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3.3 Identität

3.3.7 Eine Studie von Götz zum Thema „Deutsche“ Identitäten

Identitäten

Götz befasst sich 2011 mit dem Thema „deutsche“ Identitäten. Geschichtliche Er-eignisse wie der Zweite Weltkrieg, vor allem aber die Zeit nach dem Weltkrieg mit der Teilung Deutschlands und der Wiedervereinigung, stehen im Zentrum des Inte-resses und das damit in Verbindung stehende neu erarbeitete Nationalbewusstsein.

Außerdem wird Deutschland als Migrationsgesellschaft betrachtet. Auch geschicht-liche Ereignisse wie der islamistische Terroranschlag des 11. September werden angeführt (Götz, 2011, S. 18-20, S. 22, S. 128-129).

Zur „deutschen“ Identität kann in einem Migrationsland wie Deutschland auch die/

der „türkische“ Einwander*in/Einwanderer zählen, sowohl in der Fremd- als auch in der Eigenperspektive. Götz spricht von einer multiethnischen Gesellschaft: „Wer beim Aufbau des Landes mitmacht, gehört dazu.“ (Götz, 2011, S. 14). Außerdem kann die Identifizierung der Menschen der Mehrheitsgesellschaft wiederum rückwir-ken auf die Menschen der Minderheitsgesellschaft: Wie positioniert sich ein „Deut-scher“ und was bedeutet das für die Identität der Migrant*in/des Migranten (Meche-ril, 2013, S. 24)? Huntington formuliert 1997: „Wir wissen, wer wir sind, wenn wir wissen wer wir nicht sind und gegen was wir sind“ (S. 21) oder mit Uslucans Wor-ten: Wer über die Fremden spricht, spricht auch über sich selbst (2011, S. 3).

Ähnlich wie die Theorie von Keupp berücksichtigt auch Götz den Wandel der Ge-sellschaft, Individualisierungs- und Globalisierungsprozesse sowie die Europäisie-rung bei der Frage nach Identität und betont das Gefühl von Kohärenz und Zugehö-rigkeit trotz des Wandels, betont Vielfalt trotz Einheit. Götz legt dabei besonderen Wert auf die Heterogenität des Begriffs der „deutschen“ Identität (Götz, 2011, S. 20, S. 27, S. 33, S. 69, S. 196, S. 210, S. 332).

Götz führt dazu zwischen 1990 und 2001 eine Studie (Erhebung von 1996 bis 1999) in Form von biographischen Interviews mit 55 Teilnehmer*innen durch, auch mit Be-kannten, politischen Ereignis- und Diskursanalysen und teilnehmenden Beobach-tungen (zum Beispiel von Jubiläumsfeiern und anderen Festivalisierungen des Na-tionalen), untersucht den medialen Umgang und erstellt biographische Einzelpor-träts (Götz, 2011, S. 19-21, S. 23, S. 254, S. 324). Die Interviews mit Bekannten bringen zwar organisatorische Vorteile mit sich und fördern eine non-direktive Ge-sprächsführung, bergen aber auch die Gefahr von Übertragungen und Projektionen (Götz, 2011, S. 260-261). Götz‘ Anliegen ist es, „deutsche“ Identitäten auf ihre indi-viduellen und kollektiven Formen der Aneignung und Tradierung im Alltag hin zu un-tersuchen (Götz, 2011, S. 37). Identität sieht sie dabei als Selbst- und Gruppenbil-der sowie Selbst- und Fremdzuschreibungen (Götz, 2011, S. 77). Die Daten werden

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meist im Team, zum Teil auch in einem multikulturellen Team ausgewertet, was ei-nen weiteren Blick auf das was „typisch deutsch“ sein könnte, ermöglicht (Götz, 2011, S. 262, S. 271). Umgekehrt kann es auch recht aufschlussreich sein, wenn sich eine „deutsche“/ein „deutscher“ Interviewer*in mit einer/einem „deutschen“ In-terviewten über das „Deutschsein“ unterhält (Götz, 2011, S. 273).

Götz betont in ihren Ergebnissen vor allem die Heterogenität des Umgangs mit der Frage nach der „deutschen“ Identität, auch oder gerade weil der Wandel der Zeit zunehmend von Unsicherheit und Unübersichtlichkeit und davon ausgelösten Ho-mogenisierungs- und Ordnungsbemühungen bestimmt wird (Götz, 2011, S. 21, S. 47-48). Des Weiteren beschreibt Götz den oftmals kritischen Umgang der „Deut-schen“ mit der „deut„Deut-schen“ Identität und eine Gefühlsambivalenz. Sie stellt aber klar heraus, dass trotz der vor allem auch geschichtlich geprägten Hemmungen ein klares Nationalbewusstsein im Alltag durchaus zu beobachten ist (Götz, 2011, S. 40, S. 48, S. 266-269, S. 289). Die „deutsche“ Identität kann zum Beispiel eine gemeinsame Sprache, Literatur oder nationale Symbole (wie die Flagge) ausma-chen. Auch Kleidung, Essen sowie die wirtschaftliche Leistungskraft und Leistungen in Sport und Technik gehören dazu. Generell lassen sich kognitive, affektive und normative Dimensionen ausmachen, ähnlich wie dies auch Haußer beschreibt (Götz, 2011, S. 79-80). Wichtig ist dabei anzumerken, dass nationale Äußerungen nicht zwangsläufig Bekenntnisse nationaler Identifizierung sein müssen (Götz, 2011, S. 76). Außerdem beschreibt Götz eine Identifizierung auf verschiedenen Ebenen, nämlich neben einer nationalen, eine übergeordnete europäische und eine unterge-ordnete regionale Identifizierung (Götz, 2011, S. 108). Diese wird auch in meinen Forschungsergebnissen auftreten. Eine europäische Identifizierung wird zum Teil auch als Lösung aus dem nationalen Dilemma angesehen (Kaya, 2009, p. 395). Eine Nationsbildung dient dabei der Abgrenzung und damit auch einer Stärkung nach außen und einer Homogenisierung nach innen (Götz, 2011, S. 111-112) (siehe3.3.5 Theorie der sozialen Identität nach Tajfel und Turner).

Auch zum Thema Deutschland als Migrationsgesellschaft trifft Götz auf der Basis ih-rer Erhebung einige Aussagen. So wird Deutschland zum Teil als sogenannte „Leit-kultur“3verstanden, die auch Migrant*innen Orientierung und Motivation zur Assimi-lation liefern soll (Götz, 2011, S. 129), was gleichzeitig aber den Migrant*innen eine nur minderwertige Stellung einräumt (Götz, 2011, S. 343). Auch auf den Wandel der Zeit, sei es durch Veränderungen des Staatsbürgerschaftsgesetzes und des Zuwan-derungsgesetzes oder durch die Zunahme von Asylbewerber*innen durch entspre-chende weltpolitische Ereignisse wird eingegangen. Immer wieder werden Auslän-der*innen zu Sündenböcken, als Fremd- zum Feindbild, was zu einer Aufwertung der „deutschen“ Mehrheitsgesellschaft beiträgt (Götz, 2011, S. 145). Kulturelle Differenzen und Kulturalisierungen sozialer Unterschiede nehmen zu (Götz, 2011, S. 146).

3. Der Begriffder „Leitkultur“ stammt von Stefan Dietrich (aus der Frankfurter Allgemeine Zeitung, 25.10.2000, „Die Inländerfrage“), aus der sogenannten „Leitkultur“-Debatte, 2000, die der damalige CDU-Fraktionschef Friedrich Merz mit seiner Forderung nach verbindlichen Leitwerten ausgelöst hatte.

Ausführlich geht Götz auf die Veränderungen des Staatsbürgerschaftsgesetzes ein, die an die recht aktuellen Debatten um die doppelte Staatsbürgerschaft erinnern.

So gab es auch 1999 Uneinigkeit bezüglich dieses Themas, sowohl in der Bevölke-rung als auch in der Politik (Götz, 2011, S. 223-225). ErleichteBevölke-rung der EinbürgeBevölke-rung sollte durch aufgeweichte Kriterien, zum Beispiel verkürzte Verweildauern in Deutschland, erreicht werden oder durch den automatischen Anspruch, auf deut-sche Staatsbürgerschaft für in Deutschland geborenen Kinder ausländideut-scher Eltern (Götz, 2011, S. 226). Viele Fragen blieben aber weiterhin offen: Was bedeutet es ge-nau, „Deutsche/Deutscher“ zu sein? Unter welchen Umständen kann man „Deut-sche/Deutscher“ sein? Und was bedeutet Integration? Wird eine soziale Gleichstel-lung oder eine kulturelle Anpassung an die „Leitkultur“ gefordert (Götz, 2011, S. 228)? Welches Erbe können und müssen Einwanderer teilen? Wie sollten sie mit dem Holocaust umgehen? Wie können Migrant*innen ihr Eigenes integrieren? Worin besteht das gemeinsame Erbe (Götz, 2011, S. 344)? Allein der Begriff der Gastar-beiter*innen zeigt zwei verschiedene Ebenen und gerade keine Gleichwertigkeit zwi-schen Mitgliedern der Mehrheits- und der Minderheitsgesellschaft (Götz, 2011, S. 246). Vor allem „Türk*innen“ werden oft zur Zielscheibe von Fremdenfeindlichkeit:

Zum einen kann das an der großen Zahl „türkischer“ Mitbürger*innen liegen, zum anderen an der „Fremdheit“, die unter anderem der Islam oder das Kopftuch mit sich bringen. Auch dieser Ansatz geht fälschlicherweise wieder von einer homoge-nen Gruppe der „Türk*inhomoge-nen“ aus (Götz, 2011, S. 247). Auch der 11. September hat noch einmal zur Verschärfung des negativen Fremdenbildes, weniger aber des „tür-kischen“ als mehr des „arabischen“ und vor allem des „islamischen“ beigetragen (Götz, 2011, S. 343).

Götz formuliert aus ihrer Untersuchung heraus verschiedene Thesen, die mit dem Thema Migrationsgesellschaft zusammenhängen (2011, S. 149). Einige sollen hier kurz aufgegriffen werden:

• Wer positive Selbstbilder hat, kann auch positive Einstellungen gegenüber Fremden besitzen.

• Eine nationale Identifizierung erschwert das Zusammenleben mit Fremden, weil die Individualität durch das Nationalstaatliche verloren geht.

• Die Abwertung Fremder kann zur Aufwertung des Eigenen führen, vor allem bei einer schwachen individuellen oder nationalen Identität.

• Es kann zu einer Projektion von negativen Eigenschaften auf eine fremde Gruppe kommen.

• Eine nationale Identität ist nur dann negativ, wenn sie politisch instrumenta-lisiert wird.

• Die deutsche Geschichte spricht gegen eine erneute Entwicklung von Frem-denfeindlichkeit aus einem Nationalbewusstsein heraus.

• Eine Auflösung kollektiver Zugehörigkeiten führt dazu, dass sich alle fremder werden und sich damit Probleme mit zugewanderten Fremden wiederum relativieren.

• Nationale Identifizierungen, in denen kollektive und räumliche Abgrenzungen zusammenfallen, fördern territoriale Verletzungsgefühle (Götz, 2011, S. 148).

3.3 Identität

Kritisch erwähnt werden soll zum einen das bereits erwähnte methodische Vorge-hen, vor allem die Befragung von Bekannten, was die Ergebnisse deutlich verzerren könnte und nur schwer vergleichbar mit anderen Befragten sein dürfte. Die vielfa-chen Zugänge bezüglich der Erhebung, vor allem das Aufsuvielfa-chen realer und damit unverfälschter Lebenssituationen (damit in Verbindung stehen auch Gegenstände, die eine Identifizierung anzeigen, was auch ich in meiner Arbeit nutze) sind positiv anzumerken und bringen sicherlich Vorteile gegenüber wissenschaftlich provozier-ten Erhebungssituationen. Götz bezieht sich thematisch konzentrierter als ich dies tun werde auf die Geschichte des Zweiten Weltkriegs und die Zeit der Wiederverei-nigung Deutschlands. Generell bleiben die von Götz formulierten Thesen recht all-gemein. Einige könnten zum Beispiel auch mit der Theorie der sozialen Identität er-klärt werden (siehe 3.3.5 Theorie der sozialen Identität nach Tajfel und Turner).

Götz geht ähnlich wie auch ich von einem Wandel der Gesellschaft aus und berück-sichtigt dabei insbesondere Deutschland als Migrationsgesellschaft. Inhaltlich for-muliert Götz relevante Aspekte für die „deutsche“ Identität. Von einem Gesamtkon-zept der „deutschen“ Identität kann aber nicht die Rede sein. Generell geht Götz bei der Thesenbildung wertend vor. Insgesamt betrachtet sie zwar eine ähnliche Frage wie ich in meiner Studie, nämlich die Frage nach Identifizierungen, sie versucht aber die „deutsche“ Identität zu erfassen und deren Grenzen abzustecken. Ich werde in meiner Arbeit anders an den Untersuchungsgegenstand herangehen und mich kon-kret auf die Identifizierungen türkischstämmiger Bürger*innen in Deutschland bezie-hen. Vor allem die auch bei Götz beschriebenen Selbst- und Fremdzuschreibungen sollen auch bei mir aufgegriffen werden. In jedem Fall unterstreicht Götz den Aspekt des Migrationshintergrundes und der Nationalität bei der Frage nach der Identität.

Darauf werde auch ich in meiner empirischen Studie ausführlich eingehen und Iden-titäten erfassen, die mit dem Migrationshintergrund und der Nationalität in Verbin-dung stehen. Weitere Ausführungen folgen noch im methodologischen Teil und bei der Datenauswertung (siehe 4 Methodisches Vorgehen; 5 Ergebnisse).

3.3.8 Meyer-Hammes Studie zum Thema Identität im Kontext