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8 Die Deckenbilder der Ahnengalerie und ihrer Vorzimmer

8.1.8 Morgendämmerung: Aurora als Vorbotin des Sonnenaufganges

Aurora, in lichtes Gelb gekleidet, nimmt das Zentrum des nächsten Bildfeldes ein, das nach der Scheinkuppel der Friedensallegorie wieder einen Himmelsausblick bietet. Aurora streut Blumen aus einem Korb. Luzifer, der Morgenstern, ist als geflügelter Knabe mit einem Stern über dem Haupt und einer Fackel als Attribut dargestellt (Abb. 29, 30).463 Als Sohn der Aurora pflegt er ihr voranzuschreiten.464 Bei Ovid heißt es: „[...]da hat die wachsame Aurora im hellen Osten die purpurnen Tore und die rosengefüllten Hallen geöffnet: Die Sterne fliehen, ihren Zug beschließt Lucifer und verläßt als letzter seinen Posten am Himmel.“465 Aurora blickt zu drei Frauen, die am rechten Bildfeldrand dargestellt sind. Sie lagern auf Kissen (Abb. 31). Zwei der Frauen sind bereits erwacht, während die dritte noch schläft. Eine der erwachten Frauen deutet nach oben, in Richtung von Diana, während die andere der Geste eines Puttos folgend, erstaunt auf Aurora blickt. Ein weiterer Putto unterhalb der Frauengruppe deutet vage auf die fliehenden Gestalten der Dunkelheit. Manke hat versucht die Gruppe anhand von Ripas Iconologia zu deuten. Sie vertritt die Ansicht, dass es sich um eine Darstellung der drei Grazien handelt und untermauert ihre These mit einem von Ripa zitierten

459 Abbildung bei Roettgen 2007, Abb. 68.

460 Zum Palazzo Marucelli Fenzi siehe Roettgen 2007, S. 333, Abb. 68.

461 Dania 1996, S. 464.

462 Knab 1977, S. 17, Fig. 53.

463 Ripa/Strauß 1669/70, Bd. 2, S. 66 ff., 68 bezeichnet Lucifer als Tag- oder Lichtbringer. Er spricht ihn im Abschnitt über die Morgendämmerung an, die er wiederum als geflügeltes, nacktes Kind mit einem Stern über dem Kopf, einer umgekehrten aber brennenden Fackel und einem Krug aus dem Tau fällt, beschreibt. Der hell leuchtende Stern über dem Kopf der Morgendämmerung sei Lucifer. Die Flügel der Morgendämmerung bedeuten, dass sie nicht lange währt, sondern schnell vergeht. Carlone hat hier Lucifer mit Flügeln und Fackel dargestellt, sowei einem Stern über dem Kopf.

464 Lvcifer, Hederich, S. 5120 (vgl. Hederich-Lexicon, S. 1475-1476).

465 Ovid 1997, II 112 – 115.

Vers Ariosts. Höper übernimmt Mankes Deutung von Aurora und den erwachten Grazien.466 In dem von Manke mit dem Bild in Verbindung gebrachten Eintrag im Bozzetti-Katalog werden die drei Grazien allerdings nicht erwähnt. Auf Seite XI heißt es in Zeile 12 von unten: L’Aurora con figure, che dormono (68,3 : 102,5 cm).467 Laut Hederich waren die Grazien „[...] Göttinnen der Annehmlichkeit, Wohlthaten und Dankbarkeit. [...] Ohne sie war nichts anmuthig und gefällig. [...] Sie ertheileten den Menschen die Freundlichkeit, das aufgeräumte Wesen, die Holdseligkeit und Gesprächigkeit.“ Allerdings kennt Hederich, obwohl er einige Namen der Grazien nennt, keine Olympia. Olympia weist er als Beinamen der Lucina aus. Lucina wiederum sei ein Beiname der Juno gewesen. Lucina steht bei Hederich unter anderem in Zusammenhang mit Licht in dem Sinne, dass sie als Geburtsgöttin hilft, Kinder zur Welt zu bringen. Andererseits kann Lucina auch mit der Nacht assoziiert werden, „weil sie mit dem Monden einerley sey, der bey Nachtzeit leuchtet.“468 Bei dem von Manke angeführten Abschnitt in Ripas Iconologia ist jedoch von den drei Grazien nicht die Rede.

Der zitierte Vers bezieht sich vielmehr auf den ausgestreuten Tau, der in Verbindung mit der Morgendämmerung auftritt. Ripa stellt dem Vers folgende Einleitung voran: „Daß aber auß dem umbgestuerzten Krug viel Troepflein Wasser herunter fallen /damit wird auff den zur Sommerszeit herabfallenden Thau / und im Winter sich wegen der grossen Kaelte / erzeigenden Reiff gezielet:

Dannhero Ariostus davon also schreibet: [...] Die arg’ Olympia versteckt sich in das Bette / Und schlaefft / unaufgeweckt / mit andern in die Wette / Biß daß die Morgenroeht den kalten Reiff ausstreut / von dem vergueldten Karn / der Liecht und Tag erneut.“469 Es geht hier also um den Schlaf, der bis zum Erscheinen der Morgenröte andauert und um den Tau bzw. den Reif, der in engem Zusammenhang mit der Morgenröte steht.

Am rechten oberen Bildrand wird die schwindende Nacht dargestellt, verkörpert durch Artemis-Diana als Mondgöttin vor einem Sternenhimmel (Abb. 32). Putten versprühen Tau.470 Ein geflügelter Jüngling mit Fackel, der hinter der Scheinarchitektur des linken Bildrandes hervorschaut, verweist Gestalten der Finsternis in die Tiefe (Abb. 33). Sie sind mit fledermausartigen Flügeln und Blasebalg, als stürzender Jüngling und als bärtiger Alter, der eine Decke über sich zieht während er sich die Augen reibt, dargestellt. Dem bärtigen Alten fliegt eine Eule voran, die hier als Symbol der Nacht zu verstehen ist. In dieser Bedeutung taucht sie ab Mitte des 16. Jahrhunderts auf Gemälden auf.471 Fledermausartige Flügel, welche die fliehenden Gestalten und Putten bei Carlone haben, sind ebenfalls als Symbol der Nacht und auch der Dämonie zu sehen. „Da die Fledermaus am hellen Tag nicht

466 Manke 1974, S. 262, 266; Höper 2004, S. 27, Anm. 50.

467 Manke 1974, S. 266.

468 Gratiae, Hederich, S. 4152, (vgl. Lexicon, S. 1177) und Olympia, Hederich, S. 6051 (vgl. Hederich-Lexicon S. 1782), sowie Lucina, Hederich, S. 5123 (Vgl. Hederich-Hederich-Lexicon S. 1477); Vollmer 1874, S. 166.

469 Ripa 1669/70, Bd. 2, S. 68. Manke zitiert nur den Vers ab „Die arg’ Olympia....“.

470 Manke 1974, S. 266.

471 Dittrich 2005, S. 110, 118, Anm. 24. Eine ähnliche Eule sitzt bei Ripas Darstellung der Nacht auf einem Mauervorsprung. Ripa 1760, Nr. 16; Lurker 1991, S. 185; Kretschmer 2008, S. 113.

sichtbar ist, wurde sie zum Symbol der Nacht, die man als bedrohlich empfand.“472 Bei Ripa wird die Fledermaus im Zusammenhang mit der Abenddämmerung erwähnt: „Die Fledermauß / mit ihren außgespan[n]ten Fluegeln / schicket sich nit uneben hierher [zur Abenddämmerung]; sintemalen es ein solcher Vogel ist, der sich sonderlich / umb diese Zeit / wann sich Tag und Nacht scheidet/ sehen laesset / und hin und wieder zu fliegen pfleget [...].“473 Krapf hat diese Gruppe, die Carlone fast genau aus seinem Fresko im Sommergesellschaftszimmer des Oberen Belvedere übernommen hat, für das wiener Fresko gedeutet. Den bärtigen Alten bezeichnet Krapf als Verkörperung der Nacht und Finsternis, während er den dargestellten Blasebalg als Attribut des aufgeblasenen Stolzes identifiziert.474 Im Gegensatz zum wiener Fresko ist in Ludwigsburg aber auf die Darstellung der untersten männlichen Figur verzichtet worden. Sie wurde durch einen fledermausflügeligen Putto ersetzt. Dass es sich bei der Figur mit Blasebalg um eine Personifikation des aufgeblasenen Stolzes handelt, ist nicht wahrscheinlich. Bei dieser Figurengruppe handelt es sich nicht um stürzende Laster, sondern um dämonische Gestalten, die ihr Unwesen während der Dunkelheit treiben.

In einer Nebengruppe über Aurora und für den Betrachter nur gut zu erkennen, wenn er seinen Standpunkt in der Galerie verändert, befinden sich zwei geflügelte Figuren, von denen eine männlich und die zweite weiblich ist (Abb. 34). Die männliche streut Rosen aus, während die weibliche durch einen Stern über dem Haupt gekennzeichnet ist. Eine dritte geflügelte weibliche Figur, von einer Wolke zum Teil verdeckt, deutet auf den geflügelten Jüngling mit Fackel, der hinter der Scheinarchitektur des linken Bildrandes hervorschaut und die Gestalten der Finsternis in die Tiefe verweist. Zwischen dem fackeltragenden Jüngling und Aurora befinden sich im Hintergrund zwei Putten und eine geflügelte Figur, die soeben aufzuwachen scheint (Abb. 29).

Carlones Fresko im Sommergesellschaftszimmer des Oberen Belvedere weist starke Übereinstimmungen mit den rund zehn Jahre später entstandenen Fresken in Ludwigsburg auf.

Abgesehen von der Zweiteilung der Szenen und der Ergänzung durch die Musen im Feld des Sonnenaufgangs der Ahnengalerie, sind aber auch einige Unterschiede zu erkennen.475 Der freskierte Raum befindet sich auf der Gartenseite des Erdgeschosses im Oberen Belvedere und wurde im Sommer als „Spiel-Zimmer“ genutzt. Er bildet im Erdgeschoss die Einleitung zu den sog. westlichen Gesellschaftszimmern. Die Architekturmalerei stammt von Fanti.476 Thema des Wiener Bildes ist eine Allegorie auf das segensreiche Wirken Apolls. Aurora schwebt in der Mitte und streut Blumen. Ein Putto gießt aus einem kleinen Fass den Morgentau. Apoll thront in den Wolken und blickt zu Aurora.

472 Dittrich 2005, S. 149, Anm. 12.

473 Ripa/Strauß 1669/70, Bd. 2, S. 71.

474 Krapf 2005, S. 44 ff.

475 Es bleibt darauf hinzuweisen, dass die zentrale Figur der Aurora im Oberen Belvedere einige Schwächen aufweist. Sie ist im Vergleich zu der etwa zehn Jahre später entstandenen Aurora in Ludwigsburg deutlich plumper. Auch einige Putten zeigen in Wien noch Schwächen. In Anbetracht der Entwicklung Carlones hin zur Leichtigkeit eines Rokoko-Malers, wie sie in den ansbacher Fresken besonders deutlich zum Ausdruck kommt, muss diese Steigerung seiner malerischen Leistung allerdings nicht verwundern. Siehe dazu auch Garas 1962, S.

266 f., 272; Heinz 1963, S. 130 f.; Barigozzi Brini 1991, S. 163. Abbildung bei Seeger 2006, S. 63

476 Krapf 2005, S. 44 ff.; Tinzl 2005, S. 56 ff.

Er ist – im Gegensatz zu dem ludwigsburger Bildfeld – deutlich als Apollon Musagetes gekennzeichnet, da er eine Leier hält und einen Lorbeerkranz trägt. Künste und Wissenschaften sind in gesonderten Gruppen am Gewölbeansatz dargestellt: Architektur, Skulptur, Malerei auf einer Seite und auf der anderen Seite Dichtkunst, Astronomie, Musik.477 An der Stelle die Apoll in dem wiener Deckenbild einnimmt, ist in Ludwigsburg der geflügelte Fackelträger dargestellt. Die Putten unmittelbar neben dem Geflügelten sind allerdings fast wörtlich zitiert. Lediglich die Armhaltung der erwachenden geflügelten Figur mit den Putten im Hintergrund ist abgewandelt. Die sie begleitenden Putten sind allerdings ebenso wörtlich zitiert wie die stürzenden Gestalten im Vordergund. Allein die unterste der zurückweichenden Figuren wurde nicht übernommen, sondern – wie bereits erwähnt – durch einen fledermausflügeligen Putto ersetzt. Die Hauptszene des ludwigsburger Bildfeldes, Aurora, Lucifer, die drei Frauenfiguren und Diana sind mit geringsten Abweichungen übernommen worden. Die für die ludwigsburger Ahnengalerie notwendige Zweiteilung der wiener Szene, erforderte eine Ergänzung und Veränderung der Komposition um den Musengott Apoll herum. Carlone stellte den Musengott nicht mehr wie in Wien als Apollon Musagetes dar, sondern als Sol-Apollon. Um den musischen Aspekt des Gottes zu verdeutlichen, ergänzte er die Darstellung um die neun Musen.

Aurora und Apoll stellen im ludwigsburger Fresko zu beiden Seiten des Hauptmotivs die Morgendämmerung und den Sonnenaufgang dar. Sie verkörpern die Erleuchtung des Herzogtums Württemberg durch Künste und Wissenschaften.