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Mögliche gütereduzierende Faktoren

5 Studie 3: Der Einfluss von Koordinationsmechanismen auf die

5.2. Fragestellung und Ableitung der Hypothesen

5.5.2. Mögliche gütereduzierende Faktoren

Zur Überprüfung der Wirkung von Koordinationsmechanismen wurde ein Labor-Experiment durchgeführt. In den folgenden fünf Punkten wird die Angemessenheit dieser Methode im Hinblick auf die Fragestellung bewertet.

1. Im Rahmen des Experiments wurde eine künstliche Gruppenentscheidungssituation geschaffen, die in allen wesentlichen Aspekten kontrolliert werden konnte. Dadurch war es möglich, die Koordinationsmechanismen isoliert und unbeeinflusst zu untersuchen. Allerdings können die gefundenen Ergebnisse nicht ohne weiteres auf reale Gruppenentscheidungsprozesse

übertragen werden. Obwohl das Wiederholen von Informationen im Rahmen des Experiments zu einer besseren Entscheidung führte, müsste nun im realen Entscheidungsalltag überprüft werden, inwieweit dieser Mechanismus umsetzbar ist. Die unabhängigen Variablen werden in ihrer künstlichen Form nur selten vorkommen. Wahrscheinlich ist, dass die Frage nach Informationen häufig mit der Frage nach Meinungen oder Klärungen kombiniert wird, sowie die Wiederholungen häufig mit Zusammenfassungen verbunden werden.

2. Mit dem ersten Kritikpunkt geht eine weitere methodische Einschränkung einher. Die untersuchten Gruppen wurden mit Studierenden ad hoc gebildet. In der Literatur wird kritisiert, dass diese Gruppen nur methodische Abstraktionen von realen Gruppen seien (McGrath, Arrow

& Berdahl, 2000). Laborgruppen weisen eine andere Dynamik als reale Gruppen auf. Im Hinblick auf die Fragestellung kann allerdings argumentiert werden, dass auch reale Entscheidungsgremien häufig ad hoc zusammengesetzt werden.

3. Als Gruppenentscheidungsaufgabe wurde eine Hidden-Profile-Personalauswahlaufgabe eingesetzt. Dieses methodische Paradigma erlaubt die Manipulation der Informationsverteilung über die Gruppenmitglieder. Dadurch kann einerseits kontrolliert werden, welche Informationen während der Entscheidungsfindung genannt wurden. Anderseits kann auch die Güte der Gruppenentscheidung gemessen werden. Allerdings sind mit diesem Paradigma auch verschiedene Probleme verbunden. So stellt es streng genommen eher eine Problemlöse- und nicht zwingend eine Entscheidungsaufgabe dar, da es eine einzig richtige Entscheidung beinhaltet. Diese ist bei tatsächlichen Entscheidungsaufgaben in der Regel auch post-hoc nicht festzustellen. Außerdem müssen die Lösungsalternativen nicht erst generiert werden (vgl. Gouran

& Hirokawa, 1996), sondern werden bereits vorgegeben. Daher kann nicht von einer uneingeschränkten Operationalisierung einer realen Gruppenentscheidungssituation ausgegangen werden. Ein weiterer Kritikpunkt am Hidden-Profile betrifft die Annahme, dass die Valenz der Informationen über die Entscheidungsalternativen von allen Probanden/-innen in beabsichtigter Weise empfunden wird. Vielmehr werden die Kandidateninformationen von den

Probanden/-innen als unterschiedlich positiv bzw. negativ erlebt, wodurch sich das Verhältnis von positiven und negativen Eigenschaften für einige Entscheidungsalternativen verschieben, und dadurch die gesamte Informationsmanipulierung verändern kann. Darüber hinaus birgt der Einsatz des Hidden-Profiles eine pragmatische Schwierigkeit: Die Gruppenmitglieder müssen über die entscheidungsrelevanten Informationen verfügen können. Dieses Problem könnte gelöst werden, indem die Probanden/-innen die Informationen mit in die Diskussion nehmen dürften. Es konnte allerdings gezeigt werden, dass die Lösungsrate des Hidden-Profiles bei Informationsverfügbarkeit in face-to-face-Diskussionen derart ansteigt, dass in Bezug auf die experimentelle Manipulation ein Deckeneffekt zu erwarten wäre (Mojzisch et al., 2005). Das zur Verfügung Stellen der Informationen bietet sich daher hauptsächlich für computervermittelte Diskussionen an, in denen die Gruppenmitglieder nicht an einem Tisch sitzen und in Versuchung kommen, die vorhandenen Informationen gemeinsam „durchzugehen“ (z.B. Schauenburg, 2004).

Für face-to-face-Diskussionen bedeutet das, dass die Probanden/-innen die Informationen zunächst auswendig lernen müssen. Sie können sich daher während der Diskussion nicht nur auf die Entscheidungsfindung konzentrieren, sondern müssen auch versuchen, die relevanten Informationen zu erinnern. Dieser doppelte kognitive Aufwand ist bei realen Gruppenentscheidungen nicht zu finden.

4. Zur Generalisierung der Befunde wäre eine höhere Anzahl untersuchter Gruppen pro Bedingung empfehlenswert gewesen, obwohl ein n=12 Gruppen pro Bedingung vergleichbar mit ähnlichen Untersuchungen ist (z.B. Greitemeyer et al., 2006; Henningsen et al., 2004; Larson et al., 1994).

5. Schließlich bleibt anzumerken, dass in dem vorliegenden Experiment der Koordinationsprozess nicht betrachtet wurde. Dadurch sind noch keine vollständigen Aussagen über den Einfluss der Koordinationsmechanismen auf den Interaktionsprozess und auf die Entscheidung möglich (vgl. Hackman & Morris, 1975). Wie bereits angesprochen, ist zu empfehlen, die erhobenen Daten einer Prozessanalyse zu unterziehen. Dadurch können weitere

Erkenntnisse im Hinblick auf die Wirkmechanismen des Erfragens und Wiederholens gewonnen werden. Möglicherweise kann dadurch auch erklärt werden, warum das Erfragen von Informationen den Informationsaustausch und die Entscheidungsfindung nicht verbessert hat.

Nachdem im Folgenden die Bedeutung der vorhandenen Ergebnisse diskutiert wird, werden zwei Methoden zur Erfassung von Koordinationsprozessen dargestellt und ihr ergänzender Einsatz im Hinblick auf die vorliegenden Daten diskutiert.

5.5.3. Bedeutung der Ergebnisse

Das prägnanteste Ergebnis des vorliegenden Experiments besteht in der unterschiedlichen Koordinationswirkung des Erfragens und Wiederholens von Informationen.

Erfragt ein/e Moderator/-in während der Diskussion entscheidungsrelevantes Wissen von den Gruppenmitgliedern, so hat das keinen Einfluss auf die Gruppenentscheidung. Im Gegensatz dazu verbessert das regelmäßige Wiederholen von Informationen die Entscheidung (vgl.

Abbildung 30).

Abbildung 30: Beantwortung der Forschungsfrage des Experiments im Rahmen des IPO-Modells

Gruppen-

Input Process (UVs) Outcome (AVs)

Regelmäßig Informationen

Bezugnehmend auf die drei eingangs dargestellten wesentliche Konzepte der vorliegenden Arbeit kann festgehalten werden, dass die Entscheidungsfindung eine komplexe Gruppenaufgabe ist, die durch intensiven Informationstausch bewältigt werden kann, welcher allerdings koordiniert werden muss.

In vergleichbaren Untersuchungen von Interventionen zur Verbesserung von Gruppenentscheidungen konnte hauptsächlich festgestellt werden, dass sich durch Unterstützungsverfahren zwar der Informationsaustausch, nicht aber die Gruppenentscheidung verbessert (z.B. Greitemeyer et al., 2006). Durch die vorliegende Studie konnte gezeigt werden, dass durch Koordination sowohl die Güte des Informationsaustauschs als auch die der Gruppenentscheidung steigt. Darüber hinaus wurde in ähnlichen Studien darauf hingewiesen, dass die Gruppenleitung durch Gruppenmitglieder oder Führungspersonen die Gefahr birgt, dass den Entscheidungspräferenzen dieser Personen ungleich viel Gewicht zukommt (z.B. Larson et al., 1998b). Für das vorliegende Experiment kann festgehalten werden, dass sich die Unterstützung der Gruppe durch eine externe und inhaltlich neutrale Person bewährt hat, da ihre Moderation nicht mit der Durchsetzung ihrer eigenen Interessen konfundiert.

Im Hinblick auf die Wirkung des Wiederholens von Informationen konnten Henningsen et al. (2006) zeigen, dass dieses sowohl normativen als auch informationalen Einfluss ausüben kann. Durch die Ergebnisse der vorliegenden Studie kann nun ergänzt werden, dass das Wiederholen auch eine koordinierende Funktion im Rahmen von Gruppenentscheidungsprozessen ausübt.

In den folgenden Abschnitten wird sowohl die theoretische als auch die praktische Bedeutung der vorliegenden Ergebnisse diskutiert.

Theoretische Bedeutung für das Konstrukt der expliziten Prozesskoordination

Der Befund der unterschiedlichen Wirkung des Erfragens und Wiederholens verdeutlicht, dass zwischen den einzelnen Koordinationsmechanismen differenziert werden muss. Bereits

Espinosa et al. (2004) betonten im Hinblick auf die Koordinationsmechanismen: „one size does not fit all“ (S. 107). Diese Äußerung bezog sich allerdings auf die unterschiedliche Effektivität expliziter versus impliziter Mechanismen. Das vorliegende Experiment zeigt, dass es darüber hinaus auch innerhalb der expliziten Mechanismen zu differenzieren gilt. Sowohl das Erfragen als auch das Wiederholen von Informationen sind, im Vergleich zu Zusammenfassungen oder Zielformulierungen, einfache Koordinationsmechanismen. Trotz ihrer Einfachheit und gleicher Ziele scheinen sie den Informationsaustausch auf unterschiedliche Weise zu beeinflussen. Im übertragenen Sinn kann überlegt werden, dass das Wiederholen den Informationsaustausch aufrechterhält; das Erfragen scheint diese Wirkung offenbar zu verfehlen. Dieser Unterschied wird auch in der Gesprächspsychotherapie bzw. klientenzentrierten Psychotherapie aufgegriffen, die von ihrem Begründer Carl Rogers auch als nicht-direktive Beratung bezeichnet wurde (Rogers, 1999). Danach stellt das Wiederholen im Sinne von Verbalisierungen persönlicher Erlebnisinhalte des/der Klienten/-in ein wesentliches Instrument dar, um Wertschätzung und Verständnis zu kommunizieren, sowie das Erzählen des/der Klienten/-in und seine/ihre Selbstregulationsmechanismen zu verstärken (Biermann-Ratjen, Eckert & Schwartz, 1995).

Hingegen steht das Fragenstellen bei diesem Beratungsansatz nicht im Vordergrund, da angenommen wird, dass es zu direktiv ist und den/die Klienten/-in möglicherweise von seinen/ihren persönlichen Problembewältigungsstrategien ablenkt. Auch im Hinblick auf die Gruppenentscheidungsfindung interessiert nicht nur das Faktenwissen der Gruppenmitglieder, sondern auch ihre Bewertung dieses Wissen. Um die Auseinandersetzung mit den persönlichen Informationsbewertungen während des Entscheidungsprozesses zu ermöglichen, „ist das effektive Fragestellen [...] eine beraterische und therapeutische Kunst“ (Bachmair, Faber, Hennig, Kolb & Willig, 1999, S. 38).

Insgesamt kann festgestellt werden, dass das Konstrukt der expliziten Prozesskoordination der Differenzierung bedarf. Ausgehend von der Taxonomie von Wittenbaum et al. (1998) wurden zwei Mechanismen auf ihre Koordinationswirkung bei

Gruppenentscheidungen untersucht. Die dargestellten Ergebnisse verdeutlichen die Notwendigkeit detaillierter Untersuchungen der Wirkungsweisen der Koordinationsmechanismen.

Praktische Bedeutung für die Koordination von Gruppenentscheidungsprozessen

Im Hinblick auf Ergebnisse der Studien 1 und 2 fällt auf, dass das Erfragen von Informationen häufig als Koordinationsmechanismus genannt wird, insbesondere von den Experten/-innen. Im Vergleich dazu wurde das Wiederholen von Informationen selten erwähnt.

Offenbar handelt es sich dabei um einen Koordinationsmechanismus, der im Hinblick auf seine Bedeutung für Gruppenentscheidungsprozesse bisher unterschätzt wurde. Es kann überlegt werden, ob die Effektivität des Erfragens von Informationen bisher möglicherweise überschätzt wurde, was angesichts der Künstlichkeit der experimentellen Umsetzung des Fragens zu bezweifeln ist. Dennoch scheint es empfehlenswert, dass der/die Moderator/-in während der Diskussion die Antworten auf die Informationsfragen sammelt und für alle Gruppenmitglieder sichtbar zur Verfügung stellt. Einerseits könnte die Gruppe dadurch auf einen Antwortpool zurückgreifen, andererseits könnte so der eventuell negative Interviewcharakter der Fragen abgeschwächt werden (vgl. Posthuma, 2002).

Im Hinblick auf die positive Wirkung des Wiederholens kann empfohlen werden, diesen Mechanismus zur Koordination von Gruppenentscheidungen einzusetzen. Dabei sollten allerdings zwei Dinge beachtet werden:

1. Die Informationen sollten von einem/r inhaltlich neutralen Moderator/-in wiederholt werden, nicht von einem involvierten Gruppenmitglied oder einer Führungskraft. Dann bestünde die Gefahr, dass verstärkt präferenzkonsistente Informationen wiederholt werden, was sich negativ auf die Entscheidungsgüte auswirken würde.

2. Der/die Moderator/-in sollte das Wiederholen möglichst auf verschiedene Art und Weise umsetzen. Das schlichte Wiederholen der genannten Informationen, wie es im

vorliegenden Experiment umgesetzt wurde, mag dauerhaft künstlich wirken und sollte daher durch das Notieren und Visualisieren der Information ergänzt werden. Diese unterschiedlichen Wiederholungsmethoden sollten zukünftig auch bezüglich ihrer Effektivität verglichen werden.

Fazit

Das Ziel des Experiments bestand in der Überprüfung der Wirksamkeit expliziter Koordinationsmechanismen während Gruppenentscheidungsprozessen. Es wurde gezeigt, dass der Mechanismus der Informationsfrage nahezu wirkungslos, das regelmäßige Wiederholen hingegen sehr effektiv ist. Um Aussagen bezüglich der generellen Wirksamkeit expliziter Prozesskoordination bei Gruppenentscheidungen treffen zu können, müssen zukünftig weitere Mechanismen experimentell überprüft werden. Außerdem wurde darauf hingewiesen, dass die experimentellen Befunde um die Betrachtung der Koordination während des Entscheidungsprozesses ergänzt werden müssen. Dazu wurden zwei Methoden entwickelt, durch die der Einsatz und die Folgen von Koordinationsmechanismen im Interaktionsprozess erfasst werden können. Diese Methoden werden in den beiden folgenden Kapiteln dargestellt.

Schließlich gilt es, die durch das vorliegende Experiment noch nicht zu beantwortenden oder neu entstandenen Fragen zu untersuchen. Ideen im Hinblick auf weiterführende Studien werden im Ausblick in Kapitel 8 diskutiert.