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Der Funktionalistische Ansatz der Gruppenforschung

2 Informationsaustausch und Entscheidungsfindung in Gruppen

2.1. Der Funktionalistische Ansatz der Gruppenforschung

Gruppen sind komplexe soziale Systeme (Arrow et al., 2000; Cranach, Ochsenbein &

Valach, 1986; Gurtner, 2003), weshalb zu ihrer Untersuchung eine Reihe unterschiedlicher Betrachtungsebenen existieren: beispielsweise die Perspektive der Sozialen Identität (Hogg, Abrams, Otten & Hinkle, 2004), die Symbolisch-Interpretative Perspektive (Frey, 2004), die zeitliche Perspektive (Arrow, Poole, Henry, Wheelan & Moreland, 2004), die psychodynamische Perspektive (McLeod & Kettner-Polley, 2004), die Netzwerk-Perspektive (Katz, Lazer, Arrow &

Contractor, 2004) und die Funktionale Perspektive (Wittenbaum et al., 2004b)4.

Für die vorliegende Arbeit eignet sich die funktionale Perspektive der Gruppenforschung, da sie ein normatives Vorgehen zur Beschreibung und Vorhersage von Gruppenleistung bietet

4 Eine erläuternde Übersicht der Perspektiven ist in Hollingshead und Poole (2004) und in Poole, Hollingshead, McGrath, Moreland und Rohrbaugh (2004) zu finden, ein differenzierter Überblick über die Forschungsrichtungen in Arrow, McGrath und Berdahl (2000).

(Wittenbaum et al., 2004b). Ihr Betrachtungsfokus liegt auf so genannten Inputfaktoren, welche die Gruppenleistung, vermittelt über den Interaktionsprozess der Gruppenmitglieder, beeinflussen:

”Success is not only a function of team members’ talents and available resources but also the processes team members use to interact with each other to accomplish the work.”

(Marks, Mathieu & Zaccaro, 2001, S. 356, Herv. im Original)

Durch die Analyse des Interaktionsprozesses soll erklärt werden, warum einige Gruppen erfolgreich sind, andere hingegen nicht (Wittenbaum et al., 2004b). Drei Kernannahmen bilden den Schwerpunkt des funktionalistischen Ansatzes:

1. Gruppen sind zielorientiert.

2. Die Gruppenleistung variiert und kann evaluiert werden.

3. Vermittelt über den Interaktionsprozess beeinflussen interne (z.B. Gruppengröße, Persönlichkeit der Gruppenmitglieder) und externe Faktoren (z.B. Charakteristika der übergeordneten Organisation, Aufgabe) die Gruppenleistung.

Diese Annahmen bieten die Anwendung der funktionalistischen Perspektive zur Untersuchung des Einflusses expliziter Koordinationsmechanismen auf die Gruppenleistung an, da Koordinationsmechanismen den Interaktionsprozess koordinieren sollen und ihre Wirksamkeit daher im Rahmen des Input-Prozess-Output-Wirkungsgefüges untersucht werden muss. Abbildung 1 zeigt für die vorliegende Arbeit die Relation der Konzepte Entscheidungsfindung, Informationsaustausch und Koordination im Rahmen der funktionalistischen Perspektive: Das Entscheiden ist der Gruppenaufgabentyp und stellt damit eine Input-Variable dar. Während des Entscheidungsprozesses müssen die Gruppenmitglieder ihre vorhandenen Informationen austauschen, daher bildet der Informationsaustausch den Prozess. Aufgrund der Komplexität der Entscheidungsaufgabe muss der Informationsaustausch koordiniert werden, die explizite Prozesskoordination stellt daher eine Prozessvariable dar.

Abbildung 1: Einordnung der Konzepte Entscheidungsfindung, Informationsaustausch und explizite Prozesskoordination in das funktionale Paradigma

Der Vorteil des funktionalistischen Ansatzes besteht darin, dass er die Aufstellung testbarer Hypothesen erlaubt (Wittenbaum et al., 2004b). Nachteilig kann der implizite Fokus auf lediglich aufgabenorientierte Ziele wirken. Fraglich bleibt auch, ob der Ansatz eine Betrachtung der Gruppe als komplexes, adaptives und dynamisches System erlaubt (Wittenbaum et al., 2004b). Als Forschungsparadigma hat er in den letzten Jahren hauptsächlich Untersuchungen zu kausalen Wirkungsbeziehungen zwischen Input- bzw. Prozessvariablen und Outputvariablen angeregt (Wittenbaum et al., 2004b). Diese Studien ermöglichen wichtige Einblicke in einzelne Mechanismen der Gruppenleistung, dennoch wird mittlerweile der Ruf nach einer stärker bedingungs- und interventionsorientierten, statt einer ursachenorientierten, Gruppenforschung laut (Hackman, 2006), interessanterweise vom Autor des einschlägigen Input-Prozess-Output-Modells (IPO, Hackman & Morris, 1975), welches im folgenden Abschnitt kurz erläutert wird.

Gruppen- Entscheidung Individuelle

Expertise der Gruppen-mitglieder Gruppen- entscheidungs-

aufgabe

Input Prozess Outcome

Informationsaustausch Explizite Prozesskoordination:

2.1.2. Das Input-Prozess-Output-Modell als klassisches Modell des funktionalistischen Paradigmas

Das Input-Prozess-Output (IPO)-Modell betont die Analyse von Inputvariablen und ihren durch den Interaktionsprozess vermittelten Einfluss auf den Output, um Antworten auf die Frage zu finden, warum manche Arbeitsgruppen effektiver sind als andere. Die Inputfaktoren werden auf drei Ebenen betrachtet: Ebene des Gruppenmitgliedes, Ebene der Gruppe, Ebene des Kontextes der Gruppe. Der Grundgedanke des Modells besteht darin, dass die Inputfaktoren keinen direkten Einfluss auf das Gruppenergebnis ausüben, sondern über den Interaktionsprozess der Gruppenmitglieder mediiert werden (siehe Abbildung 2).

Abbildung 2: Traditionelles Paradigma zur Analyse der Gruppeninteraktion als Mediator von Gruppenergebnissen. Nach Hackman und Morris (1975) sowie McGrath (1970)

Input Process Output

Der Interaktionsprozess entspricht allem beobachtbaren Verhalten zwischen zwei (künstlichen) Zeitpunkten (t1 und t2) und kann beispielsweise nur einige Sekunden oder aber ein Jahr lang sein (Hackman & Morris, 1975). Zwar weisen Hackman und Morris (1975) darauf hin, dass die Kausalität (InputÆProzessÆOutput) auch zirkulär sein kann, indem beispielsweise so genannte Summary Variables (Kompetenzen der Gruppenmitglieder, Art und Nutzung von Strategie der Aufgabenbewältigung und das Niveau und die Koordination der Bemühungen der Gruppenmitglieder) auf den Interaktionsprozess zurückwirken können, allerdings gäbe es häufig einen klaren Endpunkt der Gruppeninteraktion, so dass der Prozess unzyklisch betrachtet werden könne (Hackman & Morris, 1975). Diese lineare Modellierung des Einflusses der Inputfaktoren ist Gegenstand der Kritik am IPO-Modell, auf die im Folgenden näher eingegangen wird.

2.1.3. Notwendige Ergänzungen des Input-Prozess-Output-Modells

Die wesentlichen Kritikpunkte an der auf dem IPO-Modell basierenden Forschung betreffen die Vernachlässigung der zeitlichen Perspektive im Verlauf des Gruppenarbeitsprozesses und die einseitige Untersuchung von Leistung als Output-Kriterium.

Die Rolle der Zeit

Die einseitig gerichtete Untersuchung des Einflusses der über den Interaktionsprozess wirkenden Inputfaktoren und die fehlende Berücksichtigung des Feedbacks durch den aktuellen Stand der Aufgabenbewältigung sind mehrfach kritisiert worden. So schlagen Ilgen, Hollenbeck, Johnson und Jundt (2005) vor, statt IPO besser vom Input Mediator Output Input -IMOI– zu sprechen. Durch die Substitution des P durch das M wird die Bedeutung der mediierenden Wirkung des Interaktionsprozesses klarer, das Hinzufügen des I verweist auf zyklische Wirkung des Feedbacks (Ilgen et al., 2005).

Der Ansatz von Marks, Mathieu und Zaccaro (2001) greift den bei Hackman und Morris (1975) fehlenden expliziten Verweis auf die zyklische Natur jeder Input-Prozess-Output-Episode auf. Sie konstatieren, dass zwar Modelle zum zyklischen Charakter des Gruppenarbeitsprozesses entwickelt wurden (Gersick, 1988), diese allerdings wenig in andere Modelle zur Gruppenarbeit integriert wurden. Marks und Kollegen betonen, dass „team performance trajectories most commonly consist of several I-P-O-type cycles that run sequentielly and simultaneously“ (Marks et al., 2001, S. 359). Die temporären Zyklen zielgerichteter Aktivität nennen sie Episoden (Marks et al., 2001). Der gesamte Arbeitsprozess einer Gruppe besteht aus vielen Episoden bzw.

funktionalen IPO-Einheiten. Auch Boos (1996b) konstatiert, dass der Problemlöseprozess iterativ und zyklisch sei, wonach bestimmte funktionale Handlungen mehrfach durchgeführt würden.

Neben der Betonung des temporalen Rhythmus des Gruppenarbeitsprozesses spezifizieren Marks und Kollegen den Gruppenprozess selbst. In ihrer Taxonomie der Teamprozesse unterscheiden sie drei Prozessdimensionen: Übergangsprozesse, Handlungsprozesse und interpersonale Prozesse (Marks et al., 2001), wobei sie ihren Betrachtungsfokus auf die ersten beiden Prozesse legen. Während der Handlungsprozesse führt die Gruppe Handlungen aus, die direkt der Zielerreichung dienen. Hingegen dienen die Übergangsprozesse der Planung und Evaluation der Zielerreichung. Die Überlegung, dass unterschiedliche Gruppenprozesse zu bestimmten Zeitpunkten der Gruppenarbeit besonders wichtig sind, wurde auch von Hackman und Wageman (2005) in ihrer Theorie des Team-Coaching aufgegriffen. Sie postulieren, dass zu Beginn der Gruppenarbeit interpersonale Interventionen besonders effektiv sind. Strategieinterventionen seien „around the midpoints of the team’s work“ angemessen (Hackman & Wageman, 2005, S. 276), am Ende der Gruppenarbeit seien schließlich edukative Maßnahmen sinnvoll. Auch wenn eine Konkretisierung dieser Coaching-Maßnahmen wünschenswert ist, so leistet Hackman und Wageman’s Ansatz einen wichtigen Beitrag zur Integration empirischer Befunde zur zeitlichen und situativen

Angemessenheit von Interventionen in den Gruppenprozess und der praktischen Beratung von Gruppen im organisationalen Alltag (z.B. Teamentwicklungsmaßnahmen).

Die Spezifizierung der Output-Variablen

Wie bereits in der Kritik des funktionalen Paradigmas erwähnt, sind neben der impliziten linearen Wirkungsrichtung der Inputfaktoren die einseitige Konzentration in der Forschung auf Leistungs- und Erfolgsaspekte und die Vernachlässigung anderer, nicht unmittelbar auf die Leistung bezogenen Ergebnisse, kritisiert worden. Dazu gehören beispielsweise die Zufriedenheit der Gruppenmitglieder, das Gruppenklima, das Fortbestehen der Gruppe etc. (Wittenbaum et al., 2004b). McGrath (1991, S. 154) geht davon aus, dass alle Gruppen im Sinne dreier wichtiger Funktionen agieren: das Erfüllen der Projektziele (production), die Gruppenerhaltung (well-being) und die Unterstützung einzelner Gruppenmitglieder (member support).

2.1.4. Vergleich der Funktionalen Perspektive in der Gruppen- und Kommunikationsforschung

Hirokawa und Salazar (1999) unterscheiden drei theoretische Perspektiven, die sich mit dem Zusammenhang zwischen der aufgabenbezogenen Kommunikation in der Gruppe und ihrer Entscheidungsfindung beschäftigen:

Mediational Perspective. Der Interaktionsprozess wird als Mediator betrachtet, durch welchen die eigentlichen Determinanten der Gruppenleistung ihren Einfluss ausüben können.

Functional Perspective. Der Interaktionsprozess wird als ein soziales Tool betrachtet, welches die Gruppenmitglieder als Voraussetzung für ihr Entscheidungsfindungsverhalten verwenden.

Constitutive Perspective. Gruppenentscheidungen werden als soziale Produkte betrachtet, wobei die Kommunikation soziale Konvergenz entstehen lässt.

Der Mediational Perspective ordnen Hirokawa und Salazar (1999) das IPO-Modell von Hackman und Morris (1975) und darauf aufbauende Arbeiten zu. Diese Zuordnung erscheint

sinnvoll, da Hackman und Morris (1975) den Interaktionsprozess als Mediator betrachten.

Lediglich die Terminologie der theoretischen Perspektiven wird nun verwirrend, da das IPO-Modell in das Funktionale Paradigma der Gruppenforschung eingeordnet wird (Wittenbaum et al., 2004b), im Rahmen der Kommunikationsforschung zur Gruppenkommunikation und -entscheidungsfindung allerdings der Mediational Perspective, dort aber auch eine (andere) Functional Perspective postuliert wird. Diese Functional Perspective der Kommunikationsforschung unterscheidet sich von der Mediational Perspective bzw. der funktionalen Perspektive der Gruppenforschung insofern, als dass der Interaktionsprozess nicht nur als Mediator betrachtet wird, sondern eine aktivere Rolle einnimmt. Die Kommunikation wird als Mittel betrachtet, dessen sich die Gruppenmitglieder aktiv zur Aufgabenerfüllung bedienen. Die Kernaussage dieser Perspektive besteht darin, dass die Gruppe gemäß der zu erledigenden Aufgabe relevante, d.h. funktionale Inhalte kommunizieren muss, z.B. müssen vor dem Fällen der Gruppenentscheidung die Entscheidungsalternativen abgewogen und über ihre Vor- und Nachteile diskutiert werden (Hirokawa, 1985). Wittenbaums (2004b) Zuordnung der Functional Perspective der Kommunikationsforschung bzw. der Funktionalen Theorie der Gruppenentscheidungsfindung (Hirokawa, 1985; Orlitzky & Hirokawa, 2001) zum Funktionalen Paradigma der Gruppenforschung scheint gerechtfertigt, da sie, mit Fokus auf dem Interaktionsprozess, Annahmen zum Zusammenhang zwischen der Kommunikation der Gruppenmitglieder und der Entscheidungsleistung der Gruppe trifft.

Die Funktionale Theorie der Gruppenentscheidungsfindung (Hirokawa, 1985) wird im folgenden Abschnitt dargestellt.