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9 Die Deckenbilder der Bildergalerie und ihrer Vorzimmer

9.2 Die Aussage des Bilderzyklus in der Bildergalerie und ihrer Vorzimmer

Die Deckenbilder der Bildergalerie sind bislang nur sehr oberflächlich gedeutet worden. So schildert Wenger den Zyklus der Galerie als Darstellungen aus der Geschichte des griechischen Helden Achill, empfindet aber die wenig kriegerischen Elemente als erstaunlich.665

Wenger gelangt an anderer Stelle zu der Auffassung, dass die Fresken der Bildergalerie trotz der Darstellung des trojanischen Krieges nicht mehr in erster Linie einem kriegerischen Themenfeld gewidmet sein sollten. Als Grund dafür nimmt er an, dass in Württemberg seit 1714 Frieden herrschte und Herzog Eberhard Ludwig sich nicht mehr länger als Feldherr präsentieren wollte. Die Szene mit Mars und Venus am südlichen Galerieende deutet Wenger korrekt als Zeichen für den beginnenden Frieden. Wie in der Ahnengalerie sieht Wenger auch in der Bildergalerie versteckte Bezüge zu den Ordensstatuten des württembergischen Jagdordens.666 Wenger arbeitet die Bedeutung des Sankt Hubertus Jagdordens als bestimmendes Gestaltungselement für Schloss Ludwigsburg heraus. Die Ordensstatuten seien im Hinblick auf viele Allegorien im Bildprogramm des Schlosses wichtig, da sie deren Grundlage bildeten oder sich mit den darin angestrebten Idealen verbinden ließen. Der Herzog habe seinen Ahnen „…auf dem Pfad der Tugend und Ehre…“ folgen wollen. In Kampf und Turnieren sollten Tapferkeit, Ehre und Redlichkeit erprobt werden. Außerdem sollte der Orden dazu dienen, Mitleid zu üben, Recht und Gerechtigkeit zu fördern sowie Witwen, Waisen und Kirchendiener zu schützen.667

Zahlten sieht die Freskenfolge im Wesentlichen auf Achill bezogen, den berühmtesten griechischen Kriegshelden, dessen Geschichte, im Anschluß an die seiner Eltern, geschildert wird. Er erkennt in der Bildfolge zahlreiche Querverbindungen, welche die Verknüpfungen des menschlichen Handelns mit dem der Götter illustrieren. Der Triumph Neptuns steht dem Untergang Trojas gegenüber, der Raub Helenas dem der Proserpina. Die Schiffsfahrt der Griechen findet ihre Entsprechung im Kahn des Charon. Zusätzlich zum chronologischen Verlauf der Heldengeschichte liegt, nach Meinung Zahltens, der Bildergalerie ein zweites Ordnungsschema zugrunde: die Liebe. Zahlten verweist auf die

664 Lurker 1991, S. 442; Kretschmer 2008, S. 270.

665 Wenger, Verherrlichung 2004, S. 7.

666 Wenger, Jagdorden 2004, S. 118.

667 Wenger, Jagdorden 2004, S. 114.

wiederholt dargestellten Liebespaare, in denen er eine Anspielung auf die Verbindung Eberhard Ludwigs mit Wilhelmina von Grävenitz erkennen will.668 Es ist allerdings äußerst unwahrscheinlich, dass auf dieses Verhältnis in den Deckenbildern eines der offiziellen Räume des ludwigsburger Schlosses angespielt wurde. Auch eine potenzielle Einflussnahme der Mätresse auf die Baugestaltung und Innendekoration ändert nichts an der Tatsache, dass der Herzog seiner Mätresse nicht gestatten konnte, in seinem offiziellen Regierungssitz bildlich derart präsent zu sein.669 Tatsächlich stehen die Darstellungen der Bildergalerie – auch die der Liebespaare – in der Tradition der Fürstenspiegel. Sie sollen dem Betrachter mahnende Beispiele dafür geben, welche Konsequenzen falsches, lasterhaftes Verhalten haben kann und im Gegenzug daran erinnern, dass sich ein Fürst durch das richtige Verhalten und vorbildliches Regieren auszeichnen soll.670 In der Galerie wird Herzog Eberhard Ludwig nicht schmeichelhaft als Achill verherrlicht. Hier werden ihm und allen weiteren Betrachtern mahnende Beispiele gegeben, die zeigen sollen, wie sich der Mensch im Allgemeinen und der Fürst im Besonderen verhalten sollte. Fürstenspiegel dienten der Wissensvermittlung und Ermahnung. Sie erläuterten das rechte Verhalten des Herrschers in Bezug auf seine herausragende Stellung. Wichtige Themenbereiche der Fürstenbelehrung waren unter anderem: das Verhältnis des Herrschers zu Gott (z.

B. Opferung der Iphigenia, Unterweltszene), die Grundregeln der eigenen Lebensführung (z. B.

Parisurteil) und die Abhängigkeit des Staates vom Fürsten (Troja geht aufgrund von Paris’

Fehlverhalten unter).671

Thema der Deckenbilder in der Bildergalerie ist auch die Macht des Schicksals, das man nicht betrügen oder beeinflussen kann. Neptun und Jupiter verändern das Schicksal, indem sie vor Thetis zurückschrecken, nachdem sie die Weissagung hören. Sie vermählen Thetis mit Peleus, wodurch sie das Parisurteil verursachen, das schließlich zum trojanischen Krieg führt. Thetis wiederum kann sich nicht damit abfinden, an einen Sterblichen gebunden zu sein und bemüht sich mit verheerenden Folgen um die Unsterblichkeit ihrer Kinder. Auch bei Achill, dem einzigen Überlebenden ihrer sieben Kinder, greift sie zu drastischen Maßnahmen, die ihr aber den Sohn am Ende doch nicht retten können. Die Szene der Unterwelt soll den Betrachter ermahnen, die Endlichkeit seines Lebens zu bedenken. Die dargestellten Höllenqualen sollen vor Augen führen, welche Sünden tunlichst zu meiden sind, um sich den Weg in die elysischen Gefilde nicht zu versperren. Das Deckenbild stellt nicht nur eine Mahnung dar, das Schicksal anzunehmen, sondern auch eine Mahnung an den Herrscher, gerechte, unparteiische Urteile zu fällen (Parisurteil), ein tugendhaftes Leben zu führen, indem er Geiz und Grausamkeit, Habgier, und Wollust meiden soll (u. a. Unterweltszene), sowie Gottesfürchtig zu sein (Opferung der Iphigenia). Die Gegenüberstellung von Venus und Mars auf der

668 Zahlten, Achill 1977, S. 18 ff.

669 Siehe dazu auch Hanken 2000, S. 60, 116 f.

670 Peil 1986, S. 54.

671 Peil 1986, S. 90 ff.; Wancke 2005, S. 100 ff.

südlichen Schmalseite mit Pluto und Proserpina auf der nördlichen Schmalseite kann zusätzlich als Sieg der Liebe gedeutet werden, die letzlich auch die Unterwelt für sich erobert.

Die Deckenbilder thematisieren den trojanischen Krieg und das vor der Stadt lokalisierte Kampfgeschehen nur am Rande. Auch Achill steht nicht im eigentlichen Sinn im Zentrum der Darstellung. Wichtig war dem Autoren des Dekorationskonzepts offenbar die moralisierende Botschaft der Bilder. Das Augenmerk der Darstellung liegt nicht zufällig auf der Vorgeschichte des Krieges, denn hier lassen sich ohne Zweifel wichtige moralische Aussagen vermitteln. Der vielbeschworene trojanische Sagenkreis diente lediglich der thematischen Verklammerung. Ganz anders sieht die Gestaltung zum Beispiel in der Galerie des Palazzo Medici Riccardi aus. Dort finden die Szenen gleichzeitig nebeneinander statt. Nicht der Ablauf, sondern der inhaltliche Gegensatz bestimmen das Konzept des Deckenbildes.672

Am südlichen Ende der Galerie, direkt über dem Ausgang zum Neuen Corps de Logis könnten die Deckenbilder allerdings noch eine zusätzliche, spitzfindige Botschaft enthalten. Bei dem Triumph des Neptun könnte es sich um eine sehr subtile Anspielung auf die Beziehung Herzog Eberhard Ludwigs zum Kaiser handeln. Eberhard Ludwig empfand sich ganz als barocker Territorialfürst. Er bemühte sich, in seinem Herzogtum als absolutistischer Herrscher von Gottes Gnaden aufzutreten. Gleichzeitig war er zur Loyalität gegenüber dem Kaiser in Wien verpflichtet, seit dieser ihn frühzeitig für volljährig erklärt hatte. Setzt man Eberhard Ludwig mit Neptun gleich und den Kaiser mit Jupiter, so kann man an der Szene einerseits den Machtanspruch Eberhard Ludwigs ablesen, während er aber gleichzeitig als dem Jupiter unterlegen gezeigt wird. Jupiter erscheint in gebieterischer Pose mit erhobenem Blitzbündel und auf Neptun gerichteten Blick. Diese Blickrichtung wird durch Aeolus und den neben ihm dargestellten Wind noch verstärkt. Neptun sieht zu Jupiter auf und bewegt sich gleichzeitig nach rechts in die durch Jupiter vorgegebene Richtung. Gegenüber dem Triumph des Neptun befindet sich die Darstellung von Polyxenas Opferung. Da Herzog Eberhard Ludwig sich nach dem Spanischen Erbfolgekrieg vom Kaiser übergangen fühlte, könnte es sich um einen versteckten Seitenhieb auf diesen handeln. Eberhard Ludwigs Engagement als Feldherr im Spanischen Erbfolgekrieg hatte ihm weder die erhoffte Rangerhöhung, noch eine Gebietserweiterung eingetragen. Die Forderung Achills nach einem gerechten Anteil an der Kriegsbeute der Griechen entsprach also durchaus dem Empfinden des herzoglichen Bauherrn.

Die beiden Kabinette der Bildergalerie, die thematisch besser zu der Ahnengalerie gepasst hätten,673 lassen sich nur sehr schwer mit dem Hauptraum in Verbindung bringen. Erschwerend kommt hinzu,

672 Büttner 1972, S. 36.

673 Dort hätten sie bereits in den Vorzimmern angedeutet, dass der folgende Raum dem Frieden gewidmet sein sollte und dass die Verzweiflung, die ja meist mit Krieg und der damit verbundenen Armut einhergeht, überwunden wurde.

dass die Szene mit Spes und Desperatio sich nicht bei der nördlichen Szenerie der Unterwelt befindet, mit der sich ein Zusammenhang herstellen ließe, sondern auf der südlichen Seite von Venus und Mars. Die Darstellung von Frieden und Eintracht befindet sich dagegen auf der Unterweltseite.

Hier kann sie vom Betracher, der die Galerie von Norden aus betritt, nur als Gegensatz empfunden werden, zu der an diesem Galerieende abgebildeten Unterweltszenerie. Spes und Desperatio lassen sich dagegen noch relativ plausibel mit dem südlichen Galerieende verbinden, denn wenn die Liebe den Krieg besiegt hat, kann die Hoffnung auch die Verzweiflung überwinden.