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In der gemeinsamen Wohnung

Im Dokument Fälle aus der NS-Militärjustiz (Seite 123-139)

II. Denunziation als soziales Phänomen

1. Denunziationen im persönlichen Umfeld

1.4. In der gemeinsamen Wohnung

Denunziationen in der Ehe wurden von der NS-Justiz als Problem und vor allem unter dem Blickwinkel der Eindämmung eines wenig erwünschten denunziatori-schen Verhaltens gesehen. Der Reichsjustizminister hatte im November 1944 dazu festgestellt: »Die Gemeinschaft erwartet also keineswegs in allen Fällen strafbarer Handlung eine gegenseitige Anzeige von Eheleuten, weil ihr im höheren Interesse die Beachtung der ehelichen Treuepflicht und die weitgehende Aufrechterhaltung des gegenseitigen Vertrauens der Eheleute grundsätzlich höherwertig erscheint als die Erfüllung der völkischen Treuepflicht.«464 Die eheliche Treue wurde also ge-nerell höher als die »völkische Treuepflicht« bewertet. Wie sahen nun in meinem Untersuchungsfeld der Wehrmacht derartige Denunziationsgeschehnisse aus und wie häufig waren sie? Es fanden nur 1,7 Prozent der Denunziationen direkt im Fami-lienkreis statt. Das heißt, dass Denunziationen bei sehr engen Bindungen – in der Primärgruppe ›Familie‹ – offenbar seltener als bei weniger engen vorkamen. Schein-bar haben nahe Bindungen und Privaträume doch eine gewisse Bindungs- und Schutzfunktion erfüllt, weil es für relevante Geschehnisse, die sich dort ereigneten, wenige oder keine ZeugInnen gab und eine gewisse Vertrauensbasis zwischen den beteiligten Personen angenommen werden konnte.465 Dennoch gab es in meinem Sample solche Fälle; zwei möchte ich als exemplarisch für diesen privaten, familiä-ren Bereich näher beleuchten, in denen von Seiten des Militärgerichtes die Sachlage höchst unterschiedlich beurteilt wurde.

In einem Fall lebten drei Schwestern, zwei Kinder (die 2-jährige Tochter des paars Jović und der 3-jährige uneheliche Sohn von Annemarie Hanke) und der Ehe-mann der einen Schwester gemeinsam in einer Wohnung in Wien. Die Ehe verlief nicht glücklich und die gesamte Familiensituation war sehr angespannt. Am 4. Ja-nuar 1944 erschienen die zwei unverheirateten Schwestern im Geschäftszimmer des Kompanieführers der 4. Marsch-Kompanie. Die beiden Frauen, die 34-jährige Annemarie und 31-jährige Henrike Hanke erstatteten Anzeige gegen ihren Schwa-ger Raimund Jović, einen Gefreiten der Wehrmacht, wegen »wehrkraftzersetzender Äußerungen« und anderer Vergehen, wie des Abhörens ausländischer Rundfunk-sendungen, der Beleidigung des Führers und des Versuchs von »Dienstentzie-hung«. Dabei trat Annemarie Hanke, die Ältere der beiden, wesentlich aktiver als ihre Schwester auf, sie brachte folgende Vorwürfe vor: »Ich bringe zur Anzeige,

464 Zit. nach Heinz Boberach, Richterbriefe. Dokumente zur Beeinflussung der deutschen Recht-sprechung 1942–1944, Boppard am Rhein 1975, S. 370, zit. nach: Thonfeld, Sozialkontrolle, S.

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465 Vgl. Thonfeld, Sozialkontrolle, S. 361.

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daß mein Schwager Gefreiter Jović Raimund, Angehöriger der Marschkompanie, um sich einer Abstellung ins Feld zu entziehen, löffelweise Kochsalz aß, um sein Nierenleiden zu verschlechtern. Er äußerte sich uns gegenüber, daß die Ärzte alle Trottel seien und daß sie das ohnehin nicht merkten. Weiters sagte er, es sei ein jeder ein blöder Kerl, der an die Front gehe. Den Verwundeten geschähe ganz recht, wenn sie eine Hand oder einen Fuß verloren hätten, denn die Nazibrut will es so haben.«466 Die beiden Schwestern gaben an, über seine Einstellung und Handlun-gen so gut Bescheid zu wissen, da sie alle gemeinsam seit zwei Jahren in einer Zwei-einhalbzimmerwohnung im achten Wiener Gemeindebezirk wohnten. Das Spekt-rum ihrer Anschuldigungen war breit gefächert, der Schwager habe versucht, seine Krankheiten zu verlängern, und permanent »verbotene Sender« gehört und dabei die Anmeldung seines Radioapparates unterlassen. Er habe auch mit einem zwei-ten Soldazwei-ten aus Dienstautos der Kompanie Uhren ausgebaut und damit schwung-haften illegalen Handel getrieben. Weiters habe er sechs Gabeln und neun Löffel gestohlen, vermutlich aus einem Lazarett. Anlässlich eines Familienstreits habe er sehr aggressiv gesagt, dass seine Wohnung kein »Unterschlupf für die Nazibrut« sei, dass »der Führer aufgehängt gehöre«467 und »wer ihm [Jović] etwas antue, der ver-schwinde vom Erdboden, dafür würden seine Kameraden sorgen. Sie [seine Schwä-gerin] stehe bereits auf der schwarzen Liste und werde nach dem Zusammenbruch, der vermutlich nicht mehr lange auf sich warten lasse, aufgehängt.«468 Die Situation in dieser Familie war offensichtlich sehr angespannt, denn warum wäre sonst eine Anzeige und nicht eine andere, familieninterne Form der Konfliktlösung angepeilt worden? Annemarie Hanke berichtete von mehrfachen familiären Streitsituationen mit ihrem Schwager: Einmal habe er während einer Führerrede, die im Radio über-tragen wurde, zu schimpfen begonnen. Im Oktober 1944, anlässlich des Besuchs eines Bekannten von Henrike, einem 34-jährigen SS-Mann und Volksdeutschen aus Ungarn, wäre es zum Eklat gekommen. Der Schwager wäre ausfällig geworden und habe geäußert, er habe gegen die »Nazibrut«469 geschimpft. Seine Frau habe ihn daraufhin wiederholt gebeten, sein »gegnerisches Verhalten« aufzugeben und ver-nünftig zu sein. Diese Mahnungen seien aber fruchtlos geblieben.470

466 Anzeige bei der Krf. Pk. Ers. u. Ausb. Abt. 17 vom 02.01.1944, AdR, Zentr. Ger. 1939–1945, Au-ßenst. Wien 170/13.

467 Anzeige bei der Krf. Pk. Ers. u. Ausb. Abt. 17 vom 02.01.1944, AdR, Zentr. Ger. 1939–1945, Au-ßenst. Wien 170/13.

468 Anzeige bei der Krf. Pk. Ers. u. Ausb. Abt. 17 vom 02.01.1944, AdR, Zentr. Ger. 1939–1945, Au-ßenst. Wien 170/13.

469 Anzeige vom 04.01.1944, AdR, Zentr. Ger. 1939–1945, Außenst. Wien 170/13.

470 Vernehmungsniederschrift, übermittelt durch die Gestapo/Stapoleitstelle, 29.04.1944, AdR, Zentr. Ger. 1939–1945, Außenst. Wien 170/13.

Raimund Jović, der sich gerade auf Festtagsurlaub zu Hause bei seiner Frau und seinem Kind befand, wurde von seinem Feldwebel wegen dieser Anzeige sofort zur Kompanie zurückbeordert und hinsichtlich der schwerwiegenden Vorwürfe verhört.

Danach wurde er der Kasernenwache Kaiserebersdorf zur Verwahrungshaft über-geben.471

Der Angezeigte war 1911 in Wien geboren worden. Er hatte dort zwei Jahre die deutsche und drei Jahre die tschechische Volksschule besucht, ging auf die tsche-chische Bürgerschule in Pressburg und lernte danach Elektrotechnik. Von 1931 bis 1933 diente er im tschechoslowakischen Heer, anschließend war er sechs Jahre arbeitslos. Er hatte ursprünglich die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft be-sessen und in Pressburg als Sanitäter bei der Rettungsgesellschaft gearbeitet. Er wurde aber entlassen, weil er Mitglied der »deutschen Partei« war und sich bei der

»Deutschen Schutzstaffel« betätigte. Dann meldete er sich zum Freiwilligen Ar-beitdienst im Deutschen Reich und arbeitete dort bis zum Juni 1939 als Elektromon-teur. Danach übersiedelte Jović nach Wien, wo er bei unterschiedlichen Betrieben Arbeit fand, zuletzt als Angestellter der Gemeinde Wien. 1940 erwarb er die deut-sche Staatsangehörigkeit, 1942 heiratete er Elisabeth (»Elsa«) Hanke. Sie bekamen zwei Jahre später ein Kind. 1941 wurde er zur Wehrmacht einberufen und war immer wieder für kürzere Zeitspannen an den härtesten Gefechtsorten in der Sowjetunion eingesetzt gewesen. Große Teile seines Dienstes hatte er im Ersatzheer absolviert und war nur jeweils für mehrere Monate nach Russland-Süd, dann in den Mittel-abschnitt zum Einsatz beordert worden. Beide Male kam er wegen einer Erkran-kung in die »Heimat« zurück, das erste Mal wegen eines Harn- und Blasenleidens, das zweite Mal wegen einer Erkrankung an Bauchtyphus. Jović war kein NSDAP-Mitglied.472 Zum Zeitpunkt der Anklage 1944 war er 33 Jahre alt. Er war ein junger, verheirateter Mann mit Verantwortung für ein Baby.

Bei seiner Vernehmung bestritt er die Vorwürfe teilweise, ganz hingegen den Vorwurf des Versuchs seine Gonorrhö473 mit Salz bewusst verschlechtert zu haben, um nicht an die Front zu müssen. Der Versuch der Wehrdienstentziehung durch

471 Tatbericht der Krf. Pk. Ers. u. Ausb. Abt. 17 vom 05.01.1944, AdR, Zentr. Ger. 1939–1945, Au-ßenst. Wien 170/13.

472 Öffentliche Sitzung des Feld-Kriegsgerichts vom 22.05.1944, AdR, Zentr. Ger. 1939–1945, Au-ßenst. Wien 170/13.

473 Laut ärztlichem Gutachten vom 9. Mai 1944 des Truppenarztes des Wehrmachtsuntersu-chungsgefängnisses hatte er nach einem Tripper einen Harnröhrenkatarrh, bei dem Salzzu-fuhr als schädlich betrachtet wurde, da bei übermäßiger KochsalzzuSalzzu-fuhr »Salzfieber« entstehe.

Dem Oberstabsarzt war die Praxis von Soldaten, Kochsalz mit Benzin löffelweise einzunehmen, um Fieber zu erzeugen, bekannt. Es soll das »ein Rezept« in einem »Feindsender« gewesen sein.

Befund vom 09.05.1944, AdR, Zentr. Ger. 1939–1945, Außenst. Wien 170/13.

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Selbstverstümmelung oder künstliche Erzeugung von Krankheiten galt ebenso wie die Beihilfe zur Selbstverstümmelung nach der am 26. August 1939 in Kraft getrete-nen Kriegssonderstrafverordnung als »Zersetzung der Wehrkraft«.474 Ähnlich wie bei allen Fluchtdelikten sind auch bei der Selbstverstümmelung – der absichtlichen (Selbst-)Beschädigung des männlichen Soldatenkörpers – die Motive noch wenig erforscht. Die mit dem Frontdienst verbundenen psychischen und physischen Be-lastungen der Soldaten waren in diesen Fällen nicht selten ausschlaggebend.475 Sol-daten verletzten sich selbst oder ließen sich Verletzungen von anderen Personen zufügen, um sich einer Frontabstellung zu entziehen, von der Front wegzukommen oder bisweilen auch nur eine längere Ruhepause zu haben.476 Bei Krankheiten gab es durchaus unklare, schleichende Übergänge, die von mehr oder weniger bewuss-ten Versuchen, sich anzustecken oder zu simulieren, über psychosomatische Reakti-onen bis hin zur künstlichen Erzeugung und Verlängerung von Krankheiten reichen konnten.477 Auch in den von mir untersuchten Gerichtsakten kamen Anschuldigun-gen weAnschuldigun-gen künstlich herbeigeführter Krankheiten immer wieder vor. So fanden sich Anklagen wegen Manipulation von Tauglichkeitsgraden durch Coffeineinsprit-zungen, Kochsalzeinnahmen, um Nierenleiden zu verstärken, oder jener Fall, in dem ein Soldat wegen angeblicher Simulation von Gonorrhö denunziert wurde. Ein Oberstabsarzt berichtete von einer damals angeblich üblichen Praxis von Soldaten, Kochsalz mit Benzin löffelweise einzunehmen, um Fieber zu erzeugen. Er gab an, dieses »Rezept« in einem »Feindsender« gehört zu haben.478

Generell kamen Selbstverstümmelungen im »Hinterland« häufiger vor als an der Front. Diese instrumentellen Selbstverletzungen wiesen eine enorme Metho-denvielfalt auf: Sie reichten von Knochenbrüchen und Bänderrissen479 bis zum Einreiben von Metallsplittern in bestehende Wunden. An der Front hingegen füg-ten sich Soldafüg-ten oftmals absichtlich Schussverletzungen zu, den sogenannfüg-ten

»Heimatschuss«.480 Die Wehrmachtsgerichte ahndeten alle diese Fälle mit großer

474 Verordnung über das Sonderstrafrecht im Kriege und bei besonderem Einsatz (KSSVO) vom 17.08.1938, RGBl. I 1939, 1456.

475 Vgl. Beck, Wehrmacht und sexuelle Gewalt, S. 153.

476 Maria Fritsche, Die Verfolgung von österreichischen Selbstverstümmlern in der Deutschen Wehrmacht, in: Manoschek (Hg.), Opfer der NS-Militärjustiz, S. 195–214, hier S. 195.

477 Ela Hornung, »Wehrkraftzersetzung« und Denunziationen: Handlungsspielräume und Zwänge im Kontext der Wehrmacht, in: Maria Fritsche, Christa Hämmerle (Hg.): Deserteure, Wiener Zeitschrift zur Geschichte der Neuzeit (= WZGN), 8. Jg., 2 (2008), S. 53–71.

478 Befund vom 09.05.1944, AdR, Zentr. Ger. 1939–1945, Außenst. Wien 170/13.

479 Vgl. Gerhard Artl, Oberfeldrichter Everts und die Serie von Selbstverstümmelungen im Sommer 1944 in Wien, in: Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 43 (1993), Festschrift Kurt Peball zum 65. Geburtstag, S. 194–205.

480 Fritsche, Die Verfolgung, S. 200.

Strenge und rechtfertigten diese harte Verfolgungspraxis mit der Notwendigkeit der Abschreckung und der Schaffung von Präzedenzfällen.

Raimund Jović gab an, er habe diese Geschlechtskrankheit vor seiner Frau ver-heimlichen wollen und dieses Leiden ihr gegenüber als Nierenerkrankung getarnt.

Er stand zu seiner Aussage, jeder, der an die Front gehe, sei in seinen Augen »ein blöder Kerl«. Die übrigen Anschuldigungen, mit denen er konfrontiert wurde, be-stritt er: Sein Radioapparat wäre bis vor drei Wochen wegen eines Schadens über-haupt unbrauchbar gewesen und die anderen ihm anvertrauten Apparate wären Kleinempfänger gewesen, daher völlig ungeeignet, um Auslandssender zu hören.

Auch die Anschuldigungen wegen des Uhrendiebstahls seien falsch.481 Richtig sei vielmehr, dass er ab und zu bei zwei Firmen in seiner Freizeit gearbeitet hatte. Er habe sich auch einmal abfällig über den »Führer« geäußert, aber nicht in der Art, wie es ihm in der Anzeige vorgeworfen würde. Er meinte weiters, er sei durch die langjährige Krankheit seiner Geschlechtsorgane insgesamt sehr nervös und auf-brausend und ließe sich aufgrund seiner »ungünstigen Familienverhältnisse« leicht zu unüberlegten Äußerungen hinreißen.482 Bei der Gerichtsverhandlung meinte er noch, seine Schwägerinnen hätten einen schlechten Einfluss auf seine Frau. Er habe nicht über »die Partei« geschimpft, sondern nur über seine Schwägerin, die ihm »un-würdig schien, Parteigenossin zu sein«.483

Der Angezeigte verteidigte sich damit, er würde mit seinen Schwägerinnen seit längerem in Unfrieden leben und diese würden versuchen, seine bereits schlechte Ehe endgültig zu zerstören, um eine Scheidung herbeizuführen. Die Schwestern hätten außerdem das Interesse, in den Besitz der Wohnung zu kommen.484

Mit einer Anzeige von seiner Seite aus, bei der es um Vorwürfe wegen Anstiftung zur Abtreibung ging, trachtete er nun seinerseits den Ruf der Schwägerinnen zu

un-481 Im Zusammenhang mit der Frage nach der Herkunft der Uhr wurde auch der 36-jährige Soldat Ferdinand Kaser vernommen. Er war zweimal wegen verbotenen Rauchens zivil vorbestraft.

Er bestritt bei seiner Vernehmung die Version, die Uhr gestohlen zu haben, und gab an, sie rechtmäßig gekauft zu haben. Sein Kamerad Raimund Jović habe von ihm den Einbau der Uhr in einen Holzständer verlangt, erklärte er, da er diesem Wunsch nicht nachgekommen sei, habe dieser die Uhr für unbrauchbar befunden und wieder zurückgegeben. Eine gegen ihn aufgrund dieses Denunziationsverfahrens in Gang gekommene Anzeige wegen Diebstahls, militärischen Diebstahls und Betrugs wurde wieder eingestellt, da er nachweisen konnte, die Uhr rechtmäßig erworben und sich nebenbei mit Radiobasteln beschäftigt zu haben. Vgl. Vernehmung vom 05.01.1944, AdR, Zentr. Ger. 1939–1945, Außenst. Wien 170/13.

482 Vernehmung bei der Krf. Pk. Ers. u. Ausb. Abt. 17 vom 04.01.1944, AdR, Zentr. Ger. 1939–1945, Außenst. Wien 170/13.

483 Öffentliche Sitzung des Feld-Kriegsgerichts vom 22.05.1944, AdR, Zentr. Ger. 1939–1945, Au-ßenst. Wien 170/13.

484 Feldurteil des Zentralgerichts des Heeres/Außenstelle Wien vom 11.08.1944, AdR, Zentr. Ger.

1939–1945, Außenst. Wien 170/13.

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terminieren. Die Frauen hätten in der Wohnung zudem öfters Herrenbesuch emp-fangen und dort auch zweifelhafte Devisen- und Schiebergeschäfte abgewickelt;

sie wären »sittlich und charakterlich nicht einwandfrei« gewesen, so sein Tenor. Es kam recht häufig vor, dass Opfer von Anzeigen versuchten, sich mithilfe einer Um-kehrung der Denunziation zur Wehr zu setzen. Nicht immer wurde dabei tatsäch-lich – wie in diesem Fall – sofort eine Anzeige gegen die Anzeigenden erstattet. Oft wurde »nur« versucht, den guten Ruf in Zweifel zu ziehen und ebenfalls politisch unkorrektes Verhalten nachzuweisen. Das Verfahren, das Jović im Jänner 1944 ein-geleitet hatte, war inzwischen von der Staatsanwaltschaft Wien eingestellt worden, die Ermittlungen der Devisenstelle wegen Devisen- und Warenschmuggel waren hingegen noch nicht abgeschlossen.485

Die NSDAP/Gauleitung Wien konnte aufgrund Jovićs oftmaligen Wohnortwech-sels über seine politische Einstellung nichts Bemerkenswertes in Erfahrung bringen, außer dass er bei seiner Beschäftigung im Krankenhaus Lainz »schon wegen seiner abträglichen Reden« auffällig geworden war.486 An seiner derzeitigen Wohnstätte würde man ihn als »Gegner von Staat und Partei« bezeichnen. Es bestünden in poli-tischer Hinsicht gegen den Angezeigten durchaus Bedenken.487

In diesem Verfahren gab es noch andere Zeugen wie den Kreisleiter der deut-schen Volksgruppe in Ungarn, Hans Härtel, der den Angezeigten ebenfalls wegen seiner »defaitistischen« Haltung belastete. Er war ein Bekannter und gab an, bei einem Besuch als »Nazibrut«488 beschimpft worden zu sein. Auch hätte ihn der An-geklagte gefragt, wie es ihm bei der Waffen-SS gefalle. Auf seine Antwort, es gefiele ihm dort gut, habe dieser geantwortet: »Sie brauchen mir nicht von hinten kommen, ich weiß es sehr genau, gell, Heil Hitler. Ich habe die Nazis kennengelernt.«489 Auch habe er beobachtet, wie der Angezeigte vor seiner Abfahrt an die Front schwar-zen Bohnenkaffee mit Salz getrunken habe, um sich dann mit Nierenbeschwerden bei der ärztlichen Untersuchung zu melden, damit er »nicht an die Front«490 müsse.

Dabei ging es um den Vorwurf der »Wehrdienstentziehung« und Selbstverstümme-lung.

485 Feldurteil des Zentralgerichts des Heeres/Außenstelle Wien vom 11.08.1944, AdR, Zentr. Ger.

1939–1945, Außenst. Wien 170/13.

486 Auskunft der NSDAP/Gauleitung Wien vom 25.05.1944, AdR, Zentr. Ger. 1939–1945, Außenst.

Wien 170/13.

487 Stellungnahme der NSDAP/Gauleitung Wien vom 25.05.1944, AdR, Zentr. Ger. 1939–1945, Au-ßenst. Wien 170/13.

488 Gerichtsverhandlung vom 11.08.1944, AdR, Zentr. Ger. 1939–1945, Außenst. Wien 170/13.

489 Vernehmung vom 04.08.1944, AdR, Zentr. Ger. 1939–1945, Außenst. Wien 170/13.

490 Vernehmung vom 04.08.1944, AdR, Zentr. Ger. 1939–1945, Außenst. Wien 170/13.

Am 15. Mai 1944 wurde der Gefreite Raimund Jović vom Zentralgericht des Hee-res/Außenstelle Wien angeklagt.491 Gleichzeitig erging ein Haftbefehl gegen ihn, und der Angezeigte wurde in das Wehrmachtsuntersuchungsgefängnis Wien ein-geliefert.492 Bei der Gerichtsverhandlung argumentierte er, die Anzeige sei seiner Meinung nach aus Eigennutz und Rachsucht, besonders von Seiten seiner älteren Schwägerin Annemarie Hanke erfolgt, die ihn aus der Wohnung hinausdrängen wolle. Annemarie Hanke meinte wiederum, sie wäre zum Zeitpunkt der Anzeige permanent bedroht worden und der Angezeigte habe sie aus der Wohnung hinaus-werfen wollen. In einem stimmten beide allerdings überein: Die Ehe von Raimund und Elsa Jović sei nicht glücklich und noch nicht getrennt.493

Die Denunziantinnen

Die Ehefrau Elsa Jović, geborene Elisabeth Hanke, war 32 Jahre alt. Sie war die Mitt-lere in dieser Geschwisterreihe. Auch in ihrer Darstellung bestätigte sie, dass ihre Ehe schon seit längerem sehr unglücklich verliefe. Sie gab an, sie habe einmal Spu-ren von Salz in einem Papier bei ihrem Mann gefunden. Salz habe er nur deswe-gen bei sich gehabt, da das Essen zu Hause immer ungesalzen gewesen sei.494 Bei Besuchen von Bekannten habe er einige Male von »Gesindel« in seiner Wohnung gesprochen und dass dort für »die Nazis kein Platz« sei, womit er ihre Schwester und andere »Gesinnungsgenossen«, also deren Freunde und Bekannten, gemeint habe. Ihre Schwester Annemarie war NSDAP-Mitglied.495 Ihr Eindruck war, dass ihr Mann – nachdem er in das Gefängnis Kaiserebersdorf gebracht worden war – un-ter Gleichgesinnten weilte, da »er immer Gerüchte und Nachrichten zuungunsten Deutschlands«496 geäußert habe. Generell bestätigte sie seine angeblich gegen die Regierung gerichtete Haltung.497 Unter anderem habe er den Führer als »Hund, der aufgehängt gehört«, bezeichnet. Bis jetzt habe sie keine Anzeige gegen ihren Mann

491 Anklageverfügung und Haftbefehl vom 15.05.1944, AdR, Zentr. Ger. 1939–1945, Außenst. Wien 170/13.

492 Anklageverfügung und Haftbefehl vom 15.05.1944, AdR, Zentr. Ger. 1939–1945, Außenst. Wien 170/13.

493 Öffentliche Sitzung des Feld-Kriegsgerichts vom 22.05.1944, AdR, Zentr. Ger. 1939–1945, Au-ßenst. Wien 170/13.

494 Öffentliche Sitzung des Feld-Kriegsgericht vom 22.05.1944, AdR, Zentr. Ger. 1939–1945, Au-ßenst. Wien 170/13.

495 Aussage vom 13.03.1944, AdR, Zentr. Ger. 1939–1945, Außenst. Wien 170/13.

496 Vernehmung bei der Gestapo/Stapoleitstelle Wien/Außendienststelle St. Pölten vom 04.04.1944, AdR, Zentr. Ger. 1939–1945, Außenst. Wien 170/13.

497 Aussage vom 13.03.1944, AdR, Zentr. Ger. 1939–1945, Außenst. Wien 170/13.

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erstattet, weil sie »noch gehofft habe, ihn auf den rechten Weg zu bringen« und weil sie auch auf ihr Kind Rücksicht nehmen wollte.498 Ihr Mann habe aber nichts-destotrotz weiterhin täglich Auslandssender gehört.499 Sie könne sich nicht mehr genau an den Inhalt der Nachrichten erinnern, nur eine Meldung über die schlechte Ernährungslage und die Aussichtslosigkeit für Deutschland, den Krieg zu gewinnen, sei ihr erinnerlich. Sie hätte diesbezüglich wiederholt politische Auseinandersetzun-gen mit ihm gehabt. Ihr Mann habe ihr aber vorgeworfen, sie würde nur zu ihren Schwestern halten und beabsichtige, die Scheidung einzureichen.

Unbestritten scheint, dass Elsa und Raimund Jović eine unglückliche Ehe führ-ten und dass Elsa sich in einem Loyalitätskonflikt zwischen ihren beiden Schwes-tern und ihrem Mann befand. In ihrer Aussage vor Gericht verhielt sie sich anfangs noch ambivalent, schwenkte dann aber ganz auf die Seite ihrer Schwestern ein. In einigen Punkten hatte sie ihren Mann von Anfang an schwer belastet, in einigen entlastet.

Denunziationen innerhalb von ehelichen Beziehungen kamen, wenn auch sel-ten, doch immer wieder vor. In Ehen gab es im Wesentlichen zwei Motive, die zu

Denunziationen innerhalb von ehelichen Beziehungen kamen, wenn auch sel-ten, doch immer wieder vor. In Ehen gab es im Wesentlichen zwei Motive, die zu

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