (OB), die Juristen im erkennenden Gericht entschieden aber als Gutachter im Bestätigungsverfahren über das Schicksal des Angeklagten mit. Der § 83 der KStVO regelte das Verfahren der Urteilsbegutachtung so: Urteile, deren Bestätigung sich Hitler und Reichskanzlei vorbehielten, wurden vom Chef des Oberkommandos der Wehrmacht mit einem Rechtsgutachten eines richterlichen Militärjustizbeamten vorgelegt. Andere Urteile durften nur aufgrund des schriftlichen Rechtsgutachtens eines richterlichen Militärjustizbeamten oder, in Ermangelung eines solchen, eines zum Richteramt befähigten Beamten oder Offiziers bestätigt werden, wenn auf Tod oder auf Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr erkannt wurde oder wenn im Feldkriegsgericht kein zum Richteramt befähigter Verhandlungsleiter mitgewirkt hatte.214

Mit dieser entscheidenden Position beeinflussten die Militärjuristen das Aufhe-bungs- und Bestätigungsrecht des Gerichtsherrn maßgeblich und sorgten dafür, dass das aus altpreußischer Wurzel stammende selbstherrliche Monopol des Ge-richtsherrn, Urteile umzustoßen oder vollstrecken zu lassen, juristisch eingerahmt wurde. Die wichtigsten gerichtsherrlichen Befugnisse lagen bei Hitler, den Ober-befehlshabern der Wehrmachtsteile, bei den ArmeeoberOber-befehlshabern und bei

211 Vgl. Thomas, »Nur das ist für die Truppe Recht«, S. 40.

212 RGBl. I, 1945, 11. Verordnung zur Durchführung und Ergänzung der VO über das militärische Strafverfahren im Kriege und bei besonderem Einsatz, S. 13.

213 BA-MA, N 192/1, S. 26, zit. nach: Messerschmidt, Recht, S. 42.

214 RGBl. I, 1939, KStVO, § 83, S. 1470.

entsprechenden Offizieren der Luftwaffe und Kriegsmarine; Hitler behielt sich das Bestätigungs- und Aufhebungsrecht bei Todesurteilen gegen Offiziere und Wehr-machtsbeamte im Offiziersrang vor. Bei Todesurteilen gegen andere Soldaten oder sonstigen dem Kriegsverfahren unterworfenen Personen lagen diese Rechte bei den Oberbefehlshabern der Wehrmachtsteile, die bis zu den Armeeoberbefehls-habern delegieren konnten.215

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