• Keine Ergebnisse gefunden

TEIL II: EMPIRISCHE ANALYSE

9. Diskussion und Interpretation der Forschungsergebnisse

9.2 Einordnung der Ergebnisse in den Stand der Wissenschaft

9.2.2 Einordnung der klinischen Ergebnisse in den Stand der Wissenschaft

Bei genauer Betrachtung der im Zuge der CardioBBEAT Studie erhobenen Mortalitätsraten, zeigt sich, dass diese mit 6,6 % in der Interventions- und 8,2 % in der Kontrollgruppe vergleichs-weise niedrig ausfallen. Angermann et al. ermittelten im Rahmen der INH Studie Mortalitäts-raten von 9,1 % (IG) bzw. 14,4 % (KG) und Chaudhry et al. in der TELE-HF Studie bereits nach einem Follow-up von sechs Monaten auf 11,1 % (IG) bzw. 11,4 % (KG).521 Den Ergebnissen von

521 Vgl. Angermann et al. 2012, S. 30; Chaudhry et al. 2010, S. 2306.

Köhler et al. in der TIM-HF Studie nähern sich die Ergebnisse aus CardioBBEAT etwas mehr an.

Hier wurden Mortalitätsraten von 8,4 % (IG) bzw. 8,7 % (KG) ausgewiesen.522

Diese Abweichungen können einerseits auf die Unterschiede in den Studiensettings und den Telemonitoring-Ansätzen523 zurückzuführen sein, andererseits auf die Zusammensetzung der Studienpopulationen. So wurden etwa in die TELE-HF Studie nur Patienten eingeschlossen, die innerhalb der letzten 30 Tage vor Einschluss einen stationären Aufenthalt aufgrund einer Herz-insuffizienz hatten und daher insgesamt möglicherweise für einen größeren Zeitraum der Stu-dienteilnahme keine leitliniengerechte Einstellung erhielten.524 Sowohl in CardioBBEAT als auch in der TIM-HF Studie war der Zeitraum mit 12 bzw. 24 Monaten vor Einschluss deutlich größer und es zeigte sich in beiden Populationen eine leitliniengetreue medikamentöse Ein-stellung der Patienten. Somit kann in diesen Studien im Gegensatz zur TELE-HF Studie von stabileren Patienten ausgegangen und somit die geringere Mortalität erklärt werden.

Die höhere Mortalitätsrate in der INH Studie kann in der deutlich älteren Studienpopulation und dem früheren Zeitpunkt des Studieneinschlusses (2004-2007) begründet sein. Da sich die medikamentöse Behandlung sowie die grundsätzliche Sterblichkeitsrate bei Patienten mit HFrEF über die Jahre hinweg stetig verbessert haben und bei Patienten in den oberen Alters-bändern im Vergleich zu jüngeren Patienten deutlich höher liegt, kann durch die sechs Jahre frühere Datenerhebung und den höheren Altersdurchschnitt von 69 Jahren von einer grund-sätzlich höheren Mortalität in der INH Studie ausgegangen werden.525

Den Effekt der vergleichsweise jüngeren Studienpopulation in CardioBBEAT bestätigt auch die die TIM-HF II Studie von Köhler et al., die mit Patienten eines Durchschnittsalters von 70,2 Jahren eine deutlich ältere Studienpopulation untersuchte und im Rahmen des 12-monatigen Follow-ups vergleichsweise höhere Mortalitätsraten von 7,9 % in der Interventions- und 11,3

% in der Kontrollgruppe auswies.526 Das Alter erscheint hinsichtlich der Mortalität studien-übergreifend eine zentrale Rolle einzunehmen, da etwa die Patienten der TIM-HF II Studie

522 Vgl. Koehler et al. 2011, S. 1878.

523 RTM: CardioBBEAT; STS: INH und TELE-HF; RTM+STS: TIM-HF + TIM-HF II.

524 Vgl. Chaudhry et al. 2010, S. 2306.

525 Vgl. Roger 2013, S. 646.

526 Vgl. Koehler et al. 2018, S. 1054.

aufgrund einer höheren LVEF stabiler als die Patienten in CardioBBEAT waren und sich den-noch höhere Mortalitätsraten zeigten.

Zudem ergaben sich in TIM-HF II erstmals auch in einer Studie mit hohem Stichprobenumfang signifikante Unterschiede hinsichtlich der Mortalität zugunsten der Intervention.527 Dies kann jedoch dem Effekt der im Vergleich zu CardioBBEAT deutlich umfassenderen Unterstützung und der engmaschigen Betreuung der Interventionsgruppe zuzuschreiben sein.528 Neben den täglich übermittelten Vitalparametern erfolgte in TIM-HF II ein monatlicher Telefonsupport mit umfassendem Patient Assessment und Anpassung der Behandlung, der den Patienten in der Kontrollgruppe verwehrt blieb. Zudem erhielten die Patienten in der Interventionsgruppe Schulungen zu ihrer Erkrankung und bekamen ein eigenes Mobiltelefon, um in Notfallsituati-onen direkt mit der betreuenden Klinik in Kontakt treten zu können. Diese enge Betreuung und die iterative Anpassung der Behandlung im Rahmen der Kooperation zwischen dem tele-medizinischen Zentrum und dem Hausarzt bzw. dem behandelnden Kardiologen, zusammen mit dem Wissen über das richtige Verhalten und die Möglichkeit des direkten Kontaktes in Notfallsituationen, könnte die Sterblichkeitsrate im Vergleich zur Kontrollgruppe systematisch verringert haben.529 Im Rahmen der CardioBBEAT Studie wurde keine derartig enge Betreuung der Studienpopulation vorgenommen, da primär der die Therapie unterstützende und auf Sei-ten der PatienSei-ten die Selbstständigkeit erhöhende Effekt des Telemonitorings untersucht wer-den sollte und nicht ein ganzheitlicher Ansatz zur 24/7-Betreuung durch Studienschwestern mit Vitaldatenerfassung und begleitendem strukturiertem Telefonsupport.

Obwohl die Mortalität in der CardioBBEAT Studie durch die Therapieunterstützung nicht ge-senkt werden konnte, hatte das Telemonitoring einen positiven Effekt auf die gesundheitsbe-zogene Lebensqualität der Teilnehmer. Dieser Effekt wurde ebenfalls sowohl durch den struk-turierten Telefonsupport im Rahmen der INH Studie als auch durch das Device-basierte Tele-monitoring in der TIM-HF Studie beobachtet. So wurden in der INH Studie analog zu CardioB-BEAT Steigerungen der SF-36 Werte sowohl im Rahmen des PCS als auch des MCS erreicht, die in der Interventionsgruppe mit einem Zuwachs von über fünf Punkten (PCS) als relevant ein-zustufen waren. Innerhalb des MCS fielen diese Steigerungen geringer aus.530 Auch in der

527 Vgl. Koehler et al. 2018, S. 1054.

528 Vgl. Bundesärztekammer et al. 2019, S. 127.

529 Vgl. Koehler et al. 2018, S. 1050.

530 Vgl. Angermann et al. 2012, S. 30.

HF Studie zeigten sich im PCS des SF-36 signifikante Verbesserungen der Lebensqualität in der Interventionsgruppe.531 Angaben zu weiteren Daten (wie denen des MCS) wurden nicht publi-ziert, somit kann hier keine Aussage getroffen werden. Gleiches gilt für die Angaben zur Le-bensqualität im Rahmen der TELE-HF Studie.

In der TIM-HF II Studie ließ sich eine solche Verbesserung der Lebensqualität nicht nachwei-sen. Es zeigte sich im Rahmen der krankheitsspezifischen Erhebung der HRQoL in beiden Grup-pen eine Verschlechterung der Lebensqualität über die Studienlaufzeit.532 Diese kann einer-seits in der vergleichsweise älteren Studienpopulation mit einem Durchschnittsalter von 70 Jahren begründet sein. Zum anderen könnten die enge Betreuung und der hochfrequente Kontakt zu den Patienten in der Interventionsgruppe einen gewissen Sättigungsgrad über-schritten haben und sich negativ auswirken. Eine fortschreitende Herzinsuffizienz übt außer-dem großen Einfluss auf die Psyche und das mentale Wohlbefinden der Betroffenen aus. Da Patienten mit einer depressiven Vorerkrankung von der TIM-HF II Studie ausgeschlossen wa-ren, könnte die Ursache für einen Rückgang der Lebensqualität auch in dem geringer vorhan-denen Verbesserungspotential zu Baseline gefunden werden.533

Ob die gesundheitsbezogene Lebensqualität, wie in der Literatur angedeutet534, einen rele-vanten Einfluss auf die Mortalität mit sich bringt, lässt sich abschließend nicht beantworten.

So kann die hohe Lebensqualität der CardioBBEAT Studienpopulation einen Einfluss auf die vergleichsweise niedrige Mortalität nach Follow-up haben und die deutlich angestiegene Le-bensqualität in der Interventionsgruppe der INH Studie ebenso die geringere Mortalität in die-ser bedingen. Letzteres kann analog für die TIM-HF Studie angenommen werden oder gegen-sätzlich für die höheren Mortalitätsraten in der TELE-HF Studie durch die vergleichsweise nied-rigere HRQoL zu Baseline. Allerdings sind diese Aussagen nur unter Vorbehalt getroffener An-nahmen möglich und nicht eindeutig belegbar. Die gesunkene Lebensqualität bei gleichzeitig signifikanter Reduktion der Mortalität in der TIM-HF II Studie liefert zudem konträre Ergeb-nisse, sodass eine endgültige Aussage nicht möglich ist.

531 Vgl. Koehler et al. 2011, S. 1878.

532 In der TIM-HF II Studie wurde zwar auch die generische HRQoL über den EQ5D erhoben, eine Veröffen-tlichung dieser Daten erfolgte jedoch nicht.

533 Vgl. Koehler et al. 2018, S. 1057.

534 Vgl. Belardinelli et al. 1999, S. 1179; Hägglund et al. 2007, S. 208; Rodríguez-Artalejo et al. 2005, S. 1278.

Insgesamt ordnen sich die klinischen Ergebnisse der CardioBBEAT Studie in das heterogene Studienbild von Telemonitoring bei Patienten mit HFrEF ein. Eine Mortalitätsreduktion wird durch die schwerpunktmäßige Device-Therapie zwar nicht erreicht, jedoch zeigt die kontinu-ierliche Überwachung in Kombination mit dem Aufbau von Wissen über die Erkrankung und das erhöhte Sicherheitsgefühl im Falle einer Dekompensation einen positiven Effekt auf die gesundheitsbezogene Lebensqualität der teilnehmenden Patienten. Dennoch sind auch diese Erkenntnisse vor dem Hintergrund zu betrachten, dass die einzelnen Studien schwer mitei-nander zu vergleichen sind, da sich sowohl die untersuchten Studienpopulationen als auch die Telemonitoring-Ansätze, die gewählten Vergleichstherapien und die zur Effektmessung her-angezogenen Parameter teils deutlich unterschieden.535

Aus dem Vergleich der Studien lässt sich schließen, dass nicht jede Form von Telemedizin bei allen Herzinsuffizienzpatienten gleiche Effekte mit sich bringt. So scheint in der TELE-HF Studie im Rahmen des eingesetzten automatisierten Anrufbeantworter-Systems die menschliche Komponente zu fehlen und der ausbleibende Effekt somit zum Teil auf die Interventionsaus-gestaltung zurückzuführen zu sein.536 In der TIM-HF Studie scheint das Patientenkollektiv ei-nen direkten Einfluss auf den Erfolg der Intervention zu haben, da dort zum Großteil stabile und überdurchschnittlich gut medikamentös versorgte Probanden keinen zusätzlichen Nutzen der telemedizinischen Intervention im Vergleich zur Standardtherapie generieren.537