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9 Die Deckenbilder der Bildergalerie und ihrer Vorzimmer

9.1.11 Die Ereignisse vor Troja

Im Anschluss an die Opferung der Iphigenia konnten die Griechen nach Troja aufbrechen. Im nächsten Bild des ludwigsburger Zyklus erkennt der Betrachter ein griechisches Schiff, das vor Troja landet. Im Hintergrund ist Neptun zu sehen, der sich den Griechen nicht mehr in den Weg stellt, sondern ihre Weiterreise nach Troja begünstigt (Abb. 68). Schon Zahlten wies auf die Ähnlichkeit des griechischen Schiffes in der ludwigsburger Galerie mit dem des Aeneas in der Galleria Pamphilj hin. Einer der Griechen springt in sehr ähnlicher Weise über die Reling, während auch in Ludwigsburg Tritonen und

645 Dowley 1968, S. 466 ff.

646 Dowley 1968, S. 468 f.

647 Poeschel 2005, S. 345 f.

Griechen bemüht sind, das Schiff anzulanden. Schiffsform und Schmuck sind ebenfalls ähnlich.

Vermutlich diente Scotti ein Kupferstich als Vorbild, da er die Darstellung seitenverkehrt übernommen hat.648

Direkt im Anschluss an die Landung der Griechen, ist bereits die Schleifung des Hektor durch Achill dargestellt (Abb. 69). Die Szene wirkt fast beiläufig, so wie sie zwischen die landenden Kriegsschiffe der Griechen und die Szenen um den Untergang Trojas eingefügt ist. Laut Zedler ärgerte sich Achill so sehr darüber, dass Agamemnon ihm Briseis wegnahm, welche ihm aus der bis dato von den Griechen erkämpften Kriegsbeute zugesprochen worden war, „daß er lieber die gantze Armee der Griechen in Gefahr kommen ließ, ehe er seinen Affecten nachgeben sollte.“649 Er griff erst dann wieder in das Kriegsgeschehen ein, als er Briseis zurückbekam, „Agamemnon alle Satisfaction zu geben einwilligte“, und Hektor seinen Freund Patroklos getötet hatte.650 Achill tötete daraufhin Hektor und schleifte ihn an seinem Wagen um die Mauern Trojas.

Scotti zeigt Achill reitend. Er schleift Hektor nicht an seinem Wagen. Im Hintergrund sind Zelte zu erkennen, die zum griechischen Lager gehören. Achill ist als Feldherr mit Helm, Rüstung und Feldherrnstab dargestellt. Er hat hier nicht nur positive Aspekte, da er grausam und rachedurstig auftritt. Scherer betont die unterschiedlichen Charaktere der Helden. Achill sei stolz und eigenwillig gewesen. Er nahm keine Rücksicht auf sein Leben, das er ohnehin als verloren ansah. Konsequent wählte er daher den ruhmreichen Tod. Er zeigte sich sowohl tapfer als auch grausam und unbeherrscht.

Letzteres besonders, wenn er Hektors Leiche um die Mauern von Troja schleift. Hektor ist im Gegensatz dazu als nachdenklicher, konsequenter und verantwortungsbewusster Kämpfer charakterisiert, dem die Zukunft seiner Leute am Herzen liegt.651

Direkt im Anschluss an die Schleifung des Hektor stellt Scotti das brennende Troja dar (Abb. 70 und 71). Das trojanische Pferd wird als riesiger Schimmel angedeutet, allerdings scheint es sich noch vor den Stadtmauern zu befinden und wirkt insgesamt nicht überzeugend. Im Vordergrund befinden sich zwei Frauen mit einem Kind, die sich zu unterhalten scheinen. Um sie herum lagern Krieger. Die Anwesenheit von Frauen im Griechischen Lager kann als Hinweis auf die jahrelange Dauer der Belagerung Trojas gelesen werden. Neben der brennenden Stadt ist das Feldlager der Griechen in Form von Zelten angedeutet. Über den Zelten schweben auf einer Wolke zwei weibliche Figuren ohne Attribute, die nicht näher zu bestimmen sind. Zwei Reiter begrenzen die Szene nach rechts.

Einer von ihnen ist als gerüstete Rückenfigur dargestellt, die eine wehende Fahne trägt. Der zweite Reiter kommt ihm scheinbar entgegen. Es handelt sich ebenfalls um einen gerüsteten Feldherrn mit einem Marschallstab.

648 Preimesberger 1976, S. 275 f., Abb. 23; Zahlten, Achill 1977, S. 28.

649 Zedler, Bd. 1, S. 328.

650 Zedler, Bd. 1, S. 328. Siehe auch Achilles, Hederich, 250 (vgl. Hederich-Lexicon, S. 36).

651 Scherer 1963, S. 62, 75, 81, 88, 96 f.; Achilles, Hederich S. 249 ff. (vgl. Hederich-Lexicon, S. 35 f.).

Ripa deutet den Untergang Trojas moralisierend: „Es bleibt kein Laster Ungestrafft. Elendes Troja, das der Goetter Grimm empfindt, Die Rach auf dich geschuettet! Klag’ nicht die Griechen an, dass sie dich abgebrennet: Dein geiler Fuerst hat dich durch seine Brunst zer=ruettet, und deiner Laster Hauff das Feuer angezuendt.“652

Als Beispiel für die negativen Charaktereigenschaften des Achill gibt Zedler ebenso wie Hederich die Episode mit Polyxena an, denn er habe sich in der Liebe nicht zu mäßigen gewusst. Achill verliebte sich in die Tochter des Priamus, Polyxena, und hätte um ihretwillen beinahe die Seiten gewechselt.

Allerdings scheiterte dies an den Bedingungen der Trojaner. Achill wurde laut Zedler im Tempel des Apoll bei einem Waffenstillstand ermordet, während er darüber verhandelte, Polyxena als Braut zu erhalten. Nach seinem Tod wurde Achill zusammen mit seinem engen Freund Patroklos begraben.

Laut Zedler war die Trauer auf der griechischen Seite nicht sehr groß, da man Achill verdächtigte, bei seinen Unterhandlungen mit den Trojanern, welche wohl vor allem der Heirat mit Polyxena dienten, zum Nachteil der Griechen zu handeln. Nach der Eroberung Trojas durch die Griechen ertönte eine Stimme aus dem Grab Achills, die für ihn einen Teil der Beute forderte. Man beschloß, ihm Polyxena zu opfern, um derentwillen er gestorben war. Pyrrhus, der Sohn des Achill mit Deidamia aus der Zeit in der er als Frau verkleidet auf Scyton versteckt war, vollzog die Opferhandlung. Wahlweise kann die Opferung in den Darstellungen auch durch einen Priester erfolgen.653 Scotti verbindet die Szene eng mit dem Untergang Trojas (Abb. 71). Im Hintergrund erkennt man die noch brennende Stadt. Die Szene ist durch Pyrrhus von der eigentlichen Kampfhandlung abgegrenzt, indem dieser dem trojanischen Pferd den Rücken zuwendet. Direkt oberhalb von Polyxena befindet sich in der angedeuteten Architektur eine Balustrade, über die eine neugierige, noch mit Lanzen bewaffnete Zuschauermenge der Opferung beiwohnt. Am linken Szenenrand befinden sich weitere Zuschauer, darunter eine weibliche Figur in einem grünen Gewand mit flehend erhobenen Händen, bei der es sich um Hekuba, die Mutter Polyxenas, handeln könnte.654 Hinter ihr befindet sich ein behelmter Soldat mit einer schleifengeschmückten Lanze. Weitere Lanzen und eine Hellebarde sind im Hintergrund sichtbar.

In der Mitte des Vordergrundes befinden sich Kriegstrophäen und eine weibliche Figur mit einer Feuerschale. Hinter dieser Figur ragt eine Pyramide auf, bei der es sich um das Grab des Achill handelt. Rechts im Vordergrund befindet sich eine Rückenfigur in Rüstung und mit einer Fahne.

Die zentrale Szene nimmt die Darstellung der Opferung ein. Ein alter, bärtiger Priester hält demonstrativ einen Dolch über die leblos auf einem Scheiterhaufen liegende Polyxena. Er sieht zu dem rechts stehenden Pyrrhus, der wiederum auf Polyxena blickt. Pyrrhus ist als Feldherr dargestellt mit Helm, Umhang, Rüstung und Feldherrnstab. Im Unterschied zu Achill, der bei der Schleifung des Hektor als bärtiger Mann dargestellt wurde, erscheint Pyrrhus als Zeichen seiner Jugend bartlos. Im

652 Ripa 1704, S. 289.

653 Zedler, Bd. 1, Sp. 328 f.; Achilles, Hederich, S. 251 (vgl. Hederich-Lexikon, S. 36); Posner 1991, S. 399.

654 Polyxena, Hederich 6968, (vgl. Hederich-Lexicon, S. 2059).

Gegensatz zu früheren Darstellungen tötet Pyrrhus Polyxena nicht selbst, sondern weist den Priester an, die Opferhandlung zu vollziehen.655 Scottis Interpretation des Themas scheint erneut durch Carlone inspiriert zu sein. Dieser hatte die Opferung Polyxenas bereits im südlichen Vorzimmer der Ahnengalerie dargestellt (Abb. 5). Polyxena ist bei beiden Darstellungen in sehr ähnlicher Weise liegend vor einem pyramidalen Grabmahl wiedergegeben. Der Hintergrund wird bei beiden durch eine relativ flächig angedeutete Architekturzone begrenzt. Allerdings ist die Opferung bei Carlone bereits erfolgt, so dass Pyrrhus passiv neben dem Grab steht, während er bei Scotti dem noch zögernden Priester die Opferhandlung befiehlt.

Im Gegensatz zu der Opferung Iphigenias erfreute sich die Opferungsszene der Polyxena einer weniger großen Beliebtheit. Während der Renaissance wurde das Thema als zu grausam empfunden, da Polyxena nicht gerettet wird. Das Bild der edlen Antike ließ sich nicht mit dieser Geschichte in Einklang bringen. Posner ist der Ansicht, dass die Geschichte der Polyxena nicht als lehrreiches Beispiel dienen konnte, da Polyxena ein vollkommen unschuldiges Opfer gewesen sei. Allerdings widersprechen seine weiteren Ausführungen diesem Gedanken, denn er nennt durchaus Gesichtpunkte, die als lehrreiche Botschaft begriffen werden konnten. So sei Polyxena dem Aberglauben der Griechen zum Opfer gefallen, die fürchteten, der Geist Achills könne ihre Rückkehr nach Griechenland verhindern. Darüber hinaus demonstriert die Geschichte den negativen Einfluss von Rachedurst. Polyxena sollte sterben, weil ihr Bruder, Paris, den Achill getötet hatte. Letzterer wollte sie, wenn schon nicht zu Lebzeiten, so doch im Tode besitzen. Die Geschichte Iphigenias konnte in biblischem Sinn als Mahnung verstanden werden, himmlischen Befehlen Folge zu leisten, während die unbedingte Güte der Gottheit durch die Rettung Iphigenias in letzter Minute offenbar wird. Polyxena erfährt keine solche Gnade. Sie wird tatsächlich geopfert. Dennoch konnte auch der Tod Polyxenas positive Botschaften vermitteln. Polyxena symbolisierte weibliche Stärke und ungewöhnlichen Mut. Im Ovide moralisé wird sie als weise Jungfrau gedeutet, die als Symbol der Kirche und der christlichen Märtyrer zu verstehen ist. Die Umstände, die zu ihrer Opferung geführt hatten, vernachlässigte man so gut wie möglich.656 Mit dem frühen 17. Jahrhundert änderte sich die Einstellung zu der Opferung Polyxenas. Der größere historische Abstand zur Antike und die geringere Indentifikation mit der heidnischen Vergangenheit mögen einen Beitrag dazu geleistet haben, dass die Betrachter das Thema weniger bedrohlich empfanden. Das schändliche Handeln der Griechen trat zunehmend in den Hintergrund, während die Geschichte nun hauptsächlich als Beispiel weiblicher Tugend gelesen wurde. Stolz, Tapferkeit und Bescheidenheit Polyxenas wurden gelobt.

Unerschrocken wählte sie lieber den Tod als die Sklaverei.657 Erst im 18. Jahrhundert stieß das Thema der Opferung Polyxenas auf zunehmende Aufmerksamkeit. Einerseits basierten die Darstellungen dieser Zeit auf einem neuen Interesse am Studium der Homerischen Schriften, andereseits wurden

655 Siehe auch Posner 1991, S. 407, Anm. 48.

656 Posner 1991, S. 401 f.; Scherer 1963, S. 124 ff.

657 Posner 1991, S. 402 ff.

ihnen aber auch neue Aspekte hinzugefügt.658 Scotti stellt Polyxena passiv und pathetisch dar.

Schicksalsergeben, fast ohnmächtig, liegt sie entblößt auf den Stufen von Achills Grabmahl, in Erwartung des tödlichen Dolchstichs. Die Hilflosigkeit und Nacktheit des Opfers stehen im Zentrum der Darstellung.659 Das um 1720 von Pittoni und Ricci mit der Opferung Polyxenas verbundene Brautthema, nach dem sie durch den Tod ihrem Geliebten Achill folgt, wird in Ludwigsburg nicht aufgenommen.660 Polyxena bleibt in Ludwigsburg das mutige, aber tragische Opfer.