• Keine Ergebnisse gefunden

3 Koordination von Gruppen

3.1. Koordinationsbedarf bei Gruppenentscheidungsaufgaben

3.1.2. Handlungstheorie der Gruppe

Die Handlungstheorie der Gruppe postuliert, dass Gruppen aktiv auf ein bestimmtes Ziel hin streben und dieses durch gerichtetes Verhalten zu erreichen beabsichtigen (Cranach et al., 1986).

Die Gruppe wird als handelnde Einheit verstanden.

Der Grundgedanke der Handlungstheorie der Gruppe besteht in der hierarchisch-sequentiellen Organisation des Gruppenhandelns. Die Gruppenaufgabe kann als ein Ziel formuliert werden, welches in Teilziele zerlegt werden kann. Die hierarchische Struktur der Ziele und Teilziele postuliert, dass es ein übergeordnetes, bewusstseinpflichtiges Ziel bzw. Purpose gibt (z.B. Entscheidung treffen), welches auf verschiedenen Ebenen in ebenfalls bewusstseinspflichtige Subziele (Planning) zergliedert werden kann (z.B. Problemanalyse, Entscheidungsalternativen generieren usw.). Die Subziele können wiederum in kleinste Teilhandlungen (Performance) zergliedert werden, deren Erfüllung meist automatisiert ist und die daher nicht mehr bewusstseinspflichtig repräsentiert sein müssen. Die sequentielle Struktur der Handlung bezieht sich auf die zeitliche Ordnung, wonach ein Teilziel nach dem anderen abgearbeitet wird (z.B. erst Problemanalyse, anschließend Entscheidungsalternativen generieren).

Eine Darstellung wesentlicher Annahmen der Handlungstheorie der Gruppe inklusive Erweiterungen und anschaulichen Beispielen ist in Tschan (2000) zu finden. Eine Integration handlungs- und systemtheoretischer Ansätze wurde von McGrath und Tschan (2004) vorgenommen werden.

Ähnlich der Unterscheidung in Motivations- und Koordinationsprozesse (Steiner, 1972;

Stroebe & Frey, 1982) wird in der Handlungstheorie der Gruppe zwischen zwei für das zielgerichtete Gruppenhandeln wesentlichen Prozessen unterschieden: Steuerung und Energetisierung (Cranach, 1996; Cranach et al., 1986). Durch Steuerung wird Gruppenhandeln

zielgerichtet, Energetisierung beeinflusst die Energie, die die Gruppe zum Handeln bewegt (Cranach, 1996). Im Folgenden wird dennoch der Koordinationsbegriff beibehalten, da er einerseits konkreter zu beschreiben und zu erfassen und damit deskriptiver ist, andererseits der Steuerungsbegriff eine inhärente Manipulationsintention enthält und damit eher in den Bereich der Gruppenführung fällt. Beiden Begriffen ist gemein, dass sie die Zielgerichtetheit der jeweiligen Prozesse betonen, sowohl Steuerung als auch Koordination geschehen nicht um ihrer selbst Willen, sondern dienen ausschließlich dem Erreichen eines Ziels. Goerges (2005) betrachtet Steuerung und Koordination aus systemtheoretischer Perspektive und postuliert, dass sich beide Begriffe funktional ergänzen. Steuerung bestimme den Sinn und die Richtung von Handlungen. Koordination hingegen beziehe sich nur auf den Moment, der eine Verknüpfung von Handlungen während des Prozesses erfordert (Goerges, 2005). In Bezug auf die Handlungstheorie kann damit überlegt werden, dass durch Koordination der Übergang zwischen einzelnen Handlungsphasen realisiert wird. Diese Präzisierung des Koordinationsbegriffs wird in Kapitel 3.2 wieder aufgegriffen..

Wesentlich für die Betrachtung von Koordinationsprozessen ist, dass die handlungstheoretische Struktur der Aufgabe die Koordinationsanforderungen an den Handlungsprozess bestimmt. Da die Entscheidungsaufgabe sowohl hierarchisch als auch sequentiell komplex ist, ist ihr Koordinationsanspruch entsprechend hoch.

In der funktionalen Theorie zur Entscheidungsfindung in Gruppen (Hirokawa, 1985) wird die Bedeutung einer profunden Problemanalyse als kritische Funktion zur effektiven Entscheidungsfindung betont. Ähnlich wird auch in der handlungstheoretischen Perspektive davon ausgegangen, dass die Repräsentation der Aufgabe durch die Gruppe der Ausgangspunkt für koordiniertes Handeln und gute Gruppenleistung ist (Tschan, 2000).

Damit weist Tschan auf die durch die zu bewältigende Gruppenaufgabe vorgegebenen Koordinationsanforderungen an den Gruppenprozess hin. Ähnliche Überlegungen stammen von

Grote und Kollegen/-innen (Grote et al., 2003; Grote, Zala-Mezö & Grommes, 2004): Die Arbeitsbelastung während der Aufgabenerfüllung bzw. der Workload der Aufgabe determiniert die notwenige Koordination während des Arbeitsprozesses.

Abbildung 3 zeigt exemplarisch die hierarchisch-sequentielle Struktur einer Gruppenentscheidungsaufgabe. Auf der hierarchisch höchsten Ebene ist das Ziel der Gruppenentscheidung repräsentiert, welches sich durch die Gruppenaufgabe ergibt. Als Teilziele fungieren die der funktionalen Theorie zur Entscheidungsfindung in Gruppen (Hirokawa, 1985;

Orlitzky & Hirokawa, 2001) entnommenen kritischen Funktionen, die eine Gruppe während der Entscheidungsfindung bzw. des Informationsaustauschprozesses erfüllen muss (vgl. auch Abbildung 1).

Abbildung 3: Exemplarische Darstellung der hierarchisch-sequentiellen Struktur der Gruppenentscheidungsaufgabe

Der sequentielle Charakter der Handlungsstruktur impliziert, dass es Funktionen gibt, die vor anderen Funktionen erfüllt sein müssen (z.B. Generierung von Lösungsalternativen vor der Bewertung). Diese idealtypische sequentielle Struktur ist zwar intuitiv plausibel, dennoch gibt es berechtigte Kritik an der Annahme einer idealtypischen Phasenabfolge, auf die bereits im Abschnitt 2.2 eingegangen wurde.

Gruppenentscheidung

Die Effektivität so genannter idealer Kommunikationszyklen, die sowohl hierarchisch als auch sequentiell korrekt im Sinne der Aufgabenstruktur sind (vgl. Tschan, 2000, S. 155), konnte bei einer Konstruktionsaufgabe festgestellt werden (Tschan, 1995, 2000). Inwieweit die idealen Kommunikationszyklen auch auf Entscheidungsaufgaben übertragen werden können, ist unklar und auch nicht Gegenstand der vorliegenden Arbeit. Die bisherige Empirie deutet nicht auf die Existenz solcher Zyklen hin (Boos, 1996a; Poole, 1983 zit. n. Boos, 1996b; Hirokawa, 1983).

Möglich ist, dass ideale Kommunikationszyklen sich zwar nicht über den gesamten Entscheidungsprozess hinweg finden lassen (Makroebene5), jedoch im Rahmen der iterativen Struktur als ideale Teilzyklen existieren (Mikroebene6).

Durch die in Abbildung 3 vereinfachte Darstellung der Struktur der Gruppenentscheidungsaufgabe soll der hohe Koordinationsbedarf und die damit verbundenen Kommunikationserfordernisse verdeutlicht werden. Alle kritischen Funktionen auf der Teil-Ziel-Ebene benötigen zu ihrer Erfüllung auf der Performanz- bzw. Handlungsebene Kommunikation.

Nur durch Kommunikation ist der Austausch von Informationen und deren Bedeutungen und damit die Gruppenentscheidung möglich (vgl. Abbildung 1). Kommunikation erfüllt während des Entscheidungsfindungsprozesses zwei wesentliche Funktionen: Erstens ist es das Arbeitsmittel, durch welches die Gruppendiskussion im Sinne des Austauschs von Informationen und Bedeutungen überhaupt möglich ist. Zweitens ist Kommunikation auch ein Koordinationsmittel, wodurch der Ablauf des komplexen Entscheidungsfindungsprozesses strukturiert und reguliert werden kann.

Zusammenfassend postuliert Tschan (2000), dass „Gruppen besser leisten, wenn sie folgende Merkmale aufweisen: Sie entwickeln ein gemeinsames Abbild oder ‚Mentales Modell’

der zu bearbeitenden Aufgabe, sie nutzen die in der Gruppe vorhandenen Ressourcen optimal,

5 Unter Makroebene wird hier die Betrachtung des gesamten Entscheidungsfindungsprozesses verstanden.

6 Auf der Mikroebene wird der Entscheidungsprozess in feinerer Auflösung betrachtet, z.B. auf Ebene einzelner individueller Äußerungen innerhalb der Phase der Problemanalyse.

und sie strukturieren und koordinieren ihren Prozess gemäß den Anforderungen der Aufgabe“

(Tschan, 2000, S. 10).

Für handelnde Gruppen, also auch für Entscheidungsfindungsgruppen, gilt, dass sie die handlungsbegleitende Kommunikation und die Handlungsausführung parallel koordinieren müssen. Neben der Koordination der gemeinsamen Arbeit muss die handlungsleitende Informationsverarbeitung adäquat (hierarchisch und sequentiell) zu den Aufgabenanforderungen stattfinden (Tschan, 2000).

Gurtner (2003) konnte zeigen, dass die Leistung von Teams in einer Luftraumüberwachungsaufgabe umso höher ist, je besser die individuellen Beiträge der Gruppenmitglieder koordiniert sind. Koordiniertes Handeln musste in dieser komplexen Aufgabe durch effiziente Kommunikation zwischen den Gruppenmitgliedern hergestellt werden.

Bei Entscheidungsaufgaben steht nicht die Koordination von Handlungen (Clark, 1991) im Vordergrund, wesentlicher sind die Koordination von Wissen und Bedeutungen, wodurch die Kommunikation das einzige Koordinationsmittel darstellt. Im Folgenden werden nach einer Begriffspräzisierung theoretische Konzepte vorgestellt, welche die Möglichkeiten der Koordination aufzeigen.