• Keine Ergebnisse gefunden

Beim BdM-Heimabend

Im Dokument Fälle aus der NS-Militärjustiz (Seite 176-185)

II. Denunziation als soziales Phänomen

2. Denunziationen im weiteren Umfeld

2.7. Beim BdM-Heimabend

Im Folgenden möchte ich auf einen Denunziationsfall in St. Peter am Wimberg im

»Gau Oberdonau« genauer eingehen. Mich interessieren daran die komplexen Ver-haltensweisen und unterschiedlichen Haltungen der Akteure und Akteurinnen, an denen sich der zunehmende Dissens in dieser dörflichen Gesellschaft in der Spät-phase des Krieges exemplarisch zeigen lässt.

»Systematische Verseuchung« in St. Peter am Wimberg?

Die 22-jährige Lehrerin und BdM-Ortsgruppenführerin von St. Peter am Wimberg, Veronika Prest, organisierte für den 20. April 1944 den monatlichen Heimabend. Zu diesem Anlass wurden – wie immer – sämtliche BdM-Mädchen des Sprengels ge-laden. Doch nicht jedes Mitglied folgte der Aufforderung, insbesondere in dieser späten Phase des Krieges sank die Bereitschaft zur Teilnahme an derartigen Veran-staltungen vor allem in katholischen Gegenden. Die 20-jährige Maria Riegler, Toch-ter eines Bauernpaares, war zwar immer wieder eingeladen worden, aber bisher noch nie erschienen. Ihr Fehlen fiel der BdM-Führerin schon des Längeren unan-genehm auf, sodass sie sich bemüßigt sah, den Ortsgruppenleiter einzuschalten.

Doch dieses Mal erschien das Mädchen sowie neun weitere Jugendliche, darunter ein Bursch.697 Das Thema dieses Heimabends lautete »Unser Führer« und war spe-ziell dem Geburtstag Adolf Hitlers gewidmet. Nach dem einleitenden Bericht der BDM-Führerin fing Maria Riegler gleich zu Beginn des Abends an, mit ihrer Sitznach-barin während des Vortrags zu tuscheln. Als sie daraufhin von der BdM-Führerin zur Rede gestellt wurde, soll sie Folgendes geäußert haben: »Dies interessiert mich so auch nicht. Andere Leute wissen ja nichts vom Krieg, aber wir. Hören Sie doch auf, vom Führer zu sprechen, denn wenn dieser nicht wäre, so ginge es uns heute 697 Warum sich unter den BdM-Mädchen ein Jugendlicher befand, ist unklar und könnte mit den wahrscheinlich gegen Kriegsende nicht immer ganz korrekten Gruppeneinteilungen beantwor-tet werden. Oder der Junge hatte eine Rolle. In der NSDAJ (= Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterjugend) wurden hingegen explizit Jugendliche beiderlei Geschlechts aufgenommen.

Vgl. ausführlich dazu: Johanna Gehmacher, Jugend ohne Zukunft. Hitler-Jugend und Bund Deutscher Mädel in Österreich vor 1938, Wien 1994, S. 115.

nicht so schlecht. Alle Lebensmittel muß man abliefern, keine Arbeitskräfte hat man und mein Bruder ist schon 6 Jahre beim Militär.«698 Die beinahe gleichaltrige Lehrerin699 unterbrach sie und meinte, gewisse Opfer seien eben notwendig, wo-rauf das Mädchen antwortete: »Das ist ja nur lauter Gerede, so gut wie es vorm Umbruch war, wird es überhaupt nicht mehr.«700 Die Lehrerin entgegnete, dass sie auch die Situation der anderen einbeziehen müsste und dass sich damals aus Ar-beitslosigkeit und aus Verzweiflung mancher das Leben genommen habe. Auf diese Erklärung antwortete das Mädchen: »O mei, das ist heute auch so, daß sich viele Leute das Leben nehmen. An der Front geht es schon an die Tausenden, die sich vor Verzweiflung, und weil ihnen die Nerven auslassen und weil sie nicht mehr anders können, das Leben nehmen.«701 Auf die Nachfrage, woher sie das wüsste, sagte sie, das würden viele Soldaten nach Hause schreiben, auch ihr Bruder habe das heimge-schrieben.702 Die BdM-Führerin im Habitus einer Lehrerin fuhr in ihrem Vortrag fort und erzählte von »den Zuständen« in Russland und was bei einer Niederlage der Deutschen auf alle zukommen würde. Das Mädchen flüsterte weiterhin heimlich mit ihrer Sitznachbarin. Daraufhin erstattete die BdM-Führerin erbost und empört die Anzeige. Sie gab an, sich einerseits mehrmals über dieses Mädchen geärgert zu haben, und verfolgte andererseits die Intention, ein Exempel im Dorf zu statuieren, da sie in letzter Zeit eine »systematische Verseuchung«703 in St. Peter festgestellt habe. Dafür gab sie mehrere Beispiele aus ihrer Tätigkeit als Volksschullehrerin: Sie habe einmal im Unterricht die Frage aufgeworfen, wer den Krieg gewinnen würde.

Die Kinder der dritten Klasse hätten gerufen: »Nichts sagen, nichts sagen!« Als sie erwidert habe, es gäbe doch nur eine Möglichkeit, nämlich dass Deutschland den Krieg gewinne, da hätten die Kinder gesagt: »Der Krieg ist schon verspielt, gewin-nen tun wir ihn nicht.« Auf ihre Frage wieso, hätten die Kinder gemeint, »die Russen kämen ohnedies schon herein«. Sie berichtete dann noch von weiteren Zeugnissen von »Zersetzung« im Dorf: Am Tag des Geburtstags von Adolf Hitler, dem 20. April 1944, hätten die Kinder ihrer Klasse sein Bild während des Unterrichts

auftragsge-698 Aussage bei der Gendarmerie Rohrbach vom 11.05.1944, AdR, Zentr. Ger. 1939–1945, Außenst.

Wien 180/9.

699 Wieso war dieses Mädchen mit 22 Jahren schon Lehrerin? Es kann sich auch um eine Hilfslehre-rin aufgrund des allgemeinen LehreHilfslehre-rinnenmangels gehandelt haben.

700 Aussage bei der Gendarmerie Rohrbach vom 11.05.1944, AdR, Zentr. Ger. 1939–1945, Außenst.

Wien 180/9.

701 Aussage bei der Gendarmerie Rohrbach vom 11.05.1944, AdR, Zentr. Ger. 1939–1945, Außenst.

Wien 180/9.

702 Aussage bei der Gendarmerie Rohrbach vom 11.05.1944, AdR, Zentr. Ger. 1939–1945, Außenst.

Wien 180/9.

703 Aussage bei der Gendarmerie Rohrbach vom 11.05.1944, AdR, Zentr. Ger. 1939–1945, Außenst.

Wien 180/9.

177 2. denunziationen iM Weiteren uMfeld

mäß geschmückt. Als sie fertig waren, bemerkte sie, dass auch das Kruzifix704 ge-schmückt worden war. Sie wollte daraufhin das rote Papierfähnchen vom Kreuz nehmen, aber die Kinder riefen, es sei geschmückt, man dürfe es nicht herunter-nehmen, und schrien: »Es ist geweiht, es ist geweiht!«705 Weiters berichtete sie von einem Zwischenfall wegen eines Kindes, das nicht in den Religionsunterricht gehen wollte und dann von einem Kooperator besonders betreut wurde und daraufhin doch den Unterricht besuchte.706 All diese Vorkommnisse hätten sie zu der Meinung veranlasst, dass in St. Peter eine »systematische Aufhetzung« betrieben würde und es sich nicht um einen Einzelfall handelte.707 Dieser Eindruck der Lehrerin wurde von der Kindergärtnerin des Ortes vollauf bestätigt.708

Alle TeilnehmerInnen dieses Heimabends wurden daraufhin von der Gendarme-rie verhört: Die Aussagen der ProtagonistInnen waren verhalten, der Bauernsohn – der einzige männliche Teilnehmer – meinte, er habe während des Heimabends gar

nichts vom Inhalt der politischen Auseinandersetzung mitbekommen.709 Auch eine mit dem angezeigten Mädchen befreundete Magd und mehrere andere Mädchen gaben an, nicht gehört zu haben, was vorging.710

Die Rebellische

Maria Riegler wurde 1924 geboren und stammte aus St. Peter am Wimberg. Sie war die Tochter eines Bauernpaares, katholisch und unverheiratet. Sie hatte die Volks-schule besucht und danach bei ihren Eltern ein 58 Joch großes Grundstück als Land-arbeiterin übernommen. Ihre Mutter war verstorben und die Landwirtschaft wurde von ihrem 70-jährigen Vater und ihrer älteren Schwester geführt. Sie gab an, von ih-rem Vater in streng katholischem Sinn erzogen worden zu sein, was auch der Grund für ihre Weigerung, dem BdM beizutreten, gewesen sei, auch wenn sie von der

704 Interessant ist, dass überhaupt noch ein Kreuz im Klassenzimmer hing.

705 Aussage bei der Gendarmerie Rohrbach vom 11.05.1944, AdR, Zentr. Ger. 1939–1945, Außenst.

Wien 180/9.

706 Aussage bei der Gendarmerie Rohrbach vom 11.05.1944, AdR, Zentr. Ger. 1939–1945, Außenst.

Wien 180/9.

707 Aussage bei der Gendarmerie Rohrbach vom 11.05.1944, AdR, Zentr. Ger. 1939–1945, Außenst.

Wien 180/9.

708 Aussage bei der Gendarmerie Rohrbach vom 22.05.1944, AdR, Zentr. Ger. 1939–1945, Außenst.

Wien 180/9.

709 Aussage bei der Gendarmerie Rohrbach vom 22.05.1944, AdR, Zentr. Ger. 1939–1945, Außenst.

Wien 180/9.

710 Aussage bei der Gendarmerie Rohrbach vom 12.05.1944, AdR, Zentr. Ger. 1939–1945, Außenst.

Wien 180/9.

BdM-Führerin als Mitglied geführt worden wäre. Sie sei durch die katholische Erzie-hung ihres Vaters und durch die Beeinflussung von anderen Personen eine Gegnerin des Nationalsozialismus geworden.711 Bei ihrer Vernehmung gab sie zu, den Vortrag der BdM-Führerin gestört zu haben, da sie von dem Vortrag »Unser Führer« nichts wissen wollte: »Da sie dauernd über den Führer sprach und ihn als unseren Retter bezeichnete, überkam mich der Zorn und ich ließ mich zu den bereits von der Zeu-gin angeführten Äußerungen hinreißen. Ich gebe somit zu, daß ich damals vor allen Personen sagte, daß die BdM-Führerin mit dem Vortrag über den Führer aufhören soll, weil es mich nicht interessiert, und wenn der Führer nicht gewesen wäre, ginge es uns heute nicht so schlecht.«712 Sie führte weiter aus, dass sie zu dieser Einschät-zung nicht nur aufgrund ihres eigenen Familienhintergrundes gekommen sei, son-dern dass es den Leuten insgesamt früher besser gegangen wäre. Auch ihre eigene Familie hätte früher genug Arbeitskräfte gehabt und sich nicht so plagen müssen.

Sie sei mit der BdM-Führerin in einen politischen Disput geraten, da sich – nach ihrer Einschätzung – gegenwärtig viele Leute das Leben nähmen und vor allem tausend Soldaten, weil sie die Nerven verlören und nicht mehr anders könnten. Dies würden viele Soldaten nach Hause schreiben, aber sie habe ihren Bruder nicht erwähnt. Sie stand auch dazu, im Zorn gesagt zu haben: »Jetzt ist der Dreck bald gespitzt, länger halten die Soldaten ohnedies den Schädel nicht mehr hin für die Großschädeln.«713 Von wem sie solche Äußerungen gehört hatte, konnte bzw. wollte sie nicht nament-lich angeben, aber sie habe die Meinung, dass der »Krieg verspielt« sei, schon un-zählige Male gehört. Sie erinnerte sich insbesondere an einige Zugfahrten nach Linz, wo sie solches im Zugabteil erfahren habe. Sie nahm aber explizit den Kooperator, der an der Schule den Religionsunterricht erteilte, aus.714

Aus Spaß wird Ernst

Am 13. Mai 1944 wurde das Mädchen verhaftet, und alle Briefe ihres Bruders, die man bei ihr fand, wurden beschlagnahmt.715 Die Gendarmerie vertrat die

711 Aussage vor der Stapo Linz vom 30.05.1944, AdR, Zentr. Ger. 1939–1945, Außenst. Wien 180/9.

712 Aussage bei der Gendarmerie Rohrbach vom 12.05.1944, AdR, Zentr. Ger. 1939–1945, Außenst.

Wien 180/9.

713 Aussage bei der Gendarmerie Rohrbach vom 12.05.1944, AdR, Zentr. Ger. 1939–1945, Außenst.

Wien 180/9.

714 Aussage bei der Gendarmerie Rohrbach vom 12.05.1944, AdR, Zentr. Ger. 1939–1945, Außenst.

Wien 180/9.

715 Strafanzeige bei der Gendarmerie Rohrbach vom 13.05.1944, AdR, Zentr. Ger. 1939–1945, Au-ßenst. Wien 180/9.

179 2. denunziationen iM Weiteren uMfeld

Auff assung, es könne sich bei ihrem Verhalten keineswegs nur um ein einfaches Hirngespinst eines Mädchens handeln, die Aussagen wären auch nicht nur aus dem

»gegnerisch« bekannten familiären Hintergrund zu erklären, sondern der zustän-dige Gendarm vertrat die Ansicht, es »dürfte überhaupt in der Ortsgruppe St. Pe-ter eine systematische Hetze gegen Führer und NSDAP im geheimen betrieben werden«716. Der Fall begann sich auszuweiten.

Maria Riegler wurde von der Staatspolizei vernommen. Bei diesem Verhör vor der Gestapo gab sie nun unter Druck717 einen Urheber der von ihr geäußerten Ein-schätzungen bezüglich des Krieges an. Sie habe diese Meinung von einem Wander-musiker namens Axel Sachs gehört. Dieser diente gerade bei der Wehrmacht und war als Soldat im Sommer 1943 in diese Gegend gekommen, um Beeren zu pflücken.

Er habe auf ihrem Bauernhof nach Arbeit gefragt und hätte eine Woche bei ihnen am Hof gearbeitet. Während dieser Zeit habe er öfters seine Einschätzung der hoff-nungslosen Kriegslage zum Ausdruck gebracht; an der Front würden tausende Sol-daten Selbstmord begehen und der »Führer« könne das sowieso nicht mehr verant-worten.

Bei ihrem Verhör gab sie noch eine weitere Frau aus ihrem Ort an, mit der sie ein-mal gemeinsam mit der Landarbeiterin ihres Hofes zusammengestanden wäre und dabei hätte diese gemeint, die Soldaten würden nicht mehr länger die »Schädeln«

für die »Großschädeln« hinhalten. Auch der Ortspfarrer von St. Peter am Wimberg hätte sie in »staatsfeindlichem Sinne« beeinflusst: Im September 1943 wäre er zu ihnen auf den Hof gekommen, um dem Onkel das Sterbesakrament zu erteilen. Bei dieser Gelegenheit habe er geäußert, der »Tango« – gemeint war damit der Krieg – sei bald vorbei. Zudem setzte er »Nationalsozialismus« und »Kommunismus« in einem Gespräch gleich. Damit hatte sie weitere Personen in das Verfahren hinein-gezogen.718

Sie verteidigte sich damit, bei dem Heimabend alles nur aus Zorn gesagt zu ha-ben und sich der Folgen ihrer Äußerungen nicht bewusst gewesen zu sein. Darauf-hin wurde auch die Schwester befragt, die ebenfalls den Wandermusiker belastete.

Maria Riegler kam in Untersuchungshaft und ihre Schwester wurde vorübergehend im Frauengefängnis in Linz inhaftiert. Die am Hof arbeitende Landarbeiterin gab bei ihrer Vernehmung an, die Familie sei sehr religiös und der Bauer habe mehrmals zum Ausdruck gebracht, der Krieg möge zu Ende gehen. Auch die Aussagen des Wandermusikers wurden von ihr bestätigt. Aber sie bestritt, mit jener Frau, die sich

716 Strafanzeige bei der Gendarmerie Rohrbach vom 13.05.1944, AdR, Zentr. Ger. 1939–1945, Au-ßenst. Wien 180/9.

717 Inwieweit hier auch Folter Anwendung fand, muss offenbleiben.

718 Aussage vor der Stapo vom 30.05.1944, AdR, Zentr. Ger. 1939–1945, Außenst. Wien 180/9.

gegen den Krieg geäußert haben sollte, beisammen gestanden zu sein, als diese

»hetzerische« Äußerungen getätigt hätte.719 Der Vater des Mädchens gab an, der Vaterländischen Front angehört zu haben. Seine beiden Töchter würden ihm in der Landwirtschaft helfen, da seine Frau verstorben und sein Sohn bei der Wehrmacht eingezogen sei. Er bestritt alle Vorwürfe, wobei er sich als 70-jähriger Mann auf sein nachlassendes Gedächtnis ausredete.720

Verfahren gegen den Wandermusiker

Im Juli 1944 wurde der 35-jährige Gefreite Axel Sachs – der sich als Wandermusiker betätigte – das erste Mal verhört. Er wurde 1909 in Linz geboren, war römisch ka-tholisch und verheiratet. Im Zivilberuf arbeitete er als Heizer. 1940 war er zur Wehr-macht eingezogen worden. Von Ende Mai 1943 bis Ende Juni 1943 hatte er einen Genesungsurlaub in Österreich verbracht. In dieser Zeit war er zum Brombeeren-Suchen nach St. Peter gekommen. Er habe dann, weil es damals zu regnen begann, bei einem Bauern Unterschlupf gesucht und etwas zu essen bekommen. Die Bauern-familie klagte bei dieser Gelegenheit über einen generellen Mangel an Arbeitskräf-ten. Er habe daraufhin seine Arbeitskraft angeboten und für elf Tage bei dem Bauern gearbeitet. Während der Freizeit habe er manches mit dem Bauern und seinen Töch-tern geredet. Er habe unter anderem von seinen Eindrücken und Erlebnissen in Russ-land erzählt. Einmal hätte er Gitarre gespielt und es wäre Most getrunken worden.

Er bestritt, die Meinung geäußert zu haben, dass sich die Soldaten an der Front er-schießen würden, weil sie nichts zu essen hätten, er habe immer genügend zu essen gehabt. Er gab aber zu, gesagt zu haben, der Krieg sei bald zu Ende. Es habe damals auch noch ein anderer Soldat – neben einem französischen Kriegsgefangenen oder polnischen Landarbeiter – am Hof mitgearbeitet. Er gab noch an, dass er nach der

»Wiedervereinigung« von Österreich mit dem Deutschen Reich nach langer Arbeits-losigkeit sofort Arbeit als Heizer im Allgemeinen Krankenhaus bekommen habe und seit seiner Einberufung zur Wehrmacht immer für seine Familie habe sorgen kön-nen und schon deswegen diese Äußerungen nicht gemacht haben könnte.721 Diese Aussage, nach 1938 endlich Arbeit gefunden zu haben, also vom Nationalsozialismus profitiert und deswegen keine kritische Reden geführt haben zu können, ist mir als rhetorische Entlastungsfigur von Angeklagten in den Akten einige Male begegnet.

In der politischen Beurteilung durch die NSDAP wurde er als politisch

unzuver-719 Aussage vor der Stapo vom 05.06.1944, AdR, Zentr. Ger. 1939–1945, Außenst. Wien 180/9.

720 Aussage bei der Gestapo Linz vom 06.06.1944, AdR, Zentr. Ger. 1939–1945, Außenst. Wien 180/9.

721 Vernehmung vom 13.07.1944, AdR, Zentr. Ger. 1939–1945, Außenst. Wien 180/9.

181 2. denunziationen iM Weiteren uMfeld

lässig und »moralisch nicht einwandfrei« eingestuft. Er wäre in der Ortsgruppe als

»ausgesprochener Gegner der NSDAP« bekannt gewesen. Er hätte seine Mutter und seine Frau verprügelt und seine Kinder vernachlässigt. Er und seine Frau wür-den im Volksmund als »Zigeuner«722 bezeichnet.723

Täterin und Opfer in einem

Einen Monat später, am 17. August 1944, wurde Maria Riegler wegen öffentlicher

»Wehrkraftzersetzung und Feindbegünstigung« angeklagt724 und in Haft genom-men. Da ihre Verhandlung vor dem Oberlandesgericht – also vor einem zivilen Ge-richt – ausgetragen wurde, ist das Urteil in den Wehrmachtsjustizakten nicht ent-halten. Zuvor hatte sie mehrere Personen – den Wandermusiker, die Landarbeiterin und den Ortspfarrer – in das Verfahren hineingezogen und schwer belastet. Der Fall des Wandermusikers und Soldaten Axel Sachs wurde am 8. September 1944 am Zentralgericht verhandelt. Maria Riegler – nun selbst angeklagt – wurde bei seiner Verhandlung als Zeugin nicht mehr zugelassen, obwohl sie die Urheberin des Ver-fahrens war. Bei der Gerichtsverhandlung waren nur die ältere Schwester und die Landarbeiterin als Zeuginnen zugegen. Die ältere Schwester gab in der Hauptver-handlung an, sich nur noch sehr ungenau an die Vorkommnisse zu erinnern. Das Gericht musste daher auf die ursprüngliche Aussage der Anzeigerin zurückgreifen.

Axel Sachs wurde schlussendlich wegen »Wehrkraftzersetzung« vom Zentral-gericht zu einem Jahr und sechs Monaten Gefängnis und Rangverlust verurteilt.725 Der Oberstabsrichter Dr. von Hasselbach argumentierte sehr spitzfindig, das zu erfüllende Tatbestandsmerkmal der Öffentlichkeit sei deswegen gegeben, weil die Unterredung vor dem Hause stattgefunden habe und der Angeklagte damit habe rechnen müssen, dass seine Äußerungen weitererzählt würden, was tatsächlich ge-schehen sei.Strafmildernd wurde angesehen, dass es sich um eine gelegentliche Äußerung gehandelt habe und Alkohol im Spiel gewesen war.726

722 Vgl. zum Begriff »Zigeuner« und dessen Zuschreibungen: Florian Freund, Der polizeilich-admi-nistrative Zigeunerbegriff. Ein Beitrag zur Klärung des Begriffes »Zigeuner«, in: Zeitgeschichte 2 (2003), S. 76–90.

723 Politische Beurteilung des Gaupersonalamtes der NSDAP vom 16.08.1944, AdR, Zentr. Ger.

1939–1945, Außenst. Wien 180/9.

724 Anklageschrift vom 17.08.1944, AdR, Zentr. Ger. 1939–1945, Außenst. Wien 180/9.

725 Öffentliche Sitzung des Feld-Kriegsgerichts des Zentralgerichts des Heeres/Außenstelle Wien vom 03.11.1944, AdR, Zentr. Ger. 1939–1945, Außenst. Wien 180/9.

726 Öffentliche Sitzung des Feld-Kriegsgerichts des Zentralgerichts des Heeres/Außenstelle Wien vom 03.11.1944, AdR, Zentr. Ger. 1939–1945, Außenst. Wien 180/9.

Resistentes Verhalten?

Dieser Fall ermöglicht uns einige Einblicke in das widersprüchliche Verhalten der bäuerlichen Bevölkerung hinsichtlich der Akzeptanz des Nationalsozialismus in der allerletzten Kriegsphase. In diesem Fall ging es um den Versuch der ProponentIn-nen des NS-Systems, genau im Moment der Krise die verstärkt sichtbar werdenden ideologischen Differenzen in der dörflichen Gesellschaft unter Kontrolle zu bringen.

Die sich – aufgrund dieser Situation und verstärkt durch ihr Geschlecht und ihre Ju-gend – wohl ohnmächtig fühlende BdM-Führerin suchte sich einen mächtigen Ver-bündeten, indem sie den Staat zu Hilfe rief. In der Forschung wird meist von einer gewissen »Resistenz« in den bäuerlich-katholischen Gebieten ausgegangen, wofür auch das noch hängende Kreuz in diesem Fall spricht. Das galt auch hinsichtlich des landwirtschaftlichen Einsatzes von »Fremdarbeitern«, da traditionell bäuerliche Lebenswelten das hierarchisierende NS-Regelwerk »humanisierend« eher abgemil-dert hätten. In unserer Untersuchung, die wir im Rahmen der Historikerkommission der Republik Österreich zur »Zwangsarbeit in der Landwirtschaft« zur Behandlung von ZwangsarbeiterInnen im Gau Niederdonau durchführen konnten, konstatier-ten wir ein ambivalentes Verhältnis von NS-Staat und agrarischen Lebenswelkonstatier-ten:

Es waren einerseits divergente Aspekte auszumachen, etwa die verbotene Tischge-meinschaft von In- und AusländerInnen, die mit dem Begriff der »Resistenz« gefasst werden konnten; zugleich konnten wir auch konvergente Aspekte (etwa die harten Bestrafungspraxen ausländischer Arbeitskräfte durch die »Betriebsführer«) nach-weisen. Wir fassten daher in unserer Analyse das Mit-, Neben- und Gegeneinander von NS-System und agrarischen Lebenswelten mit dem Begriff der »Koexistenz«.727 Diese Koexistenz schien in St. Peter am Wimberg bereits zu kippen. Dennoch ist der Begriff auch in diesem Fall geeignet, die unterschiedlichen Verhaltensweisen der

Es waren einerseits divergente Aspekte auszumachen, etwa die verbotene Tischge-meinschaft von In- und AusländerInnen, die mit dem Begriff der »Resistenz« gefasst werden konnten; zugleich konnten wir auch konvergente Aspekte (etwa die harten Bestrafungspraxen ausländischer Arbeitskräfte durch die »Betriebsführer«) nach-weisen. Wir fassten daher in unserer Analyse das Mit-, Neben- und Gegeneinander von NS-System und agrarischen Lebenswelten mit dem Begriff der »Koexistenz«.727 Diese Koexistenz schien in St. Peter am Wimberg bereits zu kippen. Dennoch ist der Begriff auch in diesem Fall geeignet, die unterschiedlichen Verhaltensweisen der

Im Dokument Fälle aus der NS-Militärjustiz (Seite 176-185)