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Im Geschäft

Im Dokument Fälle aus der NS-Militärjustiz (Seite 150-154)

II. Denunziation als soziales Phänomen

2. Denunziationen im weiteren Umfeld

2.2. Im Geschäft

Geschäfte sind immer neuralgische öffentliche Orte, an denen Klatsch und Neu-heiten ausgetauscht werden. Während des Krieges wurde aber gerade in solchen Räumen auch verstärkt gegenseitig soziale Kontrolle ausgeübt.

In einer Drogerie in Dornbirn

Ende Juni 1943 erschien eines Nachmittags ein Soldat in einer Drogerie in Dornbirn.

In dem Geschäft war ein weiterer Soldat anwesend, beide machten Einkäufe. Der eine Soldat hatte Magenprobleme und verlangte daher von der Drogistin Spei-senatron. Er erläuterte, es sei sehr unangenehm, wenn man beim Militär so ein Lei-den hätte, da das mit dem Essen alles sehr kompliziert sei. Daraufhin mischte sich der zweite Soldat ein und sagte: »Machen Sie es am besten wie ich, schmeißen Sie die Klamotten weg, dann hört der Krieg auf.«587 Weiters soll er die Drogistin ge-fragt haben, ob sie denn noch an einen Sieg glaube, da doch schon alles verspielt sei. Sie soll empört geäußert haben, »der Herrgott« sei »immer auf der Seite, wo das Recht ist«.588 Und es wäre traurig, wenn es lauter solche »Vaterlandsverteidiger«

587 Zeugenvernehmung vom 26.08.1943, AdR, Zentr. Ger. 1939–1945, Außenst. Wien 173/6.

588 Zeugenvernehmung vom 26.08.1943, AdR, Zentr. Ger. 1939–1945, Außenst. Wien 173/6.

gäbe. Der Soldat bezahlte und verließ das Geschäft. Am gleichen Abend meldete die 54-jährige Drogistin dem Bürgermeister und Ortsgruppenleiter diesen Vorfall. Einige Tage darauf wurde sie diesbezüglich von einem Schutzpolizisten befragt und ein Pro-tokoll wurde aufgenommen.589 In diesem Fall war nicht ganz klar, wer letzten En-des die Anzeige erstattet hatte, auch wenn die Initiative von der Drogistin Marianne Rucker ausgegangen war. Sie war Mitglied der NSDAP und der NS-Frauenschaft in Dornbirn und hatte daher wohl nahen Kontakt zum Ortsgruppenleiter. Auch ihre Tochter bestätigte die Aussagen ihrer Mutter, sie war zwar nur zeitweise im Geschäft

anwesend gewesen, wurde aber dennoch als Belastungszeugin akzeptiert.

Der angezeigte Soldat hieß Ernst Kandler, war 44 Jahre alt und ledig. Er stammte ebenfalls aus Dornbirn. Er war römisch-katholisch und von Beruf Handelsreisender.

Die Gestapo gab in ihrer politischen Beurteilung an, dass er sich seit dem Anschluss nicht politisch betätigt habe. Die Spitzelberichte diskreditierten ihn als »Schwätzer«

und »arbeitsscheuen Mensch«.590 Ähnlich abschätzig lautete auch das Urteil des Gaupersonalamtes der NSDAP/Gauleitung Tirol-Vorarlberg.591

Am 19. Februar 1944 wurde Ernst Kandler wegen »Zersetzung der Wehrkraft«

zu zwei Jahren Gefängnis und Rangverlust verurteilt.Der Verurteilte bat um Straf-aufschub, da er sich nach seiner letzten Operation nicht haftfähig fühlte. Seinem Ansuchen wurde nicht stattgegeben.592 Am 28. Juli 1944 reichte seine Mutter ein Gnadengesuch ein und bat für ihren Sohn um zwei Monate Haftunterbrechung. Sie begründete ihr Ansuchen damit, eine bettlägerige Tochter zu haben und dringend die Hilfe ihres Sohnes für Garten- und Holzarbeiten zu benötigen.593 Auch dieses Gnadengesuch wurde vom Vorstand der Strafanstalt mit der Begründung, die Strafe würde erst am 2. Mai 1946 enden, abgelehnt. 594

In diesem Fall kannten die beiden AkteurInnen einander vor diesem Ereignis nicht, es handelte sich also – soweit sich dies aus den Akten rekonstruieren lässt – um keine längere Konfliktgeschichte. Es ging von Seiten der Drogistin, die ihre Gläubigkeit an einen Sieg der Deutschen ins Treffen führte, um die Sanktionierung von – im Sinne des Systems – politisch unkorrekten Äußerungen. Einen erschweren-den Faktor dürfte auch der im Geschäft anwesende Soldat dargestellt haben, da die Drogistin vor diesem ihre politisch korrekte Sichtweise demonstrierte und vielleicht auch Angst hatte, im Falle einer anderen Reaktion selbst belangt zu werden.

589 Zeugenvernehmung vom 26.08.1943, AdR, Zentr. Ger. 1939–1945, Außenst. Wien 173/6.

590 Schreiben der Gestapo vom 09.11.1943, AdR, Zentr. Ger. 1939–1945, Außenst. Wien 173/6.

591 Gaupersonalamt, NSDAP/Gauleitung Tirol-Vorarlberg vom 29.10.1943, AdR, Zentr. Ger. 1939–

1945, Außenst. Wien 173/6.

592 Feldurteil vom 19.02.1944, AdR, Zentr. Ger. 1939–1945, Außenst. Wien 173/6.

593 Gnadengesuch vom 28.07.1944, AdR, Zentr. Ger. 1939–1945, Außenst. Wien 173/6.

594 Schreiben vom 09.10.1944, AdR, Zentr. Ger. 1939–1945, Außenst. Wien 173/6.

151 2. denunziationen iM Weiteren uMfeld

Beim Gemischtwarenhändler

Ende August 1944 hörten zwei Frauen, während sie bei einem Gemischtwaren-händler in Heiligen Kreuz ihre Einkäufe erledigten, wie sich der Kommandoführer des hiesigen Gefangenenlagers skeptisch im Hinblick auf die Kriegslage äußerte. Er soll dabei unter anderem Folgendes gesagt haben: »Ungarn wird auch ›umschmei-ßen‹«, und »Ihr werdet hier alle noch umquartiert und Heiligen Kreuz wird dann Kriegsgebiet!«595 Laut den Protokollen der Behörden fühlten sich beide durch die Aussagen des Mannes verängstigt und zeigten ihn deswegen an. In ihrer Anzeige begründete die 24-jährige arbeitslose Eva Bamstingl ihre Denunziation damit, dass ihr Mann, ein Zollbetriebsassistent, seit 1940 im Fronteinsatz stünde und sie sich daher über die negativen Äußerungen zum Kriegsverlauf besonders geärgert habe.

Ursprünglich stammte sie aus dem Riesengebirge und war gerade »umquartiert«

worden. Sie bezog sich in ihrer Argumentation zusätzlich auf das im Ort kursierende Gerücht, der Wacheführer des Kriegsgefangenenlagers würde oftmals viel und gerne trinken und sich dann im leicht alkoholisierten Zustand auf »unwahre und beunruhigende politische Gespräche« einlassen.596 Bei der zweiten Anzeigerin han-delte es sich um die 25-jährige Gerlinde Schmidt, sie war katholisch und verheiratet.

Sie beschrieb die Vorfälle so: »Am 26. 8. 1944 nachmittags ging ich in das Gemischt-warengeschäft des L. B. in Heiligen Kreuz, um dort einzukaufen. Einige Zeit später kam auch der mir vom Sehen bekannte Wacheführer des Kriegsgefangenenlagers Heiligen Kreuz, Bauer, in das Geschäft. Zwischen mir und der ebenfalls anwesenden Frau sowie mit Bauer war bald ein Gespräch im Gange, welches sich im allgemeinen um das derzeitige Kriegsgeschehen drehte.«597 Auch sie betonte ihre persönliche Betroffenheit, ihr Mann wäre in einem Rüstungsbetrieb in Kapfenberg beschäftigt und käme seine Familie einmal monatlich besuchen.

Der angezeigte 41-jährige Heinrich Bauer, von Beruf Hilfsarbeiter, war »gottgläu-big« und verheiratet. Er diente beim Landesschützen Ersatz-Bataillon 17 und war seit fünf Monaten als Kommandoführer des Kriegsgefangenenlagers in Heiligen Kreuz eingesetzt. Er hatte dort die Aufsicht über 23 französische Kriegsgefangene.

Möglicherweise hatten seine Einschätzungen zum Kriegsverlauf auch mit seiner Tä-tigkeit zu tun, denn oftmals waren gerade Zwangsarbeiter über Funk und Briefe relativ gut informiert. In seiner Darstellung sah der Vorfall naturgemäß anders aus:

595 Tatbericht der 1. Kompanie Lds. Schtz. Batl. 891 vom 15.09.1944, AdR, Zentr. Ger. 1939–1945, Außenst. Wien 170/11.

596 Vernehmungsniederschrift der Gestapo/Stapoleitstelle Graz, Grepo Hl. Kreuz vom 30.08.1944, AdR, Zentr. Ger. 1939–1945, Außenst. Wien 170/11.

597 Vernehmungsniederschrift der Gestapo/Stapoleitstelle Graz, Grepo Hl. Kreuz vom 02.09.1944, AdR, Zentr. Ger. 1939–1945, Außenst. Wien 170/11.

»Ich erinnere mich wohl, daß damals vom Verrat Rumäniens die Rede war und bei dieser Gelegenheit auch vom möglichen Verhalten Ungarns gesprochen wurde. Ich habe mich bei dieser Gelegenheit in das Gespräch eingemengt und ungefähr folgen-des gesagt: ›Tuts euch nichts an, auch wenn Ungarn umschmeißt, werdet ihr von hier evakuiert, so daß euch nichts passieren kann.‹«598 Er habe niemanden beunru-higen wollen und durchaus nichts Negatives zur Kriegslage gesagt. Dennoch wurde ein militärgerichtliches Verfahren gegen ihn eingeleitet.

Einen Monat später beschied das Zentralgericht des Heeres allerdings die Aus-setzung des Verfahrens wegen »WehrkraftzerAus-setzung« bis nach »Beendigung des Kriegszustandes«, da eine höhere Freiheitsstrafe als sechs Monate nicht zu erwar-ten wäre.599 Das NSDAP-Gaupersonalamt beurteilte den Angezeigten – drei Monate nach diesem Urteil – als politisch unauffällig, in charakterlicher Hinsicht wurde er hingegen als »Trinker und Rohling« bezeichnet, auch spende er nur mäßig und un-gern.600 Das Gaupersonalamt schien sich mit dem Urteil nicht zufriedengeben zu wollen und strengte weiter eine Verurteilung an.

Auch in diesem Fall werden Ängste, ideologisch starre Sichtweisen und realitäts-verweigernde Abwehrhaltungen von Frauen gegenüber realistischen Sichtweisen von Soldaten zur Kriegslage deutlich. Der Akteur – der durch den Fronteinsatz mehr mit den Realitäten des Krieges konfrontiert war – sprach diese Realität an, die Ak-teurinnen wollten dagegen davon nichts wissen. Der Ort des Geschehens – ein Ge-schäft – war eine wichtige öffentliche Bühne im Dorfgeschehen, eine Art kommuni-kative Kontaktzone zwischen den differenten Lebenswelten. Die Frauen ertrugen es offenbar nicht, etwas Negatives über das Thema ›Krieg‹ zu hören, da sie um ihre Männer und wohl auch um ihre eigene Sicherheit fürchteten. Die Wahrheit schien nicht zumutbar. Sie reagierten möglicherweise auch gerade deswegen so heftig, da sie selbst schon ahnten, wie aussichtslos die Lage war. Indem sie Heinrich Bauer an-zeigten, beruhigten sie auch ihre eigenen Befürchtungen. Die oftmalige Alkoholisie-rung des Kommandoführers – über die in Heiligen Kreuz getratscht wurde – könnte für die Frauen einen zusätzlichen Belästigungsfaktor dargestellt haben. Womit hing das relativ milde Urteil des Militärgerichts zusammen? Konnten zu diesem späten Zeitpunkt des Krieges auch die Militärrichter die Tatsache des nahenden

Kriegsen-des nicht mehr ganz verleugnen und urteilten daher glimpflich?

598 Einvernahmeschrift der 1. Kompanie Lds. Schtz. Batl. 991 vom 15.09.1944, AdR, Zentr. Ger.

1939–1945, Außenst. Wien 170/11.

599 Verfügung des Zentralgerichts des Heeres/Außenstelle Wien vom 06.10.1944, AdR, Zentr. Ger.

1939–1945, Außenst. Wien 170/11.

600 NSDAP-Gaupersonalamt vom 26.01.1945, AdR, Zentr. Ger. 1939–1945, Außenst. Wien 170/11. .

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2.3. Im Amt

Im Dokument Fälle aus der NS-Militärjustiz (Seite 150-154)