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TEIL I: THEORETISCHE GRUNDLAGEN UND STAND DER WISSENSCHAFT

3. Telemonitoring als Innovation in der Gesundheitsversorgung

3.2 Innovationen innerhalb des deutschen Gesundheitswesens

Im Rahmen des Gesundheitswesens ist das Thema Innovation eng mit dem Begriff des medi-zinisch-technischen Fortschritts verknüpft.111 Innovationen können hier in verschiedenen Be-reichen auftreten: Von ‚klassischen‘ Innovationen wie neuen Arzneimitteln oder Medizinpro-dukten bis zu neuartigen Operationsmethoden, Qualitätsmanagement- oder Abrechnungssys-temen und Innovationen im Bereich von Clinical Pathways oder Leitlinien. Auch gewinnen Ein-flüsse aus anderen Branchen zunehmend an Relevanz.Wie in Kapitel 2.2 dargestellt, ist etwa die Telemedizin im Gesundheitswesen nur möglich, weil entsprechende Kommunikations-technologien in anderen Branchen bereits entwickelt wurden.112

Dabei wird in der Gesundheitswirtschaft ebenfalls nach den drei Arten (i) Produkt-, (ii) Prozess- und (iii) Strukturinnovation unterschieden.113 Neue Arzneimittel oder Medizinprodukte gelten vorrangig als Produktinnovationen, wohingegen Disease-Management-Programme, innova-tive operainnova-tive Verfahren oder Telemonitoring-gestütztes Patientenmanagement durch ihre Veränderungen in den Abläufen als Prozessinnovationen beschrieben werden.114 Strukturin-novationen hingegen schließen grundlegende Veränderungen der Strukturen des Gesund-heitswesens ein, etwa durch neuartige Versorgungsformen der Integrierten Versorgung oder durch systemverändernde Reformen. Diese können wiederum einen direkten Einfluss auf Pro-dukt- und Prozessinnovationen haben, beispielsweise über Veränderungen in den Erstat-tungsregeln.115

110 Vgl. Vahs und Brem 2013, S. 64f.

111 Vgl. Reichelt 2008, S. 48f; Reimers 2009, S. 25ff.

112 Vgl. Henke et al. 2011, S. 13ff.

113 Vgl. Breyer et al. 2013, S. 509.

114 Vgl. Bratan und Wydra 2013, S. 25f.

115 Vgl. Bratan und Wydra 2013, S. 26.

Um dabei eine größtmögliche Akzeptanz zu erreichen, muss eine Innovation derart gestaltet sein, dass die Produkt- oder Prozesseigenschaften und das Nachfragerbedürfnis auf Leistungs-empfängerseite übereinstimmen. Ist dies erfüllt, kann eine Implementierung erfolgreich voll-zogen werden.116 Dabei zeigt sich auf dem Gesundheitsmarkt eine weitere Besonderheit: Pa-tienten haben im Gegensatz zu klassischen Nachfragern eine andere Stellung, da sie ein Pro-dukt oder eine Dienstleistung meist nicht aktiv nachfragen, sondern der Zugang in der Regel über den behandelnden Arzt erfolgt und die Patienten seiner Empfehlungen folgen. Sie sind demnach durch ein reaktives Verhalten charakterisiert und abhängig von der Meinung und Akzeptanz der Leistungserbringer.117 Patienten und Leistungserbringer lassen sich unter die-ser Prämisse in gleicher Weise als Endnutzer der Technologie charakterisieren.118 Die Akzep-tanz auf Seiten der Leistungserbringer ist dabei stark verknüpft mit einer extrinsischen Moti-vation über verschiedenartige Anreize, deren Fehlen eine Integration in den Praxisalltag brem-sen kann.119 Auch die Innovations- und Kooperationsbereitschaft der Leistungserbringer mit den am Versorgungsprozess Beteiligten wirkt sich auf die Akzeptanz aus.120 Fehlt es dabei an wissenschaftlicher Evidenz zum tatsächlichen Nutzen, bringen viele Leistungserbringer diese notwendige Bereitschaft nicht auf und eine Akzeptanz der Innovation bleibt aus.121

Aufgrund der großen Reichweite und des Potentials, medizinische Interventionsmöglichkeiten zu verbessern, gelten der medizinisch-technische Fortschritt und die einhergehenden Innova-tionen allerdings auch als einer der zentralen Kostentreiber im Gesundheitswesen.122Nach der Medikalisierungsthese geht eine älter werdende Bevölkerung mit einer gesteigerten Nachfrage an gesundheitlichen Dienstleistungen einher.123Bezieht man die Theorie der Half-way-Technologien ein, wird deutlich, dass zwar eine erhöhte Anzahl neuer (innovativer) Be-handlungsmethoden zur Verfügung stehen, diese aber Krankheiten vorrangig nicht kausal, sondern lediglich symptomatisch behandeln. Innovationen wirken in diesem Bereich somit vor allem lebensverlängernd, verstärken so die Entwicklung des demographischen Wandels und

116 Vgl. Kollmann 1998, S. 56f.

117 Vgl. Hüsing et al. 2002, S. 230.

118 Vgl. Zippel-Schultz et al. 2013, S. 23.

119 Vgl. ebd., S. 24ff.

120 Vgl. Yi et al. 2006, S. 351.

121 Vgl. Schultz und Lee 2013, S. 72ff.

122 Vgl. Reichelt 2008, S. 46.

123 Vgl. Breyer et al. 2013, S. 564f.

damit auch die im System anfallenden Kosten.Zudem substituieren neue innovative Techno-logien in vielen Fällen bisher angebotene Techniken nicht, sondern werden ergänzend zu die-sen eingesetzt (Add-on-Technologien), was ebenfalls zu kostentreibenden Effekten führt.124 Dem Innovationspotential innerhalb des deutschen Gesundheitswesens und der damit ver-bundenen Hoffnung auf eine bessere Versorgung steht neben der bereits beschriebenen Be-fürchtung einer zusätzlichen Kostenbelastung des Gesundheitssystems durch Innovationen auch die Sorge gegenüber, dass bei neuen Medizintechnik-Produkten oder Medikamenten keine oder nur sehr geringe Mehrwerte für die Patienten bestehen. Es gilt daher, Innovationen differenziert zu betrachten und sie sowohl auf ihren Nutzen als auch auf ihre Kosteneffizienz hin zu untersuchen. Daher sehen Gesundheitssysteme Kontroll- und Entscheidungsprozesse vor, die Innovationen auf ihre Risiken, Wirksamkeit und Kosten überprüfen und die Einfüh-rungsprozesse steuern sollen.125

An dieser Stelle ist hervorzuheben, dass der Gesundheitsmarkt aufgrund des Solidarprinzips ein nur in Teilen marktwirtschaftlich orientiertes Feld ist.Allokationsentscheidungen werden nicht von einzelnen Individuen durch ihre persönlichen Präferenzen und somit marktwirt-schaftlich bestimmt, sondern durch Souveräne kollektiv für die gesamte Gesellschaft.126Da die Menge an Ressourcen limitiert zur Verfügung steht, muss die Bewertung von Innovationen anhand deren medizinischer und ökonomischer Effekte mittels gesundheitsökonomischer Evaluationen erfolgen, um eine Grundlage für zielgerichtete und systemorientierte Allokati-onsentscheidungen zu schaffen.Zur Evidenzgenerierung sollte dabei idealerweise der Nutzen einer Maßnahme deren Kosten gegenübergestellt werden.127Dazu existiert in der ökonomi-schen Evaluationsforschung eine Vielzahl an Methoden, um Evidenz in der Form darzustellen, dass sie der jeweils zugrundeliegenden Frage entsprechend ausgewertet werden kann.128 Bei technologiebezogenen Innovationen gestaltet sich ein Nachweis der Vorteilhaftigkeit ge-genüber der bestehenden Versorgungssituation allerdings als herausfordernd. Aufgrund des dynamischen, durch die Digitalisierung getriebenen Wandels in der Gesundheitswirtschaft

124 Vgl. Oberender et al. 2017, S. 129ff.

125 Vgl. Bandemer et al. 2013, S. 22.

126 Vgl. Damm und Graf von der Schulenburg 2012, S. 504ff.

127 Vgl. Schöffski 2012a, S. 3ff.

128 Vgl. Büscher und Gerber 2010, S. 78ff.

kann die Evaluation neuer Technologien nicht immer mit der fortschreitenden Weiterentwick-lung der einzelnen Produkte Schritt halten. Daher ist es zielführend, die Bewertung einer In-novation Interface-unabhängig vorzunehmen und sich auf die dahinterliegende Verfahrens-weise zu fokussieren.129