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3.3 Identität

3.3.3 Das Selbstkonzept nach Haußer

Im Folgenden soll Haußers Theorie des Selbstkonzepts vorgestellt werden, das Identität als situative Erfahrung, übersituative Bearbeitung und motivationale Quelle auffasst (Haußer, 1995, S. 5-67; Haußer, 1986, S. 14-25). Diese Theorie veran-schaulicht im Wesentlichen Aspekte einer Identifizierung, auf die ich in meiner Stu-die achten möchte. Besonders wichtig erscheint mir Haußers Komponente der sub-jektiven Bedeutsamkeit und Betroffenheit, die für eine Identifizierung (auch für eine geschichtsbezogene Identifizierung) sprechen kann und damit eine wichtige Grund-lage für meine Erhebung liefert.

Methodische Grundlage ist eine Befragung Haußers mittels offenem Fragebogen von 94 Berufsschüler*innen und 80 Student*innen. Es geht dabei um die Frage

„Was verstehen Sie unter Identität?“. Die Auswertung geschieht mittels Inhaltsana-lyse (Haußer, 1986, S. 16-17). Zentrales Ergebnis sind die „selbsterfahrenen situati-ven Merkmale eines Menschen und seine von außen feststellbaren Persönlichkeits-merkmale“, die mit Identität verbunden werden. Haußer zieht die Schlussfolgerung, dass „Identität als situative Erfahrung“ und „Identität als übersituative“, das heißt als

„Erfahrungen generalisierende Verarbeitung“ zum Ausdruck kommt (Haußer, 1986, S. 16-17). Damit geht Haußer von einem Identitätsverständnis aus, das sich zwi-schen einer Starre und einem stetigen Wandel befindet (Haußer, 1986, S. 20).

Haußers Theorie des Selbstkonzepts soll noch etwas ausführlicher vorgestellt werden.

Er bezieht sich auf die drei Ebenen Kognitionen, Emotionen und Verhalten, so dass aus der Identität drei Teilbereiche entstehen, nämlich

• der kognitive Teil – das Selbstkonzept

• der emotionale Teil – das Selbstwertgefühl und

• der verhaltensorientierte Teil – die Kontrollüberzeugung

Im Allgemeinen beschreiben Frey und Haußer Identität als einen selbstreflexiven Prozess eines Individuums (1978, S. 21). Dieser Grundannahme möchte ich mich nur zum Teil anschließen: Sicherlich kann das Selbstkonzept dem einzelnen

Indivi-duum zugeordnet werden. Ich möchte mich an dieser Stelle aber Keupp anschlie-ßen, auf dessen Identitätstheorie noch ausführlich eingegangen wird (siehe 3.3.4 Theorie der Patchworkidentität nach Keupp): Er unterstreicht den sozialen Rahmen der Identitätsarbeit und damit den Einfluss äußerer Quellen, auch wenn die Aufgabe am Ende wieder bei der Person selbst liegt zu entscheiden, welche Aspekte bezüg-lich der eigenen Identität zugelassen beziehungsweise aufgegriffen werden.

Identität als situative Erfahrung

Nicht jede Situation und jeder Sachverhalt sind für uns von gleicher Wichtigkeit. Das sagt auch etwas über die Identität aus. Ist ein Sachverhalt für eine Person subjektiv bedeutsam und macht er die Person betroffen, ist er relevant für die Identität der Person. Subjektiv bedeutsam meint dabei die wahrgenommene Wichtigkeit des Sachverhalts (zum Beispiel eines historischen) für die Person auf kognitiver und emotionaler Ebene. Es handelt sich dabei um eine Art Informationsfilter. Betroffen-heitbeschreibt die kognitive Beschäftigung und emotionale Berührtheit/Affiziertheit.

Nur wenn etwas subjektiv bedeutsam ist und betroffen macht, entsteht eine Verbin-dung zwischen dem Selbst und der Außenwelt. Anhand dessen lassen sich dann Kern- und Subidentitäten voneinander unterscheiden (Haußer, 1995, S. 7-11). Die-sen Aspekt greift auch Keupp auf (siehe 3.3.4 Theorie der Patchworkidentität nach Keupp). Es kommt zur Selbstwahrnehmung (kognitive Komponente), Selbstbewer-tung (emotionale Komponente) und personalen Kontrolle (verhaltensorientierte Komponente). Die Selbstwahrnehmung setzt dabei eine Selbstaufmerksamkeit vor-aus und meint eine Untersuchung der situativen Erfahrung auf kognitiver Ebene durch Vergleiche, beispielsweise wie sich die Person selbst aus anderen Situationen heraus kennt (Haußer, 1995, S. 12-15). Die Selbstbewertung dagegen kommt zu ei-nem Urteil, das sich auf soziale oder individuelle Vergleiche stützt (Haußer, 1995, S. 15-17). Die personale Kontrolle meint das Bedürfnis, auf „Gegebenheiten und Er-eignisse der Umwelt Einfluss zu nehmen“ (Haußer, 1995, S. 17), sie erklären, vorher-sagen und beeinflussen zu können (Haußer, 1995, S. 15-21).

Identität als übersituative Beeinflussung

Wird eine situative Erfahrung übersituativ generalisiert, wird aus der Selbstwahrneh-mung das Selbstkonzept, aus der Selbstbewertung das Selbstwertgefühl und aus der personalen Kontrolle die Kontrollüberzeugung.

Das Selbstkonzept besteht aus sämtlichen Erfahrungen des Selbst. Das Selbstwert-gefühl – oder auch Selbstbewertung oder Selbsteinschätzung als neutralere Äquiva-lente (Greve, 2000, S. 203) – meint „Wohlbefinden und Selbstzufriedenheit, Selbst-akzeptierung und Selbstachtung, Erleben von Sinn und Erfüllung, sowie Selbständigkeit und Unabhängigkeit“ (Wells & Marwell, 1976, p. 64). Schließlich ist die Kontrollüberzeugung definiert als „die generalisierte subjektive Erklärbarkeit, Vorhersehbarkeit und Beeinflußbarkeit“ (Haußer, 1995, S. 42).

Übersituative Generalisierungen sind sowohl auf zeitlicher Ebene als auch bezüglich verschiedener Bereiche denkbar. Trotz dieser können im Selbstkonzept aber auch Diskontinuitäten, ökologische Inkonsistenz, Inkonsequenz, Unechtheit,

Austausch-3.3 Identität

barkeit und Ungleichwertigkeit vorkommen. Das Selbstkonzept schafft es auch, Be-ziehungen und Ordnung herzustellen sowie zu kategorisieren (Haußer, 1995, S. 28-34). Auch wenn das Selbstkonzept variabel und veränderbar bleibt, wird es mit den Erfahrungen und Lebensereignissen, die die Person macht, änderungs-resistenter (Haußer, 1995, S. 87).

Identität als motivationale Quelle

Identität ist zwar Folge von einzelnen Erfahrungen und Generalisierungen, aber auch die Bedingung für Motivation und Handlungsimpulse. Es entstehen innere Verpflich-tungen gegenüber einem Sachverhalt, basierend auf einer entsprechenden Haltung und dem entsprechenden Engagement, Selbstansprüche in Form von Bedürfnissen und Interessen sowie Kontrollmotivationen, der Wunsch nach Selbstwertherstellung und Realitätsprüfung. Auf diese Weise werden Ziele definiert. Auch diese müssen kein konsistentes Bild ergeben (Haußer, 1995, S. 47-67).

Zusammenfassend lässt sich festhalten:

Identität läßt sich nunmehr bestimmen als die Einheit aus Selbstkonzept, Selbstwertgefühl und Kontrollüberzeugung eines Menschen, die er aus subjektiv bedeutsamen und betroffen machenden Erfahrungen über Selbstwahrnehmung, Selbstbewertung und personale Kontrolle entwickelt und fortentwickelt und die ihn zur Verwirklichung von Selbstansprüchen, zur Realitätsprüfung und zur Selbstwertherstellung im Verhalten motivieren (Haußer, 1995, S. 66).

In meiner Forschungsarbeit wird es später auch immer wieder um eine „nationale“

Identität gehen (siehe 5.1 „In-Geschichte-verstrickte“ Identifizierung). Auch Haußer kommt darauf zu sprechen, allerdings nicht in Bezug auf die Einwanderungsge-schichte, sondern in Bezug auf die Teilung Deutschlands in Ost- und West-Deutschland. Haußer betont hier eine Unmöglichkeit der Identität als „Deutscher“, auch aufgrund der verschiedenen widersprüchlichen politischen Systeme. Am ehe-sten scheint eine „gesamtdeutsche“ Identifizierung noch durch deutsche Geschich-te und Kultur möglich zu sein. Haußer sieht zwischenmenschliche Verbindungen als wichtige Grundlage für eine „gesamtdeutsche“ Identifizierung an (Haußer, 1986, S. 24).

Wie bereits erwähnt, dient Haußers Identitätstheorie auch meinem eigenen Studien-aufbau und meiner Auswertung und soll auf den geschichtsbezogenen Bereich von Identität bezogen werden. Zentral sind vor allem die subjektive Bedeutsamkeit, die Betroffenheit und Motivation, Emotionen, Kognitionen und Verhalten. Ich stütze mich gewissermaßen bei meiner Erhebung auf Haußers Theorie, um die Aussagen der Befragten filtern zu können und gegebenenfalls einer Identifizierung zuordnen zu können, nämlich dann, wenn sie für den einzelnen subjektiv bedeutsam sind und betroffen machen. Das kann dann wiederum auch für das Geschichtsbewusstsein gelten und soll – auch wenn Haußer selbst nicht davon spricht – auf diesen Bereich übertragen werden, da ich davon ausgehe, dass ähnliche Aspekte, vorrangig vor al-lem die subjektive Bedeutsamkeit und die Betroffenheit auch für ein

Geschichtsbe-wusstsein und eine Geschichtsvermittlung zentral sind. Ausführlicher wird darauf noch eingegangen (siehe 4 Methodisches Vorgehen; 5 Ergebnisse).