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Militärische Sonderjustiz

Im Dokument Fälle aus der NS-Militärjustiz (Seite 44-48)

I. Nationalsozialistische Militär- und Strafjustiz

1. Militärische Sonderjustiz

einigem zeitlichen Abstand die Forschungsfragen differenziert und verfeinert werden.164

Um solche Herrschaftsquellen – wie die Strafakten der Wehrmachtsjustiz, mit denen ich gearbeitet habe – darstellen und interpretieren zu können, ist es not-wendig, sich vorab mit der Rolle und der Systemkonformität dieser Kontroll- und Strafinstitution »Wehrmachtsjustiz« auseinanderzusetzen. Das heißt, nach der rechtlichen Fundierung von Urteilen, den dahinterliegenden rechtstheoretischen Positionen, den Traditionen und der konkreten Urteilspraxis der Akteure165 zu fra-gen.

1. Militärische Sonderjustiz

In fast allen Staaten gibt es eine eigene Strafgerichtsbarkeit des Militärs, die von der zivilen Justiz getrennt ist. Das betrifft sowohl den Verfahrensweg als auch die Organisation. Militärjustiz ist immer eine Justiz, die parallel existiert. Die damit ein-hergehende Problematik der extremen Instrumentalisierung von Rechtsmitteln bis zur Ausschaltung von gültigen Rechtsnormen sehen wir auch gegenwärtig wie-der am Umgang wie-der USA mit den »Gefangenen« des Irakkrieges. Bis heute scheint noch nicht ganz klar zu sein, wie die von den USA als »unlawful enemy combatant«

bezeichneten Gefangenen, die ohne Anklage und ohne Möglichkeit eines Rechts-mittels interniert sind, abgeurteilt werden sollen. Im Military Commissions Act166 von 2006 wurde festgelegt, dass der Status »Unlawful Enemy Combatant (UEC)«

S. 9; Manfred Messerschmidt, Die Wehrmachtsjustiz 1933–1945, Paderborn u. a. 2005; Manfred Messerschmidt, Deutsche Militärgerichtsbarkeit im Zweiten Weltkrieg, in: Hans Jochen Vogel, Helmut Simon (Hg.), Die Freiheit den Anderen. Festschrift für Martin Hirsch, Baden-Baden 1981, S. 111–142; Otto Hennicke, Über den Justizterror in der deutschen Wehrmacht am Ende des zweiten Weltkrieges, in: Zeitschrift für Militärgeschichte, 4 (1965), S. 715–720.

164 Vgl. Manfred Messerschmidt, Das Reichskriegsgericht und die Verweigerer aus Gewissens-gründen, in: Ernst Willi Hansen et al. (Hg.), Politischer Wandel, organisierte Gewalt und nati-onale Sicherheit. Beiträge zur neueren Geschichte Deutschlands und Frankreichs. Festschrift für Klaus-Jürgen Müller, München 1995 (= Beiträge zur Militärgeschichte, Bd. 50), S. 223–257;

Wüllner, NS-Militärjustiz und das Elend; Michael Eberlein, Roland Müller, Michael Schöngarth, Thomas Werther, Militärjustiz im Nationalsozialismus. Das Marburger Militärgericht, Marburg 1994; Dörner, »Heimtücke«; Jürgen Thomas, »Nur das ist für die Truppe Recht, was ihr nützt …«

Die Wehrmachtsjustiz im Zweiten Weltkrieg, in: Norbert Haase, Gerhard Paul (Hg.), Die anderen Soldaten. Wehrkraftzersetzung, Gehorsamsverweigerung und Fahnenflucht im Zweiten Welt-krieg, Frankfurt am Main 1995, S. 37–49.

165 Es ist noch wenig erforscht, inwieweit es in untergeordneten Positionen der Bürokratie der Wehrmachtsjustiz Frauen als Mitarbeiterinnen gegeben hat.

166 www.aclu.org/safefree/detention/commissions.html, vom 02.09.2008.

im amerikanischen Recht verankert wird. Damit wurde ein neuer Rechtsstatus ge-schaffen, der in einer Grauzone – zwischen Prisoner of War (POW) und zivilen Häft-lingen – existiert und bis dato weder im internationalen Recht, im US-Strafrecht, noch im Kriegsrecht erwähnt wurde.

Die NS-Militärstrafgerichtsbarkeit wurde über ganz bestimmte Personengrup-pen ausgeübt: Erstens galt sie für alle Angehörigen des jeweiligen militärischen Verbandes der Wehrmacht (d. h. großteils für Soldaten167), zweitens war sie für die Wehrmachtsbeamten zuständig. Im Kriegsfall wurde der Geltungsbereich auf das gesamte Gefolge und auf die Kriegsgefangenen ausgedehnt.168 Dazu gehörten auch jene rund 450.000 Frauen169, die »Helferinnen des Heeres«170 genannt wurden.

167 Es gibt noch immer kaum Forschungen zu Frauen in der Wehrmacht. Es sollen rund 500.000 Frauen Personal der Deutschen Wehrmacht gewesen sein (ohne Sanitätspersonal); vgl.

Gaby Zipfel, Les femmes allemandes en 1946. Souvenirs refoulés, héritages cachés, in: Francine-Dominique Liechtenhan (Hg.), Europe 1946. Entre le deuil et l’espoir, Bruxelles 1996, S. 165–174, hier S. 166. Adolf Schlicht und John R. Angolia gehen von 300.000 Frauen im Dienst der We-hrmacht aus: Adolf Schlicht, John R. Angolia (Hg.), Die deutsche WeWe-hrmacht. Uniformierung und Ausrüstung 1933–1945. Bd. 1: Das Heer, Stuttgart 1996, S. 549; Franz W. Seidler spricht von 450.000 Frauen zu Kriegsende (ohne Krankenpflegedienst), vgl. Seidler, Frauen zu den Waffen, S. 53. Ruth Seifert weist darauf hin, dass der männliche Soldat eine historische Konstruktion der frühen Neuzeit ist; vgl. Ruth Seifert, Militär, Nation und Geschlecht. Analyse einer kulturel-len Konstruktion, in: Wiener Philosophinnen Club (Hg.), Krieg/War. Eine philosophische Ausein-andersetzung aus feministischer Sicht, München 1997, S. 41–49, hier S. 43; Hanna Hacker, Gewalt ist: keine Frau. Der Akteurin oder eine Geschichte der Transgressionen, Königstein im Taunus 1998; Gudrun Schwarz, Gaby Zipfel, Die halbierte Gesellschaft. Anmerkungen zu einem soziolo-gischen Problem, in: Mittelweg 36, 7, 1 (1998), S. 78–88, hier S. 78 ff.

168 Vgl. Thomas Walter, »Schnelle Justiz – gute Justiz«? Die NS-Militärjustiz als Instrument des Ter-rors, in: Manoschek, Opfer der NS-Militärjustiz, S. 27–52, hier S. 29.

169 Franz Seidler unterscheidet vier Phasen bei der Rekrutierung von Frauen während des Zweiten Weltkriegs: Die 1. Phase: 1940 arbeiteten Frauen in den Büros der Wehrmacht, in den Fernmel-dezentralen, im Flugmeldedienst, im Luftschutzwarndienst und im Wetterdienst. Die 2. Phase:

1941/42 entschloss man sich, Frauen in den Wehrmachtsdienststellen für Nachrichtentätigkei-ten und als Schreibstubenpersonal einzusetzen. Es konnNachrichtentätigkei-ten etwa 30.000 Frauen gewonnen werden. Die 3. Phase: Am 13. Januar 1943 proklamierte Hitler den »umfassenden Einsatz von Männern und Frauen für Aufgaben der Reichsverteidigung«. Alle Frauen vom 17. bis zum 45. Lebensjahr, die keine kleinen Kinder zu versorgen hatten, sollten sich zum Arbeitseinsatz melden. Die 4. Phase begann Mitte 1944 mit der Ausrufung des »totalen Krieges«, Hitler ord-nete an, dass Frauen 100.000 Männer bei Luftwaffenfelddivisionen ersetzen sollten. Auch im technischen Dienst der Luftwaffe wurden Frauen eingesetzt. Zur Vereinheitlichung der Stellung der Helferinnen in den Wehrmachtsteilen, was Besoldung, Uniformierung, Dienstgrade, Straf-ordnung usw. angeht, wurde am 1. Februar 1945 ein »Wehrmachtshelferinnenkorps«, dessen Dienstordnung einen Monat vor Kriegsende fertiggestellt wurde, eingerichtet. Bis November 1944 war unklar, ob Frauen auch zum Waffendienst herangezogen werden würden, erst dann entschied sich Hitler dagegen. Vgl.: Seidler, Frauen zu den Waffen, S. 53 f.

170 Schlicht, Angolia (Hg.), Die deutsche Wehrmacht, S. 549.

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Wie hoch die Anzahl von Frauen, die als »Helferinnen« in der Wehrmacht beschäf-tig waren, in solchen »wehrkraftzersetzenden« Verfahren war und wie die Recht-sprechung in diesen Fällen aussah – inwiefern sie »gendered« war – ist noch nicht erforscht. Unter den von mir untersuchten 199 Verfahren fand ich keine einzige Verurteilte. Dagegen konnte ich sehr wohl Frauen, die zum Beispiel in Schreibstu-ben und ähnlichen verwaltenden Wehrmachtsdienststellen eingesetzt waren, als Denunziantinnen ausmachen.

Generell handelt es sich bei der Militärjustiz um keine Ausnahmegerichtsbarkeit, wie sie die Sondergerichte repräsentierten, die während des Nationalsozialismus neben der allgemeinen Justiz errichtet wurden, um bestimmte Delikte im Sinne der Machthaber leichter aburteilen zu können. Der Begriff »Wehrmachtsjustiz« stellt einen Oberbegriff dar. Sieht man von wenigen gemeinsamen Einrichtungen wie der Wehrmachtsrechtsabteilung und dem Reichskriegsgericht ab, so gab es drei selbständige Justizteile: Jeder Wehrmachtsteil – Heer, Kriegsmarine und Luftwaffe – besaß eine eigene Justizorganisation. Das hatte Auswirkungen auf die Praxis in den einzelnen Teilen, da die unterschiedlichen Wehrmachtsteile, die Justizchefs und die zentralen Rechts- und Personalabteilungen verschiedenen militärischen Ober-befehlshabern unterstanden. Gemeinsam waren ihnen die militärische Mentalität, großteils übereinstimmende Interessen, die grundgelegten militärischen Strafge-setze, die juristische Fachliteratur und das Reichskriegsgericht.

Die für den Krieg vorbereiteten Verordnungen zum nationalsozialistischen Militärstrafrecht lagen seit August 1938 vor. Sie beruhten auf Vorarbeiten und Entwürfen der Wehrmachtsjuristen unter der Hauptverantwortung Rudolf Leh-manns171, der nach dem Ausscheiden Heinrich Rosenbergers am 1. Juli 1938 Chef der Wehrmachtsabteilung im Range eines Ministerialdirektors wurde und dies bis Kriegsende blieb. Rudolf Lehmann, der oberste Wehrmachtsjurist, hielt auf dem

»Großdeutschen Rechtswahrertag« in Leipzig kurz vor Ausbruch des Zweiten Welt-krieges vor Wehrmachtsjuristen und Gerichtsherren eine wegweisende Ansprache.

Er betonte darin, es sei nicht die Aufgabe des Gerichts, eine Wahrheit an sich zu suchen, die es nicht gebe, es sei vielmehr die Aufgabe des Gerichts, »im Rahmen der Gemeinschaft, in die es gestellt ist, mit den Mitteln des Rechts eben diese Ge-meinschaft zu erhalten«172. In diesem Sinne hätten die »Rechtswahrer« – die Juris-ten – der Wehrmacht zu arbeiJuris-ten, wofür sie besonders durch die enge Verbindung 171 Rudolf Lehmann war von 1938 bis 1945 Chef der Wehrmachtsabteilung. Er wurde 1947 vom amerikanischen Gerichtshof zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt. Die Anklage lautete auf Verbrechen gegen den Frieden, Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Verschwörung.

172 Rudolf Lehmann, Die Aufgaben des Rechtswahrers der Wehrmacht, in: Deutsches Recht, 2 (1939), S. 1265–1269, hier S. 1267.

mit der Truppe, der sie angehörten, befähigt wären.173 Der ideale NS-Militärrichter sollte sich demgemäß in die besonderen Bedürfnisse der Wehrmacht »einfühlen«, Voraussetzung war »Treue zum Führer und gläubige Vertiefung«174. Nach der Auf-fassung von Rudolf Lehmann bestand die Aufgabe der Richter darin, »die gleichmä-ßige Anwendung der Gesetze zu sichern und für ihre Fortentwicklung im Sinne des nationalsozialistischen Reiches zu sorgen. Ihre Entscheidungen sind – in vielleicht noch höherem Grade als die Entscheidungen der Instanzgerichte – keineswegs nur Entscheidungen des Wissens, sondern Entscheidungen des Willens.«175 Damit wurde die Rechtsmeinung vertreten, dass die Entscheidungen der Gerichte auf dem Willensprinzip beruhen sollten. Dies wurde für Entscheidungen bei den Erstgerich-ten als noch wichtiger eingeschätzt als bei den BerufungsgerichErstgerich-ten, da diese eine zunehmend geringere Rolle spielten. Wenn der Wille das Recht dominiert, zeigt das die fatale Öffnung der Justiz für außerrechtliche politisch-ideologische Kriterien. Da-mit wurde der Willkür in der militärischen Justiz Tür und Tor geöffnet.

Der »Geist der Gemeinschaft«, die Idee der Volksgemeinschaft, war zusam-men mit dem Führerprinzip die für die Wehrmacht und ihre Justiz zentrale Formel.

Der Jurist Ernst Rudolf Huber brachte es auf den Punkt: »Das Recht ist uns die Le-bensordnung der völkischen Gemeinschaft.«176 Recht und Gesetz als Ausdruck des Willens der NS-Staatsführung reduzierten sich zur »vornehmsten Form des Führerbefehls«177, und das Gesetz hatte der »Entfaltung der völkischen Lebensord-nung gemäß dem Plan und durch den Entscheid des Führers«178 zu dienen. Mit sol-chen totalitären Leitideen der Wehrmachtsjustiz – publiziert und verbreitet in juris-tischen Fachzeitschriften – konstruierten Vertreter der Rechtswissenschaft einen

»totalen Rechtspositivismus«179: Der Wille des Führers legitimierte jeden Inhalt und machte ihn »rechtens«. Wie die Theorie der vom Nationalsozialismus bekämpften älteren Auffassung des Rechtspositivismus die Richtigkeit von Rechtssätzen aus ih-rer Konformität mit obersten Normen herleitete, so fand der »Überpositivismus«

der NS-Rechtslehre seinen höchsten Bezugspunkt im Willen des Führers.180 Damit wurde die Richtigkeit von Gesetzen und staatlichem Handeln nicht auf gesellschaft-liche Normen zurückgeführt, sondern auf ein personales voluntatives totalitäres

173 Vgl. Lehmann, Aufgaben des Rechtswahrers, S. 1267.

174 Lehmann, Aufgaben des Rechtswahrers, S. 1268.

175 Lehmann, Aufgaben des Rechtswahrers, S. 1268.

176 Ernst Rudolf Huber, Der Führer als Gesetzgeber, in: Deutsches Recht, 1939, S. 275–278, hier S.

275.

177 Lehmann, Aufgaben des Rechtswahrers, S. 1268.

178 Huber, Der Führer, S. 275.

179 Vgl. Messerschmidt, Wüllner, Die Wehrmachtsjustiz, S. 27.

180 Messerschmidt, Wüllner, Die Wehrmachtsjustiz, S. 27.

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