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8 Die Deckenbilder der Ahnengalerie und ihrer Vorzimmer

8.2 Die Scheinarchitektur der Ahnengalerie

Aufgabe der Quadraturisten war es, die Realität des gebauten Raumes im Deckenfresko als Illusion fortzusetzen. Sie sollten so weit wie möglich die Grenze zwischen Schein und Sein verwischen.500 Architekturmaler und Figurenmaler waren einem Gesamtkonzept unterworfen, das Thema, Darstellungsart und zum Teil sogar die Anordnung der Dekorationen festlegte. Urheber dieser Konzepte konnten der Auftraggeber selbst, seine Hofpoeten, Theologen oder Architekten sein.501 Manke weist darauf hin, dass die Scheinarchitektur der Ahnengalerie eng mit derjenigen des Ordenssaals im Ordensbau des ludwigsburger Schlosses verwandt zu sein scheint, die von Giuseppe Baroffio geschaffen wurde. Dies geht aus einer Anfrage Frisonis vom 27. März 1731 hervor, in der auf die abgeschlossene Tätigkeit Baroffios im reparierten Saal des Flügelbaus – gemeint ist der Ordenssaal – verwiesen wird.502 Manke geht davon aus, dass er mit grosser Wahrscheinlichkeit auch Urheber der Quadratur in der Ahnengalerie war und nicht, wie von Garas vermutet, Frisoni.503 Sie erwähnt einen Bericht von Baudirektor Frisoni aus dem Jahr 1731, in dem ihrer Meinung nach sowohl Scotti als auch der Perspectiv Mahler Baroffi zusagen, gleich nach Ostern mit der Arbeit in den Galerien zu beginnen. Da in der Bildergalerie keine Quadraturmalerei ausgeführt wurde, schließt Manke, dass es sich um die Ahnengalerie handeln muß. In Anmerkung 10 gibt sie leider nicht den genauen Fundort im Hauptstaatsarchiv Stuttgart an, sondern nur: „Bericht Frisonis vom 27. 3. 1731

»Weilen sich beede Mahler«, Scotti und Baroffi, »erklähret, gleich nach Ostern mit denen 2. Gallerien den Anfang zu machen« (Bauakten im Hauptstaatsarchiv Stuttgart).“504 Wie eine erneute Sichtung der Quellen ergab, handelt es sich dabei erstens nicht um einen Bericht, sondern um die erwähnte Anfrage Frisonis vom 27. März 1731.505 Zweitens handelt diese Anfrage hauptsächlich von dem Ordenssaal, in dem Baroffio und Scotti gemeinsam gearbeitet haben.506 Unter Punkt eins heißt es: „Wann der reparirte Saal / im Flügel-Bau unter dem Ge- / simbs biß an den Architrav / noch gemacht werden soll, alß / welches nicht in des Mah- / lers Scotti Haupt- Accord be- / griffen, so wären wohl nöthig / nach Jnhalt des Zettels auff / gleich baaren Bezahlung den // Accord Zu treffen, da sonsten der Perspectiv-Mahler Baroffi / welcher innerhalb 8 Tagen mit / dem unter Handen habenden / Perspectiv Saal-Decken fertig ist, seine Reisen weiter neh- /men und den Mahler Scotti nicht auf seine Bezahlung an- / nehmen will.“ Punkt zwei bis vier beschäftigen sich weiter mit dem Ordenssaal. Erst unter Punkt fünf findet sich die von Manke zitierte Passage: „Weilen sich beede Mahler / erKlähret gleich nach Ostern / mit denen 2. Gallerien den / Anfang zu machen, so wären/ darZu die Gerüste Zu stellen, / und einen jeden Mahler ein / Maurer und ein Handlanger / Zu aufftragung der Speiß / und

500 Müller 2004, S. 134.

501 Garas 1989, S. 84; Garas 1962, S. 265.

502 HStAS A 248 Bü 2268, Anfrage Frisonis vom 27. März 1731.

503 Manke 1974, S. 265, Anm. 9. Einem Dokument habe Garas irrtümlich Frisoni, der als verantwortlicher Baudirektor genannt wird und über die Höhung der Architekturmalerei mit Gold entscheiden sollte, als Entwerfer der Quadratur entnommen.

504 Manke 1974, S. 265, Anm. 10.

505 HStAS A 248 Bü 2268, Anfrage Frisonis vom 27. März 1731.

506 Siehe dazu auch HStAS A 282 Bü 812, Abschrift des Malerei Accords von Pietro Scotti vom 30.August 1730.

erforderlicher Materialien / an Kalch und Sand von Ne= / cker Rems x. Zuzugeben [...].“507 Es ist angesichts offensichtlich noch nicht abgeschlossener Verträge und der deutlichen Reiseabsicht Baroffios keinesfalls eindeutig, dass er im fünften Punkt dieses Schreibens als einer der beiden Maler begriffen wird, der erklärt hat die Galerie nach Ostern ausmalen zu wollen. Unter Punkt fünf wird auf Scotti und Carlone angespielt. Eine Nennung beider Namen war offenbar nicht nötig, da es als allgemein bekannt vorausgesetzt werden konnte, dass Carlone und Scotti mit der Ausmalung der Galerien beauftragt waren. Es ist unwahrscheinlich, dass Baroffio sich bereit erklärt hat, gleich nach Ostern mit den Arbeiten zu beginnen, wenn er im gleichen Atemzug von seiner Abreise gesprochen hat. Dennoch ist davon auszugehen, dass er tatsächlich die Scheinarchitektur der Ahnengalerie ausgeführt hat, denn die Äußerung der Reiseabsicht konnte auch mit dem Ziel getan worden sein, den eigenen Marktwert zu steigern. Wenn Frisoni einen Künstler vor Ort hatte, mit dessen Arbeiten sowohl er als auch Herzog Eberhard Ludwig zufrieden waren, wollte er Baroffio sicher halten. Dies wird auch aus Frisonis Äußerung erkennbar.

Ein vom Grafen Grävenitz und von Jacquin de Betoncourt unterzeichnetes Anbringen vom 29. März 1732 befasst sich mit Baumaßnahmen, die im Frühjahr 1732 stattfinden sollten. Im zugehörigen Decret vom 8. April 1732 wird der Architekturmaler Baroffio erwähnt, der sich zu diesem Zeitpunkt nach wie vor in Ludwigsburg befand. In dem gleichen Absatz wird erwähnt, dass sich weitere Architekturmaler in Ludwigsburg aufgehalten haben, deren Namen aber nicht genannt werden.508 Es ist also mit ziemlicher Sicherheit davon auszugehen, dass Baroffio der Maler der Scheinarchitektur in der Ahnengalerie war.

Die Scheinarchitektur der Ahnengalerie nimmt nicht so viel Raum ein, wie bei anderen Arbeiten Carlones.509 Dennoch hat die Quadraturamalerei große Bedeutung für die Gesamtwirkung des Deckenbildes. Manke weist auf die Beherrschung der Perspektive hin und auf die kontrastreichen Architekturformen sowie auf stilistische Ähnlichkeiten der Architekturmalerei mit der im Ordenssaal, die von Baroffio stammt.510 Klára Garas verweist in ihrem Beitrag zu dem Ausstellungskatalog

„Himmel, Ruhm und Herrlichkeit. Italienische Künstler an rheinischen Höfen des Barock“ darauf, daß die meisten Architekturmaler der in Deutschland in Zusammenarbeit mit Carlone entstandenen Deckenbilder nicht überliefert sind. Für Ludwigsburg hält sie nun eine Zusammenarbeit von dem aus Pavia stammenden Giuseppe Baroffio und Carlo Carlone für möglich.511 Auch Merten sieht als Maler der Quadratur Giuseppe Baroffio an und verweist darauf, daß sich die Scheinarchitektur ursprünglich aus einer entsprechenden Wandgliederung entwickelte. Bei der heute sichtbaren

507 HStAS A 248 Bü 2268, Anfrage Frisonis vom 27. März 1731. Die von Manke aus dem Zusammenhang herausgelösten Zitate wurden von der Verfasserin zum besseren Verständnis hervorgehoben.

508 HStAS A 248 Bü 2268, Anbringen vom 29. März 1732, Decret vom 8. April 1732.

509 Manke gibt als Beispiel das Belvedere in Wien an. Manke 1974, S. 265.

510 Manke 1974, S. 265.

511 Garas, 1989, S. 85, Anm. 12.

Stuckmarmorgestaltung der Wände handelt es sich um eine vereinfachte Form, die Thouret 1805 geschaffen hat.512

Martin Pozsgai vermutet für die Malereien der Ahnengalerie Wiener Vorbilder. Er weist auf charakteristischen Architekturschmuck hin, der aus Mischwesen mit Fischschwänzen an den Unterzügen besteht. Hinzu kommen eingetiefte Felder mit Gitterwerk aus Sternen sowie Goldhöhungen, die die höchste Architekturebene der Balustraden und Ovalkuppeln auszeichnen (Abb. 10, 35, 41, 42). Die Dekorationen stehen laut Pozsgai in Bologneser Tradition. Als Entwerfer zieht er Frisoni in Erwägung, da dieser während seines Aufenthaltes in Wien Gelegenheit gehabt haben könnte, die Malereien Marcantonio Chiarinis im Stadtpalais des Prinzen Eugen zu besichtigen.

Möglich sei aber auch, dass Baroffio für die Quadraturmalereien zuständig gewesen sei oder aber, dass Carlone eigens einen Künstler für die Architekturmalerei mit nach Ludwigsburg gebracht hat.513 Da die Architekturmalerei in der Ahnengalerie sehr realistisch wirkt, schließt Pozsgai nicht aus, dass der Entwurf von einem Quadraturisten aus Wien stammt, zumal die Wiener Arbeiten Carlones oft einen Rahmen aus Architekturmalerei haben. Carlone hat in Wien unter anderem auch mit Marcantonio Chiarini im Palais Daun-Kinsky zusammengearbeitet.514

In der Scheinarchitektur tummeln sich neben den erwähnten Mischwesen, die als Karyatiden in den Jochbögen fungieren (Abb. 41), auch geflügelte Mischwesen, die eher Putten ähneln. Sie sind den Bildfeldern mit Himmelsausblick zugeordnet und spiegeln die dargestellten Themen wieder. Als Beispiel seien die beiden Figuren neben dem Feld der Aurora angeführt, die sich erschöpft auf dem Gebälk niedergelassen haben, um den Schlaf zu symbolisieren, der von der Morgendämmerung verdrängt wird (Abb. 42). Neben den Scheinkuppelfeldern sind ungeflügelte Putten dargestellt, die sich Blumengestecken widmen (Abb. 43). Bei den Szenen des Sonnenaufgangs (Apoll) und der Morgendämmerung (Aurora) ist die Scheinarchitektur durch Portraitbüsten ergänzt worden, die möglicherweise auf antike Philosophen oder Kaiserpaare hinweisen sollen und als Ausdruck humanistischer Bildung oder auch der Legitimation verstanden werden konnten (Abb. 44 und 45).

Darüber hinaus wurden in die Scheinarchitektur der Ahnengalerie runde Kartuschen eingebettet, die vor blauem Hintergrund Elemente aus den Wappen der Württembergischen Herzöge aufnehmen, wie zum Beispiel die drei Hirschgeweihe (Abb. 46).515

512 Merten 1984, S. 37.

513 Pozsgai 2004, S. 93 f., 95. Als Argument, dass es sich bei dem Entwerfer der Scheinarchitektur um Frisoni handelt, führt Pozsgai an, dass es für die Dekorationen unter Frisonis Leitung keine druckgraphischen Vorbilder gibt. Daher sei es wahrscheinlich, dass Frisoni die Wiener Originale kannte.

514 Pozsgai 2004, S. 94. Zusammenarbeit Carlones mit dem Bologneser Architekturmaler Marcantonio Chiarini:

Palais Daun-Kinsky, Treppenhaus und Prunksaal und eventuell im Palais Liechtenstein. Das Deckenbild im Oberen Belvedere war eine Zusammenarbeit von Carlo Carlone (Figuren), Marcantonio Chiarini (Entwurf der Quadratura), Gaetano Fanti (Ausführung der Quadratura). Nach 1723 war Carlone zusammen mit Fanti in Salzburg beschäftigt. Garas 1962, S. 264 ff.

515 Darstellungen der Wappen bei Bardua 1985, S. 417.

Der Eindruck den der Betrachter heute von der Scheinarchitektur gewinnt, wird durch die klassizistische Umgestaltung getrübt, da diese der illusionistischen Malerei ihre überzeugende Logik nahm.516 Dennoch wird die Farbigkeit des Deckenbildes durch eine graurosa und blassgelbe Stuckmarmorverkleidung der Wände aufgenommen.517