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TEIL II: EMPIRISCHE ANALYSE

9. Diskussion und Interpretation der Forschungsergebnisse

9.5 Kontextuierung der Ergebnisse vor dem Hintergrund digitaler Innovationen

Wie in Kapitel 3.2 dargelegt, werden dem Einsatz digitaler Innovationen große Potentiale zu-geschrieben, die Gesundheitsversorgung in Deutschland nachhaltig zu verändern. Für Patien-ten versprechen sie gesundheitsfördernde Effekte etwa auf der Basis von Lebensstiländerun-gen, einer Steigerung der Patientenautonomie, eines verbesserten Zugangs zu Leistungen o-der einer Stärkung o-der Patientensouveränität sowie o-der Eigenverantwortlichkeit.599 Auf Orga-nisationsebene können sie zu Prozess-, Workflow- oder Qualitätsverbesserungen führen, die sich positiv auf die Wirtschaftlichkeit der Organisation auswirken. Auf Gesundheitssysteme-bene steuern sie durch eine intensivere Koordination der im Versorgungsprozess beteiligten Stakeholder zu einer höheren Versorgungsqualität und damit zu einer Gesundheitsverbesse-rung der Patienten bei.600 Hierbei tragen Produktinnovationen z.B. über eine Neukombination bereits vorhandener Technologien ebenso wie Prozessinnovationen zur Therapieoptimierung bei. Das Telemonitoring gilt als Hybridform zwischen Produkt- und Prozessinnovation, inner-halb dessen sich Technologie und medizinische Dienstleistung zu einer neuen Versorgungs-form ergänzen.601 Um einen Transfer solcher Innovationen in die Regelversorgung zu errei-chen, existieren durch das Sozialgesetzbuch (SGB) V hohe Anforderungen. Damit der G-BA eine Aufnahme in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung empfehlen kann, muss die Innovation einen für den Patienten nachweisbaren Nutzen generieren, eine medizinische Notwendigkeit für den Einsatz der Innovation im Vergleich zu bereits in der Ver-sorgung etablierten Methoden bestehen und sich die Innovation als wirtschaftlich erweisen.

Als zentrales Kriterium gilt dabei der Nutzennachweis nach § 135 SGB V, der eine Erbringung durch hochwertige Studien anhand eindeutig definierter Kriterien (patientenrelevante End-punkte, Ein- und Ausschlusskriterien, etc.) erfordert.

Ein solcher Nutzennachweis wird im Rahmen der CardioBBEAT Studie nicht erbracht. In kei-nem der Outcomeparameter Tage zuhause und nicht in einer stationären Einrichtung, Morta-lität oder allgemeine, (erweitert) kardiale bzw. herzinsuffizienzbedingte Hospitalisierungen lassen sich im Rahmen der Studie durch den Einsatz der Telemonitoring-Lösung Verbesserun-gen erzielen. Lediglich die gesundheitsbezoVerbesserun-gene Lebensqualität kann in der

599 Vgl. Fischer et al. 2016, S. 12; Bradway et al. 2017, e60.

600 Vgl. Bradway et al. 2017, e60.

601 Vgl. Reichelt 2008, S. 35f.

gruppe signifikant gesteigert werden. Eine medizinische Notwendigkeit ist dem Telemonito-ring bei Patienten mit HFrEF daher nur bedingt nachzuweisen. Da sich zudem die medikamen-töse Therapie in den vergangenen Jahren deutlich verbessert zeigt und die Telemonitoring-Lösung therapiebegleitend eingesetzt wird, kann in diesem Zusammenhang nicht von einer Alternativlosigkeit der Behandlung und daher von einem zwingenden Erfordernis für die Inno-vation ausgegangen werden.602 Durch die deutlich höheren Kosten in der Interventionsgruppe bleibt neben dem Nutzennachweis auch der Nachweis einer vorteilhaften Wirtschaftlichkeit der Telemonitoring-Lösung aus. Aufgrund der höheren Kosten und dem unsicheren Nutzen der Intervention kann basierend auf dieser Studie keine Empfehlung auf Erstattung im Rah-men des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenversicherung ausgesprochen werden.

Vor einem abschließenden Urteil muss diese Aussage in ihrem Kontext betrachtet werden.

Zwar handelt es sich bei CardioBBEAT um eine nach nationalen und internationalen Standards hochwertige RCT, jedoch belegt diese nur, dass die Telemonitoring-Lösung in dem untersuch-ten speziellen Setting keine positiven Ergebnisse erzielt. Ähnliche Studien wie die TIM-HF II Studie von Köhler et al. wiesen dem Telemonitoring anhand eines ebenfalls hochwertigen Stu-diendesigns in einem anderen Setting einen Vorteil gegenüber der bisherigen Standardthera-pie nach.603 Die Gegebenheiten im Umfeld, in denen die jeweilige Studie durchgeführt sowie die Studienpopulation, an der die Technologie getestet wird, scheinen also die erzielten Er-gebnisse in einem nicht unerheblichen Maße zu beeinflussen. Darüber hinaus existieren zahl-reiche unterschiedliche Formen des Telemonitorings von invasiv bis nicht-invasiv, von einer automatischen Übertragung der Vitalparameter bis zu einem reinen Telefonsupport oder ei-ner Kombination beider Verfahren. Innovationen dieser wie auch anderer Ausprägungen müs-sen daher weiterhin qualitativ hochwertig evaluiert werden, um identifizieren zu können, in welcher Ausprägung, welchem Setting und bei welcher Studienpopulation sie einen Mehrwert schaffen oder nicht.

Da es sich bei Telemonitoring-Interventionen um komplexe Innovationen und nicht um einen in der Anwendung vergleichsweise leicht handhabbaren Bestandteil wie ein Arzneimittel han-delt, bleibt die Frage bestehen, ob das Studiendesign einer RCT für die Evaluation zielführend

602 Vgl. Pritzbuer et al. 2009, S. 41.

603 Vgl. Koehler et al. 2018, S. 1057.

ist. Durch die immer kürzer werdenden Innovationszyklen sollte eine Evaluation – wenn mög-lich – Interface-neutral erfolgen und sich auf die dahinterliegenden Prozesse fokussiert wer-den. Wie bereits in Kapitel 9.3 herausgearbeitet wurde, entstehen derzeit neue Studiende-signs, die den Besonderheiten digitaler Technologien und Innovationen im Gesundheitswesen besser Rechnung tragen sollen. Ob diese sich auch für eine Evaluation Telemonitoring-gestütz-ter Versorgungsformen bei Patienten mit HFrEF eignen, bleibt zu unTelemonitoring-gestütz-tersuchen.

Im Weiteren berücksichtigt auch die Gesetzgebung die besonderen Bedürfnisse digitaler In-novationen in immer umfassenderer Weise. Die Lockerung des Fernbehandlungsverbots und die damit einhergehende Änderung der Musterberufsordnung der Ärzte stärkt die Telemedi-zin und schafft Akzeptanz für Ausprägungen wie dem Telemonitoring auf Seiten der Ärzte und in einem zweiten Schritt durch deren Funktion als Multiplikatoren auch auf Seiten der Patien-ten.604 Gesetze wie das eHealth-Gesetz, das GKV-Versorgungsstärkungsgesetz oder das Digi-tale Versorgung Gesetz erkennen den Bedarf an digital unterstützter Versorgung und geben konkrete Vorgaben für die Einführung medizinischer Innovationen mit dem primären Ziel ei-nes schnellen Marktzugangs zur Sicherstellung einer qualitativ hochwertigen Versorgung.605 Dabei unterstützen digitale Innovationen wie das Telemonitoring bei geschaffener Interope-rabilität auch im Rahmen des Überleitungsmanagements zwischen stationärer und ambulan-ter Versorgung. Dies kann etwa durch eine Einbindung der Monitoringdaten in das Kranken-hausinformationssystem (KIS) während eines Krankenhausaufenthalts bzw. durch eine eng-maschige Nachbetreuung und Überwachung in deren Nachgang erfolgen.606 Das Telemonito-ring stellt dabei jedoch lediglich eine ergänzende Komponente im Rahmen einer strukturier-ten Versorgung für ausgewählte Patienstrukturier-ten dar und ersetzt nicht den direkstrukturier-ten Kontakt zu Ärz-ten bzw. nicht-ärztlichen Ansprechpartnern.607

604 Vgl. Bundesärztekammer 2018a, 2018b.

605 Vgl. Bundesministerium für Gesundheit 2015a, 2015c, 2019.

606 Vgl. Kuntz et al. 2018, S. 209ff.

607 Vgl. Bundesärztekammer et al. 2019, S. 128.