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Schulleitungshandeln- Aushandlungsprozess zwischen Stabilität und Innovation

Typ 5: Pragmatische Berufsauffassung Berufsauffassungen bezogen auf

6.2 Schulleitungshandeln- Aushandlungsprozess zwischen Stabilität und Innovation

Forderungen, dass sich Schule entwickeln müsse, begleiten diese Organi-sation von Anfang an. Es wurde und wird immer wieder auf die Notwen-digkeit von Reformen, Innovationen, Lernen von Schule und Schulentwick-lung hingewiesen. Seit den 80er Jahren wird der Begriff „Schulentwick-lung“ hierfür verwendet, weil verstärkt von der Ebene der Einzelschule als Ausgangspunkt jeglicher Veränderung ausgegangen wird. Es fand ein Wechsel statt von Gesamtlösungsstrategien hin zu innerschulischen klei-neren befristeten Vorhaben in den Schulen selbst. Dabei ist der Begriff Schulentwicklung offen, es geht um angestrebte Veränderungen, die den Schulen eine Vielfalt von Entwicklungen unter vorgegebenen äußeren Rahmenbedingungen frei stellt. Im Zusammenhang mit dieser Verschie-bung gerieten die Schulleitungen bzw. die Schulleiterinnen und Schulleiter in den Fokus der Schulforschung. Es wird konstatiert, dass Schulleitung bei allen Entwicklungsbemühungen eine Schlüsselrolle zukommt, die Schulleiterinnen und Schulleiter gelten als zentrale Instanz für Schulre-formprozesse, ja, dass es gar gerechtfertigt sei, von einer Reformgröße zu sprechen.239

239 Vgl. Holtappels 2005, 85.

Typ 1:

Professionelle Berufsauffassung

Typ 3:

Programmatische Berufauffassung

Typ 2:

Resignative Berufsauffassung

Herr Bach

Diskrepanz zwischen ideellen Absichten und Alltagshandeln

Frau Schmidt

Blockierung der Alltagspraxis durch nor-mative Berufsvorstellungen

Herr Müller

Selbstreflexive Auseinandersetzung mit dem Wirkungszusammenhang Schule

Herr Krause

Externalisierung von Problemen der Alltagpraxis

Typ 4:

Skeptische Berufsauffassung

Herr Johann

Orientierung am Nützlichen und Machbaren Typ 5:

Pragmatische Berufsauffassung

Die Ergebnisse dieser Studie legen dies nicht nahe, hierfür können unter-schiedliche Gründe genannt werden. Zum einen bestehen nach Auffas-sung der hier befragten niedersächsischen Schulleiterinnen und Schullei-ter sich widersprechende Anforderungen, nämlich die Aufforderung zur Einzelschulentwicklung und die gleichzeitige geforderte äußere Strukturre-form. Beides zieht eine Zunahme der Arbeitsaufgaben nach sich, wobei die Arbeitsbedingungen und Handlungsspielräume teilweise ungeklärt bleiben. Den Schulen und damit den Schulleiterinnen und Schulleitern wurde durch eine äußere Strukturreform die Auflösung der Orientierungs-stufe in Niedersachsen zum Schuljahr 2004/2005, also die Verantwortung für eine gravierende Umstrukturierung ihrer bestehenden Schulen, über-tragen.

Die Ergebnisse dieser Studie müssen auch vor dem Hintergrund dieser Herausforderung gedeutet werden. Organisationale Einflussfaktoren, die die Folge von politischen Entscheidungen waren, erforderten eine kom-plette Umstrukturierung der Einzelschule. Dies zog veränderte Arbeitsbe-dingungen und die Neuzusammensetzung des Personals nach sich. Viel-leicht ist dies ein Grund dafür, dass die befragten Schulleiterinnen und Schulleiter in ihren Aussagen relativ wenig Bezug nehmen auf Schulent-wicklungsaufgaben, da die äußere Strukturveränderungen zunächst um-gesetzt werden müssen und dann einer inneren Stabilisierung bedürfen.

Ein weiterer Grund dafür, dass Schulleiterinnen und Schulleiter die Schlüsselrolle innerhalb von Schulentwicklungsprozessen nicht einneh-men können, liegt darin, dass ein Merkmal der Berufsauffassung aller hier Befragten ist, dass ihnen die Aufgabe zukommt, Konflikte mit Kolleginnen und Kollegen, den anderen Schulleitungsmitgliedern und der Schulbehör-de auszutragen und sie daher vielfach nicht in Harmonie und Überein-stimmung mit den Mitgliedern ihrer Organisation stehen können. Gerade aber die Schulentwicklungsprogrammatiken zielen auf Konsens, Harmo-nie, Bewältigung gemeinsamer Aufgaben als Leitideen des pädagogi-schen Handelns. Visionen und Ziele allein können den Weg nicht aufzei-gen, denn schulischer Wandel erfordert eine permanente Neuausrichtung und durchaus differente Entwicklungsrichtungen. Die einzelschulspezifi-sche Organisationsstruktur ist dabei von exogenen Faktoren abhängig, wie z.B. gewandelten Bildungsorientierungen oder auch ganz konkret der Lehrerzuweisung, der Schulausstattung und den unterschiedlichen Ziel-vorstellungen von Lehrkräften. Vieles davon entzieht sich der Kontrolle und Lenkung der Schulleiterinnen und Schulleiter.

Nicht nur die zeitliche Arbeitsbelastung, das so genannte Alltagsgeschäft, schränkt die Schulleiterinnen und Schulleiter in ihrer Teilnahme an konkrten Entwicklungsprozessen und konzeptioneller Arbeit ein, es scheint e-benso von Bedeutung bei der Ausübung ihrer Tätigkeit zu sein, gerade den Anspruch an Schulentwicklung und die Selbstansprüche an ihre eige-nen Berufsaufgaben stärker an Wirkrealitäten als an Programmzielen aus-zurichten. Die Zielsetzungen müssen ausgehandelt werden mit den unter-schiedlichen Interessengruppen der Schule, unter Berücksichtigung der vorhandenen Ressourcen und den schulübergreifenden Bildungsorientie-rungen, dabei gilt es abzuwägen zwischen Innovation und Stabilität.

So hemmt der Berufsauffassungstyp 2 – resignative Berufsauffassung - die Prozesse der Schulentwicklung, denn individuelle Orientierungen ste-hen im Gegensatz zu Erfordernissen des Handlungskontextes, in einem solchen Fall wird Schulentwicklung blockiert. Dies konnte das Beispiel von Herrn Bach zeigen. Eine zu starke Fokussierung auf eine Zielvorstellung- hier die konkrete Unterrichtsentwicklung- verkennt die Komplexität der ge-gebenen Arbeitssituation. In dem Kollegium von Herrn Bach wäre zu-nächst ein diskursiver Verständigungsprozess notwendig, den er als Schulleiter aufgrund einer Verhaltensblockierung aber nicht initiiert. Herr Bach gerät mit seiner Berufsauffassung in einen selbstwidersprüchlichen Konflikt, auf der einen Seite er als Pädagoge und auf der anderen Seite er als Schulleiter. Dieses Beispiel zeigt eindrücklich, dass Schulentwicklung auch davon abhängig ist, in welcher „Entwicklungsphase“ sich die jeweili-ge Schule befindet.

Im Unterschied zum Typ 2 führt beim Berufsauffassungstyp 3 - program-matische Berufsauffassung - die zu starke Orientierung an normativen Vorgaben und Überzeugungen zu kontraproduktiven Handlungsorientie-rungen der Akteure, die eher zur Konsolidierung des bestehenden Hand-lungskontextes führen als zur Veränderung. Am Beispiel von Frau Schmidt ließ sich zeigen, dass sie sich zwar an Veränderungen orientiert und sich dabei in ihrer Berufsauffassung auf ein Leitbild des Berufes bezieht, wel-ches die Aufgabe der Qualitätsentwicklung hervorhebt. Weil sie aber den vorgefundenen Gesamthandlungskontext in ihrer Handlungsorientierung nicht berücksichtigen kann, gelingt es ihr dennoch nicht, sich von ideellen Anforderungen zu lösen und konkrete Folgerungen für die vorgefundene Praxis daraus abzuleiten. Sie möchte vielmehr als eine Art „Einzelkämpfe-rin“ Schulentwicklungsprozesse vorgeben und nicht dazu anregen. Frau Schmidt fehlt die nötige Unterstützung im Leitungsteam und damit letzt-endlich im Kollegium, um Veränderungen im Sinne der Schule zu imple-mentieren.

Im Berufsauffassungstyp 4 – skeptische Berufsauffassung - ergibt sich aus der Berufserfahrung eine Diskrepanz zwischen eigener Vorstellung und beruflich vorgefundener Realität, was zu einer kritischen und abwehren-den Haltung gegenüber Veränderungsprozessen von Schule führt.

Am Beispiel von Herrn Krause lässt sich zeigen, dass die Hervorhebung der Übermacht der hierarchischen Organisation, die Betonung unzulängli-cher Rahmenbedingungen und das Beklagen mangelnder Ressourcen dazu führen, dass in der eigenen Berufsauffassung die Wirksamkeit von Gestaltungsprozessen der Schule radikal in Frage gestellt wird.

Im Gegensatz zum Typ 4 steht der Berufsauffassungstyp 5- pragmatische Berufsauffassung - Veränderungsprozessen gelassen gegenüber und die Akteure schätzen ihren eigenen Gestaltungsspielraum als hinreichend groß ein. Die positive Einstellung gegenüber der eigenen Schule führt da-zu, dass eher stabilisierende als verändernde Handlungsorientierungen vorliegen. Das Beispiel von Herrn Johann zeigt, dass er seine Berufsauf-fassung entlang langjähriger Erfahrungen ausgeformt hat und es ihm zu gelingen scheint, pragmatisch abzuwägen, was für seine Schule notwen-dig und gleichzeitig machbar ist. In seiner Berufsauffassung spielt die

Be-ratungsfunktion eine wichtige Rolle, da er erkannt hat, dass Kolleginnen und Kollegen, die die Schule voranbringen wollen, vor allem nach Bera-tung und BegleiBera-tung verlangen. Dabei betrachtet Herr Johann „Schulent-wicklung“ aus der Innensicht seiner Schule und begegnet äußeren Ein-flüssen routiniert. Herr Johann ist zunächst darum bemüht, den „guten Stand“ seiner Schule zu stabilisieren und innerschulische Prozesse zu regulieren.

Bei dem Berufsauffassungstyp 5 bestehen auf den ersten Blick große Ähnlichkeiten mit dem Berufsauffassungstyp 1- professionelle Berufsauf-fassung - , gerade aber im Hinblick auf die Bedeutung der Schulentwick-lung, die im Rahmen der Analyse dem Organisationsverständnis zugeord-net worden ist, zeigen sich Unterschiede hinsichtlich der Handlungsorien-tierung. Die Berufsauffassung des Typs I ist durch eine reflektierende kon-struktive Aushandlung von Schulentwicklungsprozessen gekennzeichnet.

Wenn auch die Handlungsorientierung an Veränderung ausgerichtet ist, so werden ebenso Widersprüche und Hindernisse dieser Veränderung wahrgenommen und kritisch analysiert, es wird zwischen Innovation und Stabilität im Sinne der Schule als Ganzes ausbalanciert. Am Beispiel von Herrn Müller konnte dieser reflektierende Umgang mit den vorhandenen Strukturen gezeigt werden. Herr Müller nutzt sein flexibles Handlungsre-pertoire und agiert auf allen Ebenen des Handlungskontextes Schule. Zu-dem hat er unterschiedliche Interessengruppen ebenso im Blick wie struk-turelle Bedingungen und Bedürfnisse der Organisation Schule.

Herr Müller unterstützt Kolleginnen und Kollegen, die sich um die Gestal-tung und Veränderung der Schule bemühen, er schafft und sichert för-dernde Arbeits- und Beziehungsstrukturen und überträgt Verantwortung für Weiterentwicklung.

Gerade auf die Veränderung und Weiterentwicklung von Schule - dies le-gen die Ergebnisse dieser Studie nahe – hat Einfluss, wie die Akteure/

Akteurinnen mit den strukturellen Bedingungen der Organisation Schule umgehen. Insgesamt muss für die hier untersuchte Gruppe von Schulleite-rinnen und Schulleitern konstatiert werden, dass die Alltagspraxis vor-nehmlich von Aufgaben bestimmt ist, die außerhalb von Maßnahmen der Schulentwicklung liegen. Die Sicherung von personellen und materiellen Ressourcen, der Umgang mit täglich auftretenden Konflikten sowie die Erledigung administrativer Aufgaben nehmen einen zunehmend großen Raum im alltäglichen Handeln ein. Dennoch beurteilen die hier befragten Schulleiterinnen und Schulleiter Schulentwicklung positiv, sie schätzen aber aus genannten Gründen ihre eigene Wirksamkeit als eher gering ein.

Die Schulleiterinnen und Schulleiter können Kolleginnen und Kollegen an-regen, sich auf Prozesse der Schulentwicklung einzulassen. So weit wie es ihr Handlungsspielraum zulässt, können sie flexible Organisationsbe-dingungen schaffen, die es Kollegien ermöglichen, Neues auszuprobieren und gegebenenfalls schulintern einzusetzen, insofern steuern und initiie-ren Schulleiterinnen und Schulleiter Schulentwicklung, aber sie erscheinen im Kontext dieser Untersuchung nicht als der Motor dieser Entwicklungen.

6.3 Das Spannungsverhältnis zwischen Programmatiken