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TEIL I: THEORETISCHE GRUNDLAGEN UND STAND DER WISSENSCHAFT

4. Telemonitoring bei chronischer Herzinsuffizienz

4.1 Die Indikation chronische Herzinsuffizienz

4.1.2 Klinik

Die Leistungsschwäche (Insuffizienz) des Herzens mit dem charakterisierenden Missverhältnis zwischen der vom Körper benötigen und der vom Herzen geförderten Menge sauerstoffrei-chen Blutes ergibt sich aus einer verminderten Pumpfunktion des Herzmuskels und wirkt sich auf den gesamten Körper aus.197 Es handelt sich dabei um einen vielschichtigen Symptomkom-plex, dem zahlreiche Definitionen zugeordnet werden.198

Die WHO umfasst die Herzinsuffizienz sowohl in pathophysiologischer als auch klinischer Hin-sicht. Eine Herzinsuffizienz wird dabei als die Unfähigkeit des Herzens bezeichnet, Blut bzw.

Sauerstoff in einem ausreichenden Maße zu transportieren, um den gesamten Organismus zu versorgen. So liegt der Symptomkomplex der Luftnot (Dyspnoe) und schnellen Ermüdbarkeit vor, dem eine nachgewiesene kardiale Erkrankung zugrunde liegt.199 Pathophysiologisch stellt die Herzinsuffizienz damit ein Syndrom aus einer kardial bedingten Minderperfusion lebens-wichtiger Organe mit sekundärer neurohumoraler Aktivierung und Schädigung dieser Organe dar. Aus klinischer Sicht liegt eine Herzinsuffizienz vor, wenn typische Symptome wie eine Dys-pnoe, eine Leistungsminderung oder eine Flüssigkeitsretention basierend auf einer kardialen Funktionsstörung auftreten.200 Die European Society of Cardiology (ESC) definiert die Herzin-suffizienz als das Vorhandensein dreier Faktoren: Neben charakteristischen Symptomen wie Dyspnoe, Erschöpfung, Müdigkeit und Knöchelschwellungen zählen dazu auch typische klini-sche Anzeichen wie Tachykardie, Pleuraerguss oder periphere Ödeme sowie objektive Hin-weise auf eine strukturelle oder funktionelle Anomalie des Herzens im Ruhezustand. Darunter fallen bspw. das Auftreten einer Kardiomegalie, Herzgeräusche oder ein dritter Herzton im Echokardiogramm.201

196 Vgl. Gesundheitsberichterstattung des Bundes 2016.

197 Vgl. Bauer et al. 2011, S. 66f.

198 Vgl. Erdmann 2010, S. 3.

199 Vgl. Ponikowski et al. 2016, S. 2137.

200 Vgl. Hoppe und Erdmann 2011, S. 124.

201 Vgl. Hoppe und Erdmann 2010, S. 535ff.

Die genaue Ausprägung einer Herzinsuffizienz unterscheidet sich anhand der durch die ver-minderte Pumpleistung betroffenen Herzkammer. So kann eine Herzinsuffizienz entweder beide oder einseitig die rechte oder die linke Herzkammer betreffen.202 Bei der Linksherzin-suffizienz verfügt die linke Herzkammer, die das sauerstoffreiche Blut in den Körper pumpt, über eine eingeschränkte Pumpfunktion. Das Blut sammelt sich in der Lunge an, was zu einer Stauungslunge oder einem Lungenödem führen kann. Ist die Pumpfunktion der rechten Herz-kammer eingeschränkt, wird von einer Rechtsherzinsuffizienz gesprochen. Diese führt zu einer Blutstauung in den Organen, was zu Ödemen in den Beinen, den Lungenzwischenräumen oder den Lebervenen führen kann. Häufig entwickelt sich auf Grundlage einer Linksherzinsuffizienz konsekutiv eine Rechtsherzinsuffizienz und auch eine Kombination beider Formen ist möglich.

Dies wird als globale Herzinsuffizienz verstanden, bei der die Pumpleistung beider Herzkam-mern beeinträchtigt ist.203

Eine weitere Möglichkeit der Diversifikation kann nach Art der Funktionsstörung erfolgen. Bei einer systolischen Herzinsuffizienz tritt eine verminderte Auswurfleistung (Ejektionsfraktion;

EF) der linken Herzkammer auf. Eine systolische Dysfunktion liegt vor, wenn die Ejektionsfrak-tion unter 45 % liegt.204 Eine diastolische Herzinsuffizienz ist Folge einer gestörten Dehnbarkeit der linken Herzkammer. Die Ejektionsfraktion bleibt erhalten (EF ≥ 50 %), dennoch kommt es aufgrund einer eingeschränkten Relaxationsfähigkeit oder einer eingeschränkten passiven Füllung zu Anomalien. Die natriuretischen Peptide sind dabei erhöht und das Echokardio-gramm zeigt Hinweise auf eine diastolische Dysfunktion. 205

Seit Überarbeitung der Herzinsuffizienz-Leitlinie der European Society of Cardiology (ESC) im Jahr 2016 wurden die Bezeichnungen systolische bzw. diastolische Herzinsuffizienz durch die Terminologie „Herzinsuffizienz mit reduzierter linksventrikulärer Ejektionsfraktion (Heart Fai-lure with reduced Ejection Fraction oder HFrEF)“ bzw. „Herzinsuffizienz mit erhaltener links-ventrikulärer Ejektionsfraktion (Heart Failure with preserved Ejection Fraction oder HFpEF)“

ersetzt und durch die zusätzliche Form der „Herzinsuffizienz mit geringgradig eingeschränkter

202 Vgl. Bauer et al. 2011, S. 9.

203 Vgl. Bundesärztekammer et al. 2017, S. 12.

204 Vgl. Griese et al. 2012, S. 343.

205 Vgl. Buser et al. 2003, S. 29f.

linksventrikulärer Ejektionsfraktion (Heart Failure with mid-range Ejection Fraction oder HFm-rEF)“ weiter differenziert.206 Hierin sind Patienten klassifiziert, deren Auswurffraktion zwi-schen 40 und 49 % liegt, wobei ebenso wie bei HFpEF die natriuretizwi-schen Peptide erhöht und echokardiografisch strukturelle bzw. funktionelle Störungen des linken Ventrikels zu beobach-ten sind. Etwa 10-20 % aller Patienbeobach-ten sollen im Zuge dessen nach HFmrEF umgruppiert wer-den, um Unsicherheiten bei der Entscheidung bzgl. einer Behandlung entweder nach HFrEF oder HFpEF aufzulösen.207 Diese neu etablierte Terminologie findet im weiteren Verlauf der Arbeit Anwendung.

Je nach Schweregrad kann sich die Herzinsuffizienz bis zu einem kardiogenen Schock manifes-tieren. Frühe Symptome sind dabei u.a. starke Dyspnoe und Müdigkeit bzw. Erschöpfung bei bereits geringer Aktivität. Des Weiteren kann es zu Verwirrung, Schwäche und kalter Periphe-rie kommen.208 Der Schweregrad einer Herzinsuffizienz lässt sich in die von der New York He-art Association (NYHA) festgelegten Klassen I-IV einteilen (siehe Tabelle 1).

Tabelle 1: NYHA-Klassifikation der Herzinsuffizienz nach Schweregrad

NYHA-Klasse Beschreibung

Klasse I Keine Einschränkung der körperlichen Aktivität. Normale körperliche Aktivität führt nicht zu Dys-pnoe, Müdigkeit oder Palpitationen.

Klasse II Leichte Einschränkung der körperlichen Aktivität. Beschwerdefreiheit unter Ruhebedingungen;

aber bei normaler körperlicher Aktivität kommt es zu Dyspnoe, Müdigkeit oder Palpitationen.

Klasse III

Deutliche Einschränkung der körperlichen Aktivität. Beschwerdefreiheit unter Ruhebedingun-gen; aber bereits bei geringer physischer körperlicher Aktivität Auftreten von Dyspnoe, Müdig-keit oder Palpitationen.

Klasse IV

Unfähigkeit, körperliche Aktivität ohne Beschwerden auszuüben. Symptome unter Ruhebedin-gungen können vorhanden sein. Jegliche körperliche Aktivität führt zur Zunahme der Beschwer-den.

NYHA: New York Heart Association

Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Dolgin 1994, S. 253ff.

Die Ursachen der Herzinsuffizienz sind primär kardialer Art. Pathophysiologisch lassen sich diese zusammenfassen als eine Volumenüberbelastung etwa durch Aorten- oder Mitralinsuf-fizienzen, eine Druckbelastung etwa durch Hypertonie oder eine Aortenstenose, eine Fül-lungseinschränkung etwa durch Mitralstenose, eine Erkrankung der Herzmuskelzellen etwa

206 Vgl. Bundesärztekammer et al. 2017, S. 12f.

207 Vgl. Deutsche Gesellschaft für Kardiologie - Herz- und Kreislaufforschung (DGK) 2016.

208 Vgl. Dickstein et al. 2008, S. 936.

durch eine Kardiomyopathie bzw. eine Myokarditis oder eine Abnahme kontraktiler Muskel-masse etwa nach einem Herzinfarkt.209 Häufigste Ursache für eine Herzinsuffizienz ist die Ko-ronare Herzkrankheit (KHK), eine chronisch fortschreitende Erkrankung der Herzkranzgefäße, bei der es durch ein Absterben der Myokardzellen zu Pumpfunktionsstörungen kommt.210 Während sich die akute Herzinsuffizienz innerhalb von wenigen Stunden bis Tagen entwickelt, manifestiert sich die chronische Herzinsuffizienz über Monate und Jahre hinweg, wobei initial häufig ein akutes Ereignis steht. Aufgrund der nicht mehr ausreichenden Versorgung der Or-gane mit Sauerstoff, basierend auf einer fortschreitenden Schwächung des Herzens, verläuft die Krankheitsprogression meist langsam und oft unbemerkt. Im frühen Stadium sind Lebens-qualität und körperliche Leistungsfähigkeit bei Patienten oft nur geringfügig oder lediglich bei starker Belastung eingeschränkt. Mit zunehmendem Fortschritt der Erkrankung werden auch alltägliche Aktivitäten zu einer Belastung. Symptomatisch sind hierbei das Auftreten von Ta-chykardien, Fatigue, Dyspnoe und Ödeme. Je schwerer die Ausprägung einer Herzinsuffizienz, desto höher ist auch deren Komplikationswahrscheinlichkeit. Das Auftreten einer Dyspnoe bei leichter Belastung führt bspw. in etwa 15 % der Fälle innerhalb eines Jahres zum Tod, bei Auf-treten in Ruhe sogar in bis zu 40 % der Fälle.211

Die durch das American College of Cardiology (ACC) und die American Heart Association (AHA) etablierte Klassifizierungssystem der Herzinsuffizienz bildet zu diesem Zweck im Gegensatz zur NYHA-Klassifikation nicht die momentane Symptomatik, sondern die Progression und Mani-festation der Erkrankung ab (siehe Tabelle 2).

Tabelle 2: ACC/ AHA-Klassifizierung der Herzinsuffizienz nach Progression und Manifestation.

AHA-Stadien Beschreibung

A Hohes Risiko für eine Herzinsuffizienz, allerdings ohne strukturelle Herzerkrankung oder Symptome einer Herzinsuffizienz.

B Strukturelle Herzerkrankung, allerdings ohne Anzeichen oder Symptome einer Herzinsuffizienz.

C Strukturelle Herzerkrankung mit früheren oder aktuellen Symptomen einer Herzinsuffizienz.

D Fortgeschrittene Herzinsuffizienz mit Erfordernis für spezifischen Interventionen.

ACC: American College of Cardiology; AHA: American Heart Association Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Yancy et al. 2013, 155.

209 Vgl. Hoppe und Erdmann 2011, S. 136ff.

210 Vgl. Fischer et al. 2011, S. 159.

211 Vgl. Fischer et al. 2011, S. 159.

Ein schneller Wechsel zwischen den Stadien ist dabei nicht möglich. Sie ist allerdings nicht als Substitut, sondern als Ergänzung der NYHA-Klassifikation zu verstehen.