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4. Eigene Untersuchung

4.4 Leitfadengestützte qualitative Interviews mit Schulleiterinnen und Schulleitern- methodisches Vorgehen bei der

4.4.4 Auswertung der problemzentrierten Interviews

Die Auswertungsmethode der problemzentrierten Interviews von Witzel (2000) lehnt sich an das theoriegenerierende Verfahren der „Grounded Theory“ nach Glaser/ Strauss (1967) an. Von Vertretern der „Grounded-Theory“ wird eine grundsätzliche theoretische Offenheit eingefordert, die zur Generierung von Hypothesen und Theorien führen soll. Das von Gla-ser/Strauss (1967) entwickelten Analyseverfahren des theoretischen Ko-dierens folgt dem Anspruch einer gegenstandsbegründeten Theorieent-wicklung. Die Auswertungstechnik arbeitet eng am vorgefundenen Materi-al bzw. ist im MateriMateri-al selbst verankert („grounded“). Die AnMateri-alyse des Da-tenmaterials ist ein interpretativer Prozess, in diesem induktiven und offe-nen Verfahren führt über die Herausarbeitung von Kern- und Schlüsselka-tegorien zur Bildung von Theorien mittlerer Reichweite.216 In ihren Grund-annahmen gehen Glaser/Strauss davon aus, dass eine `theoretische Sen-sibilität´ dem Forscher eine Perspektive für relevante Daten ermöglicht, um über das empirische Material in theoretischen Begriffen reflektieren zu können.217

Der Prozess der Auseinandersetzung mit dem Material bildet den Mittel-punkt qualitativer Forschung. Dabei wird das Interviewmaterial sorgfältig codiert, d.h., es erfolgt die Zuordnung von Codes zu bestimmten Phäno-menen im Datenmaterial. Die Bildung von Kategorien stellt den Prozess der Datenanalyse dar und bildet die Grundlage für die Interpretation der Daten. Die theoretischen Kategorien, die auf der Grundlage erster Daten-auswertung entwickelt werden, bestimmen den Prozess der Auswahl der Einzelfälle. Es wird dann eine Interpretation in Form einer vergleichenden Interpretation von Einzelfällen durchgeführt.218

Den Kern der Auswertungsarbeit nach der ´Grounded Theory` bildet der Prozess der Kodierens; Glaser/ Strauss (1967) schlagen drei Kodierschrit-te vor: 1. das offene Codieren; 2. das axiale Codieren und 3. das selektive Codieren.

1. Das offene Kodieren eröffnet die Forschungsarbeit und zielt darauf ab, Daten und Phänomene in Begriffe zu fassen, Aussagen werden mit An-merkungen und mit „Begriffen“ (Kodes) versehen. Das Datenmaterial wird sorgfältig Zeile-für-Zeile bearbeitet und es entstehen erste vorläufige Kodes. Diese können sich auf einzelne Wörter beziehen, auf Sätze oder Abschnitte oder das ganze Dokument. Die Analyse besteht aus der Inter-pretation des Gesagten, vor dem Hintergrund von Wissen (Alltagswissen, Forscherwissen, wissenschaftlichem Wissen) und von Kenntnis des übri-gen Interviewtextes. Im nächsten Schritt werden für die jeweilige Frage-stellung besonders relevante Phänomene, die in den Daten entdeckt wur-den, gruppiert und dadurch kategorisiert. Die vergebenen Kodes sollen den Inhalt einer Kategorie treffend wiedergeben.

216 Vgl. Bohnsack 2003, 71.

217 Vgl. Glaser/ Strauss 1998, 47.

218 Vgl. Kelle/Kluge 1999.

„Mögliche Quellen der Kodes sind Begriffe, die der (sozialwissenschaftli-chen) Literatur entlehnt (konstruierte Kodes) oder aus Aussagen der Inter-viewpartner übernommen (In-vivo-Kodes) sind, wobei letztere wegen ihrer großen Nähe zum untersuchten Material vorzuziehen sind.“219 So können auffällige Formulierungen der Befragten zu Kodes werden. Es können ei-ner Textpassage mehrere Kodes zugewiesen werden. Die Entwicklung von Kategorien beinhaltet den Vorgang des Dimensionalisierens; d.h., Ka-tegorien besitzen Attribute und diese lassen sich auf einem Kontinuum beschreiben, z.B. die Kategorie „professionelle Gelassenheit“ kann gering oder groß sein. Das Ziel dieses ersten Kodierungsschrittes ist es, den Text aufzulösen, zu verstehen und dabei Kategorien zu vergeben, zu entwi-ckeln und in eine Ordnung zu bringen. Es werden vorläufige Konzepte und Dimensionen entwickelt, dabei werden dem Datenmaterial zunächst zahl-reiche konzeptuelle Kategorien zugewiesen. Als Ergänzung zu den Kodes und Kategorien können Kodenotizen und Memos angelegt werden, die Auffälligkeiten im Material und wichtige Gedanken zu den relevanten Fra-gestellungen enthalten. 220

In ähnlicher Weise beschreibt Witzel (2000) die ersten Schritte der Kodie-rung. Der erste Auswertungsschritt bezieht sich auf die Einzelfallanalyse, das transkribierte Interview wird Satz für Satz deutend nachvollzogen. Der Text wird mit Stichworten aus dem Leitfaden (theoriegeleitet) und mit Be-grifflichkeiten, die neue thematische Aspekte aus den Darstellungen der Interviewpartner (induktiv) kennzeichnen, markiert.

Im zweiten Schritt erfolgt eine analytische Zuordnung thematischer Auffäl-ligkeiten zu „In-vivo-codes“, d.h. alltagsnahen Begriffen, aus denen sich Notizen oder kleine Ausarbeitungen ergeben, diese werden auch Memos genannt. Die Textpassagen werden mit Schlagwörtern (Kodes) verknüpft.

Dieses Vorgehen computergestützt vorzunehmen, ermöglicht eine kom-plexe Zugriffsmöglichkeit, denn es lassen sich im weiteren Verlauf der Auswertung Einzelfälle unter verschiedenartigen Aspekten vergleichen.

Das Auffinden von Originalstellen und Querverbindungen zwischen unter-schiedlichen Textstellen ist möglich.221

2. Während das offene Kodieren eher einen breiten und noch relativ un-geordneten Zugang zum Datenmaterial schafft und eine Vielzahl von Ka-tegorien erarbeitet, werden im Prozess des axialen Kodierens KaKa-tegorien differenziert und ausgewählt. Es werden in diesem Auswertungsschritt Relevanzentscheidungen getroffen, denn nicht alle im Material identifizier-ten Phänomene werden systematisch vergleichend auf ihre Ursache, Um-stände und Konsequenzen befragt, sondern nur diejenigen, die nach dem

219 Vgl. Flick 2002, 263.

220 Vgl. Kuckartz 2005, 78. Es wurde das qualitative Datenanalyse - Programm MAXqda Version 2001- benutzt. Kuckartz (1999,75 f.) verweist ausdrücklich darauf, dass auch während einer computergestützten Textanalyse nicht der Computer, der ist, der denkt, interpretiert und codiert, dies ist ausschließlich eine menschliche Interpretationsleistung.

Das MAXqda-Programm lässt sich als Ordnungshilfe verstehen und in diesem Bereich ist es auch sinnvoll und hilfreich.

221 Vgl. Witzel 2000. Witzel bezieht sich in seinen Ausführungen auf Gerhardt. Die um fangreiche Diskussion um das methodische Vorgehen bei der „Typenbildung“ kann im Rahmen dieser Arbeit nicht geführt werden, eine übersichtliche Darstellung der Pro-zessstrukturanalsyse nach Uta Gerhardt findet sich bei Kluge 1999.

vorläufigen Stand der Analyse besonders ertragreich für die Klärung der Forschungsfrage sein können. Diese „Schlüssel- oder Kernkategorien“

werden mit möglichst vielen Textstellen angereichert. Es werden Bezie-hungen zwischen Kategorien verdeutlicht bzw. Hergestellt: Strauss/Corbin (1990) schlagen den Einsatz eines „Kodierparadigmas“ vor, um solche Beziehungen darzustellen. Die Kategorien werden durch diesen Analyse-schritt weiterentwickelt und erlangen so ein höheres Abstraktionsniveau, sodass fallübergreifende Bezüge möglich werden.

Witzel (2000) schlägt vor, durch einen kontrastierenden Fallvergleich

„Kernkategorien“ in Form eines Typologiekonzeptes zu entwickeln, die dann in der nächsten Auswertungsstufe als Deutungshypothesen genutzt werden können.222

3. Das sich nun anschließende selektive Kodieren setzt den Prozess des axialen Kodierens fort. Ziel ist es, die entwickelten Kernkategorien in einen abschließenden Analyseprozess zu integrieren; Ergebnis dieses Prozes-ses ist die Entwicklung zentraler Kernkategorien und darauf bezogener Unterkategorien, die das untersuchte Phänomen möglichst genau abbil-den. In diese Phase wird die gesamte interpretative Arbeit integriert, die Daten werden gruppiert und eine Theorie über das typische Handeln typi-scher Akteure im Untersuchungsfeld verdichtet.

Der Analyseprozess nach der Grounded Theory unterliegt keinem festen Ablaufschema, sondern er gibt Leitlinien und Orientierungshilfen. Das Ko-dieren hat die Funktion der Analyse und ist gleichbedeutend mit der Inter-pretation von Daten. Diese Kodierung und Überprüfung der Kategorien am Material findet während des gesamten Forschungsprozesses immer wie-der statt. Die drei verschiedenen Formen des Kodierens stellen dabei gro-be Phasen des Forschungsprozesses dar.223

Die theoretischen Kategorien, die auf der Basis der ersten Untersu-chungseinheiten entwickelt werden, bestimmen die Auswahl weiterer Fäl-le. Dabei können die Auswahlkriterien aufgrund der theoretischen Rele-vanzen verändert werden. Es werden Fälle verglichen, die interessierende Kategorien gemeinsam haben und bezüglich der bedeutsamen Kategorien entweder relevante Unterschiede oder große Ähnlichkeiten aufweisen.

Glaser/ Strauss (1998)224 sprechen von den Methoden Minimierung und Maximierung. Der Interpretationsvorgang und die Einbeziehung zusätzli-chen Materials sind dann abgeschlossen, wenn weitere Kodierung und Anreicherung von Kategorien keine neuen Erkenntnisse mehr liefern, die theoretische Sättigung ist dann erreicht. Theoretische Sättigung erfordert, dass die maximale Variation der Untersuchungsgruppe abgebildet wird, d.h. eine genügende Anzahl unterschiedlicher Gruppen innerhalb des Ge-genstandsbereiches untersucht worden ist.225

223 Durch die Einführung EDV-gestützter Verfahren der Kodierung qualitativen Daten- -materials in den 80er Jahren wurde dieser Kodierungsprozess erheblich erleichtert.

224 Vgl. Glaser/Strauss 1998, 53.

225 Vgl. Kelle/ Kluge 1999, 46. Zur Problematisierung der theoretischen Sättigung vgl.

Flick 2002, 270ff, Kuckartz 2005, 80f.

Die sich nun anschließende Zeile-für-Zeile-Auswertung der Einzelfälle er-folgt nach dem Prinzip der „Kernstellen“, die aus den Interviews ausge-wählt werden, sodass eine Reduzierung des Materials und eine Konzent-ration auf die Fragestellung der Untersuchung möglich werden. Als Kern-stellen können nach Ricker (2000) die TextKern-stellen angesehen werden, „die repräsentativ für die erzählende Person, ihre Erfahrungsaufsicht und die Rekonstruktion ihrer Lebensgeschichte sind.“226 Bei der Auswahl der Text-stellen sind die Fragestellung der Untersuchung und das Thema der For-schungsarbeit von Bedeutung. In der hier vorliegenden Studie wurden zu-dem die durch den Auswertungsprozess entstanden Kernkategorien mit einbezogen. Dabei fließen in den Auswertungsprozess latent auch dieje-nigen Interviewpassagen mit ein, die nicht als Kernstellen ausgewählt wur-den.227

Die Aufgabe dieser abschließenden Interpretationsphase ist es, das je-weils Charakteristische des Einzelfalls unter Bezugnahme der entwickel-ten Kategorien zu erarbeientwickel-ten. Nachdem das Charakteristische des ersentwickel-ten Falls erarbeitet wurde, wurden nach dem Prinzip des theoretischen Samplings weitere Fälle ausgewählt und gleichermaßen ausgewertet.

Wie bei vielen qualitativen Untersuchungen stellt sich auch im Rahmen dieser Untersuchung das Problem der Datenfülle. Von jeder interviewten Person liegen ca. 20-30 Seiten transkribierter Text vor. Das gesamte Ma-terial auszuwerten war im Rahmen einer Einzelforschung nicht möglich.

So habe ich 15 Interviews nach dem oben beschriebenen Analyseverfah-ren codiert und Kernkategorien für das Material entwickelt, bei der aus-führlichen Fallanalyse beschränke ich mich auf fünf Einzelfälle, die eine breite Variation des vorliegenden Materials abbilden.

5. Berufsauffassungen von Schulleiterinnen und Schulleitern-