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3.3 Identität

3.3.1 Der geschichtsbezogene Identitätsbegriff nach Straub

am deutlichsten auf Geschichte. Sein Identitätsbegriffgeht vor allem auf die Ausfüh-rungen Eriksons ein, der immer wieder von einer psychosozialen Identität spricht, um damit den „Zusammenhang zwischen Identität, Lebensgeschichte und histori-schem Augenblick“ zu unterstreichen (Straub, 1998, S. 74). Erikson prägt damit den Identitätsbegriff sozial- und geschichtstheoretisch (Straub, 1998, S. 74) und betont dabei persönliche Erfahrungen und Krisenerfahrungen, die für die Herstellung von Kontinuität und Kohärenz einer Person wichtig sind. Er formuliert ein „persönlich-keits-, entwicklungspsychologisches und klinisches“ Identitätskonzept (Straub, 1998, S. 75). Straubs geschichtsbezogener Identitätsbegriff versucht den Begriffder Identität auf Eriksons Grundlage weiter zu präzisieren und seinen Anwendungs-bereich sowie inhaltlich-qualitative Aspekte in Abgrenzung zu formal-strukturellen zu definieren. Dabei stellt er insbesondere auch den sozialen Einfluss heraus und unterscheidet zwischen einer personalen und einer kollektiven Identität (Straub, 1998, S. 76-66).

3.3 Identität

Personale Identität

Personale Identität beschreibt Straub als eine Orientierung und Verortung im Ko-ordinatensystem auf physikalischer, leiblicher, sozialer, moralischer und zeitlicher Achse, als Lebens- und Handlungsorientierung. „[N]ur wer sich zu orientieren ver-mag, hat die Empfindung und das Bewußtsein, mehr oder minder mit sich selbst identisch sein zu können.“ (Straub, 1998, S. 86). Dabei ist personale Identität immer

„sozial konstituiert oder vermittelt“ (Straub, 1998, S. 87). Identität basiert auf den Konzepten Kohärenz und Kontinuität und all der „zugrundeliegende[n] Selbstbezüg-lichkeit des Denkens und Handelns“ (Straub, 1998, S. 80), die vor allem bezüglich Form und Struktur, nicht jedoch bezüglich des Inhalts eine interne Stimmigkeit be-schreiben (Straub, 1998, S. 88). Dadurch erlebt sich die Person als kommunika-tions-, handlungs- und interaktionsfähige Person (Straub, 1998, S. 89). Der Inhalt dagegen ist gekennzeichnet durch Unbeständigkeit und Unberechenbarkeit (Straub, 1998, S. 89), Identität ist damit grundsätzlich vorläufig und fragil (Straub, 1998, S. 82), nie etwas, was eine Person ein für alle Male besitzt (Straub, 1998, S. 87-88) und bleibt damit auch veränderbar (Straub, 1998, S. 88). Nur so ist es möglich, den modernen Anforderungen von Kontingenz-, Differenz- und Alteritätserfahrungen ge-recht zu werden (Straub, 1998, S. 83). Somit nimmt sich die Person trotz der Unter-schiedlichkeit als Einheit wahr, ist mit sich selbst über die Zeit und „zeitliche Diffe-renzen“ (Kontinuität) und über „moralische[...] und ästhetische[...] Maximen-systeme[...]“ (Kohärenz) hinweg identisch (Straub, 1998, S. 91). Straub geht von ei-ner „Akzeptanz der Unterschiedlichkeit, Vielfältigkeit, Unbeherrschbarkeit und auch der Ambiguität unserer Erfahrungen (als) eine notwendige Voraussetzung für die Bil-dung und Bewahrung von Identität“ aus (Straub, 1998, S. 94).

Vereinfacht ausgedrückt: Eine Person kann über Jahre und verschiedenste Erlebnis-se und Erfahrungen durch „Kontinuitätsarbeit“ für sich in Anspruch nehmen, ein und dieselbe Person zu sein, zumindest partiell, obwohl sie vielleicht damals anders aussah, anders dachte, fühlte, wollte, handelte, als sie dies heute tut.

In Fällen schwerer Traumatisierungen oder Widerfahrnisse ist diese Kontinuitätsar-beit erheblich erschwert beziehungsweise oft unmöglich.

Identitätsbildende Akte sind meist nachträglich und immer nur vorläufiges Resultat auf der Grundlage kreativer und konstruktiver Prozesse, das unter anderem durch Beschreiben, Argumentieren, Erzählen von Geschichten, Träumen und Gestalten von Objekten zustande kommt (Straub, 1998, S. 93). Das gilt auch für das Ge-schichtsbewusstsein (siehe 3.4 Geschichtsbewusstsein und Funktionen von Ge-schichte und Geschichtsvermittlung). An dieser Stelle soll auf den Exkurs zum His-torischen Erzählen verwiesen werden (siehe 3.5.2 Exkurs „Historisches Erzählen“).

Identität ist somit immer ein Konstrukt (Straub, 1998, S. 95).

Kollektive Identität

Zunächst unterscheidet sich die kollektive Identität von der personalen durch die Leiblichkeit (Straub, 1998, S. 96). Straub wehrt sich gegen den ideologisierten Be-griff der kollektiven Identität als Einheit, der gemeinsame Merkmale von außen zu-geschrieben, wenn nicht gar aufgezwungen werden, die eine für alle verbindliche geschichtliche Kontinuität und Kohärenz herstellt. Diese Verwendung des Begriffs

erachtet Straub als manipulativ, die Differenzen in den Erfahrungen der Einzelnen verleugnet (Straub, 1998, S. 98-101). Straub spricht von einer suggestiven haltlosen Homogenisierung (Straub, 1998, S. 102, S. 104). Er spricht hier von einem normie-renden Typ und unterscheidet diesen von einem rekonstruktiven. Der rekonstruktive Typ beschreibt Selbst- und Weltverständnisse der Betroffenen, die diese für sich selbst für relevant halten, was aber nicht zwangsläufig heißen muss, dass die Per-sonen diese ganz schlicht explizit benennen müssten oder manchmal auch nur könnten (Straub, 1998, S. 99, S. 103). Straub stützt sich dabei auf die Ausführungen Assmanns zum „kulturellen Gedächtnis“ (siehe3.5.3 Assmanns Theorie des „kollek-tiven Gedächtnisses“ und der Aspekt der Erinnerung). Eine kollektive Identität, die immer instabil ist, entsteht durch die Identifizierung der einzelnen Personen, die die-ses Kollektiv bilden (Straub, 1998, S. 102). Instabil ist diese deshalb, weil Erfahrun-gen, ErwartunErfahrun-gen, Werte, Regeln und Orientierungen als auch die Mitgliedschaft der einzelnen Personen zu einem Kollektiv als solche jederzeit veränderbar sind (Straub, 1998, S. 102). Auch kollektive Identität bleibt somit immer ein Konstrukt (Straub, 1998, S. 103). Gemeinsamkeit und damit Einheit herrscht nur „im praktischen Selbst- und Weltverhältnis sowie im Selbst- und Weltverständnis“ vor (Straub, 1998, S. 103). „Angehörige eines Kollektivs teilen ihre soziokulturelle Herkunft und eine bestimmte Tradition, gewisse Handlungs- und Lebensweisen, Orientierungen und Erwartungen, die sie nicht zuletzt eine gemeinsame Zukunft erhoffen oder befürch-ten lassen.“ (Straub, 1998, S. 103-104). Mit der kollektiv bedeutsamen Vergangen-heit kommt das Geschichtsbewusstsein für die eigene Identität ins Spiel (Straub, 1998, S. 92).

Straub macht insbesondere auf die Schwierigkeiten des Identitätsbegriffs in der heutigen Zeit aufmerksam: Differenzierung, Enttraditionalisierung, Pluralisierung, In-dividualisierung, Temporalisierung und Dynamisierung (Straub, 2000, S. 279-301).

An dieser Stelle soll auf ähnliche Aspekte verwiesen werden, die auch Keupp in sei-ner Identitätstheorie aufgreift (siehe 3.3.4 Theorie der Patchworkidentität nach Keupp).

Straubs Ausführungen zur Identität erscheinen mir wichtig, weil sie die Verbindung zwischen Identität und Geschichtsbewusstsein herzustellen schaffen (siehe3.4 Ge-schichtsbewusstsein und Funktionen von Geschichte und Geschichtsvermittlung).

Ich möchte mich insbesondere auf die Aspekte der Kontinuität und Kohärenz bezie-hen, die mir bei meinen Befragten durch den Migrationshintergrund eine besondere Rolle zu spielen scheinen. Den sozialen Aspekt der Vermittlung von Identität beziehe ich in meiner Studie vor allem auf die intrafamiliäre Tradierung und auf die Vermitt-lung durch die Schule als eine Institution der Gesellschaft. Ich möchte mich an die Ausführungen Straubs anlehnen, was die besonderen Anforderungen an die Identität der Moderne betrifft. Der Wichtigkeit der Rekonstruktion, vor allem der Betroffenen des entsprechenden Kollektivs, versuche ich durch meine wissenschaftliche Analy-se/durch die Interview- und Gruppendiskussionsführungen gerecht zu werden.

3.3 Identität