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4 Subjektive Theorien expliziter Koordination – Koordination aus Perspektive der

4.1. Subjektive Theorien

Es wird davon ausgegangen, dass Menschen sich in ihrem Alltagshandeln auf Wahrnehmungen und Hypothesen stützen, die in Analogie zu wissenschaftlichen Theorien beschrieben werden können (Rheinberg, Bromme, Minsel, Winteler & Weidemann, 2001 zitiert nach Müller, 2003). Der Terminus Theorie betont die handlungsleitende Funktion dieser Kognitionen, die im Gegensatz zu wissenschaftlichen Theorien nicht aus sozial geteiltem, sondern aus subjektivem Alltagswissen bestehen - daher werden subjektive Theorien auch als Alltags-, Laien- oder implizite Theorien bezeichnet (Iwanowsky & Beck, 2003). Dem Konstrukt der subjektiven Theorie liegt die Annahme zugrunde, dass menschliches Handeln zielgerichtet und rational ist. Es beschreibt – in Analogie zur wissenschaftlichen Theorie – ein „Aggregat von prinzipiell aktualisierbaren Kognitionen der Selbst -und Weltsicht des Individuums mit

(zumindest impliziter) Argumentationsstruktur, die sich durch eine Strukturparallelität zu wissenschaftlichen Theorien und ihre Funktion in der Handlungsleitung auszeichnen“ (Müller, 2003, S. 22).

Im Hinblick auf die Unterscheidung subjektiver Theorien von dem in der Psychologie geläufigen Konzept der Kognition konstatiert Groeben (1988), dass unter Kognitionen einfache Phänomene zu verstehen sind, wie beispielsweise Begriffe oder Konzepte. Subjektive Theorien hingegen sind zeitlich stabiler und komplexer, denn sie beinhalten vielschichtige Aggregate von Konzepten, „deren Struktur und Funktion in Parallelität zu wissenschaftlichen Theorien konzipiert bzw. postuliert werden“ (Groeben, 1988, S. 18). Auch vielschichtige und vernetzte Kognitionen (z.B. hierarchisch aufgebaute Begriffsnetze) stellen noch keine subjektive Theorie dar, denn durch den Terminus Theorie wird impliziert, dass die Kognitionen systematisch organisiert bzw. zueinander relational sind, wodurch Schlussfolgern ermöglicht wird (Groeben, 1988; Iwanowsky & Beck, 2003). Dann und Humpert (1987) sprechen von einer Wissensorganisation in Form von Herstellungswissen. Dabei handelt es sich um Handlungs-Ergebnis-Erwartungen, in denen individuelle Annahmen über die Beziehungen zwischen Handlungen und ihren Folgen getroffen werden, wie beispielsweise „befindet man sich in Situation A und will Ziel B erreichen, muss man C tun“ (Dann & Humpert, 1987).

Insgesamt wird davon ausgegangen, dass subjektive Theorien für das menschliche Handeln eine ähnliche Funktion haben wie objektive Theorien für das wissenschaftliche Handeln (Groeben, 1988): Sie erleichtern das Verstehen, Erklären und Vorhersagen von Verhalten (Schmitt & Hanke, 2003) und dienen darüber hinaus der Handlungssteuerung (Iwanowsky &

Beck, 2003). Auf den Zusammenhang zwischen subjektiven Theorien und individuellem Verhalten wird im folgenden Abschnitt näher eingegangen.

4.1.1. Subjektive Theorien und Verhalten

Inwieweit besteht ein Zusammenhang zwischen den subjektiven Theorien eines Individuums und seinem tatsächlichen Verhalten? Es wird davon ausgegangen, dass subjektive Theorien eine wichtige Rolle in der Handlungsregulation einnehmen (Groeben, 1986; Iwanowsky

& Beck, 2003; Müller, 2003). Empirisch konnte die Handlungswirksamkeit subjektiver Theorien mehrfach aufgezeigt werden (vgl. Müller, 2003). Beispielsweise zeigten Dann und Humpert (1987), dass subjektive Theorien von Lehrern/-innen zu ihrem Umgang mit aggressionshaltigen Unterrichtssituationen sowohl mit selbstberichtetem als auch mit systematisch beobachtetem Verhalten in regelhaftem Zusammenhang stehen. Dieser Zusammenhang lässt sich handlungstheoretisch erklären, da subjektive Theorien handlungsleitende Kognitionen beinhalten:

Die Handlungstheorie geht davon aus, dass bewusste Kognitionen eine handlungssteuernde Funktion haben (Cranach, 1994; Cranach, Kalbermatten, Indermühle &

Gugler, 1980). Die Kernidee der Handlungstheorie besteht in der hierarchisch-sequentiellen Organisation einer Handlung. Diese Idee wurde in Kapitel 3.1.2 bereits auf Gruppenebene erläutert. Hierbei wird davon ausgegangen, dass Handlungen auf mehreren Ebenen hierarchisch organisiert werden (vgl. Abbildung 6). Auf der obersten Ebene, der Zielbestimmung, werden die Hierarchie sowie die Sequenz der Ziele bestimmt. Unter einem Ziel wird der vorgestellte und angestrebte Zustand am Ende einer Handlung verstanden (Cranach et al., 1980). Auf der strategischen Ebene wird der Handlungsverlauf kognitiv gesteuert, in dem er in Form von Plänen (Handlungsentwürfe) und Strategien (Vorzugsordnung von Plänen) nach Unterzielen strukturiert wird (Cranach et al., 1980). Diese ersten beiden Ebenen sind größtenteils bewusst. Auf der operationalen Ebene hingegen werden einzelne Handlungsschritte selbstregulierend und größtenteils unbewusst organisiert (Cranach et al., 1980).

Abbildung 6: Veranschaulichung der hierarchisch-sequentiellen Handlungsorganisation im Rahmen der Handlungstheorie Vallacher und Wegner (1987) sprechen in diesem Zusammenhang von der Identitätsstruktur einer Handlung, die in einer hierarchischen Anordnung unterschiedlicher Identitäten der Handlung besteht. Handlungsidentitäten stehen in systematischer Beziehung untereinander und bilden eine organisierte, kognitive Repräsentation einer Handlung (Vallacher

& Wegner, 1987). Die Beziehung zwischen einer Handlung und ihrer kognitiven Repräsentation ist nicht unidirektional, sondern zyklisch (Vallacher & Wegner, 1987). Durch die kognitive Repräsentation wird die Handlung generiert (intent connection), die ausgeführte Handlung kann wiederum zu einer Veränderung der kognitiven Repräsentation führen (reflective connection) (Vallacher & Wegner, 1987).

Durch die Handlungstheorie wird erklärt, dass die Ausführung einer Handlung eine kognitive Repräsentation der Handlung benötigt. Den bewussten, handlungsbezogenen Kognitionen kommt dabei eine entscheidende Rolle zu, da sie das Handeln steuern und regeln (Cranach et al., 1980). Subjektive Theorien beinhalten nicht nur individuelles Wissen, sondern ebenso bewusste handlungsleitende Kognitionen. Deshalb kann davon ausgegangen werden, dass sie das tatsächliche Verhalten beeinflussen.

Ebene der Zielbestimmung:

Strategische Ebene:

Operationale Ebene:

Oberziel

Unterziel Unterziel

Operation (Teilhandlung) Operation

(Teilhandlung)

Operation (Teilhandlung) Operation

(Teilhandlung) Operation

(Teilhandlung) Operation (Teilhandlung)

4.1.2. Subjektive Theorien als Forschungsobjekt

Aufgrund der Strukturparallelität wissenschaftlicher und subjektiver Theorien werden letztere am Beginn eines Forschungsprozesses häufig zur Ideengenerierung und Theorieentwicklung untersucht. Dabei wird davon ausgegangen, dass subjektive Theorien einen Beitrag zur Entwicklung objektiver Theorien leisten können, weil sie u.a. das Verständnis und die Prognose von Handlungen erleichtern (Schmitt & Hanke, 2003). Insbesondere in der Lehr- und Lernforschung erhofft man sich von der Untersuchung subjektiver Theorien Ergebnisse, die das Alltagshandeln von Lehrern /-innen beschreiben und erklären sowie seine Veränderung ermöglichen sollen. Beispielsweise werden subjektive Theorien von Mathematikaufgaben im Rahmen der diagnostischen Kompetenz von Lehrern/-innen erfasst (Bruder, Lengnink &

Prediger, 2003). Darüber hinaus sollen entsprechende Unterschiede zwischen erfolgreichen und weniger erfolgreichen Lehrern/-innen sichtbar gemacht werden (Müller, 2003). In der Sportwissenschaft werden subjektive Feedbacktheorien von erfahrenen Trainern/-innen im Hinblick auf ihre Übereinstimmung mit denen ihrer Athleten/-innen untersucht (Schmitt &

Hanke, 2003). In der Organisationswissenschaft werden subjektive Organisationstheorien von Entscheidungsträgern/-innen näher untersucht (Iwanowsky & Beck, 2003).

Entsprechend des breiten Interesses und Anwendungsbereiches subjektiver Theorien, weisen die Methoden ihrer Erfassung eine große Vielfalt auf. Es existiert keine einheitliche methodische Herangehensweise. Wesentliche Bestimmungsfaktoren des Methodeneinsatzes sind, neben dem Inhalt der Theorie, die zu befragende Zielgruppe und der Rahmen, in dem die Theorie für Untersuchungszwecke verfügbar ist. Neben Interviews oder strukturierten Dialogen (Schmitt & Hanke, 2003) werden Selbstberichte, Beobachtungen (Dann & Humpert, 1987), Repertory Grids (Bruder et al., 2003), Stimulated Recalls (Cranach et al., 1980), Strukturlegetechniken etc. (Iwanowsky & Beck, 2003) verwendet.

4.1.3. Subjektive Theorien expliziter Koordination

Im Fokus der vorliegenden Arbeit steht das Konstrukt der expliziten Prozesskoordination. In dieser Arbeit soll, neben der Überprüfung der Effektivität expliziter Prozesskoordination, die vorhandene Beschreibung dieses Konstruktes im Rahmen von Gruppenentscheidungen erweitert werden. Dazu interessieren auf der Bedeutungsebene zunächst die subjektiven Koordinationstheorien der Personen, die explizite Prozesskoordination zur Koordination von Entscheidungsfindungsgruppen einsetzen. Ihre subjektiven Koordinationstheorien geben Auskunft über die Intentionalität und die Reflexivität ihrer Koordinationshandlungen. Es soll untersucht werden, welche Koordinationshandlungen koordinierenden Personen bekannt sind, mit welchem Ziel diese Handlungen eingesetzt werden und welcher Effekt als daraus resultierend wahrgenommen wird. Durch die Beantwortung dieser Fragen soll zunächst das Konstrukt expliziter Prozesskoordination differenziert werden. Dadurch soll es möglich werden, sowohl seine Wirksamkeit zur Koordination von Gruppenentscheidungsfindungen zu überprüfen (vgl. Studie 3), als auch entsprechende Beobachtungsverfahren zu entwickeln (vgl. Methodenentwicklungen 1 & 2).

Um der Forderung nach maximaler struktureller Variation der Perspektiven auf den Forschungsgegenstand nachzukommen und die subjektiven Koordinationstheorien möglichst facettenreich beschreiben zu können (vgl. Kleining & Witt, 2001), sollen sie von möglichst unterschiedlichen Personen erfasst werden. Dafür eignet sich insbesondere die Untersuchung von Experten/-innen und Nicht-Experten/-innen (vgl. Zempel, 2002). Die Kontrastierung der subjektiven Koordinationstheorien beider Gruppen ermöglicht sowohl Aussagen über allgemeines handlungssteuerndes Wissen über Gruppenkoordination als auch über spezielle, erfahrungsbedingte handlungssteuernde Kognitionen.

Es wurden in Studie 1 zunächst subjektive Koordinationstheorien von Nicht-Experten/-innen der Gruppenkoordination erhoben, um das allgemeine, nicht-erfahrungsgebundene, individuelle Wissen über Koordination sowie eigene Koordinationshandlungen zu erfassen.

Müller (2003) geht in Anlehnung an Dann (1994, zitiert nach Müller, 2003) davon aus, dass subjektive Theorien – im Gegensatz zu bewussten momentanen Kognitionen – als relativ stabile kognitive Strukturen gelten, die allerdings durch Erfahrung veränderbar sind. Daher werden in Studie 2 subjektive Koordinationstheorien von in der Koordination von Gruppenentscheidungsprozessen erfahrenen Personen wie Führungskräften und Moderatoren/-innen erhoben, um die erfahrungsbedingten handlungsleitenden Vorstellungen zu erfassen.

Hierbei interessiert, inwieweit sich die erfahrene Perspektive der Koordination von der naiven unterscheidet und ob sie einen erfahrungsbedingt anderen Fokus der Koordination oder konkreteres Herstellungswissen im Sinne spezifischer Wenn-Dann-Beziehungen beinhaltet.

Die beiden Studien werden im Folgenden dargestellt.