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Erhebung leitfadengestützter problemzentrierter Interviews mit Experten

4. Eigene Untersuchung

4.4 Leitfadengestützte qualitative Interviews mit Schulleiterinnen und Schulleitern- methodisches Vorgehen bei der

4.4.3 Erhebung leitfadengestützter problemzentrierter Interviews mit Experten

Im Rahmen meines Forschungsinteresses habe ich Schulleiterinnen und Schulleiter als Experten im Handlungsfeld Schule bestimmt und ausge-wählt. In der vorliegenden Studie bestand nun die methodische Schwierig-keit darin, dass die Akteure als Experten betrachtet werden und so zu-nächst von einem leitfadengestützten Experteninterview ausgegangen wurde. Bereits die Interviews im Pre-Test, aber auch erste Interviews im Feld, verdeutlichten Probleme, denn das Interview brachte viel stärker als zunächst angenommen die Person des Interviewten in den Vordergrund, und die starke Orientierung an den Themen des Leitfadens erschwerte eine größtmögliche Offenheit und Flexibilität, die aber gerade qualitative

205 Vgl. Bogner/ Menz 2002, 486.

Interviews ausmachen. Die Auswertungstechnik von Experteninterviews richtet sich jedoch vor allem auf die Analyse und den Vergleich der Inhalte des Expertenwissens, nicht auf die subjektive Problemsicht.206 Aus den dargelegten Gründen wurde von dem ursprünglichen Ansatz der leitfa-dengestützten Experteninterviews tendenziell abgewichen, stattdessen fand eine Annäherung an problemzentrierte Interviews statt.

Da in der Untersuchung die Berufsauffassung von Schulleiterinnen und Schulleitern, ihre Handlungsorientierung bei der Berufsausübung sowie die Verarbeitung von Erfahrungen im Berufskontext untersucht werden soll, wählte ich einen methodischen Weg, der der subjektiven Problem-sicht Raum gibt. Das Erkenntnisziel, nämlich die Erfassung einer subjekti-ven - Problemsicht - einer Berufsauffassung, stimmen mit der Absicht der

„Problemzentrierten Interviews“ überein. Des Weiteren ergeben sich auch Parallelen in der Gesprächshaltung, wie sie von Witzel (2000) für das problemzentrierte Interview beschrieben wurden, denn es geht im Inter-view darum, möglichst viel „hervorzulocken“ an konkreten Erfahrungen, an Sichtweisen, an Wirklichkeitsausschnitten der Akteure.207 Im Rahmen der hier geführten Interviews wird der in einen Funktionskontext eingebundene Akteur betrachtet, die Berufsrolle und das berufsbezogene Handeln ste-hen im Vordergrund. Es liegt ein enger Expertenbegriff zugrunde, denn das Interview zielt auf den Wissensvorsprung, der aus einer besonderen beruflichen Position resultiert.208 Der Experte wird als Repräsentant einer Organisation angesprochen, der Interviewbereich bezieht sich auf diesen Wirklichkeitsausschnitt. Das Expertenwissen ist dabei nicht einfach ab-fragbar, sondern muss aus den Äußerungen der Experten rekonstruiert und interpretiert werden.209

Die Interviews fokussieren kontextbezogen die berufliche Orientierung der Schulleiterinnen und Schulleiter, das Forschungsinteresse richtet sich auf die Berufsauffassung, die sich von den Akteuren bei der Bewältigung der zunehmend komplexer werdenden Anforderungen herausbildet. Im Rah-men dieser Forschung ist von besonderem Interesse, wie Schulleiterinnen und Schulleiter aus ihrer Position heraus Führung im Kontext Schule beur-teilen, wie sie mit konstitutiven Widersprüchen der Organisation umgehen und welche Bedeutung die veränderten Berufsaufgaben für die eigene Berufsrolle haben. Drei Grundpositionen bestimmten das problemzentrier-te Inproblemzentrier-terview:210

Problemzentrierung: Orientierung an gesellschaftlich relevanten Problemstellungen. Die Interviewer nutzen die objektiven Rahmen-bedingungen der untersuchten Orientierungen und Handlungen, um die Explikation der Interviewten verstehend nachzuvollziehen und am Problem orientiert Fragen zu stellen.

Gegenstandsorientierung: Dem Gegenstand der Untersuchung soll flexibel gegenüber getreten werden, d.h., das problemzentrierte Interview stellt das wichtigste Element der Untersuchung dar, es

206 Vgl. Flick 2002,141.

207 Vgl. Witzel 2000, 2.

208 Vgl. Bohnsack 2003, 57.

209 Ebd. 58.

210 Vgl. Witzel 2000.

wird aber darauf verwiesen, dass es sinnvoll sein kann, der For-schungsthematik mit einer Methodenkombination zu begegnen. So lässt sich das Interview auch mit einem standardisierten Fragebo-gen zur Lösung von Stichprobenproblemen und zur Kombination der mit unterschiedlichen Verfahren gewonnenen Ergebnisse ver-binden.

Prozessorientierung: Dies bezieht sich auf den Forschungsablauf und auf die Vorinterpretation. Ziel der Interviews ist es, dass der Befragte vertrauensvoll und offen über eigene Orientierungen und Handlungen spricht, dazu ist es notwendig, sensibel und akzeptie-rend den Kommunikationsprozess wähakzeptie-rend des Interviews zu steu-ern. Die Befragten sollen sich ernst genommen und akzeptiert füh-len, um zu einer Selbstreflexion motiviert zu werden. Nur so können widersprüchliche Handlungsanforderungen, Entscheidungsdilem-mata und Interessenwidersprüche zum Ausdruck gebracht wer-den.211

Im Sinne der Offenheit der Fragestellung wird im Interview das Zuhören mit Nachfragen ergänzt, die interviewende Person nimmt eine aktiv-stimulierende Rolle ein. Das Interview kann gelingen, wenn die Untersu-chung bei der Expertin/ dem Experten Neugierde erzeugt und sich die Be-fragten als Akteure des Interviews verstehen, die für wissenschaftliche Zwecke Auskunft über ihren Berufsalltag geben. Das Interview soll eine Reflexion des eigenen Berufes initiieren, dabei können insbesondere Er-zählpassagen, in denen sich die befragte Person ausführlich über die sub-jektive Problemsicht äußert, von Bedeutung sein und sich als Schlüssel-stellen für die Rekonstruktion einer Berufsauffassung erweisen.

Als Erhebungsinstrument hat sich ein leitfadengestütztes Interview be-währt, dies wird einem thematisch begrenzten Erkenntnisinteresse ge-recht. Der Leitfaden sollte aber lediglich als Gesprächsstruktur genutzt werden und dem Experten ausreichend Möglichkeit geben, ausführlich und offen zu sprechen und Erläuterungen abzugeben.

In dem hier dargelegten Sinne kann das Problemzentrierte Interview ei-nerseits der befragten Person ein großes Maß an Selbstgestaltung ein-räumen und damit dem Anspruch der Offenheit gerecht werden, anderer-seits eine Orientierung an - aus der Sicht der Forscherin - relevanten Themen gewährleisten. Witzel (2000) bezeichnet diese Ausgewogenheit als ein induktiv-deduktives Wechselverhältnis, um das sich der Erkennt-nisgewinn im Forschungsprozess organisiert.212 Dies beinhaltet auch, dass das unvermeidbare theoretische Vorwissen offen zu legen und als heuristisch-analytischer Rahmen für Frageideen zwischen Interviewer und Befragten anzuerkennen ist. Die Erkenntnisse des bisherigen For-schungsprozesses (standardisierte Befragung, Auseinandersetzung mit Theorien) finden als sensibilisierendes Konzept Eingang sowohl in die Er-hebung als auch in die Auswertung. Gleichzeitig wird das Prinzip der Of-fenheit realisiert, indem die eigenen Relevanzsetzungen des untersuchten Subjekts insbesondere durch Erzählphasen angeregt und zugelassen wer-den.213

211 Ebd., 3.

212 Vgl. Witzel 2000.

213 Vgl. Witzel 2000, 2.

4.4.3.1 Leitfaden und Durchführung der Interviews

Die Eingangsfrage des Leitfadens soll einerseits das Thema Führungsper-son im Kontext Schule fokussieren, andererseits Raum für freies Erzählen lassen, um eigene Schwerpunktsetzungen zuzulassen. Das Interesse gilt eher den Prozessabläufen, also wie die Befragten ihre berufliche Situation einschätzen, wie sie ihr eigenes Handeln erläutern und welche Berufauf-fassung sie entwickelt haben. Darüber hinaus sind Frageideen zu den ein-zelnen Themenbereichen vorformuliert. Wichtig ist aber, dass dem Inter-viewten zu jeder Zeit die größtmögliche Offenheit eingeräumt wird, ohne dabei die Orientierung am Erkenntnisinteresse zu verlieren.214

Der Gesprächsrahmen wurde bereits durch die Teilnahme an der vorher-gegangenen standardisierten Befragung vorgegeben und durch den Leit-faden strukturiert, dabei wurde den Befragten ermöglicht, unerwartete Themen zu jeder Zeit zu äußern. So konnten das Wissen und die Erfah-rung der Schulleiterinnen und Schulleiter umfassend in das Interview ein-fließen.

Der Einstieg in die Interviews wurde jeweils über eine Frage zu Situatio-nen im Berufsalltag, in deSituatio-nen Fähigkeiten als Führungsperson gefordert sind, gegeben. „Erzählen Sie Situationen aus Ihrem Alltagsgeschäft, in denen Sie sich besonders als Führungsperson gefordert fühlen“. Die rela-tiv allgemeine Frage lässt eine eigene Richtung der Schulleiterinnen und Schulleiter zu und erlaubt den Befragten ausführlich über ihre Tätigkeit zu sprechen. Dennoch wird ein Fokus auf die eigene Berufsrolle als „Füh-rungsperson“ gesetzt, um eine allgemeine Beschreibung der alltäglichen Aufgaben zu vermeiden, sondern vielmehr die Reflexion der eigenen Position in den Mittelpunkt zu rücken.

Den Abschluss eines jeden Interviews bildete die Frage: „Haben wir nach Ihrer Einschätzung etwas Wichtiges vergessen?“

Der Leitfaden gibt zwar Themenaspekte mit vorgeschlagenen Fragen vor, ob die Fragen allerdings alle in der vorgegebenen Reihenfolge gestellt werden, hängt von der Interviewsituation und den Antworten der Befragten ab. Es kann sein, dass die Befragten bereits auf Aspekte einer weiteren Frage eingehen, in diesen Fällen wurde dem offenen Gespräch der Vor-rang gelassen. Die inhaltlichen Bereiche und Fragen des Leitfadens sind im Folgenden aufgeführt:

Erfolg und Misserfolg

Gibt es Situationen, von denen Sie sagen, das hat auf die Leitung bezo-gen gut geklappt oder nicht gut geklappt?

Praxis der Entscheidungsfindung

Wie und von wem werden an ihrer Schule Entscheidungen getroffen?

Bewertung der eigenen Position

Welche Initiativen von Ihrer Seite waren in der Rückschau erfolgreich?

Welche selbst gesetzten Ziele haben Sie als Führungsperson erreicht?

Wie würden Sie Ihre Stellung im Gesamtkollegium beschreiben?

214 Vgl. Witzel 2000, 5.

Belastungserleben

Könnten Sie Situationen schildern, von denen Sie meinen, dass es sich für Schulleiterinnen und Schulleiter um besonders anstrengende Situationen handelt?

Wie gehen Sie als Schulleiter/ Schulleiterin mit den immer knapper wer-denden Ressourcen um?

Bedeutung der Schulentwicklung und des veränderten Aufgabenspekt-rums

Haben Schulentwicklungsprozesse in Niedersachsen zu einer Verände-rung ihres eigenen Rollenverständnisses geführt? (Schulentwicklung; Un-terrichtsentwicklung)

Wie beurteilen Sie den Trend, den Schulleitungen mehr Aufgaben zu übertragen? (Personalkostenbudgetierung).

Zukunftspläne

Was haben Sie sich für die Zukunft Ihrer Schule vorgenommen?

Eine spezifische Sondierung findet dort statt, wo sich aufgrund des vorher erworbenen Wissens (theoriegeleitet) oder des aus dem Interview selbst erworbenen ´Wissens` Frageideen ergeben haben. Ebenso werden Äuße-rungen der Befragten zurückgespiegelt, um ihnen die Möglichkeit zu ge-ben ihre eigene Sichtweise zu behaupten und vertiefend zu reflektieren, dabei dürfen aber keine Rechtfertigungen provoziert werden.

Im Vordergrund der Kommunikationsstrategie steht das Ziel, eine Vertrau-ensbasis herzustellen, die es den Interviewten erlaubt, sich zu öffnen und möglichst authentisch ihre Sichtweise und ihr Erleben im Beruf zu artikulie-ren, sozusagen „Preiszugeben“. Die Gesprächshaltung innerhalb der In-terviewführung orientiert sich an den Grundsätzen der von Witzel (2000) für das problemzentrierte Interview vorgeschlagenen Vorgehensweise.215 In der Interviewsituation selbst werden weder die Gesamtkonzeption noch die theoretischen Überlegungen einer Berufsauffassung thematisiert, so dass die Befragten in ihrer Aufmerksamkeit nicht gelenkt wurden. Aller-dings wussten sie natürlich, worum es thematisch geht, dies allein schon deshalb, weil alle Interviewten auch den standardisierten Fragebogen be-antwortet hatten. Mit dem Einsatz des Leitfadens wurde versucht, eine vergleichbare Struktur für das Gespräch zu geben.

Bereits durch die Erhebung der ersten Interviews wurde deutlich, dass die Person der Schulleiterin/ des Schulleiters sehr viel stärker als zunächst angenommen den thematischen Verlauf der Interviews bestimmte. In den ersten Interviews versuchte ich dennoch, mich streng am Interviewleitfa-den zu orientieren, was zu einer Dialogstruktur der Gespräche führte. Erst mit zunehmender Bewusstheit über den Gewinn gerade der offenen Pas-sagen ließ ich diese zu, so dass es sich um problemzentrierte Interviews handelte. Aus diesem Sample der später geführten Interviews habe ich das auszuwertende Interviewmaterial ausgewählt.

215 Vgl. Witzel 2000.

4.4.3.2 Die qualitative Stichprobe

Der Fragebogen wurde gemeinsam mit einem Anschreiben, in dem um die Bereitschaft zu einem Interview gebeten wurde, versandt. Die Bereit-schaftserklärung wurde mit gesonderter Post an die Universität gesandt (vgl. Anlage 2). Insgesamt haben sich 56 Schulleiterinnen und Schulleiter (40 Gym/ 6 KGS/10 IGS) bereit erklärt, mit mir ein Interview zu führen.

Eine Auswahl der Interviewten aus diesen 56 Personen habe ich entspre-chend nach Verhältnis zu den Beteiligten der Fragebogenuntersuchung vorgenommen, d.h. anteilsmäßige gleiche Verteilung der Schulformen, Berücksichtigung von Frauen und Männern, sowohl ländliche als auch städtische Schule wurden ausgewählt und sowohl größere als auch kleine-re Schulstandorte berücksichtigt.

Die Stichprobengröße wurde aus pragmatischen Überlegungen auf die Durchführung von 20 Interviews beschränkt.

Stichprobe in Niedersachsen

20

Gymnasium KGS IGS Summe

weiblich städtisch ländlich

2 1

2 1 5

1

männlich städtisch ländlich

6 5

2 1

8 6

Summe 14 2 4 20

Tabelle 2: Realisierte qualitative Interviews

Die 20 Interviews wurden im Frühjahr 2004 durchgeführt, alle Interviews wurden in gesamter Länge aufgenommen. Ort der Befragung war das Dienstzimmer der Schulleiterin bzw. des Schulleiters. Ein Zeitlimit wurde nicht gesetzt; im Durchschnitt dauerten die Gespräche ca. 60-100 Minu-ten. Alle Interviews wurden von mir selbst als Einzelinterviews durchge-führt. Im Anschluss an die Erhebung wurden die Interviews wortgetreu transkribiert und für weitere computerunterstützte Analyseschritte aufberei-tet. Aufgrund der dargelegten methodischen Probleme Experten- bzw.

Problemzentrierte Interviews wurden lediglich die Interviews aus dem Sample zu weiteren Auswertung herangezogen, die dem Anspruch eines problemzentrierten Interviews gerecht werden konnten. Des Weiteren konnte ein Interview aufgrund von technischen Mängeln nicht transkribiert werden und ein weiteres fiel heraus, da ich den Befragten persönlich kannte, was sich erst vor Ort herausstellte. Insgesamt lag so ein Sample von 15 Interviews vor.