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Den Wechsel vom Lehr- zum Schulleitungsberuf betrachtet Storath (1995).

Er führt eine Fragebogenerhebung und zwölf problemzentrierte Interviews mit neu ernannten Schulleiterinnen und Schulleitern der Volks- und Son-derschule in Bayern durch. Storath geht von der Annahme aus, dass sich

47 Neulinger 1991, 354.

insbesondere Schulleiterinnen und Schulleiter in der Anfangsphase ihres Berufes durch fehlende Vorbereitung und unzureichende Qualifizierung einem „Praxisschock“ ausgesetzt fühlen.

Anhand der Fragen zum beruflichen Werdegang kann gezeigt werden, dass Schulleiterinnen und Schulleiter vor ihrem Amtsantritt eine Funkti-onsstelle inne hatten, zum Teil langjährig in der stellvertretenden Schullei-tung tätig waren und sie daher ihre jetzige Tätigkeit in der Rückschau er-wartungsgemäß beurteilen. Die erlebten Belastungen hatten die befragten Schulleiterinnen und Schulleiter von vornherein realistisch eingeschätzt.

Belastung drückt sich vor allen Dingen in der zeitlichen Dimension aus, 96,3% geben an, dass sie sich zeitlich stark eingespannt fühlen.48

Während seine quantitativen Daten die Annahme eines „Praxisschocks“

nicht unbedingt bestätigen, zeigen die qualitativen Daten, dass die befrag-ten Schulleiterinnen und Schulleiter auf eine Diskrepanz zwischen Erwar-tung und Realität hinweisen. So berichten einige der Befragten von Schwierigkeiten bei der Umsetzung von Innovationen und geben Beispiele von „frustrierenden Erlebnissen“ mit Kollegen. Insgesamt sieht Storath (1995) seine Hypothese des Praxisschocks bestätigt. „Die Ist-Soll- Diskre-panz muss gerade zu Beginn der Tätigkeit besonders schmerzhaft erlebt werden, wenn idealistisch-euphorische Aufgeschlossenheit, die hohe In-novationsbereitschaft in Kollision gerät mit nicht einkalkulierbaren perso-nalen und /oder sachlich-organisatorischen Widerständen.“49 Als Konse-quenz fordert er eine bessere Qualifizierung, zum Beispiel in Form von Führungsseminaren und kollegialer Praxisberatung.

Die Untersuchungsgruppe ist für mich zwar nicht von Interesse, da er sich auf eine andere Schulform und ausschließlich auf neu ernannte Schulleite-rinnen und Schulleiter bezieht, da das Thema „Praxisschock“ aber evtl. in meinen Interviews angesprochen wird, werde ich es als Problem im Blick behalten.

Unter sozialisationstheoretischer Perspektive und organisationstheoreti-schen Überlegungen untersuchte Wissinger (1996) in Bayern mittels eines standardisierten Fragebogens das Selbstverständnis von Schulleiterinnen und Schulleitern unter der Perspektive des Führungshandelns. Die quanti-tative Stichprobe ist schulformübergreifend ausgerichtet und umfasst Aus-sagen von 198 Schulleiterinnen und Schulleitern.

Wissinger (1995) setzt sich ausführlich mit der angloamerikanischen Schuleffektivitäts- und Schulqualitätsforschung auseinander und proble-matisiert den Einfluss von Schulleiterinnen und Schulleitern auf den Erfolg der Schulen. Die hohen Erwartungen, die an Schulleitungen gestellt wer-den würwer-den, können nach Wissingers Meinung durch die Voraussetzun-gen des Leitungshandelns nicht erfüllt werden.50

Das Schulleitungshandeln wird von Wissinger als ein Wechselspiel zwi-schen „individuellem Lernprozess“ und Prozessen des „Organisations-Lernens“ verstanden. Wie bereits in anderen Untersuchungen verweist auch Wissinger unter dem Gesichtspunkt der Schulentwicklung auf die

48 Vgl. Storath 1995, 185.

49 Storath 1995, 215

50 Vgl. Wissinger 1996, 11.

strukturell problematische Doppelrolle der Schulleiterinnen und Schulleiter, da sie auf Denk- und Verhaltensmuster zurückgreifen würden, die sie als Lehrerin/ Lehrer erworben hätten und diese Rollenidentität im Widerspruch zu den Anforderungen eines modernen Führungsverständnisses als Schulleiterin/ als Schulleiter stehe.51

Wissinger fordert eine Trennung zwischen schulischem Lehrberuf und schulischem Leitungsberuf und verlangt eine unterschiedliche Qualifizie-rung. Dabei geht er davon aus, dass die Organisationsentwicklung die be-stimmende Zielgröße für das Handeln von Schulleiterinnen und Schulleiter sein muss.52 Die berufliche Sozialisation im Kontext der Organisation Schule wird unter der Fragestellung des eigenen Rollenverständnisses untersucht. Inhaltlich werden Fragen zum Rollenverständnis, zum Berufs-wahlmotiv, zu Arbeitsbedingungen, zu Aufgaben und zum Führungsver-halten gestellt.

Wissinger konstatiert innerhalb seiner Ergebnisdarstellung, dass es mög-lich ist, trotz der Schulformunterschiede von einer relativ homogenen Gruppe der Schulleiterinnen und Schulleiter zu sprechen.53 Unter dem Fokus des vollzogenen Rollenwechsels von der Lehrkraft zur Schulleite-rin/zum Schulleiter interpretiert er die Ergebnisse als Bestätigung seiner Hypothese und hält fest, dass das Führungsverständnis und –verhalten persönlich, emotional und auf individuelle Zuwendung ausgelegt ist und dass Schulleiterinnen und Schulleitern auf ihre Rollenidentität als Lehre-rin/als Lehrer zurückgreifen. Er weist kritisch darauf hin, dass Schulleite-rinnen und Schulleiter eher auf der Individualebene handeln würden als auf der Systemebene und fordert einen Perspektivenwechsel, indem das eigene Selbstverständnis reflektiert werde und Schulleiterinnen und Schul-leiter bereit sein sollten, ihre Rolle neu zu definieren. Die SchulSchul-leiterin/der Schulleiter hätte aufgrund der Gesamtverantwortung für die schulische Handlungseinheit die Aufgabe, sowohl personen- als auch systembezo-gene Maßnahmen zur Entwicklung ihrer/seiner Schule umzusetzen.54 Wissinger bezieht sich vornehmlich auf den strukturell bedingten Rollen-konflikt der Schulleiterin/ des Schulleiters und fasst zusammen: „Die vor-liegende Arbeit hat am Beispiel zu illustrieren versucht, dass von der Schulleitungsfunktion und –rolle unter Berücksichtigung bestehender Ar-beitsbedingungen, eines spezifischen Rollenverständnisses, spezifischer Führungsvorstellungen sowie einer unzureichenden Qualifikation zum ge-genwärtigen Zeitpunkt keine Impulse für die Entwicklung der Schule als Organisation und als je spezifische, kontextgebundene Handlungseinheit erwartet werden können.“55 Die Entwicklung der Schule hängt seiner Mnung nach davon ab, ob es Schulleiterinnen und Schulleitern gelingt, ei-nen Rollenwechsel vorzunehmen. Sein Verständnis von Schulleitungs-handeln ist eingebettet in die Ansätze der Organisationsentwicklung, da-her betont er die Managementfunktion der Schulleiterinnen und Schullei-ter.

51 Ebd., 75.

52 Ebd., 187.

53 Ebd., 155.

54 Vgl. Wissinger 1996, 182.

55 Wissinger 1996, 173.

Interessant ist dieses Ergebnis im Hinblick auf meine Untersuchung, da sich in den letzen Jahren in Niedersachsen das Aufgabenspektrum für Schulleiterinnen und Schulleiter vornehmlich im Bereich der aktiven Schulentwicklung erweitert hat.

2.2.4 Handlungsdimensionen von Schulleiterinnen u. Schulleitern Bonsen/Iglhaut/Pfeiffer (1999)56 vom Dortmunder Institut für Schulentwick-lung untersuchen im Rahmen eines Schulprojektes HandSchulentwick-lungsdimensio- Handlungsdimensio-nen von SchulleiterinHandlungsdimensio-nen und Schulleitern. In einer qualitativen Interview-studie in zwei benachbarten Kleinstädten in Niedersachsen wurden mit 20 Schulleiterinnen und Schulleitern (18 Männer/2 Frauen) aller Schulformen Interviews geführt.

Das Forschungsinteresse gilt den Handlungsdimensionen und Hand-lungsstrategien. Die Leitfaden-Interviews werden nach thematischen Segmenten geordnet, im Vordergrund stehen Tätigkeitsfelder.

Auf der Basis ihres Materials arbeiten die Autoren heraus, dass das Han-deln von Schulleiterinnen und Schulleitern stark davon geprägt ist, situati-onsbezogenen Anforderungen gerecht zu werden. Das Haupttätigkeitsfeld sind Gespräche mit verschiedenen Akteuren der Schule. Auf die Frage nach Kernkompetenzen werden daher auch Kommunikations- und Kon-fliktfähigkeit von der Mehrheit der Befragten genannt.

Diese eigene Einschätzung der Schulleiterinnen und Schulleiter ist für meine Forschungsfrage bedeutsam, weil gerade die nicht planbaren Kommunikationssituationen meiner Einschätzung nach sehr viel Raum in der täglichen Arbeit einnehmen und zu Belastungen führen können.

Im Bereich Unterrichtstätigkeit sehen sich die Befragten als Unterrichtende und die Mehrheit der Untersuchten geben an, dass sie nach ihrem Selbst-verständnis gerne Lehrer und Pädagogen seien.57

Die zeitlich höchste Beanspruchung erfahren die Schulleiterinnen und Schulleiter durch die Verwaltung und die Organisation der Schule.

Als wichtiges Element ihrer Tätigkeit schätzen die Untersuchten ihre eige-ne Präsenz und Erreichbarkeit in der Schule ein. Diese Einschätzung wird ergänzt durch die zurückhaltende Beantwortung der Frage nach Delegati-on. Einerseits wird es als wichtig eingestuft, Aufgaben an andere Mitglie-der Mitglie-der Schulleitung zu delegieren, anMitglie-dererseits wird in dem Zusammen-hang aber auf die letztendliche Verantwortung des Schulleiters/ der Schul-leiterin hingewiesen.

Widersprüchliche Anforderungen werden von den Befragten als hinderli-che Bedingung für das eigene Führungshandeln herausgestellt. „Nicht er-staunlich ist die weitgehend geteilte Meinung, dass eine gute Ausstattung mit Personal und Material eine hilfreiche und günstige Rahmenbedingung darstellt und umgekehrt. Dagegen wird die große Menge und Unübersicht-lichkeit (bis zur teilweisen WidersprüchUnübersicht-lichkeit) der Anforderungen an

56 Vgl. Bonsen/Iglhaut/Pfeiffer 1999. Die Ergebnisse dieses Forschungsprojektes greifen die Autoren in Ihrer Untersuchung von 2002 erneut auf und erweitern dort ihre For-schungsperspektive durch organisationstheoretische Überlegungen.

57 Bonsen et al 1999, 22.

Schule und Schulleitung als erschwerende Bedingung für erfolgreiches Schulleitungshandeln herausgestellt.“58

Bonsen/Iglhaut/Pfeiffer liefern durch ihre Befragung wichtige Hinweise zu den Handlungsdimensionen von Schulleiterinnen und Schulleitern. Die Vielschichtigkeit des Handelns und die situationsabhängige, auch auf den Ablauf des Schuljahres bezogene erfahrene Tätigkeit werden herausge-stellt. Insbesondere die zusammenfassende Analyse verweist auf das Spannungsfeld der Akteure zwischen Rahmenbedingungen und eigenen Handlungsdimensionen.