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4 Subjektive Theorien expliziter Koordination – Koordination aus Perspektive der

4.2. Studie 1: Subjektive Theorien der Koordination: Die naive Perspektive der

4.2.3. Diskussion

Zunächst wird auf die Bedeutung der Ergebnisse im Hinblick auf subjektive Koordinationstheorien sowie das Konzept expliziter Prozesskoordination eingegangen.

Anschließend wird die Wahl des Szenariums als Methode und dessen Inhalt kritisch reflektiert.

Bedeutung der Ergebnisse

Das Ziel der Szenariostudie bestand in der Erfassung individueller subjektiver Koordinationstheorien von Personen, die in der Gruppenkoordination bisher wenig persönliche Erfahrungen gesammelt haben. Hierdurch soll ein Beitrag zur differenzierten Beschreibung des Konstrukts der expliziten Prozesskoordination geleistet werden.

Die Ergebnisse der Studie 1 zeigen, dass die Schüler/-innen, als in der Gruppenkoordination unerfahrene Personen, genaue Vorstellungen von Verhaltensweisen haben, die in der Koordination einer Entscheidungsfindungsdiskussion zum Einsatz kommen sollen.

Ihre subjektiven Koordinationstheorien beinhalten sowohl Verhaltensweisen, die einen Aufforderungscharakter (Handlungsanleitungen) haben, als auch Handlungen, die den Diskussionsprozess zielführend strukturieren (Strukturierung des Problemlöseprozesses). Nonverbale Verhaltensweisen wie Nicken und Kopfschütteln sowie das Verkünden der eigenen Meinung werden kaum empfohlen bzw. als wenig sinnvoll eingeschätzt. Daraus kann geschlossen werden, dass die subjektiven Koordinationstheorien der Schüler/-innen Inhalte expliziter Prozesskoordination enthalten: Die genannten Verhaltensweisen sind explizit, da sie den Interaktionsprozess durch deutliche verbale Instruktionen (z.B. Rederechte vergeben, Regeln festlegen) oder Strukturierungen (z.B. Fragen stellen, Zusammenfassen, Wiederholen oder Pro- und Kontra-Listen erstellen) koordinieren, mit Koordinationsabsicht ausgeführt werden (vgl. Espinosa et al., 2004) und verbal kommuniziert werden (vgl. Wittenbaum et al., 1998). Damit wird deutlich, dass

Kommunikation als ein wesentliches Mittel der Koordination von Entscheidungsfindungsgruppen betrachtet wird.

Wittenbaum et al. (1998) betrachten explizite Prozesskoordination von Gruppenarbeit hauptsächlich als Planung und Besprechung des Vorgehens der Aufgabenerledigung durch verbale Abstimmungen, Rollenverteilung und Zuordnung von Teilaufgaben (vgl. Kapitel 3.3.3).

Im Hinblick auf Entscheidungsfindung ist diese Form der Koordination auch ein Bestandteil der subjektiven Koordinationstheorien der Schüler/-innen. Diese beinhalten Verhaltensweisen, mit denen die Diskussionsteilnehmer/-innen verbal zu konkreten Handlungen aufgefordert werden, beispielsweise durch die Vergabe von Rederechten. Im Hinblick auf die konkrete Gruppenaufgabe der Entscheidungsfindung beinhalten die subjektiven Koordinationstheorien auch Handlungen zum Management des Informationsaustauschs durch Strukturierungen (z.B.

Fragen stellen, Zusammenfassen, Wiederholen oder Pro- und Kontra-Listen erstellen) sowie zum Umgang mit Interessenskonflikten durch Konfliktvermeidungsverhaltensweisen.

Es kann festgehalten werden, dass die subjektiven Theorien zur Koordination einer Gruppenentscheidungsfindung von in der Gruppenkoordination unerfahrenen Personen im wesentlichen Handlungen expliziter Prozesskoordination (Handlungsanleitungen, Strukturierungen des Problemlöseprozesses und Konfliktvermeidung) beinhalten. Dieses Ergebnis steht im Einklang mit den Postulaten Wittenbaums et al. (1998), wonach unsichere Gruppenaufgaben mit herausfordernden Zielen und notwendiger interdependenter Zusammenarbeit der Gruppenmitglieder vermehrt expliziter Koordination bedürfen.

Neben den spezifisch beschriebenen Koordinationshandlungen der moderierenden Person zeigt sich allerdings auch, dass a) als subjektiven Koordinationstheorien der Schüler/-innen hauptsächlich Funktionen der diskussionsleitenden Person genannt werden (z.B. für Gleichberechtigung sorgen, Streit vermeiden, für Konsens und Kompromiss sorgen), obwohl diese laut Instruktion explizit nicht aufgeführt werden sollten, sondern konkrete Verhaltensweisen erfragt

wurden. Daneben gaben b) viele Schüler/-innen Verhaltensweisen an, die Stefan als moderierende Person nicht zeigen sollte (z.B. nicht selber Stellung beziehen). Offenbar fällt es vielen in der Koordination unerfahrenen Schüler/-innen schwer, konkrete Verhaltensweisen zu benennen, was einerseits auf mangelnde Kenntnis, andererseits auf mangelnde Fähigkeit zu Verbalisierung dieses Verhaltens zurückzuführen sein kann. Vielmehr fällt es den Schüler/-innen leichter, allgemeine Verhaltensweisen wie thematisch strukturieren, Streit vermeiden und für Ruhe und Ordnung sorgen zu benennen und Handlungen aufzuführen, die nicht gezeigt werden sollen. Eventuell sind die konkreten Koordinationsverhaltensweisen kognitiv nicht zugänglich, so dass sie auch nicht ohne Weiteres genannt werden können. Diese Beobachtung lässt sich handlungstheoretisch erklären: Beispielsweise kann Streit vermeiden als ein Unterziel des Oberziels der Koordination einer Gruppenentscheidungsdiskussion betrachtet werden, da es sich um einen vorgestellten und angestrebten Zustand am Ende einer (Teil-)Handlung handelt (vgl. Cranach et al., 1980). Damit ist das Teilziel Streit vermeiden Bestandteil des Plans zur Erreichung des Oberziels und dient der kognitiven Steuerung der zur Erreichung des Oberziels notwenigen Handlungen. Die Ebene der Zielbestimmung (Koordination einer Gruppenentscheidungsdiskussion) und die strategische Ebene (Unterziele wie Streit vermeiden, thematische Strukturierung) können von den Schüler/-innen berichtet werden. Die operationale Ebene, im Sinne einzelner Handlungsschritte, wird jedoch wesentlich seltener berichtet (z.B. Fragen und Nachfragen), obwohl in der Instruktion danach gefragt wurde.

Diese Beobachtung stimmt mit den Annahmen der Handlungstheorie überein, wonach die einzelnen Handlungsschritte der operationalen Ebene teilweise unterbewusst ablaufen (Cranach et al., 1980) und daher kognitiv nicht zugänglich sein müssen.

Darüber hinaus fällt auf, dass die konkreten Verhaltensweisen Wiederholen, Zusammenfassen und Fragen stellen in den Antworten auf die explorative Frage nach konkreten Handlungen nur selten genannt wurden, in der anschließenden standardisierten Nützlichkeitseinschätzung jedoch als sehr sinnvoll eingeschätzt wurden. Dies konnte durch entsprechende experimentelle Befunde gezeigt werden konnte (Larson et al., 1998b). Offenbar werden diese Handlungen als sinnvoll zur

Koordination von Entscheidungsfindungsdiskussionen anerkannt, jedoch scheinen sie nicht selbst generiert zu werden, da sie aufgrund ihre fehlenden kognitiven Repräsentanz kaum assoziiert werden – möglicherweise fehlt den Schüler/-innen hier das abstrakte und erfahrungsbedingte Wissen zur Koordination von Gruppendiskussionen.

Das Szenarium als Methode der Wahl

Obwohl die vorgestellte Studie bedeutsame Ergebnisse im Hinblick auf das Konstrukt expliziter Prozesskoordination zeigte, muss das Szenarium als eingesetzte Methode zur Erhebung der subjektiven Theorien kritisch betrachtet werden.

Das Einsetzen eines Szenariums birgt einerseits den Vorteil, dass allen Teilnehmern/-innen die gleiche Situation vorliegt. Andererseits kann nur teilweise nachvollzogen werden, inwieweit sich dadurch tatsächlich allen Teilnehmern/-innen das gleiche Problem auftat.

Diesbezüglich wurden die Schüler/-innen konkret gefragt, vor welcher Schwierigkeit der Schülersprecher während der Entscheidungsfindungsdiskussion stehe. Die Antworten zeigen, dass das Problem bis auf die fehlende Autorität des Moderators größtenteils richtig erkannt wurde. Außerdem zeigte sich, dass sich die Antworten auf die anschließende, eigentliche Untersuchungsfrage den vorher berichteten Schwierigkeiten sehr ähneln. So wurden beispielsweise für Ruhe sorgen und Fairness bzw. Gleichberechtigung sowohl in der Frage nach den Schwierigkeiten, als auch in der Untersuchungsfrage nach möglichen Koordinationshandlungen berichtet. Offenbar fällt es den Schülern/-innen nicht schwer, das beschriebene Problem zu erkennen und die entsprechenden Handlungsziele zu beschreiben. Eine entsprechende Umsetzung auf der operativen Handlungsebene erfolgte jedoch nicht immer. Das kann einerseits auf die oben erwähnten Verbalisierungsschwierigkeiten zurückzuführen sein. Andererseits kann dafür auch das verwendete Szenario verantwortlich sein. Möglicherweise konnten sich die Teilnehmer/-innen nicht tief genug in die vorgegebene Situation hineinversetzen, die es ermöglicht, entsprechende Verhaltensweisen abzurufen. Dies kann auf ihre fehlende Erfahrung

oder auf die Unangemessenheit des im Szenario dargestellten Problems hinweisen. Entsprechend der Stichprobe enthielt das Szenario zwar ein Problem aus dem Schulkontext, es ist dennoch möglich, dass die Schüler/-innen das Problem „absurd“ fanden und sich deshalb nicht auf eine genauere Auseinandersetzung damit eingelassen haben. Diese Vermutung wird zum Teil durch die Antworten auf die am Ende des Fragebogens gestellte Kritikfrage bestätigt, in denen neben der Länge des Szenariums und die geringe Zeit, die ihnen zum Ausfüllen des Fragebogens zur Verfügung stand, ebenfalls der im Szenarium beschriebene Konflikt als wenig realistisch kritisiert wurde. Zwar wurde das Szenario im Vorfeld von verschiedenen Personen (Psychologen/-innen und Student/-innen) auf Plausibilität geprüft. Allerdings fehlte eine entsprechende Validierung durch Schüler/-innen. Denkbar ist, im Hinblick auf zukünftige Untersuchungen, den Schülern/-innen kein Szenarium vorzulegen, sondern eine entsprechende Situation erinnern zu lassen, die sie individuell erlebt haben. Möglicherweise würde es ihnen dann leichter fallen, aufgrund ihrer eigenen Erfahrung konkretes, selbst ausgeführtes Verhalten zu berichten.

Außerdem wurde in der vorliegenden Studie implizit davon ausgegangen, dass die Schüler/-innen wenig persönliche Erfahrung in der Gruppenkoordination besitzen, ohne dass konkret danach gefragt wurde. Es ist daher denkbar, dass einige Schüler/-innen durch ehrenamtliche Positionen oder Trainings doch über Erfahrungen in der Gruppenleitung verfügen. Für den Großteil der Befragten wird jedoch aufgrund ihres Alters und Lebenskontextes, der hauptsächlich durch die Schule geprägt ist, davon ausgegangen, dass sie keine Koordinationserfahrung besitzen.

Ausblick

In dieser Studie wurden subjektive Koordinationstheorien von Personen erfasst, die in der Gruppenkoordination bisher wenig persönliche Erfahrungen gesammelt haben. Dadurch konnte das Konstrukt der expliziten Prozesskoordination differenzierter beschrieben werden: Die Annahmen von Wittenbaum et al. (1998) bezüglich des Einsatzes expliziter Koordination lassen

sich auch in den subjektiven Theorien zur Koordination von Entscheidungsfindungsprozessen finden: Sie beinhalten Verhaltensweisen, mit denen die Diskussionsteilnehmer/-innen verbal zu konkreten Handlungen aufgefordert werden. Darüber hinaus besteht die explizite Prozesskoordination der kollektiven Entscheidungsfindung auch aus Handlungen einerseits zum Management des Informationsaustauschs durch Strukturierungen und andererseits zum Umgang mit Interessenskonflikten durch Konfliktvermeidungsverhaltensweisen.

Die Ergebnisse zeigen die subjektiven Koordinationstheorien von Schülern/-innen, die in der Gruppenkoordination keine langjährige Erfahrung haben und spiegeln daher im Vergleich zu Experten/-innen naive subjektive Theorien wider, die wesentlich durch abstraktes Wissen, weniger durch erlernte und entwickelte Kompetenzen entstanden sind. Nun ist von Interesse, inwieweit Experten/-innen, die sich beruflich mit Gruppenkoordination beschäftigen, ähnliche subjektive Koordinationstheorien besitzen und inwieweit diese zur Präzisierung oder Erweiterung des Konstrukts der expliziten Prozesskoordination beitragen können. Dieser Frage wird in der zweiten Studie nachgegangen.

4.3. Studie 2: Subjektive Theorien der Koordination: Die erfahrene