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3. Theoretische Grundlagen

3.3.1 Professionstheoretische Vorüberlegungen

In der Literatur wird die Frage, was die Merkmale einer Profession seien, nicht einheitlich beantwortet, es lassen sich grob zwei Phasen der Theo-riebildung unterscheiden. In der ersten Phase bis Ende der 80er Jahre stehen Professionskonzepte, die anhand von Merkmalskatalogen die Be-sonderheit bestimmter Berufe zu beschreiben versuchen. Hier dienen vor allen Dingen die so genannten klassischen Professionen (Ärzte, Juristen) als Folie für die Beschreibung. Von diesem Professionskonzept ausge-hend gehören zu den Merkmalen einer Profession systematisches Wis-sen, ein Berufsethos, welches am Allgemeinwohl orientiert ist, und eine gewisse Unabhängigkeit gegenüber der von außen vorgenommenen Be-urteilung.139

Gegenüber diesen an den Kriterien des Berufs orientierten Definitionen bezieht sich die neuere Debatte seit Beginn der 90 er Jahre stärker auf die spezifischen Aufgaben und die Bearbeitung gesellschaftlicher Probleme durch die Professionen. Diese aus der interaktionistischen und struktur-theoretischen Theoriebildung entwickelten Ansätze setzen unterschiedli-che Schwerpunkte, weisen aber eine Vielzahl von Übereinstimmungen auf. Der Akzent der interaktionistischen Theoriebildung liegt auf konkreten Arbeitsabläufen innerhalb professioneller Handlungsbereiche, also mit den Handlungsleistungen der an der Interaktion beteiligten Personen. Hinge-gen betont die strukturfunktionalistische Theoriebildung das Expertenwis-sen des Professionellen und unterstreicht die gemeinschaftliche Funktion der Professionen als Mechanismen der sozialen Kontrolle, so wäre zum Beispiel im Fall des Lehrberufes abzuwägen zwischen Lern- und Entwick-lungsprozessen des Individuums und den traditionellen Erwartungsmus-tern der gesellschaftlichen Anforderungen.140

138 Vgl. Baumgartner e.a 1996, 63ff.

139 Vgl. Tenorth 1989, 537.

140 Vgl. Schütze 1996, 185-186. Bei den folgenden Ausführungen ist zu beachten, dass Schütze seine Überlegungen aus dem Kontext der Sozialarbeit erläutert, daher spricht er

Schütze referiert folgende Bestimmungsmerkmale als typisch für Professi-onen:141

1. Professionen ist von der Gesellschaft ein Mandat zur Bearbeitung eines Problembereichs übertragen worden.

2. Eine Profession hat einen Wissensvorsprung (aus ihrer Fachwis-senschaft), der in einer akademischen Ausbildung erlernt und in seiner praktischen Anwendung eingeübt werden muss. Die Profes-sion trifft zur Problembearbeitung Arbeitsvereinbarungen, die ge-genseitige Kompetenzzuschreibungen und Vertrauensvorschüsse voraussetzt.

3. Die Profession hat Handlungs- und Problembearbeitungsverfahren, die sie im gesellschaftlichen Auftrag anwendet, auch wenn damit dem Klienten Unannehmlichkeiten zugefügt werden, wenn das Handeln dem Wohle der Gesellschaft dient.

4. Die Profession ist sowohl innerlich als auch äußerlich in eine Orga-nisationsstruktur eingebettet, die sie für die Steuerung komplexer Abläufe nutzt, die sie aber auch kontrolliert. Diese Einbindung in Organisationsstrukturen gewährleistet einerseits zum Beispiel be-stimmte Routineleistungen durch Arbeitsteilung, andererseits erfor-dert dies auch kommunikative Absprachen und eine gewisse Un-terordnung unter die spezifischen Bedingungen der Organisation.

5. Die professionelle Interaktion geschieht in einer bestimmten Art und Weise, die vom Professionellen als Verfahrensverwalter in Gang gesetzt und aufrechterhalten wird. Dabei werden Mitteilungen des Klienten unter Rückgriff auf spezielle Wissensbestände gedeutet.

6. Die Angehörigen einer Profession entwickeln durch ihre Berufstä-tigkeit eine spezielle biographische Identität als Professionelle.

Schütze stellt in den Mittelpunkt seiner Ausführungen den Zusammenhang zwischen institutionellen Strukturkomponenten und Fehlentwicklungspo-tentialen professionellen Handelns, dabei geht er davon aus, dass allen Professionen Fehlentwicklungspotentiale zu Eigen sind, da sie strukturell begründet sind und daher gewissermaßen unaufhebbar sind. Schütze geht davon aus, dass mögliche Fehler im Handeln nur dann nicht realisiert werden, wenn die Fehlerpotentiale reflektiert werden. Es geht ihm um die Erkenntnis, dass es sich bei den Kernproblemen des Arbeitsfeldes um Konsequenzen professioneller Handlungsparadoxien handelt. Die Identifi-zierung dieser immanenten Widersprüche und erst das Akzeptieren dieser Paradoxien für das berufliche Handeln macht eine Ausbalancierung wi-dersprüchlicher Anforderungen möglich.

Schütze bezieht sich stark auf die von der interaktionistischen For-schungsrichtung betonten, institutionellen Strukturkomponenten der Pro-fession, die das Fehlerhafte des professionellen Handelns, das Paradoxe in den Vordergrund stellen.

„Die Kernprobleme des professionellen Handelns sind paradox, wie auch die Interaktionsbasis des Alltagslebens angesichts der unaufhebbaren Unvereinbarkeit der interaktionslogische notwendig idealisierenden, wech-selseitigen Unterstellungen der Interaktionspartner mit dem jeweiligen

vom Klient bzw. Abnehmer und wählt zur Konkretisierung seiner Paradoxien das Beispiel der Aktenverwendung im Sozialwesen.

141 Vgl. Schütze 1996, 183ff.

tischen Zustand der Interaktion- zum Beispiel wechselseitig Sinnüberein-stimmung zu Beginn der Interaktion bereits zu unterstellen, bevor Interak-tionspartner diese überhaupt „austesten“ konnten.“142

Deutlich wird hier, dass die Professionellen mit drei wichtigen Bezugsgrö-ßen arbeiten, zwei wurden bereits genannt. Die Gesellschaft als Auftrag-geber, die Fachwissenschaft als Sinnquelle und die dritte, die unter inter-aktionistischer Betrachtungsweise an erster Stelle stehen sollte, ist das Individuum als Klient, also die Interaktion zwischen Professionellem und Klient, die sich im Kern durch ein widersprüchliches Verhältnis auszeich-net.

Unter interaktionistischer Sichtweise kommen nun zu den oben bereits genannten Merkmalen der Profession nachstehende hinzu:143

7. Professionen bilden eine besondere ethisch und wissenschaftlich begründete Sinnwelt aus, an dem sich das berufliche Handeln ori-entiert. Einerseits haben die Professionellen das Privileg einen be-sonderen Zugang zu Wissensbeständen zu erhalten, andererseits können Laien ihnen auch mit Misstrauen begegnen. Das Professio-nelle wird erst sichtbar durch die Anwendung im Einzelfall, also die Bearbeitung bestimmter Problembereiche.

8. Die Anwendung des Professionswissens durch eine konkrete Hand-lung ist in den Lebenskontext des Klienten eingebunden und dieser befindet sich in einem dynamischen Wandel nicht zuletzt durch die Intervention des Professionellen. Die Praxis hat also Einfluss auf die Theorie, weil der Professionelle mit Änderungen der Rahmen-bedingungen rechnen muss und durch die Entwicklung des Einzel-falls eine Umformulierung abstrakter Kategorien notwendig werden kann.

9. In der Berufssozialisation kommt es zur biographischen Identifizie-rung des Professionellen mit den Werten seines Berufes. Dieses Expertenwissen der jeweiligen Fachwissenschaft dient zwar als Steuerungsinstrument, Schütze verweist aber auch auf die Gefahr, dass Professionelle durch eine zu starke Bindung an die Berufsratio bei auftretenden Schwierigkeiten eher vom Beruf ausgesaugt werde und in eine Berufsfalle verstrickt wird. Gründe hierfür sieht Schütze vor allen Dingen in einem Mangel an Distanzierungsfähigkeit. So können z.B. bei einer zu starken biographischen Identifizierung Probleme, die im Berufsleben unweigerlich auftreten, als persönli-che Niederlagen erlebt werden und ein problemorientiertes Handeln evtl. einschränken.

10. Professionen wehren sich aus ihrer verinnerlichten beruflichen I-dentität heraus gegen Einschränkungen und Übergriffe der Organi-sation. Das Widerspruchsverhältnis wird besonders dort deutlich, wo ein soziotechnischer Wandel zur Verknappung der Ressourcen führt und die Spielräume innerhalb der jeweiligen Organisation klei-ner werden. Professionen zeichnen sich eiklei-nerseits durch den ge-sellschaftlichen Auftrag und andererseits durch eine autonome Problembearbeitung aus. Die Auseinandersetzungen über Ein-schränkungen finden nicht auf der Ebene der Gesellschaft statt,

142 Schütze 1996, 188.

143 Vgl. Schütze 1996, 190-196.

sondern werden in der Regel über die Organisation bzw. ihre Mit-glieder vermittelt. In diesem Zusammenhang verweist Schütze auf die Probleme, die entstehen, wenn Professionelle aus der verinner-lichten Berufssicht heraus zu einer Abwehr gegen Organisations-zwänge neigen, da eine organisationsfeindliche Atmosphäre ein Hindernis dafür darstellen kann, die Systemzusammenhänge zu durchschauen und erfolgreich mit ihnen umzugehen.

11. Jede Profession hat in ihrem Arbeitsablauf mit für sie typischen Störpotentialen zu kämpfen. Die Profession befindet sich mit ihrer Klientel in einem spannungsreichen und paradoxen sozialen Ver-hältnis. Zum einen ist der Professionelle dem Klienten notwendi-gerweise an Wissen, Können und Macht überlegen, aber er ist e-benso auf das Vertrauen und die freiwillige Mitarbeit der Klientel als Basis einer Zusammenarbeit angewiesen.

Vor dem Hintergrund dieser Beschreibung professioneller Handlungslogik entwickelt Schütze typische Professionelle Paradoxien. Diese unaufheb-baren Paradoxien professionellen Handelns müssen nach Schütze immer wieder professionsethisch, in der eigenen Selbsterfahrung und persönli-cher Handlungsreflexion sowie sozialwissenschaftlich durchdacht werden.

Ich werde im Zusammenhang mit der pädagogischen Professionalität noch auf Paradoxien eingehen (vgl. 4.4.2) und benenne an dieser Stelle nicht die durch die Interaktion zwischen Professionellen und Klienten auf-tretenden internen Fehlerquellen, sondern gehe auf die von Schütze her-geleiteten widersprüchlichen Wirkungen der staatlichen bzw. organisatio-nalen Steuerungsmechanismen ein.

Die Organisation hat nach Schütze positive und negative Wirkungen, sie bietet Gelegenheit zum Informationsaustausch, zur Vernetzung, sie macht Arbeitsteilung notwendig und möglich. Sie ermöglicht zudem eine gewisse Standardisierung, Nachprüfbarkeit und systematische Kritik und insofern ist die Organisation eine wichtige Bedingung für die professionelle Quali-tätskontrolle.144 Auf der anderen Seite bilden Organisationen eigene Denk- und Handlungsrationalitäten aus, die zum Teil im Widerspruch zu den Werten und Überzeugungen der Profession an sich stehen kann. Die Pro-fessionellen können versuchen sich auf unabhängige professionsinterne Kriterien, d.h. Selbstverständnis der Profession, Erkenntnisse der For-schung etc., zurückzuziehen. Schütze verwendet hierfür den Terminus Binnenarena-Debatte und stellt diese der Außenarena-Debatte gegen-über. Der Professionelle übt dann Kritik an organisatorischen Restriktionen oder an Ausbildungs-, Kontroll-, Träger- und Finanzinstanzen.

Es gibt unterschiedliche Möglichkeiten, mit den Vorgaben der Organisation umzugehen, nämlich Verinnerlichung und Annpassung oder aber Ableh-nung der Organisation, wobei dann durch das Verschieben der Verant-wortlichkeiten nach außen eine aktive und gestaltende Einflussmöglichkeit verhindert wird.

Die Bedeutung eines reflektierten Umganges mit diesem schwierigen Ver-hältnis einer Profession zu ihren Organisationsstrukturen wurde bereits oben erwähnt, die Frage der Einbindung der Lehrerinnen und Lehrer in die

144 Vgl. Schütze 1996, 221-222.

Organisation wird im Kontext der pädagogischen Professionstheorie z.B.

von Helsper thematisiert.