• Keine Ergebnisse gefunden

9 Die Deckenbilder der Bildergalerie und ihrer Vorzimmer

9.1.5 Parisurteil und Hirtenszene

Paris war der Sohn des Königs Priamus von Troja und der Hekuba. Weil seine Mutter während der Schwangerschaft träumte, dass ihr Sohn Troja ins Verderben stürzen werde, befahl Priamus, das Kind gleich nach seiner Geburt auszusetzen. Paris wurde auf den Berg Ida gebracht, wo er bei Agelaus aufwuchs.577 Laut Hederich bewies Paris „auch darinnen einen guten Verstand, daß er viele Händel der andern Hirten mit guter Art richtete und beylegete. [...] Dadurch brachte er es denn so weit, daß bey der Uneinigkeit der Juno, Minerva und Venus über den Apfel der Eris, wer von ihnen die schönste sey, Jupiter, welcher keinen Ausspruch deswegen thun mochte, den Mercurius mit allen dreyen zu dem Paris, auf den Berg Ida, schickete, daß er sie entscheiden sollte. Es stelleten sich also nicht allein alle drey, wie einige wollen, ganz nackend vor ihm; [...] sondern es versprach auch Juno, ihn zu einem großen Könige über die ganze Welt, [...] oder doch wenigstens ganz Asien und die europäischen

575 Zahlten, Achill 1977, S. 12.

576 Kretschmer 2008, S. 201.

577 Paris, Hederich, S. 6358 (vgl. Hederich-Lexicon, S. 1884); Apollodor 2008, III 150, S. 136.

Gränzen zu machen. [...] Dabey sollte er der reichste unter allen Menschen werden. Minerva hingegen wollte verschaffen, daß er Griechenland den Phrygiern unterwerfen, und der berühmteste und künstlichste unter allen Menschen werden sollte. [...] Venus aber wollte ihm das schönste Frauenzimmer auf der Welt zur Gemahlinn geben, wenn er sie für die schönste erklärete.“578

Die Szene des Parisurteils wird durch einen Ausblick in eine Weidelandschaft mit einer Schafherde eingeleitet (Abb. 54). Eine Hirtin blickt durch eine Baumgruppe, welche die Hauptszene einrahmt, auf das Geschehen. Paris hat seinen Hirtenstab an die Schulter gelehnt und sitzt auf einem Stein. Er hat sich Venus zugewendet und ist im Begriff ihr die goldene Kugel zu überreichen, welche die Göttin als die Schönste auszeichnet. Juno und Minerva beachtet er nicht. Über Venus schwebt ein Putto, der als Anspielung auf den von Venus versprochenen Lohn ein Bildnis der Helena hält. Neben ihm fliegt der mit Flügeln gekennzeichnete Amor. Er umfasst schmeichelnd das Haupt seiner Mutter, Venus, während er der Juno einen verschmitzten Blick zuwirft.579 Zwei Tauben, die Vögel der Venus, befinden sich zu Füßen der Göttin. Die Tiere sind Scotti nicht ganz gelungen und wirken eher drachenartig. Sie bilden eine der vielen Schwachstellen dieses Freskos. Neben Venus befindet sich Juno, in einen gelben Mantel gekleidet und durch zwei Pfauen gekennzeichnet. Sie blickt zu der goldenen Kugel, nach der sie scheinbar ihre Hand ausstrecken will. Links, unterhalb von Paris wendet sich Minerva ab, im Begriff sich hinter ihrem Mantel zu verbergen. Sie ist unbekleidet dargestellt. Ihre Attribute, Helm, Schild und eine Lanze, liegen vor ihr und während sie ihren Schild hält, umfasst ein Putto ihren Helm. Im Vordergrund der Szene sind zwei Hirtenhunde zu erkennen. Über der Szene schwebt Merkur, der sich mit dem Caduceus nach unten wendet. Die geschlagenen Göttinnen Juno und Minerva wenden sich im trojanischen Krieg aus Ärger über ihre Niederlage gegen die Trojaner und unterstützen die Griechen.580

Im Anschluss an die Darstellung des Parisurteils zeigt Scotti laut Zahlten eine Hirtenszene, in deren Vordergrund Paris mit seiner Frau Oinone tanzt (Abb. 55). Zahlten ist der Ansicht, die Szene solle verdeutlichen, dass Paris zur Zeit seines Urteilsspruches noch unter Hirten lebte. Ungewöhnlich und nach Zahlten ohne Zusammenhang zur Szene, ist die Darstellung von Diana, die im Hintergrund mit ihrem Gefolge zu sehen ist.581 Zahlten irrt in seiner Szenenaufteilung. Die von ihm als Paris identifizierte, tanzende Figur ist lediglich ein Hirte. Es handelt sich nicht um eine zusätzliche Szene, sondern um einen Teil der Szenerie des Parisurteils. Die Darstellung des tanzenden Hirten dient dazu, den bukolischen Schauplatz zu charakterisieren.

578 Paris, Hederich, S. 6360 (vgl. Hederich-Lexicon, S. 1885 f.).

579 Paris, Hederich, S. 6362 (vgl. Hederich-Lexicon, S. 1887).

580 Siehe auch Zahlten, Achill 1977, S. 12 ff.

581 Zahlten, Achill 1977, S. 14.

Scotti weicht in seiner Darstellung des Parisurteils von den üblichen Präsentationen ab, die es dem Künstler erlaubten, „seine Kunst in der Formulierung des weiblichen Aktes dreifach unter Beweis zu stellen und zugleich das augenscheinliche Vergnügen des Betrachters zu wecken.“582 Venus, Juno und Minerva stehen in Ludwigsburg nicht in der Art der drei Grazien nebeneinander, um sich Paris zu präsentieren. In erster Linie ist es Venus, der die Aufmerksamkeit des Betrachters gelten soll. Sie ist vollständig entblößt im Zentrum der Szene dargestellt. Juno, vollständig bekleidet, und Minerva sind dagegen an den Rand gedrängt und können dem Geschehen nur noch zusehen. Minerva ist im Begriff sich wieder zu verhüllen.

Hofstede weist darauf hin, dass das Parisurteil in der Literatur des 16. Jahrhunderts als Allegorie für eine universale Lebensführung gedeutet werden konnte, welche die sonst getrennten Bereiche sapientia (Minerva), potentia (Juno) und voluptas (Venus) in sich vereinte. Eine solche Lebensführung wurde als Herrscherideal angesehen.583 Fulgentius legt den drei Göttinnen je eine der drei Grundformen des menschlichen Lebens zugrunde: vita contemplativa (Minerva), vita activa (Juno) und vita voluptaria (Venus), wobei er Paris eine animalische Triebhaftigkeit zuschreibt.584 Hofstede unterscheidet in seinen Überlegungen zum Parisurteil zwei Darstellungsarten: einerseits den nachdenklich-melancholischen Hirten, der sich dem Urteil nicht durch cupiditas, sondern kontemplativ nähert und andererseits den unbedacht-törichten Paris. Der kontemplativ handelnde Paris kann als panegyrisches Gleichnis des idealen Fürsten gelten. Als Beispiel hierfür gibt Hofstede eine Darstellung des Parisurteils von Rubens in Madrid aus dem Jahr 1638 an.585 Der unbedacht-törichte Paris verkörpere im Gegensatz dazu „die vernunftlose und barbarische Begierde [...], die Stärke und Mäßigung zurückstoße, um sich ganz den Vergnügungen anheim zu geben und allein den Leidenschaften zu huldigen [...].“586 Schon bei Cicero galt Paris als Inbegriff ungezähmter Leidenschaft. Horaz schreibt Paris die Entfesselung der Leidenschaften und Verbrechen zu.587 Paris symbolisiert die Zerstörung des Urteilsvermögens durch ein Leben in Überfluß, mangelnde Bildung und jugendliche Torheit. Ihm wird durch Apuleius das erste Fehlurteil der Geschichte zur Last gelegt, denn Jupiters Entscheidung, das Urteil Paris zu übertragen, „habe das allererste Urteil der Weltgeschichte um den Gewinn von Sinnenlust verkauft [...].“588Apuleius beschreibt das Parisurteil als pantomimisches Theaterstück. Nachdem Paris Venus den goldenen Apfel gereicht hat, heisst es dort:

„Wundert ihr euch nun noch, ihr einfältigen Schöpse oder vielmehr ihr gierigen Geier von Advokaten, daß heutzutage die Gerechtigkeit jeglicher Richter feil ist, da schon im Anfang aller Dinge in einen zwischen Göttern und Menschen zu entscheidenden Handel Parteilichkeit sich eingemischt; da der

582 Hofstede 1989, S. 164 f. Scherer weist darauf hin, dass die drei Göttinnen seit dem 16. Jahrhundert

zunehmend als Varianten der drei Grazien dargestellt wurden. Diese Tendenz ging unter anderem von Raphaels Darstellung des Parisurteils aus. Scherer 1963, S. 18 f.

583 Hofstede 1989, S. 166 f.

584 Hofstede 1989, S. 167, 169; Büttner/Gottdang 2006, S. 187, 189.

585 Hofstede 1989, S. 167 ff.

586 Hofstede 1989, S. 168 f.

587 Hofstede 1989, S. 168.

588 Hofstede 1989, S. 169 ff., 175.

allererste Richter – den Jupiter, der höchste Jupiter, noch dazu selbst bestellt und der nur ein schlichter Hirte war – durch Wollust sich hat bestechen lassen und das zum gänzlichen Verderben seines Geschlechts.“589 Das Parisurteil und die daraus erwachsenden Konsequenzen stehen also auch als mahnendes Beispiel für den Betrachter, sich in seiner Urteilsfindung als gerecht zu erweisen und sich nicht durch Bestechungen beeinflussen zu lassen oder gar unbedacht zu handeln. Denn auch der gerechteste Richter ist der Versuchung ausgesetzt, sich beeinflussen zu lassen. Hier wird die positive Eigenschaft des Paris durch sein Verlangen nach einer schönen Frau negiert und löst verhängnisvolle Ereignisse aus.

In den moralisierenden Kontext passt nun wiederum die Darstellung der Diana (Abb. 55). Sie wird unter anderem als Unheil abwendende, Segen spendende Gottheit beschrieben, die reichen Ertrag der Felder und Herden, sowie Eintracht und ein langes Leben schenkt. Andererseits wendet sie sich gegen ungerechte Menschen. Pfeil und Bogen sind die Instrumente ihrer strafenden Gerechtigkeit. Diana liebte den Aufenthalt in Wäldern und an Quellen. Sie scheute den Blick der Männer und blieb eine jungfräuliche Göttin.590 In der Gegenüberstellung von Liebe und Keuschheit verurteilt sie als jungfräuliche Göttin aus der Ferne die Entscheidung des Paris für die vita voluptaria.