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Im Kriegsgefangenenlager

Im Dokument Fälle aus der NS-Militärjustiz (Seite 185-196)

II. Denunziation als soziales Phänomen

2. Denunziationen im weiteren Umfeld

2.8. Im Kriegsgefangenenlager

Die Kriegsgefangenen stellten die zweitgrößte Gruppe der in Österreich während des Nationalsozialismus zwangsweise eingesetzten Arbeitskräfte dar.729 Der Einsatz von Kriegsgefangenen als Zwangsarbeiter im »Dritten Reich« barg – aus NS-Sicht – nicht nur Vorteile, sondern auch mehrere Nachteile: Sie unterstanden – mit der Aus-nahme der sowjetischen – dem völkerrechtlichen Schutz und konnten nicht ohne weiteres zu höheren Arbeitsleistungen angetrieben werden, ferner banden sie eine beträchtliche Zahl an Bewachungspersonal, und schließlich galten sie als nicht sehr effektiv, da die Kriegsgefangenen aufgrund ihrer Kriegsgegnerschaft und vor allem aufgrund des geringen Lohns weniger als andere Gruppen von ZwangsarbeiterIn-nen motiviert waren.730 Die ständig steigenden Forderungen nach Arbeitskräften im Deutschen Reich konnten auch durch den Einsatz von ZwangsarbeiterInnen nicht gedeckt werden, weshalb Anfang 1943 sogar Ehefrauen von französischen Kriegsgefangenen zur Arbeit im Reich motiviert werden sollten.731 Ferner wurde im

729 Florian Freund, Bertrand Perz, Die Zahlenentwicklung der ausländischen Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen auf dem Gebiet der Republik Österreich 1939–1945, in: Florian Freund, Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen auf dem Gebiet der Republik Österreich 1939–1945.

Mit Beiträgen von Florian Freund, Bertrand Perz und Mark Spoerer (= Zwangsarbeit auf dem Gebiet der Republik Österreich, Bd. 1; Veröffentlichungen der Österreichischen Historikerkom-mission, Bd. 26/1), Wien, München 2004, S. 7–244, hier S. 107.

730 Vgl. Mark Spoerer, Zwangsarbeit unter dem Hakenkreuz. Ausländische Zivilarbeiter, Kriegsge-fangene und Häftlinge im Deutschen Reich und im besetzten Europa 1939–1945, Stuttgart 2001, S. 37 ff.

731 Abschrift eines RdErl. des OKW vom 19.12.1942, bekannt gegeben durch den RWM u. a. an RStH vom 23.01.1943 b, AdR, 05 Oberbergamt, 59, 1943, II BG 1/80269/43–125 a. Wie viele Ehefrauen französischer Kriegsgefangener von dieser Möglichkeit Gebrauch machten, lässt sich aufgrund der vorliegenden Dokumente und der Forschungsarbeiten nicht

nachzeich-185 2. denunziationen iM Weiteren uMfeld

Februar 1943 der für französische Männer der Geburtsjahrgänge 1920 bis 1922 ins-titutionalisierte Service du travail obligatoir (STO) – eine zweijährige Dienstpflicht – auf Männer des Jahrganges 1919 ausgedehnt. Die Vergabe von

Ausnahmegeneh-migungen wurde gleichzeitig radikal eingeschränkt.732

Vor diesem Hintergrund sind folgende Denunziationsvorfälle zu sehen: Ende Juni 1943 verfasste der Lagerführer des Kriegsgefangenenlagers der Wolfsegg-Trauntha-ler Kohlenwerke AG im Gau Oberdonau einen ausführlichen negativen Bericht über das gravierende Fehlverhalten von Josef Schober, dem Kommandoführer der fran-zösischen Kriegsgefangenen in Ampflwang. Die Beschwerde erging an den Dienst-vorgesetzten, den Bataillonskommandeur, und betraf Schobers angeblich zu nahen Kontakt zu den Kriegsgefangenen und ihre »zu gute« Behandlung: Der Kommando-führer sei – so lautete der Vorwurf des LagerKommando-führers – mit den Kriegsgefangenen

»so intim, daß der Zustand bereits von der Bevölkerung kritisiert wird«.733 Dieses un-erlaubte Naheverhältnis würde generell die Zusammenarbeit mit den Verbindungs-stellen des Betriebes außerordentlich erschweren, und Schober würde zudem mit den Kriegsgefangenen auch noch illegale Geschäfte abwickeln.

Der vorliegende Fall ist im Kontext von behördlichen, betrieblichen Debatten und immer wieder zu Tage tretenden Konflikten rund um eine ›adäquat‹ strenge und »wirtschaftlich praktikable« Behandlung von französischen Kriegsgefangenen, die als Zwangsarbeiter in zahlreichen österreichischen Betrieben der Industrie und der Landwirtschaft eingesetzt waren, zu lesen. In diesem hier vorliegenden Streit-fall wurden die kriegsgefangenen Zwangsarbeiter wechselweise in einem Kohlen-werk und in der Landwirtschaft zu Ernteeinsätzen beschäftigt.

Die NS-Behörden wollten im Krieg – bei größtmöglicher Ausbeutung der Arbeits-kraft – bei der Bevölkerung einen möglichst distanzierten Umgang mit »Feinden«

durchsetzen. Die Umgangsformen sollten sich am militärischen Kampf im Schlacht-feld, die in das zivile Feld der »Heimatfront« übertragen wurden, orientieren: Ein im militärischen Bereich üblicher Befehlston sollte im Arbeitszusammenhang vor-herrschen; darüber hinaus sollten generell jegliche Gespräche und private Kon-takte – die als »verbotener Umgang« galten – mit Kriegsgefangenen vermieden werden. Insbesondere während des Einsatzes von Kriegsgefangenen auf den land-wirtschaftlichen Höfen behinderte eine derart eingeschränkte Kommunikation die Arbeitsabläufe, sie ließ sich daher kaum durchsetzen. Dennoch darf der

Repressi-nen; Hornung, Langthaler, Schweitzer, Zwangsarbeit in der Landwirtschaft in Niederöster-reich, S. 88.

732 Vgl. ausführlich dazu: Hornung, Langthaler, Schweitzer, Zwangsarbeit in der Landwirtschaft in Niederösterreich, S. 89.

733 Bericht der Lagerführung vom 30.06.1943, AdR, Zentr. Ger. 1939–1945, Außenst. Wien 177/2.

onsdruck des NS-Regimes gegenüber der einheimischen Bevölkerung nicht unter-schätzt werden.734 Mit Hilfe von Bewachung, Beobachtung und Denunziation soll-ten unerlaubte Kontakte zu den Kriegsgefangenen verhindert werden.

In der Landwirtschaft waren Kriegsgefangene oft in kleineren, in den Betrieben in größeren Gruppen eingesetzt, das Interagieren mit der Bevölkerung war schwer zu verhindern. Dazu kamen die Interaktionen mit den Kommandoführern und Be-wachern, die meist in einem näheren Kontakt zu den Kriegsgefangenen standen, auch wenn das Sicherheitsrisiko durch die französischen Kriegsgefangenen von den deutschen Behörden im Allgemeinen geringer eingeschätzt wurde als bei anderen – rassistisch abgestuften – ZwangsarbeiterInnen-Gruppen. Die Behörden reagierten auf die mannigfachen Schwierigkeiten im Umgang mit und beim Einsatz von Kriegs-gefangenen mit dem Versuch von Schulungen der Bevölkerung, mit sogenannten

»Kriegsgefangenen-Abwehrvorträgen«.735 Manche Landwirte pflegten mit den französischen Kriegsgefangenen sogar eine »Tischgemeinschaft«. »Man hat sogar manchmal das Gefühl, daß die Arbeitgeber und ihr Gesinde den Gedanken, daß es sich um Feinde handelt, gänzlich aufgegeben haben«, so ein klagender Gendarme-riebericht.736 Die Vorschriften erwiesen sich aber generell als unpraktikabel. Das Spektrum der Interaktionen, die von den Polizeibehörden als »verbotener Umgang«

ausgelegt und immer wieder angeprangert wurden, war breit gefächert und reichte von »freundschaftlichem« bis zu »geschlechtlichem Verkehr«.737 Die strengen Vor-schriften über das Verbot jeglichen Kontakts ließen sich aber, wie die Dokumente zeigen, bei französischen Kriegsgefangenen, der größten Gruppe an Kriegsgefange-nen, besonders schlecht durchsetzen.738

In dem hier vorliegenden Fall wurde von Behördenseite vor allem kritisiert, dass die Gefangenen in Fällen von Belehrungen, Ermahnungen oder schlechter Versor-gung mit frechen Beschwerden an die Stammlager und mit ArbeitsniederleVersor-gung drohten. Für diese Zustände wurde der Umstand verantwortlich gemacht, dass die Kriegsgefangenen in den Stammlagern zu »human« behandelt würden.Es wurde von offizieller Seite auch die Unzufriedenheit der Dienstgeberseite über die

aus-734 Vgl. Hornung, Langthaler, Schweitzer, Zwangsarbeit in der Landwirtschaft in Niederösterreich, S. 384 ff.

735 Auftrag des RStH an LR und Oberbürgermeister vom 29.04.1941, NÖLA, BH Amstetten, 231, 1941, I. Vgl. Hornung, Langthaler, Schweitzer, Zwangsarbeit in der Landwirtschaft in Niederö-sterreich, S. 386 ff.

736 Bericht des GP Ulmerfeld vom 23.12.1942, NÖLA, BH Amstetten, 250–251, 1942–43, I–II/1–3/A–K.

737 Vgl. ausführlich dazu: Hornung, Langthaler, Schweitzer, Zwangsarbeit in der Landwirtschaft in Niederösterreich, S. 347 ff.

738 Ulrich Herbert, Fremdarbeiter. Politik und Praxis des »Ausländer-Einsatzes« in der Kriegswirt-Ulrich Herbert, Fremdarbeiter. Politik und Praxis des »Ausländer-Einsatzes« in der Kriegswirt-schaft des Dritten Reiches, Neuaufl., Bonn 1999, S. 141.

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schließliche Disziplinargewalt der Militärverwaltung thematisiert. Diese Zustän-digkeit widersprach traditionell bäuerlich-paternalistischen Machtansprüchen.

Offenbar gelang es den französischen Kriegsgefangenen, auch durch den Schutz der Genfer Konvention, gewisse Handlungsspielräume zu nutzen, was Konflikte produzierte.

Vor diesem Hintergrund ist der hier vorliegende Fall zu interpretieren, in dem es um einen »dienstlichen« Konflikt zwischen einem dienstlich übergeordneten Lager-leiter und einem Kommandoführer ging, dem ein zu enger Kontakt zu den Kriegsge-fangenen vorgeworfen wurde. Der Lagerleiter stand in seiner Funktion als Verant-wortlicher für das Lager zwischen der Betriebsleitung und dem Kommandoführer und damit sicher in einem Spannungsverhältnis. Aber auch die Betriebsleitung strebte die Dienstenthebung des Angezeigten an. Als Beweis für dessen – in den Augen der Denunzianten – untragbare Haltung wurde exemplarisch ein Gespräch in einem Wartehäuschen der Werksbahn angeführt, bei dem mehrere ZivilistInnen anwesend gewesen sein sollen. Der Kommandoführer Josef Schober habe sich da-bei in Anwesenheit anderer Wartender »wehrkraftzersetzend« geäußert. Er habe unter anderem gesagt, die Kriegslage sei »sehr brenzlig«, die Mehrheit der Franzo-sen würde bereits mit einer Niederlage der Wehrmacht rechnen, der Panzer »Tiger«

sei ein reiner Reinfall und die Russen würden jeden Panzer dieses Typs mit Tankfal-len abfangen. Er soll auch geschimpft haben, die Deutschen seien »das blödeste Volk«, »bei uns heißt es immer arbeiten und arbeiten, weil wir die größte Freude an der Arbeit finden; das französische Volk ist viel besser organisiert«.739 Er habe unge-rechtfertigt die Meinung geäußert, die französischen Kriegsgefangenen bekämen viel zu wenig zu essen, obwohl bei einer Durchsuchung der Unterkünfte der Kriegs-gefangenen jede Menge Eier, Speck, Butter und diverse andere Lebensmittel zum Vorschein gekommen seien.740 Dies musste aber keinen Widerspruch darstellen, da die französischen Kriegsgefangenen oft über ungenügende Versorgung von Sei-ten der Lagerverwaltung klagSei-ten und gleichzeitig durch die zugeschickSei-ten Pakete aus Frankreich einige Vorräte vorzuweisen hatten. Französische Kriegsgefangene durften alle zwei Monate ein Paket von bis zu fünf Kilogramm und pro Monat zwei Päckchen zu 500 Gramm oder eines zu 1.000 Gramm erhalten; zu diesem Zweck schickten sie entsprechende Etiketten an ihre Familien.741 Die Versendung dieser Pa-kete von Seiten der Angehörigen in Frankreich galt nicht nur als Ausdruck persönlicher

739 Bericht der Lagerführung vom 30.06.1943, AdR, Zentr. Ger. 1939–1945, Außenst. Wien 177/2.

740 Bericht der Lagerführung vom 30.06.1943, AdR, Zentr. Ger. 1939–1945, Außenst. Wien 177/2.

741 Helga Bories-Sawala, Franzosen im »Reichseinsatz«. Deportation, Zwangsarbeit, Alltag. Erfah-Helga Bories-Sawala, Franzosen im »Reichseinsatz«. Deportation, Zwangsarbeit, Alltag. Erfah-rungen und ErinneErfah-rungen von Kriegsgefangenen und Zivilarbeitern, 3 Bde., Frankfurt am Main, Wien 1996, 2. Bd. 2, S. 68.

Fürsorge, sondern wurde von der Pétain-Regierung auch als patriotische Pflicht von Frauen angesehen. Auf diese Weise wurde den Frauen von Kriegsgefangenen auch die Sorge für die Psyche der Kriegsgefangenen zugeschrieben.742 Diese Vorräte leis-teten oftmals Neidgefühlen der einheimischen Bevölkerung Vorschub. In diesem Kontext wurde in dem Bericht der Lagerführung besonders auf einen Vorfall von Arbeitsniederlegung einer Arbeitstruppe dieser französischen Kriegsgefangenen hingewiesen. Durch ein Versehen wäre einmal – von den Kriegsgefangenen selbst verursacht – das Brot für ihre Verpflegung nicht rechtzeitig geliefert worden. Dar-auf hätten alle fünfzehn Franzosen dieses Kommandos die Arbeit an dem Vormit-tag niedergelegt, ohne die Lieferung einzumahnen. Auf diese Arbeitsniederlegung wäre vom Kommandoführer – so der Vorwurf – nicht streng genug reagiert worden, denn er habe nicht vorschriftsgemäß sofort eine Anzeige erstattet.743

Vier weitere Zeugenaussagen belasteten den Kommandoführer in diesem Ver-fahren: Die erste stammte vom Verfasser dieser Beschwerde selbst. Der Lager-führer der Wolfsegg-Traunthaler Kohlenwerke AG, der den negativen Bericht an den Bataillons-Kommandeur erstattet hatte, gab in seiner Darstellung an, dass die Kriegsgefangenen nach seiner Meinung ihre Freizeit zu sehr ausnützen könnten und insgesamt zu wenig diszipliniert würden. Wenn sie sonntags nicht gearbeitet hätten, wären sie zu Wochenanfang manchmal sehr spät und betrunken ins Lager gekommen. Weiters führte er in seinen Anschuldigungen aus, dass der angezeigte Feldwebel zu Ostern vom Ortsbauernführer ein Lamm gekauft und dieses dann den Franzosen weiterverkauft habe. Auch mit Kaninchen wäre gehandelt worden.744 Eine Zeugin bestätigte den Bericht des Lagerführers inhaltlich.745 Zurückhaltender verhielten sich hingegen die zwei anderen Zeugen: Der Betriebssanitäter der Firma gab an, gehört zu haben, dass von einem angekündigten Besuch des Direktors des Werkes gesprochen worden sei, um bei einer von den Franzosen geplanten Arbeits-verweigerung vermittelnd einzugreifen, und dass das Essen der Kriegsgefangenen vom Angezeigten als sehr gut befunden wurde, nur das Nachtmahl habe er als et-was wenig angesehen. Sonst habe er nichts Politisches mitbekommen. Ein weiterer Zeuge, ein Vorarbeiter der Firma, äußerte sich »verhalten«.746

Bei dem Angezeigten handelte es sich um den 44-jährigen Feldwebel Josef Scho-ber. Er wurde 1899 in Linz geboren und war verheiratet. Er hatte in Linz die

Volks-742 Sarah Fishman, We will wait: Wives of French Prisoners of War, 1940–1945, New Haven, London:

Yale University Press 1991; Ela Hornung, ›Penelope und Odysseus‹; Hornung, Warten und Heim-‹; Hornung, Warten und Heim-kehren.

743 Bericht der Lagerführung vom 30.06.1943, AdR, Zentr. Ger. 1939–1945, Außenst. Wien 177/2.

744 Niederschrift vom 06.07.1943, AdR, Zentr. Ger. 1939–1945, Außenst. Wien 177/2.

745 Niederschrift vom 06.07.1943, AdR, Zentr. Ger. 1939–1945, Außenst. Wien 177/2.

746 Niederschrift vom 06.07.1943, AdR, Zentr. Ger. 1939–1945, Außenst. Wien 177/2.

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schule besucht und danach zwei Jahre in unterschiedlichen landwirtschaftlichen Betrieben gearbeitet. Anschließend lernte er das Schlosserhandwerk, konnte aber aufgrund des Ausbruchs des Ersten Weltkrieges die Gesellenprüfung nicht mehr ab-legen. 1917 wurde er als Soldat eingezogen und geriet 1918 in italienische Kriegsge-fangenschaft, aus der er erst 1920 zurückkehrte. Er hatte die bronzene Tapferkeits-medaille und das Karl-Truppen-Kreuz im Ersten Weltkrieg verliehen bekommen. Nach dem Ersten Weltkrieg arbeitete er in einer Eisengießerei als Fabrikarbeiter und war seit 1936 Arbeiter in einer Molkerei. 1938 machte er mit der Wehrmacht den Sude-ten-Einmarsch mit. Ab Juni 1940 wurde er zum Infanterie-Ersatzbataillon 130 nach Am stetten einberufen. Von dort wurde er zum Transportbataillon 910 nach Tarvis versetzt und nahm an Einsätzen gegen »Partisanen« teil. Anschließend kam er zum Transport-Sicherheitsregiment Wien. Bei einem Fliegerangriff 1944 wurde er ver-letzt, kam ins Lazarett und musste wegen eines Leistenbruchs operiert werden. Zum Zeitpunkt der Anzeige gehörte er zu einer Landesschützen-Einheit, die mit der Be-wachung von Kriegsgefangenen beauftragt war. 1939 wurde er zum Obergefreiten, 1940 zum Unteroffizier und 1942 zum Feldwebel befördert.747 1943 wurde Josef Scho-ber geschieden und heiratete ein zweites Mal. Aus dieser Ehe entstammten keine Kin-der, das Paar adoptierte ein Kind. Josef Schober war römisch-katholisch. Der NSDAP oder einer ihrer Gliederungen gehörte er nicht an, er war aber Mitglied der DAF.

In der Wehrmacht hatte er einen guten Ruf, war Unteroffizier und zum Zeitpunkt der Anzeige Kriegsgefangenenkommandoführer, er füllte also eine verantwor-tungsvolle Funktion aus. In dieser Position war er für die lückenlose Bewachung, Kontrolle, die Versorgung, den Arbeitseinsatz und die Disziplinierung der Kriegsge-fangenen zuständig.

Wie wurde die politische Biographie des Angezeigten von Behördenseite ein-geschätzt? Die NSDAP/Gauleitung Oberdonau gab in ihrem politischen Bericht an, der Angezeigte habe vor 1938 der sozialdemokratischen Partei angehört, wäre aber

»kein radikales Mitglied« gewesen. Es sei auch in charakterlicher Hinsicht nichts Schlechtes über ihn bekannt.748 Nach der Beurteilung der Gauleitung Oberdonau wurde seine politische Haltung nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten als »unbedenklich« eingestuft. Ein aktives Eintreten für den nationalsozialistischen Staat wurde aber nicht festgestellt. Nach einem früheren Bericht seiner Dienststelle war er in weltanschaulicher Hinsicht nicht nationalsozialistisch orientiert.749

747 Ich führe die militärische Biographie hier an, da sie Auskunft über die oft wechselnden und unterschiedlichen Einheiten und Einsatzorte von Wehrmachtssoldaten gibt.

748 Politische Beurteilung des Gaupersonalamtes der NSDAP/Gauleitung Oberdonau vom 20.09.1943, AdR, Zentr. Ger. 1939–1945, Außenst. Wien 177/2.

749 Gerichtsverhandlung vom 21.11.1944, AdR, Zentr. Ger. 1939–1945, Außenst. Wien 177/2.

Der Angezeigte bestritt die ihm zur Last gelegten Äußerungen heftig. Er fun-gierte seit eineinhalb Jahren als Kommandoführer in Ampflwang und vertrat die Ansicht, seine Aufgabe stets gut erfüllt zu haben. Er habe die Kriegsgefangenen immer streng behandelt, auch wenn er sich gleichzeitig für gute Verpflegung und adäquate Behandlung eingesetzt habe. Dafür hätte es in seiner Verantwortlichkeit auch keine »Arbeitsfluchten« gegeben, was er als seinen Erfolg buchte. Auch den Vorwurf des Schwarzhandels mit den Kriegsgefangenen suchte er zu entkräften.

Von der vergleichsweise guten Versorgung der kriegsgefangenen Franzosen konnten AusländerInnen wie InländerInnen profitieren. Die Verfügung über Le-bensmittelpakete stärkte die Position der französischen Kriegsgefangenen inner-halb der Hierarchie der AusländerInnen im Reich und schuf Neidgefühle bei der unterversorgten einheimischen Bevölkerung.750 Ausländische Arbeitskräfte, die sich auf illegalen Wegen mit Nahrung versorgen wollten, kamen notgedrungen immer wieder mit den Ordnungshütern in Konflikt: Fälschungen von Lebensmit-telkarten751, Felddiebstähle752, Wilddiebstähle753, Schleichhandel, Betteln754 und

»Kameradschaftsdiebstähle«755 waren an der Tagesordnung. Durch Tauschhan-del konnten sie sich in vielen Fällen mit fehlenden Artikeln des täglichen Bedarfs versorgen und vielfältige Beziehungen knüpfen – auch zu deutschen Frauen und Männern, bei der Arbeit und in der Freizeit. Die Freizeit der Kriegsgefangenen war streng geregelt, unter dem internationalen Schutz der Genfer Konvention waren für Kriegsgefangene nicht Ausgangszeiten, sondern Arbeitszeiten festgelegt. Ob diese Regelungen zur Anwendung kamen, lag auch daran, ob und in welcher Weise die Aufsichtsorgane ihre Ermessensspielräume nutzten.756

750 Dies wurde in einem Aktenvermerk der Gerichtsbehörde, die die Ermittlungen durchführte, direkt angesprochen. Es habe generell eine Abneigung gegen die Franzosen geherrscht: »Diese Ab-neigung geht sogar soweit, daß man die französischen Kriegsgefangenen auch deshalb haßte, weil sie in ihrer Lebensführung durch die Liebesgaben bessergestellt sind.« Amtsvermerk vom 26.09.1944, AdR, Zentr. Ger. 1939–1945, Außenst. Wien 177/2.

751 WrStLA, SG, 29, 1947, 20143.

752 Der LR äußerte die Anregung, »Feldhüter« aufzustellen, Situationsbericht des LR Gänserndorf vom 07.07.1943, NÖLA, RStH ND, SB, 1, 1943. Es kamen auch Diebstähle in Weingärten vor.

Situationsbericht des LR Baden vom 11.09.1943, NÖLA, RStH ND, SB, 1, 1943.

753 Zwei »russische Zivilarbeiter« hatten im Jagdrevier des Grafen Kuefstein durch das Legen von Drahtschlingen Wilddiebstähle verübt. Der Schaden wurde auf 600–800 RM geschätzt. Situa-tionsbericht des Polizeidirektors St. Pölten vom 04.02.1943, NÖLA, RStH ND, SB, 1, 1943.

754 Situationsbericht des Polizeidirektors St. Pölten vom 10.02.1943, NÖLA, RStH ND, SB, 1, 1943;

Situationsbericht des LR Scheibbs vom 07.08.1944, NÖLA, RStH ND, SB, 1, 1944.

755 Situationsbericht des LR Wr. Neustadt vom 04.03.1944, NÖLA, RStH ND, SB, 1, 1944.

756 Vgl. Hornung, Langthaler, Schweitzer, Zwangsarbeit in der Landwirtschaft in Niederösterreich, S. 402 f.

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Ein Belohnungssystem mit großzügigen »Freizeitzuteilungen« – wie in dem hier vorliegenden Fall – war durchaus üblich, vorrangig für jene Kriegsgefangenen, die sich durch gute Führung und Arbeitsleistung hervorgetan hatten. So hatte der Kommandoführer Josef Schober den Kriegsgefangenen auch wochentags nach Schichtschluss einige Stunden Ausgang zugestanden. Diese Maßnahme habe das erlaubte Maß aber nicht überschritten – so seine Argumentation – und sei gene-rell nie zu »freundschaftlich« gewesen. Einmal sei ein Kriegsgefangener nach einem Sonntagsausgang betrunken nach Mitternacht ins Lager gekommen und sei dann von der Kompanie bestraft worden. Unter seiner Führung – betonte Josef Schober – habe es im Lager keinen einzigen Fluchtversuch gegeben, was er auf seine gute Leitung zurückführte. Wenn er etwas von der Firmenleitung für die Bedürfnisse der Kriegsgefangenen gefordert habe, wie Stroh, Schotter oder die Desinfektion der Baracken, dann habe es jedes Mal Streitigkeiten gegeben, da die Firma die Anfor-derungen immer so lange wie möglich hinausgeschoben habe, so seine Darstellung.

Zum Vorwurf der illegalen Geschäfte mit den Kriegsgefangenen befragt, meinte er, dass er lange vor Ostern ein Lamm und einige Kaninchen für die Kriegsgefangenen gekauft habe. Die Kriegsgefangenen hätten ihn darum ersucht, und er habe ihnen damit ganz bewusst eine »Zubuße« als Abwechslung in ihrer Kost verschaffen wol-len, ohne daran zu verdienen. Einer der Kriegsgefangenen habe ein Schaf mit zehn Reichsmark Aufschlag an einen anderen Kriegsgefangenen verkauft.757 Er habe hin-gegen keine Geschäfte gemacht, sondern den Kriegsgefangenen alles zum Selbst-kostenpreis überlassen. Das galt gesetzlich als legaler Handel. Auch den Vorwurf einer falschen, zu milden Reaktion auf die Arbeitsniederlegung der Kriegsgefan-genen bestritt er. Er habe nie die Ansicht vertreten, dass die KriegsgefanKriegsgefan-genen zu wenig zu essen gehabt hätten, da bei einer Lagerdurchsuchung Lebensmittel von Bauern gefunden worden waren. Üblicherweise verzehrten die Kriegsgefangenen die Lebensmittel, die sie von den Bauern erhalten hatten, sofort, da sie andernfalls konfisziert würden.758 Zu den Vorwürfen gegen ihn wurden auch einige

Zum Vorwurf der illegalen Geschäfte mit den Kriegsgefangenen befragt, meinte er, dass er lange vor Ostern ein Lamm und einige Kaninchen für die Kriegsgefangenen gekauft habe. Die Kriegsgefangenen hätten ihn darum ersucht, und er habe ihnen damit ganz bewusst eine »Zubuße« als Abwechslung in ihrer Kost verschaffen wol-len, ohne daran zu verdienen. Einer der Kriegsgefangenen habe ein Schaf mit zehn Reichsmark Aufschlag an einen anderen Kriegsgefangenen verkauft.757 Er habe hin-gegen keine Geschäfte gemacht, sondern den Kriegsgefangenen alles zum Selbst-kostenpreis überlassen. Das galt gesetzlich als legaler Handel. Auch den Vorwurf einer falschen, zu milden Reaktion auf die Arbeitsniederlegung der Kriegsgefan-genen bestritt er. Er habe nie die Ansicht vertreten, dass die KriegsgefanKriegsgefan-genen zu wenig zu essen gehabt hätten, da bei einer Lagerdurchsuchung Lebensmittel von Bauern gefunden worden waren. Üblicherweise verzehrten die Kriegsgefangenen die Lebensmittel, die sie von den Bauern erhalten hatten, sofort, da sie andernfalls konfisziert würden.758 Zu den Vorwürfen gegen ihn wurden auch einige

Im Dokument Fälle aus der NS-Militärjustiz (Seite 185-196)