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TEIL II: EMPIRISCHE ANALYSE

9. Diskussion und Interpretation der Forschungsergebnisse

9.2 Einordnung der Ergebnisse in den Stand der Wissenschaft

9.2.3 Einordnung der ökonomischen Ergebnisse in den Stand der Wissenschaft

Im Rahmen der ökonomischen Datenanalyse gilt es zuerst, den Effektparameter Tage zuhause und nicht in einer stationären Einrichtung in die vorhandene Studienlage einzuordnen. Dabei zeigen die identifizierten, relevanten Telemonitoring-Studien ein vergleichbares Bild.

Analog zu den Ergebnissen der CardioBBEAT Studie (24,1 verlorene Tage in der IG und 19,1 in der KG), zeigt die TIM-HF Studie von Köhler et al. ebenfalls eine höhere Anzahl an Tagen in einer stationären Einrichtung durch den Einsatz von Telemonitoring auf (16,7 verlorene Tage in der IG und 13,7 in der KG). Auch hier kann diesem Unterschied zwischen beiden Gruppen keine statistische Signifikanz zugrunde gelegt werden.538 Angermann et al. kommen zu

535 Vgl. Chaudhry et al. 2010; Koehler et al. 2011; Angermann et al. 2012; Koehler et al. 2018.

536 Vgl. Chaudhry et al. 2010.

537 Vgl. Koehler et al. 2011; Chaudhry et al. 2010.

538 Vgl. Koehler et al. 2011, S. 1880.

chen Ergebnissen, wenngleich sich in der INH Studie eine Tendenz zugunsten der Interventi-onsgruppe ergibt (16,5 verlorene Tage in der IG und 21,1 in der KG). Ein signifikanter Unter-schied zwischen beiden Gruppen bleibt jedoch auch hier aus.539 Chaudhry et al. kommen nach sechsmonatiger Betrachtung zu einer nahezu identischen Anzahl an Tagen in stationären Ein-richtungen (7,2 verlorene Tage in der IG und 7,0 verlorene Tage in der KG).540

Mit 17,8 Tagen in der Interventionsgruppe und 24,2 Tagen in der Kontrollgruppe ergeben sich einzig in der TIM-HF-II Studie von Köhler et al. deutliche Verbesserungen. Dabei wird ein sig-nifikanter Vorteil des Telemonitorings unterstellt, der sich auf den kombinierten Endpunkt verlorene Tage aufgrund ungeplanter kardiovaskulärer Hospitalisierungen und allgemeiner Todesfälle bezieht. Da dieser Endpunkt neben der Einschränkung auf kardiovaskuläre statio-näre Krankenhausaufenthalte zudem stark von der signifikant geringeren Mortalität in der In-terventionsgruppe getrieben ist, kann im Gegensatz zur CardioBBEAT Studie keine absolute Aussage über die mögliche Verringerung der in einer stationären Einrichtung verbrachten Tage durch die Telemonitoring-Lösung getroffen werden. Eine Aufschlüsselung der insgesamt verlorenen Tage aufgrund eines stationären Aufenthalts erfolgt in TIM-HF II nicht.541

Auch hinsichtlich einer Differenzierung der während des Follow-up Zeitraums aufgetretenen Krankenhausaufenthalte ordnen sich die Ergebnisse der CardioBBEAT Studie mit Inzidenzraten von 1,530 pro Patient in der Interventions- und 1,396 pro Patient in der Kontrollgruppe in den bisherigen Stand der Forschung ein. So ergeben sich in der TIM-HF Studie nach zwölf Monaten vergleichbare Inzidenzraten für einen Krankenhausaufenthalt von 1,373 in der IG und 1,107 in der KG.542 Da sowohl die INH als auch die TELE-HF Studie über ein Follow-up von sechs Mona-ten ausgelegt sind, liegen hier die InzidenzraMona-ten vergleichsweise niedriger. Mit WerMona-ten von 0,338 (IG) und 0,309 (KG) im Rahmen der INH Studie und 0,493 (IG) und 0,474 (KG) im Rahmen der TELE-HF Studie ergeben sich komplementäre Erkenntnisse.543 Ein signifikanter schied ist in keiner der Studien nachweisbar. Dies gilt ebenfalls für die Ergebnisse der

539 Vgl. Angermann et al. 2012, S. 30.

540 Vgl. Chaudhry et al. 2010, S. 2306.

541 Vgl. Koehler et al. 2018, S. 1054.

542 Vgl. Koehler et al. 2011, S. 1878.

543 Vgl. Angermann et al. 2012, S. 30; Chaudhry et al. 2010, S. 2306.

kategorien kardial bzw. kardiovaskulär und bei Krankenhausaufenthalten aus rein Herzinsuf-fizienz-bezogenen Gründen. In der TIM-HF II Studie werden diese Parameter nicht explizit auf-geschlüsselt, sodass hier keine Einordnung möglich ist.

Bei Fokussierung der Kostendaten der CardioBBEAT Studie, fällt eine Einordnung in den Stand der Wissenschaft durch den innovativen Ansatz der Datenerhebung schwer. So werden erst-malig klinische und ökonomische Daten innerhalb der gleichen Studie und die entstandenen Kosten direkt über die einzelnen Krankenkassen der jeweiligen Patienten erhoben. In bisheri-gen Studien basieren veröffentlichte Kostendaten auf Modellierunbisheri-gen und in der Regel auf erst im Nachgang zu ursprünglich rein klinischen Studien durchgeführten Piggy-Back-Evaluati-onen.544

Die Studienlage zu ökonomischen Evaluationen von Telemonitoring-Lösungen im deutschen Versorgungskontext zeigt sich äußerst limitiert. Von den beschriebenen drei großen deut-schen Telemedizin-Studien existiert lediglich für die INH Studie eine Kostenmodellierung.

Auch hier treten analog zu CardioBBEAT höhere Kosten in der Interventionsgruppe auf, wenn-gleich diese keine Signifikanz erreichen. Direkt verwenn-gleichbar mit den Ergebnissen aus CardioB-BEAT ist diese Modellierung allerdings nicht, da sie auf einer abweichenden Datengrundlage und Erhebungsperspektive beruht.545 Auch die Evaluation des „AOK-Curaplan Herz Plus“ Ver-sorgungsprogramms durch Herold et al. weist Einschränkungen hinsichtlich der Vergleichbar-keit mit den hier erhobenen Daten auf. Zwar wurden für diese Analyse ebenfalls Sekundärda-ten verwendet, allerdings wurden PatienSekundärda-ten mit jährlichen KosSekundärda-ten über 100.000 EUR aus der Analyse ausgeschlossen und Kosten für stationäre Aufenthalte, ambulante Kosten sowie Me-dikationskosten auf Beträge von 20.000 EUR, 15.000 EUR sowie 7.000 EUR gedeckelt. Da bei Patienten mit HFrEF im fortgeschrittenen Krankheitsstadium jährliche Kosten von über 100.000 EUR durchaus auftreten können, tragen die Ergebnisse ein Bias-Potential in sich und der positive Effekt des Telemonitorings erscheint eher überschätzt.546 Neben diesen Hemm-nissen können die ökonomischen Ergebnisse auch durch Unterschiede in der Beschaffenheit der Studienpopulation beeinflusst werden. Beispielhalber sei hier die Kosten-Kostenanalyse von Kielblock et al. erwähnt. Diese weist zwar eine signifikante Reduktion der Kosten durch

544 Vgl. Neumann et al. 2015; Herold et al. 2018.

545 Vgl. Neumann et al. 2015, S. 306f.

546 Vgl. Herold et al. 2018, S. 275.

das Telemonitoring um etwa 40 % nach, jedoch wurden einerseits nur stationäre und Medi-kationskosten erhoben, andererseits lag das Alter der untersuchten Patienten in der Kontroll-gruppe mit durchschnittlich 76,5 Jahren um ca. fünf Jahre über dem der Patienten in der In-terventionsgruppe.547 Da Patienten in höheren Altersbändern höhere Kosten verursachen, er-klärt dies die signifikanten Unterschiede in Interventions- und Kontrollgruppe zumindest zum Teil. Zudem fällt der Anteil an weiblichen Patienten in der Kontrollgruppe deutlich größer aus.

Da diese allgemein höhere Hospitalisierungsraten aufweisen als Männer, entstehen hier kau-sal höhere Kosten.548 Somit zeigt sich, dass eine Einordnung der Erkenntnisse aus CardioBBEAT in den nationalen Stand der Wissenschaft nur bedingt möglich ist.

Es bietet sich jedoch an, für eine grundsätzliche Einordnung der Daten auf eine Analyse bun-desweiter Versichertendaten für Patienten mit Herzinsuffizienz von Zugck et al. zurückzugrei-fen, die einen ähnlichen Ansatz zur Kostenermittlung wählen. Sie identifizierten im Jahr 2010 aus einem Versichertenkollektiv von zwei Mio. Versicherten insgesamt 8.690 Patienten mit einer dokumentierten Herzinsuffizienz und errechneten daraus die durchschnittlich pro Jahr verursachten Kosten dieser Patienten. Hier wurden Ausgaben für den stationären und ambu-lanten Bereich sowie für Arzneimittel, Krankengeld und sonstige Leistungen in die Analyse ein-bezogen. Diese lagen mit 12.785 EUR pro Patient pro Jahr auf etwa dem gleichen Niveau wie in der CardioBBEAT-Kontrollgruppe mit 12.800 EUR.549

Bei Einbezug des internationalen Forschungsstandes zeigt sich ein ähnliches Bild wie auf nati-onaler Ebene. Auch hier existieren wenige Studien mit unterschiedlicher Datengrundlage und länderspezifischen Besonderheiten in der Datenerhebung. Henderson et al. und Boyne et al.

etwa verfolgen in ihren Kosten-Effektivitätsanalysen einen ganzheitlichen Ansatz und bezie-hen ähnlich zu CardioBBEAT stationäre, ambulante und Medikationskosten sowie Kosten für Pflege ein.550 Bei genauerer Betrachtung der einzelnen Aspekte der Erhebungen fallen einige Unterschiede auf: So differenzieren beide Studien zwar zwischen ambulanter und stationärer Pflege mit entsprechenden Ausprägungen, wie es auch der Pflegeversorgung in Deutschland entspricht. Allerdings führen insbesondere die ambulanten Pflegekräfte im Rahmen des eng-lischen National Health Service (NHS) Tätigkeiten aus, die in anderen Gesundheitssystemen

547 Vgl. Kielblock et al. 2007, S. 418.

548 Vgl. Meinertz et al. 2018, S. 123f.

549 Vgl. Zugck et al. 2010, S. 636.

550 Vgl. Henderson et al. 2013, 349; Boyne et al. 2013, S. 242.

wie dem deutschen oder dem niederländischen (Boyne et al.) nicht von Pflegekräften erbracht werden, sich jedoch auf die in die Betrachtung einbezogenen Kosten auswirken. So wird im Rahmen der Whole Systems Demonstrator (WSD) Studie von Henderson et al. die ambulante Pflege durch sog. District Nurses ausgeführt. Diese übernehmen neben ihren pflegerischen Tätigkeiten auch ärztliche Leistungen, da das englische System in diesem Bereich stark auf eine enge Verknüpfung der Krankheitsbehandlung und der Pflege ausgelegt ist.551 Sollten die einzelnen erbrachten Tätigkeiten und deren Kosten nicht detailliert herausgearbeitet und transparent dargestellt werden, ist ein Vergleich der Pflegekosten aus anderen Gesundheits-systemen nicht möglich. Trotz der Erfassung gleicher Kostenblöcke fallen diese in den einzel-nen Studien also systembedingt unterschiedlich aus. Zudem berücksichtigen Henderson et al.

weitere Kosten, wie diejenigen für das Telemonitoring-Equipment sowie die damit verbunde-nen personellen Ressourcen, wohingegen diese im Rahmen der CardioBBEAT-Betrachtung o-der bei Boyne et al. fehlen.552 Weitere Analysten wie Pekmezaris et al. etwa fokussieren sich in ihrer Untersuchung lediglich auf die Krankenhauskosten sowie die Kosten für die ambulante Behandlung, wohingegen Soran et al. weitere Kostenbereiche wie Hospizkosten in die Unter-suchung einschließen.553 Es zeigt sich somit ein äußerst differenziertes Bild in den Datengrund-lagen der Kostenerfassung einzelner Studien, sodass eine Einordnung der CardioBBEAT-Ergeb-nisse übergreifend nicht möglich ist.

Die nicht nachgewiesene Kosteneffektivität des Telemonitorings in der CardioBBEAT Studie gliedert sich tendenziell in das bestehende Bild der vorliegenden Literatur ein. So blieb etwa auch in der WSD Studie von Henderson et al. ein Nachweis der Kosteneffektivität einer Tele-monitoring-unterstützten Versorgung aus bzw. konnte eine solche nur mit der Wahrschein-lichkeit von 11 % bei einer Willingness-to-Pay von 30.000 Pfund554 angegeben werden.555 Ein ähnliches Bild ergab sich in der Studie von Boyne et al., die eine Wahrscheinlichkeit von 48 % für eine Kosteneffektivität bei einem Schwellenwert von 50.000 EUR angaben.556 Die Cardio-BBEAT Studie ordnet sich hier entsprechend ein, wobei die Grenzwahrscheinlichkeit von 14,4

% für eine Kosteneffektivität bereits bei 20.000 EUR erreicht wurde. Auch diese Ergebnisse

551 Vgl. Wild 2010, S. 24.

552 Vgl. Henderson et al. 2013, 351f; Boyne et al. 2013, S. 243.

553 Vgl. Pekmezaris et al. 2012, S. 103; Soran et al. 2010, S. 861.

554 Dies wird nach Empfehlungen des NICE als vertretbarer Schwellenwert pro QALY angesehen. Vgl. McCabe et al. 2008, S. 734.

555 Vgl. Henderson et al. 2013, 352.

556 Vgl. Boyne et al. 2013, S. 246.

und Einordnungen sind kritisch zu sehen, da sich sowohl die zugrundeliegenden Kostenarten als auch die Parameter der Nutzenmessung innerhalb der jeweiligen ökonomischen Untersu-chungen teilweise deutlich unterscheiden und nur schwer vergleichbar sind. So weisen Henderson et al. und Boyne et al. als Effektparameter ihrer Kosteneffektivitätsanalysen Qua-lity Adjusted Life Years (QALY) aus, wohingegen in CardioBBEAT die Tage zuhause und nicht in einer stationären Einrichtung hinzugezogen werden.557

Insgesamt fügt sich die CardioBBEAT Studie mit ihrer nicht nachgewiesenen Kosteneffektivität in das heterogene Studienumfeld zu nicht-invasivem Telemonitoring ein. Abschließend ist zu bemerken, dass zwar große Einzelstudien meist keine Nachweise einer Kosteneffektivität er-mitteln, diese in Meta-Analysen und systematischen Reviews jedoch immer wieder angespro-chen werden. So suggerieren Inglis et al. in ihrem Cochrane Review ebenso wie Pandor et al.

in ihrer Evidenzsynthese eine solche positive Kosteneffektivität telemonitorischer Maßnah-men.558 Aufgrund der starken Heterogenität der jeweiligen Studien innerhalb dieser Reviews durch die unterschiedlichen Telemonitoring-Ansätze, die unterschiedliche Kostenerfassung und Perspektive in den Erhebungen, die unterschiedlich gemessenen und definierten End-punkte sowie den teils stark differierenden Studienpopulationen und -größen sind diese Er-kenntnisse jedoch nicht generalisierbar.559 Dies unterstreicht die Wichtigkeit und den Bedarf an gut durchgeführten, randomisiert kontrollierten und ausreichend dokumentierten Studien, um fundierte Schlüsse über innovative Interventionen wie das Telemonitoring bei Patienten mit HFrEF ziehen zu können.