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TEIL I: THEORETISCHE GRUNDLAGEN UND STAND DER WISSENSCHAFT

4. Telemonitoring bei chronischer Herzinsuffizienz

4.2 Entwicklung des Telemonitorings bei chronischer Herzinsuffizienz

4.2.2 Stand der Wissenschaft zu ökonomischer Evidenz bei nicht-invasivem Telemonitoring

Sind die klinischen Effekte eines Telemonitoringeinsatzes bei Patienten mit HFrEF im Vergleich breit untersucht, besteht hinsichtlich der Kosteneffektivität von Telemonitoring-Interventio-nen nur eine geringe Evidenzverfügbarkeit. Während die in einigen Studien suggerierte mög-liche Reduzierung von Krankenhausaufenthalten sowie das verbesserte Selbstmanagement der Patienten ein großes Potential für Kosteneinsparungen implizieren, bleibt ein eindeutiger Nachweis analog zur klinischen Evidenz bisher aus.

Auf nationaler Ebene existieren im Hinblick auf Kosten bzw. Kosteneffektivität nur wenige Publikationen mit einer vergleichenden Analyse von Kosten und Nutzen einer nicht-invasiven Telemonitoring-Maßnahme mit der Standardtherapie. Heinen-Kammerer et al. untersuchten im Jahr 2006 das Zertiva-Programm der Techniker Krankenkasse und führten eine Kosten-Ef-fektivitätsanalyse durch Modellierung der Kosten über ein Markov-Modell durch. Dort zeigten

314 Vgl. Pekmezaris et al. 2018, S. 1985f.

315 Vgl. Flodgren et al. 2015, S. 4.

sich aufgrund der ermittelten Reduzierung der Krankenhausaufenthalte in der Interventions-gruppe auch signifikant geringere effektadjustierte316 Kosten im Vergleich zur Kontroll-gruppe.317 In der Kosten-Kosten-Studie von Kielblock et al. aus dem Jahr 2007 zeigte sich eben-falls eine deutliche Verringerung der Kosten. Diese gründete sich v.a. aus der Reduzierung der Gesamtmortalität sowie der geringeren Anzahl an Krankenhausaufenthalten und Tagen im Krankenhaus der Interventionsgruppe.318

Im Jahr 2015 führten Neumann et al. eine Kosten-Effektivitätsanalyse im Piggy-Back-Design319 zu der 2012 veröffentlichten INH Studie von Angermann et al. durch. Dabei wurden erstmals neben den direkten auch die indirekten Kosten bei herzinsuffizienten Patienten berücksichtigt und eine ökonomische Evaluation aus der gesamtgesellschaftlichen Perspektive Deutschlands unternommen. Als klinischer Effektivitätsparameter für das inkrementelle Kosten-Effektivi-tätsverhältnis (ICER) wurde die Gesamtmortalität in der Patientenpopulation gewählt und die Kosten über Annahmen aus den klinischen Aufzeichnungen der INH Studie geschätzt. Dabei ergaben sich in der Interventionsgruppe höhere Gesamtkosten als in der Kontrollgruppe, so-dass kein ökonomischer Vorteil des Telemonitorings nachgewiesen werden konnte.320

Herold et al. evaluierten 2018 ebenfalls im Piggy-Back-Design das seit dem Jahr 2006 im Raum Berlin/Brandenburg angebotene und bereits oben beschriebene Telemonitoring Versorgungs-programm „AOK-Curaplan Herz Plus“ der AOK Nordost. Da die Patienten nicht nach Studien-protokoll ausgewählt worden waren, wurden mittels Propensity-Score-Matching repräsenta-tive Vergleichsgruppen gebildet. Im Rahmen der Evaluation konnte ein leichter, statistisch nicht signifikanter Trend zu einer ökonomischen Vorteilhaftigkeit der Telemonitoring-Maß-nahme in ländlichen Gebieten ermittelt werden.321 Auf internationaler Ebene zeigt sich ein ähnlich heterogenes Bild, wenngleich hier die Studienlage umfangreicher ist. So stellten etwa

316 Zur Effektmessung wurde im Rahmen der Untersuchung der Parameter „keine Hospitalisierung aufgrund einer Herzinsuffizienz“ gewählt. Vgl. Heinen-Kammerer et al. 2007, S. 534.

317 Vgl. Heinen-Kammerer et al., S. 531.

318 Vgl. Kielblock et al. 2007, S. 420.

319 Als Studie im Piggy-Back-Design wird eine die klinische Prüfung begleitende ökonomische Evaluation bez-eichnet, deren Durchführung im Design der klinischen Studie allerdings nicht berücksichtigt wurde (piggy-back = „Huckepack“). Daher liegen diesen Piggy-Back-Studien meist Kostenmodellierungen zugrunde. Vgl.

Pirk und Schöffski 2012, S. 204.

320 Vgl. Neumann et al. 2015, S. 306f.

321 Vgl. Herold et al. 2018, S. 279.

Meyers at al. eine signifikant geringere Inanspruchnahme von Hausbesuchen bei Patienten mit HFrEF fest und leiteten daraus Kosteneinsparungen in der Telemonitoringgruppe ab, ohne dabei jedoch Aussagen über eine Signifikanz des Kostenvorteils zu treffen. Aufgrund der ge-ringen Follow-up-Zeit von 2 Monaten sind diese Ergebnisse in ihrer Aussagekraft zudem ein-geschränkt.322 Auch Giordano et al. wiesen dem Telemonitoring auf ökonomischer Seite posi-tive Effekte zu. Insgesamt konnten in dieser Studie sowohl auf klinischer Seite eine signifikante Reduktion der Krankenhausaufenthalte und der Mortalitätsrate als auch auf ökonomischer Seite ein signifikant geringerer Kostenaufwand durch den Einsatz von Telemonitoring nachge-wiesen werden.323 Weitere Studien von Henderson et al., Boyne et al., Blum und Gottlieb so-wie Pekmezaris et al. fanden keine signifikanten ökonomischen Verbesserungen durch den Einsatz von Telemonitoring.324 Soran et al. und Villani et al. ermittelten hingegen signifikante Kostensteigerungen in der Interventionsgruppe.325

Diese heterogene Studienlage zur Kosteneffektivität des Telemonitorings spiegelt sich eben-falls in den vorliegenden systematischen Übersichtsarbeiten wieder. Im Rahmen des Cochrane Reviews von Inglis et al. aus dem Jahr 2010 zeigten die im Rahmen der Meta-Analyse erfassten Studien, die sich mit ökonomischen Auswirkungen von Telemonitoring beschäftigten, mehr-heitlich einen Vorteil der Interventionen gegenüber der Standardbehandlung oder wiesen zu-mindest keinen negativen Effekt aus. Nach Inglis et al. wurde dem Telemonitoring daher eine eingeschränkte Kosteneffektivität bescheinigt.326

Pandor et al. modellierten 2013 in ihrer Evidenzsynthese mittels eines Markov-Modells eine Kosten-Effektivitätsanalyse aus Gesundheitssystemperspektive über einen Zeithorizont von 30 Jahren. Im Rahmen der Modellierung zeigte sich eine Kosteneffektivität, die sich in mehre-ren Sensitivitätsanalysen bestätigte. Die Kostenbasis beruhte in weiten Teilen auf Experten-schätzungen und auf Daten aus anderen als den eingeschlossenen Studien, was die Ergebnisse wenig valide erscheinen lässt.327

322 Vgl. Myers et al. 2006, S. 447ff.

323 Vgl. Giordano et al. 2009, S. 192ff.

324 Vgl. Henderson et al. 2013, S. 4; Boyne et al. 2013, S. 247; Blum und Gottlieb 2014, S. 516ff; Pekmezaris et al. 2012, S. 103.

325 Vgl. Soran et al. 2008, S. 716ff; Villani et al. 2014, S. 473f.

326 Vgl. Inglis et al. 2010, S. 23.

327 Vgl. Pandor, Thokala et al. 2013, S. 54.

Flodgren et al. bescheinigen dem Telemonitoring im Rahmen ihres Cochrane Reviews von 2015 keine ökonomische Vorteilhaftigkeit. Die Ergebnisse variierten zwischen Kosteneinspa-rungen, neutralen Effekten und Mehrkosten durch Telemonitoring, wobei die Vergleichbar-keit zwischen den einzelnen Studien auch aus ökonomischer Sicht eingeschränkt war. Diese unterschieden sich in den jeweils erhobenen Kostenarten, eingenommenen Perspektiven der Datenerhebung und den Finanzierungsgrundlagen der Studienursprungsländer.328

Sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene kann bisher keine eindeutige Aus-sage über die Kosteneffektivität von Telemonitoringanwendungen getroffen werden. Zu un-terschiedlich sind die Studien in ihrem Aufbau, ihrer Studienpopulation, ihrer untersuchten technischen Komponente und vor allem der zur Bestimmung der ökonomischen Effekte her-angezogenen Kostenarten. In den überwiegenden Fällen handelt es sich um Kostenmodellie-rungen, Piggy-back-Evaluationen oder reine Kosten-Kosten-Analysen. Die bisherigen ökono-mischen Evaluationen sind damit trotz der zum Teil nachgewiesenen verminderten Wieder-einweisungsraten und Mortalitätsraten nur bedingt aussagekräftig.

4.3 Zwischenfazit

Die chronische Herzinsuffizienz ist mit ihrer hohen Prävalenz und Inzidenz eine der häufigsten chronischen Erkrankungen weltweit und resultiert in einem großen Bedarf an finanziellen Mit-teln in den Gesundheitssystemen der einzelnen Länder. Auch in Deutschland gilt sie als Kos-tentreiber und war in deutschen Krankenhäusern im Jahr 2017 die häufigste Hauptdiagnose vor psychischen Erkrankungen und Verhaltensstörungen.329 Patienten mit einer chronischen Herzinsuffizienz verursachen dabei etwa das 2,3-fache der durchschnittlichen Gesamtkosten pro Krankenversichertem und Jahr, weshalb die Erkrankung fortlaufend in der Diskussion um die Allokation begrenzter Ressourcen im Gesundheitswesen steht.330

Trotz eines Rückgangs in den letzten Jahren halten die hohen Hospitalisierungs- sowie Morta-litätsraten den Bedarf an einer frühzeitigen Erkennung der Erkrankung und einer daran an-schließenden frühzeitigen Behandlung weiter hoch. Hierzu können technische

328 Vgl. Flodgren et al. 2015, S. 28f.

329 Vgl. Statistisches Bundesamt 2016.

330 Vgl. Zugck et al. 2010, S. 633

nagementsysteme wie das Telemonitoring durch eine beständige Überwachung und Aufklä-rung der Patienten, durch eine enge Vernetzung der beteiligten Akteure sowie eine sektoren-übergreifende Versorgung potentiell beitragen.331

Dies wurde in Studien und Meta-Analysen untersucht, die jedoch heterogene Ergebnisse lie-fern. Die einzelnen Studien sind unterschiedlich aufgebaut, die Studienpopulationen so indi-viduell wie die untersuchten Telemonitoring-Lösungen, der Follow-up Zeitraum oder die un-tersuchten Outcome-Parameter.332 Auch zur ökonomischen Effizienz des Telemonitorings bei Patienten mit HFrEF kann basierend auf der bisherigen Studienlage keine valide Aussage ge-troffen werden. Zu unterschiedlich sind auch hier der Studienaufbau, die Art und Perspektive der Kostenerfassung, die Datengrundlage sowie die systemischen Gegebenheiten der jeweili-gen Ursprungsländer, in denen die Untersuchunjeweili-gen durchgeführt wurden.333

331 Vgl. Störk et al. 2017, S. 919

332 Vgl. Flodgren et al. 2015, S. 4.

333 Vgl. Wootton 2012, S. 211; Gurné et al. 2012, S. 443.